Antifaschismus verboten

Einer besonders dunklen Phase des internationalen Kommunismus wendet sich das von Bernhard H. Bayerlein herausgegebene Buch Der Verräter, Stalin, bist Du! zu. Das Anliegen der AutorInnen ist es, die Folgen des Hitler-Stalin-Paktes für die Kommunistische Internationale (Komintern) zu dokumentieren. Das gelingt ihnen sehr anschaulich, was nicht zuletzt am gelungenen Aufbau des Buches liegt. Eingangs werden die LeserInnen mit ZeitzeugInnenberichten für die Thematik sensibilisiert. Diese wurden von Wolfgang Leonhard zusammengestellt, der bereits 1955 in seiner Autobiografie Die Revolution entlässt ihre Kinder seinen Bruch mit dem Stalinismus ausführlich beschrieb. Ihn haben bis in die heutige Zeit immer wieder die Fragen beschäftigt, was der Pakt für andere Menschen bedeutet hat und wie er sich auf deren Leben und Denken auswirkte.

Der Schock, der die Welt ereilte, als am 23. August 1939 der sozialistische Modellstaat Sowjetunion mit Nazideutschland einen Nichtangriffs- und Freundschaftsvertrag abschloss, lässt sich aus den Dokumenten und Schilderungen im Buch ablesen. Für nicht wenige AnhängerInnen der kommunistischen Idee, die die Sowjetunion trotz der so genannten Säuberungen in der Zeit von 1936 bis 1938 bis dato verteidigt hatten, bedeutete der Pakt schlichtweg Verrat am Antifaschismus. Das öffentliche Bekunden dessen kam nicht selten dem Todesurteil gleich – wohlgemerkt durch die »eigenen« Leute!

Hermann Weber stellt in seinem Vorwort fest, dass bei der Fülle von Literatur über den Hitler-Stalin-Pakt auffallend oft die konkrete Zusammenarbeit der Sowjetunion mit Nazideutschland ausgeklammert wird. Das Geschichtsbild wird dabei vom Sieg der Alliierten gegen Hitler und der Widerstandsgeschichte der KommunistInnen dominiert. Von linker Seite wird häufig mit der Notwendigkeit des Zeitgewinns für die sowjetische Rüstung argumentiert, um sich den Pakt mit Nazideutschland ausreichend zu erklären. Dass mit dem Pakt wichtige Zeit gewonnen wurde, ist unstrittig. Aber dass im Zuge dessen antifaschistische Politik von der Komintern faktisch verboten wurde, bis sich mit dem (ab Ende 1940 drohenden) Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion das Blatt erneut wendete, das belegen die im Buch dokumentierten Anordnungen der Komintern, die als unmittelbares Machtinstrument Stalins fungierte.

Vieles lässt sich auf die folgenschweren Dogmen der Komintern zurückführen, dass die Hauptfeinde des Kommunismus und der Sowjetunion zum einen die Sozialdemokratie und zum anderen die imperialistischen Mächte Frankreich und England seien. Trotzdem bleibt absolut unverständlich, wie sich mit einer kommunistischen Einstellung derart gravierende Äußerungen und Handlungen tätigen ließen.

Für LeserInnen, die der Sowjetunion ihren aufopferungsvollen Kampf gegen Nazideutschland zu Gute halten, birgt die Dokumentation schier Unvorstellbares. Man könnte sagen, ein Weltbild wird demontiert. Den HerausgeberInnen und AutorInnen muss man zweifelsohne zugestehen, dass in keinem Moment des Lesens der Eindruck entsteht, hier wolle jemand durch Diskreditierung von KommunistInnen eine Idee erledigen oder Naziverbrechen verharmlosen. Unzweifelhaft haben sich die KommunistInnen zu großen Teilen selbst diskreditiert, und zwar durch den Umgang miteinander. Die Anzahl der dokumentierten Beispiele hierfür ist immens.

Von der Sowjetunion wurden in Berufung auf den Pakt u.a. KommunistInnen als auch Jüdinnen und Juden an Deutschland ausgeliefert. Von Druck auf Deutschland, die in deutschen Konzentrationslagern Inhaftierten freizulassen, kann kaum die Rede sein. Die Verfolgung der Juden durch die Nazis wurde in offiziellen Verlautbarungen nicht nur nicht thematisiert, sondern Anti-NS-Literatur (z.B. KZ-Berichte) verschwand Anfang 1940 aus dem sowjetischen Buchhandel. Nazideutschland und die Sowjetunion beglückwünschten sich gegenseitig zu ihren Überfällen auf Frankreich bzw. das Baltikum. Sowohl in Frankreich als auch Holland blieb seitens der dortigen KP der Aufruf zum Widerstand gegen die deutschen Besatzer vorerst aus. In völliger Selbstüberschätzung wurde gegen die eigene Bourgeoisie gehetzt und sich teilweise sogar ausgemalt, als Sieger aus dieser Situation hervorzugehen. Nach dem deutschen Überfall auf Schweden und Dänemark musste das Exekutivkomitee der Komintern die KPs dort auffordern, sich nicht allzu pro-deutsch zu äußern. Die italienische KP-Führung hingegen, die prononciert antifaschistisch propagierte, wurde im Juli 1940 von der Komintern entbunden. Völlig unbegreiflich sind auch Stalins Überlegungen, die Komintern aufzulösen, um Hitler entgegenzukommen oder gar dem Antikominternpakt beizutreten.

Bei vielen KommunistInnen stieß die Kominternpolitik auf Ablehnung, aber bei vielen eben auch auf Zustimmung. Die fatale Argumentationsgrundlage kam in den allermeisten Fällen aus Moskau. Diese Ambivalenzen werden sowohl in den Beiträgen als auch im dokumentarischen Teil immer berücksichtigt, so dass die LeserInnen sich gut ein eigenes Bild machen können. Wer die Hintergründe der späteren Stigmatisierung der WestemigrantInnen, die Schauprozesse und den Bruch Jugoslawiens mit Moskau besser verstehen will, sollte dieses Buch lesen.

Bernhard H. Bayerlein (Hrsg.): Der Verräter, Stalin, bist Du! Vom Ende der linken Solidarität. Komintern und kommunistische Parteien im Zweiten Weltkrieg 1939–1941, Aufbau-Verlag, Berlin 2008, 540 S., € 24,90.

JENS WINTER