Aus dem Bauch des Narrenschiffs

"Hurry down Doomsday the bugs are taking over" Elvis Costello

Auch innerhalb der gesellschaftlichen Eliten gibt es underdogs, z.B. die Pathologen. Entgegen der landläufigen Meinung sind sie keine willfährigen Zulieferer der Kommissare, sondern helle und humorige Köpfe, die in Kellern hausen und Spaß an Dingen haben, die objektiv abstoßend sind. Sie schnippeln die vollkommensten Widerwärtigkeiten heraus, werfen den Rest weg und bereiten das Ganze so auf, dass das Problem erfasst ist und vermittelbar wird. So ähnlich arbeiten Ebermann und Trampert in ihren satirischen Lesungen und im ersten, dem “sarkastisch-analytischen” Teil ihres Buches Sachzwang und Gemüt.
 

Lach

Dabei entwickeln sie eine beachtliche Perfektion. Es sind gerade nicht ‚Schlüsseltexte‘, die für sich schon paradigmatisch für das gegenwärtige kapitalistische Übel stehen würden. Die schlimmen Zitate kennt sekundärverwertet fast jeder aus linken Zeitschriften und Flugblättern oder direkt aus FAZ und taz. Ebermann/Trampert bereiten das Abseitige auf und entwickeln ‚zusammen‘ mit den Autoren der Primärtexte ein gruselig treffendes Bild der Gesellschaft, das, so die implizite Logik des Buches, das Tableau liefert für den zweiten politisch-analytischen Teil. Die Dialoge zeigen die geile Welt des Motivationstrainers Jürgen Höller oder die peinlichen autobiografischen Seelenpornos von Edzard Reuter (“weil wir Deutschen von Glück sagen können, dass bis auf den heutigen Tag immer wieder Persönlichkeiten zur Verfügung standen, die im richtigen Augenblick wussten, was das gemeine Wohl erfordert”) und Oskar Lafontaine (“immer Chef sein zu wollen”). Sie zeigen die Hardcore-Avancen des Bundes der Steuerzahler an den ‚kleinen‘ oder größeren ‚Mann‘, die verbale Selbstbefriedigung von zu Esoterikern gewendeten Ex-Linken und die Fetischisierung der Expertise zur gesellschaftlichen Andienung der Grünen beim Erwachsenwerden. Pervers sind sie alle: die Trendforscher, die Verteidiger der deutschen Sprache, die Nationalen, die Wagnerianer und Startupper, die Fußballspieler ihre schreibenden Bandenwerbungen, ihre Fans und was noch so alles vor sich und anderen hinkommuniziert.
Ebermann/Trampert sind sich für keine (fraglos notwendige) Drecksarbeit zu schade. Mit jüngerscher Pedanterie versammeln sie, sorgsam aufgespießt, die Vielfalt der Möglichkeiten Deutschland gut zu finden. Sie markieren Feinheiten in der Farbgebung und beschränken sich nicht nur auf die kapitalsten Brummer. In der selben Sammelleidenschaft tragen sie zusammen, was Deutsche denn so glaub(t)en, was deutsch ist. Weil das alles Kacke ist und weil es da schon so viel Material gibt, finden sie‘s gar nicht tragisch, dass sie aussterben, die Deutschen.
Ebermann/Trampert haben ihre Kritik aus der Offenbarung der Propheten in Sachzwang und Gemüt plastischer gemacht – teilweise auf Kosten der Tiefe der Analyse. Schon 1995 wechselten sie zwischen “Analyse, Erzählung und Satire” mit einer eindeutigen Schwerpunktsetzung auf ersterer. Die Vorteile dieses Zugriffs auf die Wirklichkeit liegen auf der Hand: Der Gegenstand der Kritik kann auf verschiede Weisen analysiert, dekonstruiert und symbolisch zertrümmert werden. Die Unmöglichkeit der Festlegung der Autoren auf eine Methode erschwert ihre Einhegung.
Ebermann/Trampert haben sich nicht hin zu den Claqueuren der Spaßgesellschaft verabschiedet um dort mit ‚authentischen’ sozialem Schneid kokettierend, umweht vom Pulverdampf sozialer Kämpfe, leichte Siege zu erringen, indem sie eine Gesellschaft bedienen, die sich ganz gerne mal ‚einen Spiegel vorhalten‘ lässt. Das haben sie im Vorwort versprochen: “In der Regel stirbt das Lachen noch innerhalb der Stücke”. Wenn Literatur Wirkung hat, kann man so ‚public enemies’ aufbauen. Der Nachweis der Hässlichkeit des Kapitalismus gelingt noch seinen letzten ‚Artefakten‘, wenn E/T sich ihrer annehmen.
Misslungen sind dabei allerdings mitunter die ‚nicht-dialogischen‘ Texte des Satire-Teils. Das Satire-Konzept von E/T ist meistens im Dialogischen am tragfähigsten. Auf dem dünnen Eis der alltagsweltlichen Kulturkritik brechen E/T systematisch ein. Sie brauchen das Skript der Deppen. Der ideale Depp misslingt ihnen fast immer. Da wird dann plötzlich die Moral zum Leitsystem und eine unbeholfene Wut plättet die Texte. Cool guys can wait.
Weil Ebermann und Trampert Texte brauchen um sich daran abzuarbeiten, müssten sie, um eine satirische Alltagsanalyse jenseits des gedruckten oder gesprochenen Wortes gewinnbringend zu leisten mit einem weiteren Textverständnis ausgerüstet sein. Weil sie die Postmodernen aber nicht mögen und Kristeva eine ist, bleibt ihnen diese Möglichkeit verwehrt. Der arbeitsgeile und konkurrenzbewusste Handymann war gut gemeint, aber was gibt’s heute noch für umme: nicht mal Höfflichkeitsapplaus.
 

