Blut ist dicker als Wasser

Konzept und Wirkungsmacht der heteronormativen Familienkonzeption im bürgerlichen Recht

Biologische (Bluts-)Verwandtschaft bindet Menschen am stärksten aneinander – so wird gemeinhin die Rede verstanden, Blut sei dicker als Wasser. Dabei meinte der Spruch ursprünglich etwas ganz anderes. Alttestamentarischen Ursprungs verweist er auf den Abschluss von wichtigen Verträgen, die »im Blute« besiegelt wurden. Die so gemeinsam mit Tierblut besiegelte getroffene Vereinbarung, in anderen Überlieferungen die Blutsbrüderschaft, galt als stärker als das Wasser, das Geschwister im Bauch der Mutter verband. In dieser Lesart vermengt sich bereits die Idee des bürgerlichen Rechts, dass freie Rechtssubjekte auf Basis einer freien Willensentscheidung bindende Verträge schließen, mit dem symbolisch aufgeladenen Stoff des Blutes, das als natürliche Essenz Dauerhaftigkeit und Verbindlichkeit verspricht – Bis das der Tod Euch scheidet.

Nicht überraschend findet sich diese Mischung aus Vertrag, Ritual und Biologie in der traditionellen kleinsten Einheit der bürgerlichen Gesellschaft wieder, der Ehe. Basierend auf der Idee individueller Wahlfreiheit, impliziert sie zugleich den Verzicht auf mögliche Änderungen der Entscheidung, ist also auf Exklusivität und Dauerhaftigkeit angelegt und wird mit dem Ziel der biologischen und ökonomischen Reproduktion sowie mit für herkömmliche Vertragsabschlüsse recht ungewöhnlichen Ritualen geschlossen. Die Bindung durch Wahl und die Bindung durch Abstammung fallen im ehebasierten Kleinfamilienmodell, das im 18. Jahrhundert entstanden ist und ab Ende des 19. Jahrhunderts als allgemein verbindliches galt, zusammen. Ehe, natürliche Fortpflanzung und Verwandtschaft (im Sinne von genetischer Abstammung) verschmelzen in der bürgerlichen Gesellschaft zur Familie und bringen jene rechtlichen und emotionalen Bindungen und Legitimationen hervor, die bis heute dafür sorgen, dass in der Regel in heterosexuellen Abstammungslinien gedacht, gesorgt und vererbt wird. Bis in die 70/80er Jahre war das die Normalität und trotz zunehmender Pluralisierung familialer Lebensweisen Vgl. Andrea Maihofer, Familiale Lebensformen zwischen Wandel und Persistenz, in: Behnke/Lengersdorf/Scholz (Hrsg.): Wissen - Methode – Geschlecht. Erfassen des fraglos Gegebenen, Wiesbaden 2014, 313–334. sind die gesellschaftlichen Diskurse um individuelle Verwirklichung und familiäres Glück, die Familienpolitiken und rechtlichen Regulierungen in Bezug auf die Übernahme von Sorge- und Pflegeverantwortung, die Weitergabe von Kapital und die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung für vor- und nachgeburtliche Reproduktion bis heute an diesem Familienmodell orientiert.

Dem hier skizzierten Familienmodell gegenüber steht eine zunehmende Ausdifferenzierung familialer und vergeschlechtlichter Lebensweisen, die sich in die vorgegebenen Modelle einpassen muss, diese unterläuft oder herausfordert. Das Recht der bürgerlichen Gesellschaft spielt dabei eine ambivalente Rolle, die im Zentrum der folgenden Darstellung steht. Neben einer Beschreibung der dem Recht innewohnenden familialen Norm, werden wir analysieren, welche Folgen sich daraus für abweichende Lebensweisen ergeben und wie das Recht auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert.

