And the winner is ...

Wahlkampf im Standort D

Es ist Wahlkampf, Zeit der großen Inszenierung kleiner politischer Unterschiede. Die Inhalte sind dabei vorher bestimmt, es geht um Arbeitsplätze, Volkswirtschaft, den Standort D mit allem, was dazugehört. Die Kandidaten haben sich daran als kompetent zu beweisen, Profil zu gewinnen, Wählergruppen zu erreichen und dabei stets die Trennschärfe zum politischen Gegner zu wahren. Dieses begriffliche Instrumentarium, das die mediale Berichterstattung wohl ebenso prägt wie die Public Relations der Wahlkampfbüros, ist denn auch voll und ganz dem Durchführen eines demokratischen Wettbewerbs gewidmet, dessen Gemeinsamkeiten gerade in seinem Reglement liegen, dem offiziösen wie dem unausgesprochenen. Diese „Spielregeln“ als Ausdruck eines gesellschaftlichen Gehalts zu verstehen soll hier als Voraussetzung gelten, um die Frage zu stellen nach den Unterschieden, die mit dem Beibehalt oder Wechsel der Regierung verknüpft sein könnten.

Der sogenannte Wahlkampf sollte hier zunächst vor allem als gesellschaftsübergreifende Mobilisierung verstanden werden. Das es sich dabei nicht um eine spezielle oder beliebige Mobilisierung handelt, sondern um eine für dieses Staatswesen konstituierende dürfte dabei klar sein. „Legitimierung“ nennt sich das formale Ineinssetzen der subjektiven Interessen der einzelnen wählenden Bürgerinnen mit dem Wirken des Staates. Dass dieser formale Akt in der „Realität“ keine rechte Entsprechung hat meint der Volksmund zu wissen. Dass von dieser Institution zunächst nichts als ihre notwendige kapitalistische Funktion zu erwarten ist, wissen die Linksradikalen.
Die kleinen politischen Unterschiede fallen dabei notwendig unter den Tisch, deshalb soll ihnen hier ein wenig Beachtung zukommen. Beispiele dafür gibt es genug, derzeit bietet sich etwa das Zuwanderungsgesetz an. Interessant ist das zumindest wegen der Situation von CDU/CSU, die hier ohne wesentliche sonst übliche politische Unterstützung arbeitet, wie sonst etwa durch Industrie und Handelsverbände üblich. Das sie sich dennoch so gegen das entsprechende Gesetzpaket stemmt kann sicher dem Wahlkampf zugeschrieben werden, teilweise womöglich dem Bewusstsein, diese politische Auseinandersetzung wohl kaum für sich entscheiden zu können. Ein Blick auf das Institutionengeflecht jenseits der Regierung jedenfalls legt nahe, das ein Zuwanderungsgesetz gewollt wird. Es kann davon ausgegangen werden, das ein „Nichtzustandekommen“ am ehesten ein Ärgernis für den deutschen Standortfaktor wäre, in diesem Fall verschuldet durch politische Interessen ausgerechnet der Konservativen, was ihnen als Blockade auch oft genug vorgeworfen wird.
Diese Situation ist gekennzeichnet durch eine Vermittlung von Interessen, in etwa in der Reihenfolge Standort – Politik –Wahlvolk. Daß diese Interessen an mehr als einem Punkt widersprüchlich verlaufen, etwa wenn die CDU/CSU dem Wahlvolk mehr aufs Maul schaut als dem Standort, entspricht dem Wesen Gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung allgemein. Es handelt sich um Vermittlung zwischen Wert als logisch unmögliche, historisch reale gesellschaftliche Synthesis und den gesellschaftlichen Individuen. Inwieweit in Rahmen dieser Vermittlungen – wie auch immer geartete - Interessen auftauchen, nehmen sie die Form von Kapitalfunktionen an, oder konkreter: Institutionen. Ähnliches kann auch von den Individuen gesagt werden, deren Gesellschaftlichkeit ganz in ihrer Funktion aufgeht, und wo diese fehlt bleibt dem Individuum nur noch die Erscheinungsform als Mensch, ohne den Subjektstatus als Interesse als notwendige Kapitalfunktion und Garant gesellschaftlicher Teilhabe.
Dass Wertvergesellschaftung – klar zu unterscheiden vom Standort, der das Interesse einer möglichst reibungslosen Kapitalakkumulation innerhalb eines als Nation abgegrenzten Bereichs bezeichnet – im konkreten durchaus unterschiedlich aussehen kann, ist in ihrer Widersprüchlichkeit angelegt. Und die Frage, inwieweit einem die als „klein“ erscheinenden politische Unterschiede im Konkreten egal sein können ist notwendig. Mitunter geht es hier um die Unterschiede zwischen Links und Rechts (sofern beide Konkretes fordern oder umsetzen) und die Voraussetzungen von Politik und Kritik, sofern sie sich im Rahmen des Möglichen bewegen.
