Almost Magic

Einleitung zum Schwerpunkt

Zu seinem 200. Geburtstag gibt die Stadt Trier einen Null-Euro-Schein mit Marx’ Konterfei heraus. Das kann als provinzielles Stadtmarketing abgetan werden, aber es eignet sich auch als Beispiel über falsche Vorstellungen von der Funktion des Geldes und noch falschere Vorstellungen von Marx’ Gesellschaftstheorie. Der Schwerpunkt dieser Phase klärt über beides auf; im Zentrum steht die Frage, nach der Bedeutung von Geld – gesellschaftlich und auch individuell. Denn Geld kann zur Analyse des kapitalistischen Systems herangezogen werden, an ihm formieren sich Widersprüche der Gesellschaft. So sind im Geld einerseits alle gleich, da es Unterschiede wie Hautfarbe oder Geschlecht zumindest theoretisch einebnet. Andererseits zementiert Geld soziale Ungleichheiten.

Während sich beim »Großen und Ganzen« eine Kritik am Systemischen des Kapitalismus gegen eine personalisierte durchgesetzt hat, hört dies beim Thema Geld oft auf. Mehr als ungerechte Reichtumsverteilung haben viele nicht zum Thema zu sagen. Obwohl Linke – immer wieder zum 1. Mai zu sehen und hören – den Zwang zur Lohnarbeit und die Fetischisierung von Arbeit kritisieren und faul sein und Arbeitsverweigerung idealisieren, wird »Rich Kids« oder Erbinnen und Erben ein schönes Leben missgönnt. Selbst wenn diese rein hedonistisch – ganz ohne Produktionsmittel zu besitzen – Mamis Kohle verbrennen. Auch ein kritisches Bewusstsein wird Wohlhabenden abgesprochen, zugleich Millionärin und Linke zu sein, scheint für Linke unvereinbar. Als gehöre es zum Linkssein dazu, am Rand des Existenzminimums zu leben, wird in der Subkultur kritisch beäugt, wer »gutes Geld« verdient oder gar das Pech oder Glück hatte, mit wohlhabenden Eltern aufzuwachsen. Geldsorgen gelten als links und Geldvermehrung ohne Lohnarbeit als verdächtig. Das überholte Bild des aufrechten (und für den Kommunismus kämpfenden), schlecht verdienenden Arbeiters überdauert offenbar jede historische Wahrheit.

Wird über Superreiche, wahlweise das eine oder die zehn Prozent, gesprochen, so wirft man ihnen, entgegen des Wissens um den systemischen Charakter des Reichtums, vor, sie seien persönlich verantwortlich für die ungerechte Verteilung von Besitz. Und könnten im Umkehrschluss auch den Kapitalismus »simsalabim« eher abschaffen als andere – lediglich der Wille fehle. Vielleicht ist es letztendlich besser, wenn es bei der Benennung der ungleichen Verteilung des Reichtums belassen wird, statt auszuformulieren, was von den »1%« eigentlich erwartet wird. Denn je konkreter in vermeintlich emanzipatorischen Kreisen argumentiert wird, desto regressiver wird es allzu häufig. Solchen Positionen ist eine Ambivalenz charakteristisch, wenn zum einen die gegenwärtige Verfasstheit der Gesellschaft überschritten werden soll und deshalb der Staat abgelehnt wird, sich zum anderen aber auch realpolitisch verhalten und etwa die höhere Besteuerung von Reichen gefordert wird. Wenn man diese Ambivalenz nicht ausformulieren kann, wird es staatstragend unsinnig.

Generell lässt sich mit dem Fokus auf Reichtumsverteilung die Bedeutung von Geld im Kapitalismus nicht fassen. Denn der Unterschied zwischen Kapitalistinnen und Arbeitern hängt nicht am jeweiligen Vermögen. Der soziale Status, der nach wie vor maßgeblich verantwortlich für Ungleichheit und Ungerechtigkeit ist, korreliert nicht mal notwendig mit Besitz. Grund genug, sich in der Phase 2 dem Thema Geld mit einem anderen Fokus zu nähern.