Gesellschaftsvertrag – Geschlechtervertrag – Ehevertrag

Die feministische Kritik hat herausgearbeitet, dass die privatisierte und intimisierte Kleinfamilie Effekt sowohl der Trennung von Produktion und Reproduktion in der kapitalistischen Produktionsweise als auch von Staat (öffentlich-politisch) und Gesellschaft (privat-staatsfrei) ist. Einen ausgezeichneten Überblick gibt Katharina Hajek, Familienduell, in: Prokla 173 (2013), 519–537. Rechtsstaatlich kommt das liberale Trennungsdispositiv in der Konzeption der Freiheitsrechte zum Ausdruck, die Schutz vor staatlichen Eingriffen bieten sollen. Doch greift der Staat sehr wohl in die private Sphäre ein: Er reguliert die Beziehungen der Bürger_innen durch strafrechtliche, steuerrechtliche, familienrechtliche oder beispielsweise erbrechtliche Normen und stellt zu deren Durchsetzung sein Gewaltmonopol zur Verfügung. Nach der feministischen Politikwissenschaftlerin Carole Pateman ist Grundlage des Gesellschaftsvertrages dabei ein impliziter Geschlechtervertrag, der Frauen in den Bereich des Privaten verweist und sie dort unterwirft und der sich im Ehevertrag konkretisiert. Carole Pateman, The Sexual Contract, Cambridge 1988.

Wie rechtliche Regulierungen weibliche und queere Lebensrealitäten in der privaten Sphäre rechtlos und unfrei lassen, hat die feministische Rechtswissenschaft gezeigt. Mit zahlreichen Beispielen Lena Foljanty/Ulrike Lembke (Hrsg.), Feministische Rechtswissenschaft, 2. Aufl., Baden-Baden 2012. Ein Beispiel strafrechtlicher Wertentscheidung ist § 177 Strafgesetzbuch (StGB), der die Strafbarkeit der Vergewaltigung festschreibt und bis ins Jahr 1997 den Zusatz »außerehelich« enthielt. In der über 30-jährigen Debatte um seine Änderung beriefen sich seine Befürworter_innen auch auf den besonderen Schutz der Ehe in Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz (GG) – der Staat habe in deutschen Ehebetten nichts zu suchen. Zusätzlich ängstigte es die CDU/CSU Fraktion, dass die ausnahmslose Strafbarkeit der Vergewaltigung zu einer Erhöhung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Ehe führen könnte, da diese dann mit dem Verweis auf die Vergewaltigung durch den Ehemann nach § 218 StGB straffrei wären.

Auch das Zusammenspiel von öffentlichem Recht (Grundgesetz, Personenstandsrecht) und privatem Recht (Familienrecht) verdeutlicht, wie Familie als Ort der privaten Sphäre auf Basis eines heteronormen und geschlechtlich hierarchisierten Modells hergestellt wird. Die familiale Lebensform der Ehe zwischen Mann und Frau mit Abstammungskindern stellt im bundesdeutschen Recht ein verfassungsrechtlich geschütztes Institut dar. Artikel 6 Absatz 1 GG stellt »Ehe und Familie« unter den »besonderen Schutze der staatlichen Ordnung« und statuiert nicht nur ein Abwehrrecht gegen den Staat, sondern auch den Schutz vor substantieller Aushöhlung des Rechtsinstituts Ehe durch den Gesetzgeber (die Legitimation der Privilegierung der Ehe gegenüber anderen familialen Lebensformen). Artikel 6 gilt darüberhinaus als wertentscheidende Grundsatznorm, aus der eine Förderpflicht der Ehe durch den Staat resultiert, zum Beispiel durch Gewährung steuerlicher Vorteile.