Inwieweit aber repräsentieren verschiedene Regierungsoptionen einen Unterschied im „Konkreten“ in diesem Fall: Deutschland? Mit einem weiteren Blick auf den Wahlvorgang lässt sich daran zunächst formal einiges feststellen: So ist im Reglement festgehalten, dass die Wahl frei sein muß, um jedem Einzelnen die Möglichkeit der Interessenvertretung zu bieten. Inwieweit verschiedene Parteien verschiedene Interessen vertreten (nicht zuletzt dann wie viele) klärt sich im Wahlkampf, und so werden in dieser Zeit eifrig Angebote nach möglichst überall in die Öffentlichkeit gemacht, allerdings auch handfeste Bündnisse bestimmt und nicht zuletzt Durchsetzungsfähigkeit bewiesen. Wenn die Verfügung über die Souveränität geklärt ist, wird dann wieder alles harmonischer. Veränderungen im Machtgeflecht finden hauptsächlich als Personenaustausch statt, größere Strukturwandlungen brauchen manchmal länger, beginnen aber gerne direkt nach der Wahl . Die Regierung ist in jedem Fall die Regierung aller Deutschen, und auch heutzutage ließen sich mehr Dinge aufzählen die unter Rot-grüner oder Schwarz- Gelber Regie gleich abliefen als sich möglicherweise unterscheiden würden. Allgemein lässt sich außerdem feststellen dass sowohl die Größe der Institution Staat als auch der mit dem Grundgesetz gestellte, universale ideologische Anspruch ein tatsächlich gestaltendes Eingreifen in die Gesellschaft verunmöglichen. Eine „reale“, konkrete Veränderung kann höchstens als Krieg oder konformistische Mobilisierung vorgenommen werden, ansonsten wird sie höchstens historisch nachgeholt.
Die Strukturen bleiben sich also im wesentlichen gleich und die Gleichen, was auch gerne mal als Korporatismus ob seiner Unbeweglichkeit oder Verfilzung gescholten wird. Dennoch markiert ein Regierungswechsel eine Veränderung, aber gerade in dem Ausserinstitutionellen Bereich, in der stets vagen Öffentlichen Meinung oder Stimmung, um nicht zu sagen: in der Massenpsychologie.
Wenn auch schwer fassbar, so soll hier die Frage nach dem Verhalten der Masse des Staatsvolkes bezeichnet werden, und hier wird mit der Regierungswahl so etwas wie eine Richtungsentscheidung getroffen, die bei der subjektiven Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe und Interessenvertretung spürbar wird, auch und oft insbesondere für Linke. Die Frage nach dem Verhalten der Masse, gar der Volksmasse, kann schon nicht ignoriert werden, weil sie – auch die linken - Individuen tatsächlich als solche betrifft, ob nun als Teil von ihr oder, meist schlimmer für Betroffene, als ihr Objekt.
Einen Zusammenhang zwischen Wahl und Massenpsyche zu rekonstruieren bleibt hier vorerst der Wahlforschung überlassen, statt dessen soll der im Wahlkampf kommunizierte Inhalt als die Schnittstelle zwischen Politik und Masse betrachtet werden. Sofern diese Inhalte als von den Parteien behauptete oder ihnen geglaubte auftauchen, können sie als Mythen bezeichnet werden.
Sie kreisen um „Sachthemen“ wie Inner Sicherheit, Ökologie, Wirtschaft und vor allem Arbeitsplätze. Wer dabei wo als „kompetent“ betrachtet wird hat sich dabei seit Bestehen der BRD nicht wesentlich verändert, wenn nicht sogar behauptet werden muss, dass die entsprechenden Rollenzuschreibung eben gerade davor festgeschrieben wurden.
 

Arbeitsteilung in Sachen Mythos

Fangen wir also an mit den Volksparteien, zuerst der allgemein erfolgreicheren, der CDU/CSU. Angetreten als Nachlassverwaltung des Nationalsozialismus steht sie für die Tugenden des Wiederaufbaus. Das emsige, ehrliche wirtschaften für Deutschland („der Mensch“) soll im Mittelpunkt stehen. Darin enthalten ist nicht nur der offene Wirtschaftslobbyismus, der sich gerne als Kompetenz angerechnet wird und der die Linken seit Generationen gegen diese Vereinigung ansetzt. Es handelt sich um das Festhalten an dem Projekt der deutschen Volksgemeinschaft unter den Bedingungen der Niederlage derselben. Im stillen, am liebsten christlich- bescheidenen Schaffen besteht noch die einzige Möglichkeit, sich trotz Auschwitz als zivilisiertes deutsches Volk zu verstehen. Der Tribut an Auschwitz ist dann auch eher einer an den verlorenen Krieg, also die USA und, unter ähnlicher Prämisse, Israel. Das Verhältnis zu Auschwitz ist das Bewusstsein der Niederlage, die nur thematisiert werden kann, wenn sie als abbezahlte Schuld dargestellt werden kann, eine Bestimmung, die die Konservativen als die bekennenden Nachfahren der Verlierer politisch nicht selbst leisten können, was ihre größte Schwäche bleibt.
