Am Ende der Geschichte

Die Rezeption von Walter Benjamins Denken hat immer wieder Konjunkturen erfahren. Seine Schriften sind beispielsweise zu Fragen der Ästhetik, der Literatur, der Politik und der Philosophie herangezogen worden. Immer musste dabei das Spannungsverhältnis zwischen jüdischem Messianismus und radikalem Materialismus ausgehalten werden. Unter anderem deswegen entzieht sich sein Werk fortlaufend der Kanonisierung und wissenschaftlichen Eingemeindung. Nun verspricht ein im Frühjahr 2017 erschienener Sammelband der Herausgeber Thomas Schröder und Jonas Engelmann unter dem Titel Vom Ende der Geschichte her. Walter Benjamins geschichtsphilosophische Thesen, das Nebeneinander des »radikalen theologischen Messianismus« und »am historischen Material orientierte[n] Marxismus« ernst zu nehmen – und hat sich damit keine leichte Aufgabe gestellt.

Im Buch finden sich sieben Beiträge von Thomas Schröder, Marcus Hawel, Caroline Heinrich, Gérard Raulet, Richard Faber und Gregor Wedekind. Sie führen in Benjamins Geschichtstheorie ein, betrachten sein Verhältnis zur Kritischen Theorie und beleuchten das geschichtspolitische Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart. Mit Blick auf die Rezeptions- und Entstehungsgeschichte wird nach der »Botschaft« der geschichtsphilosophischen Thesen Benjamins gefragt. Durch eine Parallelisierung mit Freuds letzten Texten werden diese sowohl auf ihr psychoanalytisches Moment hin befragt als auch als Testament des historischen Materialismus begriffen. Benjamins Thesen werden auf die Gegenwart bezogen und zum Abschluss mit dem Bild konfrontiert, das sie inspirierte – dem Angelus Novus von Paul Klee.

Die AutorInnen sind Soziologen, Literaturwissenschaftler, Historiker und PhilosophInnen. Sie bilden also die übliche Breite an wissenschaftlichen Zugängen zu Benjamins Werk ab. Entstanden ist der Sammelband aus einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Jahr 2015. Der Verständnisgewinn, den die dialogische Form der Tagung bezüglich der geschichtsphilosophischen Thesen Benjamins für die Teilnehmenden mit sich brachte und die Thomas Schröder in seiner Einleitung hervorhebt, konnte leider nicht im Sammelband konserviert werden. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass es sich bei der Einleitung um einen Tagungsbericht handelt und mit den Aufsätzen die Referate nun publiziert vorliegen. Zwar versammeln die Beiträge verschiedene Aspekte von und Perspektiven auf Benjamins Thesen, stehen jedoch eher wie zufällig nebeneinander und ihre Bezüge untereinander bleiben unklar. Weder die kontinuierliche Lektüre noch der Blick ins Inhaltverzeichnis können die Frage nach dem »Ernstnehmen des Nebeneinanders von Materialismus und Messianismus« beantworten. Auch der aktuelle Bezug bleibt unbestimmt.

Den Anspruch des Sammelbandes einzulösen gelingt einzig Marcus Hawel in seinem Beitrag zu »Walter Benjamin und die Kritische Theorie«, in dem er Benjamins Verständnis von Revolution sowie die Dekonstruktion und Destruktion der katastrophischen Konstruktion von Geschichte mit dessen Kritik an Fortschritt und Historismus verbindet. Hawel verdeutlicht diese Bezüge mit dem Hinweis, die Vernunft habe zu ihrer Durchsetzung immer auch der Gewalt der Ökonomie bedurft; wobei diese Abhängigkeit sie gleichsam immer wieder korrumpierte. Vernunft ist folglich nicht die Antithese der Katastrophe, sondern in sie verstrickt, denn die Geschichte ist »das Verhängnis, das Vernunft allein nicht wenden kann«. Hawel weist nach, wie sich Benjamins Begriffsarbeit aus der Vorstellung eines utopischen Kommunismus speist und in der Form des paradoxen Verhältnisses von Messianismus und Materialismus erscheint. Mit dem Beitrag von Caroline Heinrich enthält der Sammelband einen weiteren Aufsatz, der in Anschluss an Hawels metatheoretische Darstellungen in der Lage ist, zu zeigen, wie mit Benjamin der »explosiven Kraft der Vergangenheit […] entsprochen werden könnte«. So bleibe die Hoffnung auf ein versöhnendes Resultat verstellt und der Blick auf die Katastrophe, welche die Geschichte ist, gerichtet. Heinrich reflektiert auch auf den geschichtlichen Kontext der Thesen – den Hitler-Stalin-Pakt. Schließlich verdeutlicht sie, dass das Bestehen auf der Autonomie der Subjekte Fortschrittsideen als das entlarvt, was sie fast immer sind: Ideologie.

Dem Sammelband gelingt es zwar, die Vielfalt verschiedener Ansätze zu dokumentieren. Jedoch zeigt sich, dass ein spezifischer Zugang zu Benjamins geschichtsphilosophischen Thesen notwendigerweise andere Aspekte seines Denkens im Dunkeln belassen muss. Insofern wird das Nebeneinander von Materialismus und Messianismus ernst genommen. Jedoch muss am Ende der Lektüre die Frage nach diesem Nebeneinander selbst beantwortet werden. Das vorliegende Buch ist dennoch eine Bereicherung für alle, die sich mit Benjamins »Denken am Abgrund« befassen.

Conrad Kunze

Thomas Schröder/Jonas Engelmann (Hrsg.): Vom Ende der Geschichte her. Walter Benjamins geschichtsphilosophische Thesen. Ventil Verlag, Mainz 2017, 214 S., 16,00 €.