Auf einfachgesetzlicher Ebene prägt das Recht das Familienmodell durch personenstandsrechtliche, familienrechtliche und erbrechtliche Regelungen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900 enthält als 4. Buch das Familienrecht und beginnt mit fast 300 Paragraphen zur Ehe; erst danach folgen Regeln zur Verwandtschaft, zur elterlichen Sorge und schließlich zur Adoption. § 1354 BGB konstatierte ganz im Spiegel seiner Zeit: »Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu« und verwies Frauen, die selbständig arbeiten oder ein eigenes Konto eröffnen wollten, auf die Erlaubnis des Ehemanns – die Vorschrift galt bis 1957. Zur umfassenden Reform des Ehe- und Familienrechts, die das paritätische Ehemodell einführte, kam es erst 1977. 1958 bis 1977 lautete § 1356 I BGB: »[1] Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. [2] Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.« Familie ist hier bereits systematisch auf dem Fundament der Ehe errichtet und die Ehefrau auf die häusliche Sphäre verwiesen. Im 1949 in Kraft getretenen Grundgesetz sah das schon etwas anders aus – zwar wurde die Ehe speziell geschützt, im selben Atemzug nennt Artikel 6 Absatz 1 GG jedoch auch die Familie unabhängig von der Ehe und Artikel 3 Absatz 2 GG postulierte die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Das Grundgesetz wurde damit zum Fallstrick für zahlreiche diskriminierende Regelungen im Familienrecht.

Von Ehe-Männern und Ehe-Frauen

Wer sagt eigentlich, dass die Ehe eine geschlossen heterosexuelle Veranstaltung ist? Weder das Grundgesetz noch das BGB geben darüber Auskunft. In einer Art gewohnheitsrechtlichen Setzung war es freilich allen Beteiligten klar und zwar bis zum Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG). Als damit 2001 ein eheähnliches Institut für gleichgeschlechtliche Paare geschaffen wurde und drei Bundesländer unter Berufung auf den Schutz der Ehe in Artikel 6 I GG dagegen klagten, fühlte sich das Bundesverfassungsgericht berufen klarzustellen: »Das Grundgesetz selbst enthält keine Definition der Ehe, sondern setzt sie als besondere Form menschlichen Zusammenlebens voraus.« Und weiter heißt es »Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist (...), in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können. [...].« BVerfG, Urteil vom 17.7.2002, Az.1 BvF 1/01, Nr. 87.

Daran anschließend fragt sich, wer Mann und wer Frau im Rechtssinne ist. Die Antwort gibt § 21 Abs. 1 Personenstandsgesetz (PStG), dort heißt es: »Im Geburtenregister werden beurkundet: 1.) die Vornamen und der Geburtsname des Kindes, 2.) Ort sowie Tag, Stunde und Minute der Geburt, 3.) das Geschlecht des Kindes, 4.) die Vornamen und die Familiennamen der Eltern [...].« Wer heiratet oder sich verpartnern will, muss deshalb einen Personenstandsregisterauszug vorlegen. Dass das rechtliche Geschlecht grundsätzlich an äußeren, körperlichen Merkmalen festgemacht wird, ergibt sich aus § 18 PStG, wonach die Geburt innerhalb einer Woche anzuzeigen ist, ein Zeitpunkt, zu welchem das Kind selbst nicht zu seiner Identität befragt werden kann. Stattdessen sind es die Eltern, das Krankenhaus und die Geburtshelfer_innen, die anhand der äußeren Genitalien das Geschlecht des Kindes anzeigen und damit rechtlich festlegen. Seit dem 1. November 2013 gibt es nun nach § 22 Abs. 3 PStG die Möglichkeit, die Eintragung des Geschlechtseintrags in das Geburtenregister schlichtweg zu unterlassen. Dies ist aber nur für Neugeborene möglich, die »weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können«, wobei das Gesetz hier nur jene Personen meint, die auf Grundlage von heteronormativen Annahmen in der Medizin als intersexuelle Menschen pathologisiert werden. Näheres zum Intersexualitätsbegriff und zur Regelung des § 22 Abs. 3 PStG bei Remus, Juana, »Ein Leben ohne Geschlecht?“, http://0cn.de/ow4l, abgerufen am 16.07.2014. Auch wenn vereinzelt vertreten wird, den rechtlichen Begriff des »Geschlechts« weiter zu fassen Zur Ausweitung des rechtlichen Geschlechterbegriffs siehe Laura Adamietz: Geschlecht als Erwartung, Baden-Baden 2011., bleibt die Rechtswissenschaft heteronormativ, unter Rückgriff auf medizinisch-biologische Annahmen. Die Erkenntnis, dass auch bezüglich des Geschlechts eine – wenn auch auf zwei Geschlechter beschränkte – individuelle Wahlfreiheit besteht und daraus ein Recht auf Änderung des Vornamens und des Personenstands resultieren kann, führte das Bundesverfassungsgericht 1978 ins deutsche Recht ein. Das 1981 auf diese Entscheidung folgende »Transsexuellengesetz« blieb jedoch ganz der Vorstellung von den zwei Geschlechtern verhaftet. Die homo- und transphobe Grundhaltung des Gesetzgebers drückte sich in den Voraussetzungen für die rechtliche Änderung des Vornamens oder des rechtlichen Geschlechts aus. Zum einen war das die Ehelosigkeit – zur Not sollte sich die trans_ Person also scheiden lassen. Zum Anderen mussten sich trans_ Personen einer Operation unterziehen, die fortpflanzungsunfähig macht und den Körper dem gängigen Bild des Wunschgeschlechts anpasst. Diese Regelungen wurden nach Klagen queerer Aktivist_innen durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Das führte zu familienrechtlichen Folgeproblemen, denn der völlige Bruch mit dem biologischen Bild von Geschlecht ist im Recht noch nicht erfolgt.