Sach

Nicht misslungen aber problematisch ist ein Teil der theoretisch-analytischen Texte. Die Redundanz ist teilweise ermüdend. Immer wieder werden die gleiche Zitate und Gedankengänge aufgeführt, man kennt sie aus der Offenbarung, aus den Zeitschriftenartikeln, aus ihren Auftritten Sie wiederholen sich innerhalb der meist zweitveröffentlichten Artikel des Bandes. Das journalistische Tagesgeschäft verträgt sich bei Ebermann/Trampert nicht immer mit tiefergehender Analyse. Viele Gedanken aus den Offenbarungen werden (ja leider nicht ohne Berechtigung) einfach repetiert, als wäre zwischendrin gar nichts passiert.
Scharf davon zu trennen sind allerdings die Zusammenhänge in denen die Wiederholung System hat, weil das ‚System‘ sich wiederholt. Viele Analysen von Ebermann und Trampert werden auch schon im Satire-Teil auf einen Kern der kapitalistischen Vergesellschaftung zurückgeführt: den Sozialdarwinismus auf seinen verschieden Ebenen. Die Logik des Sieges im Konkurrenzkampf gut, reich und richtig gegen böse, arm und falsch, gesund gegen krank; diese Logik spiegelt sich wieder in der gesellschaftlichen Rezeption des ‚Sieges‘ oder der ‚Niederlage‘ von Ideen und Wirtschaftssystemen, von ‚Völkern‘ von ‚Menschen‘ über ‚Untermenschen‘ und sie findet sich wieder in der Auseinandersetzung der Einzelnen um die immer zu knappen Ressourcen. Ebermann und Trampert werden nicht müde genau das zu wiederholen und sie schaffen es immer wieder so, und das ist neben den Ergebnissen ihrer Analysen selbst, der große Verdienst ihres Tuns, dass die von ihnen gezeigten Zusammenhänge Wut erzeugen können.
Das diese Wut sich in der Gesellschaft nicht aus dem heraus einstellt, was an Unterdrückung, Ausbeutung aber auch Kritik daran offensichtlich ist, hat in der Analyse von E/T mit einem Verdummungsprozess zu tun, der die eigentliche Integrationsleistung des Kapitalismus darstellt: “Der Markt hat das Denken usurpiert”. Die Wissensgesellschaft zeigt sich als eigentlich dumme, deren Wissen nur organisiert ist nach den Kriterien Effizienz und Praktikabilität. Jeder ist jedem dabei der Experte für irgendwas. Die Dummheit ist dabei weniger die Unmöglichkeit, sondern das Desinteresse an Kritik und sie ist nicht Produkt der bösen Verdummer, sondern hausbacken. Die Linke ist zudem durch die Fallhöhe von der Kritik auf die Affirmation als genereller Beschleuniger beteiligt.
