Mit dem Ende des Nominalsozialismus und dem völkischen Aufbruch in Deutschland hatte sich für einen großen Teil der verbleibenden radikalen Linken die Thematisierung der sozialen Frage erst mal erledigt. Sicher auch die aktionistisch wahrnehmbarsten Teile der linken Zerfallsprodukte verzichteten nicht völlig auf antikapitalistische Agitation. Allerdings tat sich dabei eine weitreichende Diskrepanz zwischen radikalem Gestus und analytischer Substanz auf. Der staatsantifaschistischen Teilbereichsdiebstahl sollte die Wirkung dieser Leerstelle erst richtig freisetzen. Vor allem für die Antifabewegung folgten daraus die bis heute anhaltende inhaltliche Desorientierung und die fortschreitende organisatorische Auflösungstendenz.
Dem rückwertsgewandten Prophetentum, welches im Nachgang immer schon alles gewusst haben will und schon aus Gründen der eigenen politischen Identität die Linke nur als immerwährende Katastrophengeschichte denken kann, ist damit nicht das Wort geredet. Die Entwicklung lässt durchaus eine differenzierte Bewertung zu.
Dass der Traum von der Revolution angesichts eines im Aufruhr befindlichen völkischen Kollektivs vorerst ausgeträumt war, gehört zu den nachvollziehbaren, ja positiven Brüchen in der jüngsten linken Geschichte. Zwar ließen nicht alle von der im Arbeiterbewegungsmarxismus verankerten Vorstellung von denpotentiell revolutionären proletarischen Massen. Und diejenigen, die an den Instrumenten der traditionellen Kapitalismuskritik festhielten, versagten mit ihren zwangsläufig kruden affirmatorischen Schlüssen in Haltung und Kritik gegenüber dem rassistischen deutschen Normalzustand. Im Gegensatz zum weltfremden Beharren auf determinierten Lieblingssubjekten erwiesen sich für einen Großteil der Antifa jedoch schon auf der Ebene der Alltagswahrnehmung die Konstruktionen von Volk und proletarischen Massen als Teil des Problems.
Die praktisch aufgezwungene Beschäftigung mit den Abgründen der deutschen Ideologie wurde allerdings nur außerhalb der Antifa durch kritische Reformulierungsversuche antikapitalistischer Ansätze ergänzt. Innerhalb war es wohl gleichermaßen einer Betriebsblindheit und dem starken politischen Druck der restaurativen Deutschmacht geschuldet, dass die Fehler des Traditionalismus durch einen phrasenhaften und hohl bleibenden Verbalradikalismus abgelöst wurden, oder aber die Beschäftigung mit der Frage, was über dem völkischen Element hinaus noch beherrschend ist, eine gänzlich untergeordnete Rolle spielte.
Die zivilgesellschaftliche Mobilisierung gegen die rechtsradikale Standortgefährdung und die gerade mit den Konsequenzen der Geschichte argumentierendeweltweite deutsche Interessenvertretung ließ die Beschränkungen des Antifa-Themenhorizontes immer deutlicher werden. Es folgte die Phase, welche bis heute gleichermaßen von verkrampften Festhalte- und Neuorientierungsversuchen gekennzeichnet ist. Die Bemühung, einen linksradikalen Ansatz mit einer stimmigen analytischen Füllung zu versehen, sieht sich dabei relativ abrupt mit einem beachtlichen Theorie-Fundus konfrontiert. Der verbal und ja auch irgendwie ehrlich und nett gemeinte Anspruch, jetzt eine Kapitalismuskritik zum Ausgangspunkt des Handelns zu machen, erweist sich in der Praxis als Problem. Manche erschreckt dies so, dass sie die alten politischen Konzepte mit allem Mitteln konservieren möchten, andere ebenso Verunsicherte flüchten sich in die selbstberuhigenden Leitsätze der Antipolitik. Die goldene Mitte glänzt aber nur zum Schein. Oft stehen hier nur die verschiedenen Positionen unvermittelt nebeneinander und tragen nicht zur konzeptionellen Entwirrung bei.
Dabei gibt es aber durchaus Elemente, die sich schon seit ein paar Jahren als zentrale Ausgangspunkte einer radikalen Kapitalismuskritik herauskristallisieren, von denen also die Diskussion strukturiert und weitergeführt werden könnte. Die Kritik der Arbeit stellt ein solches Element dar. Auch für die Postantifa ist dieser Themenbereich keinesfalls neu.
Bereits in der Auseinandersetzung mit dem völkischen Antikapitalismus der Nazis wurde zumindest ein spezifisch deutscher Begriff von Arbeit zum Gegenstand antifaschistischer Ideologiekritik. Mit ihren Mobilisierungen zum 1. Mai (1997ff.) griffen NPD und andere Organisationen die alte nationalsozialistische
Entgegensetzung von schaffendem und raffendem Kapital wieder auf. In ihr verdichteten sich die Bilder vom ehrlichen, fleißigen und ordentlichem Arbeiter, der von parasitären, faulen Schwindlern um seinen gerechten Lohn betrogen wird. Auch wenn man unter der Geltung des Grundgesetztes die Forderungen des historischen Vorläufermodells nach Vernichtung der "parasitären jüdischen Rasse" (unter der Parole "Arbeit macht frei") in dieser Deutlichkeit noch unterließ, war am antisemitischen Gehalt der rechten Systemkritik nicht zu zweifeln.