Von Mutter und Vater

Bereits jene zwei Normen, mit denen das Unterkapitel »Abstammung« im BGB beginnt, verdeutlichen den heteronormativen und patriarchalen Zugang des deutschen Abstammungsrechts. § 1591 regelt abschließend, »Die Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat«, während nach § 1592 Nr. 1 BGB der Vater eines Kindes der Mann ist, der mit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes verheiratet ist oder der mit Zustimmung der Mutter die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft in streitigen Fällen durch ein Familiengericht festgestellt ist. Die mehrfache Privilegierung der Ehe sticht hier ins Auge – automatisch, also ganz ohne Willenserklärungen oder richterliches Verfahren und unabhängig von der biologischen Abstammung des Kindes wird nur der Ehemann Vater. Elternschaft wird im deutschen Familienrecht also nicht zwangsläufig, aber typischerweise an Ehe gekoppelt geregelt, jedenfalls fallen genetische Elternschaft, rechtliche Elternschaft und soziale Elternschaft in der häuslich und monogam gelebten heterosexuellen Fortpflanzungsgemeinschaft dem Ideal nach zusammen. Entsprechend kann auch das volle Sorgerecht nur von zwei Personen ausgeübt werden.

Natürlich sieht das Familienrecht angesichts von Trennungen, Scheidungen und Ausbrüchen aus dem monogamen und heterosexuellen Korsett auch Abweichungen von diesem Ideal vor, die vor allem von Feminist_innen erkämpft wurden. Die Möglichkeit der Scheidung besteht seit Einführung der Zivilehe im Deutschen Reich im Jahr 1875, wobei noch bis 1976 das Schuldprinzip galt, mit der Folge, dass »fremdgehende« Ehefrauen, die für das Scheitern der Ehe verantwortlich gemacht wurden, nach der Scheidung keinen/weniger Unterhalt erhielten. Die Einsicht in die Realität, dass biologische, eheliche und soziale Elternschaft voneinander abweichen können, wird an den Regelungen deutlich, die Vaterschaftsanfechtung Eine Anfechtung der Mutterschaft kennt das deutsche Recht nicht, die Definition der Mutterschaft kraft Geburt soll in erster Linie den Umgang mit reproduktionsmedizinischen Neuerungen (Eizellenspende, »Leihmutterschaft“) regeln, vgl. Bundestagsdrucksache (BT-Drs.) 13/4899, 51f. ermöglichen. Die Anfechtung der durch Ehe automatisch erlangten Vaterschaft war bis 1998 wegen der unterschiedlichen rechtlichen Behandlung von »ehelichen« und »unehelichen« Kindern auf die Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes durch den Ehemann beschränkt (§ 1594 a.F. BGB). Anfechtungsberechtigt sind seit der Gleichstellung von ehelichen Kindern mit unehelichen Kindern nun der Ehemann, das Kind, die Mutter und seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2003 der »biologische« Vater – wobei im letzteren Fall eine etwaig bestehende sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum Ehemann der Mutter das Anfechtungsrecht des biologischen Vaters hindert. An diesem rechtlichen Hin und Her wird deutlich, dass die Motive rechtlich eine familiäre Änderung hervorzurufen vielfältig sind – meist liegen ihnen materielle Fragen zugrunde wie die Beseitigung von Unterhaltsansprüchen, Erb- oder Pflichtteilsrechten zwischen Vater und Kind. Dennoch wird immaterielles emotionales Interesse imaginiert – und das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung postuliert. 