Wie sich historisch ein verbindliches Tauschmittel global durchgesetzt hat, zeigen Doreen Mölders und Susanne Hahn in Vom Stein zum Schein. Der Artikel gibt nicht nur einen Überblick über Geldformen von tonnenschweren Steinscheiben bis zu geprägten Münzen, sondern auch über ökonomische Theorien des Geldes. Neben Marx werden so unterschiedliche Theoretiker wie Adam Smith, Georg Simmel, Carl Menger und David Graeber vorgestellt.

Der Geschäftsführer des Trierer Stadtmarketings erklärte den Null-Euro-Schein so: »Das Souvenir setzt sich spielerisch mit der Marx'schen Kapitalismuskritik auseinander. Und natürlich passen die Null-Euro-Scheine auch hervorragend zu Marx als Geldscheinmotiv«. Wie falsch er damit liegt, weiß man nach der Lektüre von Das Geldrätsel. Frank Engster liest Marx’ Kapital als Theorie und Kritik des Geldes, plädiert für die Verschränkung der Geldfunktionen mit dem Wert und diskutiert Geld als Maßstab und Form des Kapitalismus.

Marx' Geldtheorie kennt Tausch-, Waren- und Fetischwert im Kapitalismus, aber auch im Sozialismus blieb Geld erhalten. Welche Funktion Geld im Realsozialismus erfüllte, erläutert Hannes Gießler in Sterntaler – Wie das Geld sozialistisch wurde. Von der frühen Maxime, solange Geld noch existiert, hat der Kommunismus nicht gewonnen, blieb nicht viel übrig.

Der DDR war Marx zumindest noch der Hunderter Schein wert, die Note mit dem höchsten existierenden Nennwert. Mit »hundert Marx« kam man in der DDR recht weit – allerdings nicht geografisch. Mit null Euro kommt man nirgendwo hin, selbst wenn der Marx-Schein aus Trier von der Europäischen Zentralbank tatsächlich autorisiert ist. Den Fragen, welche Funktion Zentralbanken überhaupt haben und warum es einer Geldpolitik in der durchkapitalisierten Gesellschaft bedarf, nähert sich Justin Monday in seinem Beitrag Zirkulation und Zentralbank. Außerdem diskutiert er, warum Keynesianerinnen von Geldpolitik noch immer sozialstaatliche Eingrenzung kapitalistischer Ausbreitung erwarten und ob Marx’ Theorie zum Geld antiquiert ist, weil die politische Steuerung des Geldes in seiner Theorie fehlt.

Private Geldpolitik heißt in Deutschland, das Geld liegt auf dem Girokonto und in Krisenzeiten wird es sicherheitshalber abgehoben. Doch das Bargeld wird weniger und es ist längst nicht mehr eine dem Kontostand äquivalente Summe an Scheinen vorhanden. Aktuell werden bereits neunzig Prozent des umlaufenden Geldes nur noch durch Nullen und Einsen repräsentiert. Schon bei Geldscheinen und Münzen ist die Kluft zwischen Materialwert und Tauschwert augenscheinlich. Dass allerdings Beträge auf dem Bildschirm nach Verwendung einer Plastikkarte kleiner werden, das grenzt doch an Magie. Schweden, das 1661 als erstes europäisches Land Banknoten druckte, könnte nun das erste werden, das ganz auf sie verzichtet. Gerade mal 2% aller Ausgaben werden noch mit Bargeld bezahlt. Als Konsequenz aus dem zunehmenden Verschwinden des Bargelds müssen sich Bankräuberinnen einen neuen Job suchen. Die Digitalisierung des Geldes soll eigentlich zu mehr Sicherheit führen. Tatsächlich nehmen zwar Banküberfälle ab, in Schweden gab es 2016 nur zwei, aber insgesamt steigt die geldbezogene Kriminalität. Phishing, Cryptojacking und Ähnliches sind im Kommen. Studien haben übrigens bereits gezeigt, dass mit der psychologischen Distanz zum Geld auch die Bereitschaft zum Stehlen ansteigt. Damit erklärt sich zum Beispiel, warum Diebstahl im Supermarkt als schlimm angesehen wird, aber kaum jemand Probleme damit hat, bei den Steuern zu betrügen, Versicherungsfälle vorzutäuschen oder Textmarker aus dem Büro mitzunehmen. Es könnte auch erklären, warum es weniger Hemmungen gibt, Einsen und Nullen abzuzweigen. Daran werden Bitcoin und Blockchain auch nichts ändern. Mit dem sukzessiven Verschwinden eines materiellen Äquivalents und den Folgen der Virtualisierung des Geldes beschäftigen sich gleich zwei Artikel dieses Schwerpunktes. Oliver Leistert erkennt in Das Internet der Werte beides - Cryptowährung und die neue Verteilungstechnologie - als Boten einer verwalteten Welt 2.0. Das größte Potenzial der Blockchain-Technologie sieht er nicht in digitalen Währungen, sondern in der Einschreibung von Blockchains in Waren - allerdings im Dienste von Kontrolle und Profitmaximierung.