Trotz dieser Erkenntnis und trotz der Beobachtung, dass der rechte Antikapitalismus mit Parolen wie "Gegen System und Kapital", "Jetzt die nationale, antikapitalistische Wirtschaftsordnung schaffen", "Vorwärts im Kampf gegen die Macht der herrschenden Politiker" daherkam, und damit von linker Phraseologie kaum mehr zu unterscheiden war, wurden daraus nur langsam und vereinzelt Rückschlüsse für das linke Gesellschaftsbild abgeleitet. So erfreut sich heute die Vorstellung vom Kapitalismus, die aus der Überzeugung besteht, dass Geld die Welt regiert und unterdrückte Völker von Bonzen, Banken und Multis geknechtet werden, im Umfeld der sog. Globalisierungskritiker ungebrochener Beliebtheit.
Demgegenüber soll es uns darum gehen, sich dem Bereich der Linken anzuschließen, der eine Reformulierung antikapitalistischer Positionen als umfassende Kritik von Kapital und Arbeit anstrebt. In diesem Sinne ist der Schwerpunkt dieser Ausgabe gewählt.
Unser Anliegen bei der Aneignung einer Kapitalismuskritik mitzuwirken, die sich nicht nur auf Fragen der Verteilungsgerechtigkeit bezieht, sondern versucht, über die Arbeitskritik Prinzipien der Warengesellschaft in die Analyse mit einzubeziehen, bedeutet aber nicht eine Revision der ideologiekritischen Haltungen aus den 90er Jahren. Ungebrochen lässt sich auch heute in Deutschland eine Verschränkung von Arbeitsethos und antikapitalistischen sowie antiwestlichen Denken nachzeichnen, welche den Begriff der Arbeit zu einem Kernstück der deutschen Ideologie auflädt. In seinem Artikel beschreibt Ernst Lohoff die historische Entwicklung Deutschlands zum "Vaterland der Arbeit" und diskutiert am Ende die Frage, ob ein wesensmäßiger Unterschied zwischen westlichen und deutschen Arbeitsvorstellungen existiert oder ob sich nicht eher eine Konvergenz zwischen der deutschen und der allgemeinen warengesellschaftlichen Entwicklung andeutet.
Als zentrales Moment der Wertschöpfung unterliegt die Arbeit gegenwärtig immer noch immensen Transformationsprozessen. Sehen einige darin die Tendenz zur Modernisierung des Kapitalismus verwirklicht, weil er sich mit der Einverleibung neuer Arbeitsformen gleichfalls neue Profitmöglichkeiten erschließt, sprechen andere BeobachterInnen gar von der strukturell-finalen Krise der Arbeitsgesellschaft. Im Heft spiegelt sich die Kontroverse im Beitrag über "Immaterielle Arbeit" und im Interview mit Roswitha Scholz wieder. Letzteres dient nicht nur dazu, die weitere Beschäftigung mit ihrem Ansatz der Wert/Abspaltung
und dessen Ziel, marxistische Arbeitstheorien mit feministischen Ansätzen zu verbinden, allgemein anzuregen, vielmehr wird das Mitglied der Gruppe Krisis auch konkret nach der fortschreitenden Subsumtion von Lebensbereichen und immateriellen Tätigkeitsfeldern unter die kapitalistische Ökonomie befragt.
Der auszugsweise abgedruckte 1. Mai-Aufruf des bgr/leipzig möchte auf der inhaltlichen Ebene die funktionale und strukturelle Einheit von Arbeit und Kapitalismus verdeutlichen und das ideologische Gerede von der angeblichen Naturnotwendigkeit der Arbeit angreifen. Er steht also für den Bruch mit der traditionellen Kampfkategorie "Arbeit" und gleichfalls drückt sich mit ihm das Ziel aus, an einer gesellschaftskritischen Bestimmung des linken Groß-Events festzuhalten.
Dabei ist es der Gruppe durchaus klar, dass sie mit ihrer Arbeitskritik am 1. Mai die Bedeutungshoheit des Diffusen nicht überbieten wird, sondern im besten Falle dazu beiträgt. Neben der Hoffnung, am Tag selber Aufmerksamkeit für ein Label radikaler Gesellschaftskritik zu bekommen, bleibt aber auch das Ziel, in den Diskussionen im Vorfeld linksradikale Positionen zu vermitteln.
Schon die bemühte Zielbestimmung deutet daraufhin, dass die Bedeutung des einzig kontinuierlichen massenmilitanten Ereignisses der radikalen Linken weiterhin umstritten bleibt. Der Text der "phase 2-Redaktion Berlin" setzt die Diskussion um die Sinngebung fort und streift dabei die Debatten über Gewalt und (Anti)Politik, die in den letzten Jahren linke Gemüter bewegten. Es bedarf keiner großen Spekulation, dass letzteres mit diesem Beitrag erneut gelingen wird.
Phase 2 Leipzig