Queer zum Recht

Wie reagiert Recht nun auf eigentlich nicht vorgesehene Abweichungen, wie gleichgeschlechtliche Elternschaften, Mehrelternschaften, Transelternschaften oder soziale Wahlverwandtschaften? Solche queeren familialen Lebensweisen werden immer häufiger offen gelebt und fordern traditionelles Familienmodell und Recht heraus: Zunächst fallen Sexualität und Reproduktion hier ganz offensichtlich nicht mehr zusammen. Zudem stellen queere Familien das Reproduktionsmodell »heterosexueller Geschlechtsverkehr zwischen Vater und Mutter = Familie« in Frage, weil genetische, leibliche, soziale, rechtliche Elternschaft nicht mehr zwangsläufig übereinstimmen. Damit verunsichern sie auch das Abstammungsmodell. Außerdem wird die Norm der binären Elternschaft (und Liebesbeziehung) durch multiple Nähebeziehungen ersetzt. Schließlich wird das Paradigma hinterfragt, dass komplementäre Geschlechterrollen und Leben in einem gemeinsamen Haushalt für die gesunde Entwicklung von Kindern unerlässlich seien. Angelehnt an Christina Caprez/ Alecs Recher, Rechte für Kinder, die das Recht nicht vorgesehen hat, in: Bettina Bannwart u.a. (Hrsg.), Keine Zeit für Utopien? Perspektiven der Lebensformenpolitik im Recht, Zürich 2013, 219–246.

Recht kann diese Konstellationen aktiv diskriminieren, indem es sie ausdrücklich schlechter stellt, es kann sie passiv benachteiligen, indem es sie nicht mitdenkt, es kann aber auch eine Vorreiterrolle in der Durchbrechung diskriminierender Normen spielen. Letzteres hat die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen mit und ohne Kinder durch das LPartG 2001 gezeigt, dem zahlreiche Gerichtsurteile gefolgt sind, die die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Paare Stück für Stück der Ehe angeglichen haben. Diese überfällige Angleichung erfolgte jedoch nur unter der Maßgabe der weitgehenden Anpassung an die Norm. Exklusiv, dauerhaft und dual soll es auch im ordentlichen Regenbogenfamilienhaushalt zugehen. Das zeigt das Scheitern von Vorschlägen zur Gleichstellung aller Lebensweisen bzw. zur Einrichtung beglaubigter Partnerschaften, die auf Angehörigenrechte (wie Besuchs- und Auskunftsrechte im Krankheits- und Todesfall, Zeugnisverweigerungsrechte) für zwei oder mehrere volljährige Personen setzten. Vgl. Elisabeth Holzleithner, Zwischen Subversion und Normalisierung. Zur Debatte um die rechtliche Institutionalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, in: juridikum 2 (2011), 210–216; Heinz-Jürgen Voß, Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag? in: Prokla 173 (2013), 615, 619ff. Auch die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare mit Kindern wurden – gegen starke gesellschaftliche Widersprüche – durch das Bundesverfassungsgericht gestärkt. So stellte das Gericht 2013 klar, dass die Nichtzulassung der sukzessiven Adoption angenommener Kinder der Lebenspartner_in durch den_die anderen Partner_in das grundgesetzlich garantierte Recht der Kinder und der Partner_in auf Familie und auf Nichtdiskriminierung verletzt und nicht mit Artikel 6 I GG gerechtfertigt ist.