Die Dichotomisierung ‚Antirassismus vs. soziale Frage‘ zu vollziehen weigern sich E/T weiterhin. Die soziale Frage, so weisen sie nach, wird, gegen den Antirassismus in Stellung gebracht, selbst rassistisch verkürzt und hört auf eine ‚soziale Frage‘ zu sein. Nicht zuletzt Linke wollen in der rassistischen Tat immer noch die Berechtigung des sozialen Aufbegehrens finden. Dagegen ist der rassistische Akt nicht renitent sondern affirmativ. An anderer Stelle denunzieren E/T den ‚Dikurs‘-Begriff als postmodernes Klimbim. Was sie dann aber in der Betrachtung von rassistischer Ideologie, Verständigung und Aktion zwischen im Hamburger Schanzenviertel und Hoyerswerda leisten, ist u.a. Diskursanalyse. Ihre Befunde bestätigen den Foucaultschen Diskursbegriff: er ist hegemonial dominiert, durchmachtet, exklusiv. Der rassistische Diskurs organisiert die Welt in Ethnien, er bildet Grenzen und legitimiert sie und entlang diesen werden Menschen diskriminiert, erschlagen oder in Kriegen ermordet. Die Autoren weisen die ökonomische Verkürzung der sozialen Frage zurück und reformulieren sie statt dessen in einem breiteren herrschaftskritischen Zugriff. Dieser erfolgt nicht zuletzt auf die kommunikative Repräsentation des Rassismus. Hier, in den Fragen der Ausgrenzung, der Internalisierung von Ideologien und den Interdependenzen zwischen diesen Ausgrenzungen (cross-pressure) nutzen E/T analytisches Werkzeug, das in der Diskursanalyse systematisiert wurde.
In Fragen der Entwicklung Deutschlands seit der Wiedervereinigung können E/T nahtlos an das anschließen, was sie vor Jahren in den Offenbarungen schrieben: ein zunehmendes Großmachtstreben (nachgezeichnet anhand der aggressiver werdenden deutschen Außenpolitik und überzeugend dargestellt in den Komplikationen, die sich daraus im ‚neuen Imperialismus‘ ergeben), der Abschied von emanzipativen Ideen innerhalb der (Ex-)Linken, eine Eindimensionalisierung der Menschen, zunehmender Rassismus etc. E/T prophezeiten hier in der Regel richtig. Regelrecht falsch allerdings ist ihr Befund, dass der dominante gesellschaftliche Diskurs die Erinnerung an Auschwitz auslöschen wolle. Diese Aussage überwindet ihre empirische Falschheit nicht durch notorische Wiederholung. Natan Snzaider und Daniel Levy haben nachgewiesen, dass - im Gegenteil - der Holocaust nie stärker thematisiert worden ist, als in den letzten Jahren. Statt dessen hat hier ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Auf der Ebene des Mobs beschrieb diesen Paradigmenwechsel ein Mitarbeiter der Gedenkstätte Buchenwald: er stehe vor dem Problem, zunehmend nicht mehr mit Besuchern zu tun zu haben, die den Holocaust leugneten, sondern mit solchen, die stolz auf ihn wären. Im medialen und politischen Diskurs konnte sich die Position um Zitelmann, Walser, Strauß nicht durchsetzten. Statt dessen, und das erscheint v.a. für die Analyse deutscher Außenpolitik im Sinne E/Ts als unerlässlich, schaffte es die rot-grün regierte Zivilgesellschaft den Holocaust als Empfehlungsausweis für Interventionen zu nutzen. Die (demonstrative) Erinnerung an Auschwitz ist zum Aktivposten deutscher militärischer Außenpolitik geworden.
 