Carsten Klose versucht eine Kritik der Cryptoökonomie und zeigt in Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, welche Fehler die Apologeten von Cryptocurrency begehen, wenn sie in ihr eine neue Form von Freiheit erkennen.

Wenn Rio Reiser über Geld singt »man muss es schon besitzen, um’s zum Fenster rauszuwerfen«, zeigt sich ein Paradox, das Ilse Bindseil in ihrem Essay Wenn ich einmal reich wär verhandelt. Der Wunsch nach Reichtum, nach »reich sein«, ist gedanklich verbunden mit seiner Aufgabe. Die Verlockung besteht im Ausgeben des Geldes und nicht im Besitz eines Scheinberges, dafür würden ja Papierfetzen genügen – mit oder ohne Marxmotiv. Die falschen Projektionen auf Reiche – die notwendig die Anderen sind – entlarvt Bindseil ebenso wie den naiven Wunsch sich »einmal alles leisten zu können«.

In Vorbereitung des Schwerpunktes wurde innerhalb der Redaktion die Frage, was ein wünschenswerter Umgang mit Geld im Rahmen des Bestehenden wäre, kontrovers diskutiert. Wenn Bill und Melinda Gates (supra)staatliche Aufgaben wie Polio-Impfungen übernehmen, hat das selbstverständlich problematische Aspekte, aber warum ausgerechnet einer der reichsten Menschen der Welt kritisiert wird, wenn er sich nicht nur die zehnte Villa oder das hundertste Auto kauft, erschließt sich nicht. Wenn die Antwort nur lautet, damit würden Staaten aus der Pflicht genommen, wurde die Frage gar nicht erst verstanden.

Über privates Geld wird gemeinhin wenig geredet. Das Tabu gilt nicht nur am Arbeitsplatz, sondern wird im Freundeskreis, in Politgruppen und Partnerschaften fortgeführt. Selbst in einem alternativeren Milieu gelingt es nicht, innerhalb von Partnerschaften Einkommen zu teilen und ein gemeinsames Konto zu haben, wie zum Beispiel Claudia Koppetsch und Sarah Speck 2015 in einer Studie herausgearbeitet haben. Auch für die Linke gilt, dass sie – trotz Kritik an Gender Pay Gap und dem Wunsch nach Umverteilung – kein Leichtes damit hat, innerhalb von Beziehungen oder Freundschaften mit dem Thema umzugehen. Generell werden private Einkommens- oder Vermögensverhältnisse wenig thematisiert. Auch mit solchen Alltagspraktiken wird Geld in der Sphäre des Unausgesprochenen belassen, die Konkurrenz, Neid und Lohnunterschiede begünstigt.

Die Magie des Geldes entzaubert diese Phase 2 sicherlich nicht letztgültig, doch seine gesellschaftliche, historische und systemübergreifende Bedeutung wird in den folgenden Artikeln ausgeleuchtet.

Übrigens war die erste Auflage des bedruckten Stückchens Papier aus Trier so schnell ausverkauft, dass die zweite um 400% auf 20.000 erhöht wurde. Ein Nuller wird für drei Euro verkauft. Auf ebay kann man ihn offenbar für 9,90€ wieder loswerden. It’s almost magic!

Phase 2 Leipzig