Ein Kind hat eine Mutter und einen Vater

Im Abstammungsrecht sieht das jedoch noch ganz anders aus. Auch 2013 entschied der Bundesgerichtshof, dass die sozial-familiäre Beziehung einer Co-Mutter, die mit der biologischen Mutter verpartnert ist und gemeinsam ein Kind aufzieht, nicht vor der Vaterschaftsanfechtung des biologischen Vaters geschützt wird – anders als die sozial-familiäre Beziehung des Ehepartners zum Kind. Während in einigen Staaten Beispielsweise in England, Wales, Kanada, Neuseeland; teilweise bedarf es einer Zustimmung der Co-Mutter zur Insemination oder einer Erklärung bei Geburt, so etwa in Norwegen, Spanien, Schweden. die Konstruktion der an die Ehe geknüpften Elternschaft auch auf Lebenspartner_innen angewandt wird, die mit Geburt zweites rechtliches Elternteil werden, kann nach deutschem Recht die Lebenspartnerin das Kind ihrer Partnerin nur adoptieren – das Jugendamt prüft dazu das Kindeswohl und der rechtliche Vater muss der Adoption zustimmen. Im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatten die beiden Mütter deshalb einen weiteren Freund gefragt, die Vaterschaft des Kindes anzuerkennen, um später der Adoption der Co-Mutter zuzustimmen. Der Samenspender (der genetische/biologische Vater) wünschte aber die Stellung als rechtlicher Vater und focht deshalb die Vaterschaft des Freundes der Mütter – erfolgreich – an. Einem heterosexuellen Ehemann und sozialen Vater wäre das nicht passiert. Nun mag der Wunsch eines Samenspenders nach Kindern verständlich sein, hier wird jedoch seine genetische Vaterschaft gegenüber der gelebten sozialen Elternschaft der Co-Mutter privilegiert. Eine Alternative wäre die Ermöglichung rechtlicher Mehrelternschaft, die für eben jene Fälle zum Beispiel in Kanada bereits möglich ist.

Bei diesen Regulierungen geht es gerade nicht um den Schutz der Kinder vor einer Vielzahl von Elterninteressen in einer Mehrelternschaft, vielmehr soll die heteronormative zweigeschlechtliche Vorstellung von Familie als natürlicher (und damit »biologischer«) Verwandtschaftsbeziehung von Mutter-Vater-Kind nicht erschüttert werden. Deutlich wird das auch an Fällen, in denen ein (Trans)Mann Kinder gebärt, die rechtliche Elternschaft aber nicht im eigenen (männlichen) rechtlichen Geschlecht und Namen (männlicher Vorname) – also als Vater – erlangen kann. Für die Stellung des Vaters nach § 1592 BGB wird derzeit nicht auf das rechtliche Geschlecht des Personenstandes nach der Änderung gemäß dem Transsexuellengesetz geschaut (hier Mann), sondern auf das »biologische« Geschlecht (hier Frau). Daher gilt ein gebärender Mann derzeit nur als Mutter eintragbar. Das Recht missachtet seine Geschlechtsidentität und führt zu der absurden Rechtslage, dass zwar jeder Trans_mann die Vaterschaft eines Kindes anerkennen (1592 Nr. 2 BGB) oder »kraft Gesetz durch Ehe« mit der Mutter erhalten kann (1592 Nr. 1 BGB), sofern das Kind von einer anderen Person geboren wurde – aber eben nicht, wenn er das Kind selbst geboren hat. Als Begründung wird einmal mehr auf das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung verwiesen und unterstellt, eine trans_ Person würde dem eigenen Kind die Transition verschweigen. Das knüpft an typische trans_phobe Diskurse an und erklärt die Normfamilie zum Hort von Transparenz und Wahrheit. Den Gedanken verdanken wir Joke Janssen. Dass in der Geburtsurkunde eines Kindes eine Person steht, die es nicht gibt und die das Kind nie gekannt hat, soll nach dieser Argumentation dagegen hinnehmbar sein.