Dies hindert sie keineswegs daran, die deutsch- völkische Identität überall dort zu mobilisieren, wo sie nicht mit deren Niederlage konfrontiert ist. Wie sehr sie etwa noch an den Gedanken des deutschen Blutes gekettet ist zeigte sich jüngst bei der oben erwähnten Zuwanderungsdebatte, in der sie ihren Widerstand gegen „Überfremdung“ noch unter massivem Druck aufrechterhält. „Innere Sicherheit“ ist ihr ein demokratisches Bedürfnis im Sinne von Einheit des Staates mit seinem Volk. Normal und unschuldig ist, wer sich in diese Einheit individuell einordnet und tut, was ihm am besten gar nicht erst gesagt werden muss. Dieser Zustand aus der Perspektive der verwaltenden Herrschaft ist geradezu der identitäre Kern des deutschen Konservativismus. Sein Ideal ist die Gesellschaft als Gemeinschaft, wer ihr nicht angehört oder nicht angehören will ist zumindest verdächtig, eigentlich aber immer schon ein Schädling. Während den in diese Sparte fallenden Deutschen die Repression dabei noch als gestrenge Väterlichkeit entgegentritt, so sind „Ausländer“ ein reines Problem, das nur noch durch ihr Verschwinden gelöst werden kann. Individuelle Freiheit gilt in diesem Rahmen nur als Recht des Stärkeren, was auch die einzige Möglichkeit der Integration für Nichtdeutsche darstellt. Auch dieses Recht allerdings nur als für die „Gesellschaft“ (gemeint ist dabei immer Deutschland) nutzbringendes. Für die eigentliche ideologische Vertretung der entsprechenden Klientel, also für Neoliberalismus, ist eher die FDP zuständig, auf ansonsten ganz ähnlichem ideologischem Boden, aber eben mit anderer Betonung.
Scheinbar ganz anders liegt der Fall bei der SPD, die historisch eben kein nationales Erbe antritt, sondern das der Arbeiterbewegung, was insbesondere zusammen mit den Gewerkschaften gilt. Der Antagonismus, den diese einst tatsächlich zur Gesellschaft pflegte, schimmert hier und da noch durch. Zunächst in dem Anspruch, beim politischen Blick auf die Gesellschaft die Perspektive der Arbeit einzunehmen. Ob das tatsächlich noch der Fall ist mag bestritten werden, als Zuschreibung haben die Sozis dieses Erbe vorerst sicher. so liegt der wesentliche Punkt ihrer Existenz als Partei darin, dass ihre Geschichte sie, als Vertretung einer in der Nation nicht aufgegangenen Arbeit, vom nationalen Erbe des Holocaust freispricht. Gleichzeitig haben sie den „positiven“ Aspekt des Nationalsozialismus, nämlich gerade das Aufgehen des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit in der Nation, längst selbst vollzogen, in der Theorie spätestens mit dem Godesberger- Programm, praktisch aber bereits mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914. Ähnliches kann von der PDS gesagt werden, wenn auch ihr historischer Umweg über die SED noch einen anderen Bezug zur Nation und ihrer Freisprechung vom Holocaust setzte. In beiden Fällen hat die „Arbeit“ ihren Weg ins „Volk“ gefunden oder, und hier laufen Sozialdemokraten aller Coleur immer wieder zu Hochform auf, muss ihr noch oder erneut zugeführt werden. Diese seit bald hundert Jahren verlässliche politische Heimkehrerei, gerne untermalt mit einer Rhetorik wie um den biblischen zurückkehrenden Sohn, macht die „Roten“ zum unverzichtbaren Bestandteil deutscher Demokratie. Das überlegte Mitmachen, das sie schon lange weit jenseits bloßer Arbeiterinnenvertretung betreiben, macht jeden politischen Konsens erst zu einem solchen, wann immer neue Standortadjustierungen vorgenommen werden. Dies sogar dann noch, wenn sie sich, wie derzeit, an der Regierung befinden. Wie schon bei der Zustimmung zur Verschärfung des Asylrechts als Präventivmaßnahme gegen die Nazihorden auf der Strasse begründet wurde, soll jede Maßnahme zu Verhinderung von Schlimmeren dienen. Verschärfungen der inneren Sicherheit dienen dem „Sicherheitsgefühl der Bürger“, so dass diese nicht nach dem starken Staat schreien, staatlicher selektiver Rassismus dient der Integration von Ausländern. Immer geht es darum, eine Notwendigkeit herzustellen, an der auch diejenigen nicht vorbeikommen, die meinen, sich noch etwas besseres vorstellen zu können. Die entsprechend debile Argumentation übernehmen mittlerweile allerdings immer mehr die Grünen, spätestens mit Fischers Erklärung zum Krieg gegen Jugoslawien, der nicht trotz, sondern wegen Auschwitz für unumgänglich erklärt wurde. Ihr Verdienst kann denn auch als Wiederholung dessen gelten, was sich mit der SPD an der Arbeiterbewegung vollzog, an der Neuen Linken von ´68.