Geschichte

In der Einschätzung der deutschen Großmachtpolitik, in der weltpolitischen Rolle der USA, den Fragen der Denationalisierung und Globalisierung und als Schnittstelle dieser Diskurse in der Frage eines neuen Imperialismus, bahnen sich E/T Wege durch die Wirrnis und Vernebelung der (linken) Debatten, die zu verfolgen sich lohnt. Die Strategie ist dabei eine doppelte und eine doppelt einfache: Erstens, das kleine Einmaleins der materialistischen Historiografie: Cui bono? Wem nutzen die sich vollziehenden Interventionen. Zweitens, die Grundlagen der Ideologiekritik: was meinen die Akteure selbst, außer dass sie Frieden und Zivilisation wollen? Beide Schritte werden dann in großer Coolness und Genauigkeit durchexerziert. Dabei gehen E/T zurecht und entgegen aller Vorstellungen von Hybridisierung, Fluidisierung und Informationalisierung davon aus, dass der Panzer für und durch Öl rollt. Das sagen die politischen und ökonomischen Vertreter Deutschlands, der EU-Länder, der USA etc. oft genug und deutlich genug. E/T tragen hier fleißig zusammen. Kollektive Hauptakteure, auch das wissen E/T spielend nachzuweisen, sind eher die Nationalstaaten als irgendwelche Bündnisse.
Die Auseinandersetzungen um Imperialismus und Empire schließen beständig implizit an die Diskurse vom Ende der Geschichte an. Dabei sind sie zwei Strömungen zuordnen. Die eine kommt gut gelaunt daher: sie beginnt bei Hegel und der Vorstellung, dass mit der bürgerlichen Demokratie das erreicht worden ist, was man so als Menschheit erreichen kann. Das wurde in den in den frühen 90er Jahren von ehemaligen Mitarbeiter des State Departement Francis Fukuyama aufgenommen. Die westlichen Demokratien seien am Ende der Geschichte angekommen, haben quasi-kommunistische Arbeiterparadiese errichtet, die sich nicht mehr bekämpfen, nur noch lieb untereinander Handel betreiben und auf die Staaten warten, die noch nicht am Ende der Geschichte angekommen sind. Gegen diese dürfe solange noch Krieg geführt werden. Diesen Vorstellungen kommen Negri-Hardt mit ihrem launigen Empire relativ nahe. Etwas grimmiger sind dann schon diejenigen, die Schwert und Fackel der Zivilisation in die düsteren Regionen rammen wollen, um ein wenig nachzuhelfen, auf das Ende der Geschichte hin. Aufwind hat diese Fraktion seit 9-11. Derrida hat damals etwas irrlichternd zu Marx findend, Fukuyama tüchtig die Leviten gelesen: Eine Armee von Hungerenden sei noch lebender Beweis von der Widersinnigkeit aller Vorstellung von Gerechtigkeit unter kapitalistischen Bedingungen. Mit Marx ginge es darum das Andere des Kapitalismus zu schaffen.
Die zweite Strömung ist schlecht gelaunt: nichts passiert aber man wartet auf die Krise. Kommunismus und Kapitalismus sind unbefriedigend, die Wirklichkeit ist desorganisiert. Alles ist am Ende, Kriege sind reine sinn- und ziellose Wahnprodukte. Hier schließen Robert Kurz und andere an Arnold Gehlen an. Die Krisentheoretiker und der (post)faschistische Anthropologe verharren in einer Welt, deren Fortschrittsvorstellungen sich unersetzbar verbraucht hätten, Kritik am Kapitalismus und am Kommunismus als düstere konservative Kulturkritik. Gemeinsam ist allen Narrativen vom Ende der Geschichte ihr affirmativer und damit zynischer Charakter.
Der Titel der Offenbarung der Propheten, gemünzt u.a. auf die Endzeitszenaristen der Linken, mag 1995 nicht ohne Augenzwinkern gewählt worden sein. E/T wehrten sich partout, Prophezeiungen machen zu wollen und machte sie implizit doch. Die ökonomische Krise ist nicht in Sicht, sie wird erst mal nicht kommen und wenn doch, lässt sie den Kapitalismus erstarken. Die Verewigung des Kapitalismus könnte ein dritter Weg des Erzählens vom Ende der Geschichte sein. Ebermann und Trampert begehen ihn nicht. Ihren Aussagen über die kapitalistische Kontinuität ist auch in Sachzwang und Gemüt immer ein ‚wenn nicht...‘ eingeschrieben. In der Offenbarung noch offensiver in der Entwicklung von Vorstellungen von Kritik und Widerstand aus Ekel und Verweigerung, müssen Ebermann und Trampert mittlerweile kleinere Brötchen backen. Sachzwang und Gemüt zeigt, dass es um die Substanz geht, die Verteidigung des Bewusstseins als Ausgangsort aller Kritik, gegen die Conquista des Kapitalismus.

Jochen Faun