Ähnlich diskriminierend ergeht es Trans_frauen, die mit einer anderen Frau ein Kind gezeugt haben – hier wird nur eine Eintragung als Vater gestattet, wieder mit dem Verweis auf das Recht des Kindes seine Abstammung zu kennen. Rechtliche Co-Mutter könnte die Trans_frau nur werden, wenn sie sich mit der gebärenden Mutter rechtlich verpartnert und dann ihr eigenes biologisches Kind nach oben beschriebener Prozedur als »Stiefkind« adoptiert. Eine Mutterschaft kraft Willenserklärung – ähnlich der Vaterschaftsanerkennung – gibt es im deutschen Recht nicht. Interessanterweise würden nach einer Stiefkindadoption in der Geburtsurkunde des Kindes nicht beide Frauen als Mutter benannt werden, sondern als Elternteil 1 und 2 – eine geschlechterneutrale Regelung, die es nur bei Adoptionen in Lebenspartner_innenschaften gibt. Was viele nicht wissen: Grundsätzlich haben alle Eltern die Möglichkeit eine »kleine Geburtsurkunde“ ohne Eintragung der Namen der Eltern und auch ohne die Angabe des Geschlechts des Kindes (§ 59 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 PStG) zu beantragen. 

Wahl statt Blut

Das klassische Familienbild bröckelt unaufhaltsam. Selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung kann die Augen nicht mehr davor verschließen, dass es kein einheitliches Familienleitbild mehr gibt und fordert: »Verschiedene Modelle sollten möglich und akzeptiert sein«. http://0cn.de/gmc0. Paradoxerweise geht mit der steigenden gesellschaftlichen und rechtlichen Akzeptanz ein Bedeutungszuwachs der biologischen Abstammung einher. Auch in queeren Konstellationen spielt der Wunsch nach einer als normal anerkannten Familie mit »eigenen«, im Sinne von biologisch verwandten Kindern, ein starke normative Rolle und wird durch den medizinischen Fortschritt nahegelegt.

Ein emanzipatorisches Familienmodell bedarf daher eines grundlegenden gesellschaftlichen und rechtlichen Wandels. Neben der Abschaffung der rechtlichen Privilegierung bestimmter Familienmodelle müssen Rechte (wie beispielsweise Besuchsrechte) entfamilialisiert werden, gleichzeitig müssen Rechte sorgender Personen gestärkt werden. Erreicht werden kann das durch die rechtliche Entkopplung von intimen Liebesbeziehungen (Partnerschaft) und Eltern-Kinder-Beziehungen (Sorgschaft) sowie von leiblicher Abstammung und Familie. Privilegiert werden muss die soziale Elternschaft – verstanden als willentliche Sorge- und Verantwortungsübernahme. Dazu gehört auch die Schaffung von rechtlichen Regelungen von Mehrelternschaften – und zwar für alle Familienmodelle – sowie die Verwendung geschlechtsneutraler Termini, die die »Elternschaft« von der geschlechtlichen Identität des Elternteils ablösen.

Schließlich bedarf es solidarischer Praxen, der Erprobung neuer Modelle und deren Reflektion. Dazu zählt neben der Auseinandersetzung mit dem Wunsch nach eigenen biologischen Kindern auch die Frage nach materieller Sicherheit: Wir behaupten, dass die rechtlichen Zuordnungen zu einer Familie ihre »identitätsstiftende« Relevanz verlieren, wenn unterhaltsrechtliche, erbrechtliche und aufenthaltsrechtliche Fragestellungen gesellschaftlich eine andere Dimension erhalten, sei es durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, offene Grenzen oder eine kommunistische Vergesellschaftung. In guter feministischer Tradition darf dabei nicht aus den Augen verloren werden, dass Familie nicht völlig zur Privatsache werden darf. Machtverhältnisse gibt es auch in queeren bzw. linksradikalen familialen Konstellationen. Hier kann Recht durchaus zu Emanzipation beitragen.

 

Doris Liebscher und Juana Remus

Die Autorinnen forschen und lehren zu Antidiskriminierungsrecht und (queer)feministischer Rechtswissenschaft