Dabei versteckt sich hinter Fischers Bezügen auf den Holocaust perfiderweise tatsächlich das Element, das für die bundesrepublikanische Politik konstitutv ist. Ausgerechnet Auschwitz, dass als einzige Konsequenz die Abschaffung kapitalistischer Vergesellschaftung, zumindest Deutschlands erlaubt hätte, wird zum demokratischen Gründungsmythos erklärt. Aus „Nie wieder“ wird „Immer weiter“, und hierin offenbart sich auch das oben beschriebene Argumentationsmuster, das zu argumentieren seitdem die immanante Aufgabe der tatsächlich „deutschen“ Linken ist.
So wie die Politik sich, nach mehr oder weniger ausgiebigen Kungeleien und Scheingefechten, ihres Konsensus versichert, wird er gesellschaftlich nachvollzogen, die immer widerkehrende Einigkeit im Parlament setzt das gegenseitige Sich - Wiedererkennen der Staatsbürger als Deutsche, ebenso wie es genau diese Identifizierung voraussetzt. Dieser postfaschistische Konsens hat längst alle Qualitäten einer sich selbst fortschreibenden Eigendynamik angenommen. Ob Politiker auf die Mobilisierungen des Volksmobs anhand von Kampfhunden, Pädophilen oder Schläfern nur noch aufspringen oder sie selbst anstacheln erscheint nahezu bedeutungslos, die beständige Selbstversicherung der deutschen an sich selbst als hermetisch abgeschlossen.
Eine Kritik, die sich selbst als radikal versteht, kann diesen Umstand nur als solchen, als objektive und absolute Zwangsvergesellschaftung diffamieren. Spätestens Rot-Grün hat den Beweis angetreten, dass Parteien zwar unterschiedlich gut geeignet sein können für die Durchsetzung notwendiger Veränderungen im Rahmen des Standorts, die Notwendigkeit selbst aber resultiert aus der Selbstbewegung des Wertes. Mit dem Volksstaat setzt eine Gesellschaft sich selbst als diesem Prozess identisch und ihre Verlaufsformen als Naturgesetze. Wahlen stehen diesem Weltbild notwendig entgegen, weil sie eben eine „Wählbarkeit“ behaupten müssen.
Die Erscheinungsform dieser Selbstbewegung in der „Stimmung“, also dem Geschehen in den Köpfen der Individuen als Teil des Zwangskollektives der Volksmasse, dringt mit dem Wahlkampf an die Oberfläche der Meinungen, individuell wie öffentlich. Diesen Meinungen das Bewusstsein ihres eigenen Zustandekommens als Kapitalfunktion hinzuzufügen, ist die einzige Möglichkeit, so etwas wie Widerstand zu leisten, also etwas, das in der bloßen Fortschreibung der Realität nicht unmittelbar aufgeht (Dass „Widerstand“ als Label diese Bedingung nicht erfüllt und nie erfüllt hat ist dabei als Selbstverständlich angenommen).
Die Möglichkeit der Wahl kann den sich plötzlich auf sich selbst berufenden Individuen nur als ihr mögliches Einverständnis mit dem falschen Ganzen um die Ohren gehauen werden, wenn so etwas wie ein Linksradikaler Standpunkt in die allgemeine Propaganda intervenieren soll. Ein solcher Versuch wird sich unter diesen Umständen der allgemeinen Agitation weniger daran messen, wie viel Masse er bewegt hat, sondern wie regelmäßig er sein Potential auf das demokratische Spektrum allgemein hetzen konnte. Und das ist als Aufforderung zu verstehen.

Phase 2 Göttingen