Bombs ≠ War ≠ Capitalism

Wer vom Krieg für sich redet, sollte vom Krieg an sich schweigen

Begriff und Wirklichkeit des Krieges erscheinen immer unbestimmter: Terror ist Krieg, Krieg ist Terror, und das nicht nur in den Augen der Friedensbewegung. Was aktuell immer mehr ins Wanken gerät, ist eine Vorstellung von Krieg, die seit jeher unzutreffend war: Nicht erst nach dem 11. September 2001 ist die Koppelung von „Krieg“ an Konfliktlinien zwischen Nationalstaaten unzureichend. Was seit der Durchsetzung der Ordnung des bürgerlichen Staates als Normalmodus des Krieges begriffen wurde, nämlich die von ökonomischen oder territorialen Interessen geleitete Auseinandersetzung zwischen sich äußerlichen Staaten, kann jene Verhältnisse, die heute als Krieg bezeichnet werden, scheinbar immer weniger erfassen. Das liegt nicht etwa daran, dass staatliche und ökonomische Interessen sowie deren Verschränkungen in Kriegen keine Rolle mehr spielen würden – Interessen werden aber zunehmend in Räumen ausagiert, die kaum noch als souveräne Staaten erscheinen (wie z.B. in Ex-Jugoslawien) und verschränken sich dort mit scheinbar „irrationalen“ Kriegsmotiven (Religions- und ethnisierte Kriege). Deshalb sprechen manche von den „neuen Kriegen“. Negri und Hardt sehen den Krieg im Empire als Polizeiaktion, die in einer zunehmend „glatten“ Welt agiert. Der Krieg würde somit zunehmend lokale Verhältnisse unmittelbar mit globalen in Beziehung setzen. Nationalstaaten und mafiose Herrschaftsstrukturen treffen auf der gleichen Ebene aufeinander. Der These einer „neuen Qualität“ kriegerischer Formen folgt dieser Artikel zunächst. Die Frage ist jedoch, ob es sich tatsächlich um eine so „neue“ Qualität handelt, oder ob hier nicht einfach Strukturen sichtbar werden, die bereits den „alten“ kriegerischen Auseinandersetzungen der Moderne innewohnten.
 

Die Gemeinsamkeit der Intensität

Die Linearität der Entwicklung kriegerischer Ordnungen von nomadisierenden Heeren der Kreuzzüge im Mittelalter zu regulären (und disziplinierten) Armeen als Teil staatlicher Besatzungs-, Kolonisierungs- und Expansionsbestrebungen der Neuzeit war nicht nur schon immer nur eine vermeintliche, sie lässt sich nun auch nicht mehr schlüssig fortschreiben. Tatsächlich hat sie niemals in dieser Form bestanden. Die Vorstellung vom Krieg als einer Auseinandersetzung relativ ausgewogener starker Staaten, die sich souverän gegenübertreten, findet sich nur in einem Bruchteil aller kriegerischen Auseinandersetzungen bestätigt. Hinweise auf die innere Ungleichzeitigkeit kriegerischer Prozesse finden sich z.B. bei Marx, der den Krieg nicht in erster Linie als absichtsvolle Handlungsweise einer souveränen Staatsmacht beschreibt, sondern vordringlich als einen systematischen Prozess der Kapitalvernichtung, womit er nur eine mögliche Analyseperspektive aufzeigt. Andere Perspektiven werden z.B. durch Michel Foucault angedeutet, der in seinen Disziplinartechniken des modernen Staates die Armee als eine Institution beschreibt, die weniger vom modernen Staat eingerichtet wird, denn als eine, die ihn und seine Subjekte mit hervorbringt.(1) Man sollte „Krieg“ also als einen Zustand der Gleichzeitigkeit sich nicht gleichender kriegerischer Motive und Auseinandersetzungen behandeln, in denen staatliche, parastaatliche wie private Akteure mit unterschiedlichsten Interessen und Weltbildern aufeinandertreffen.

Das kennzeichnende am Verhältnis des Krieges ist gerade die Differenz zwischen verschiedenartig gelagerten Motivationen, die sich im Punkt der gewaltsamen Konfrontation auf einer Ebene begegnen: Ökonomische Interessen, ideologische Aufladungen, religiöse, ethnische und kulturelle Mythen agieren hier als zunehmend voneinander verschiedene, nicht einfach ineinander übersetzbare Erscheinungen, die dennoch aufeinander Bezug nehmen – Die Gleichartigkeit, die einen Bezug aufeinander ermöglicht, scheint hier einzig und allein in der Wahl einer Handlungsoption höchster, gewaltsamer Intensität zu liegen.

Die Gleichzeitigkeit verschiedener Interessensebenen steht im Kontext zweier zentraler Strukturmerkmale des globalen Kapitalismus: Eines ist das Fortbestehen von (supra-) staatlichem Sicherheits- und Einflusstreben (insbesondere seitens der USA und der EU), das andere die Auflösung staatlich homogen kontrollierter Räume (Ex-Jugoslawien, Teile der ehemaligen SU, postkoloniale Kriege in Afrika). Das Verhältnis dieser Strukturmerkmale äußert sich z.B. darüber, dass regionale Spannungen kultureller, religiöser und ethnischer Art im Zerfallsprozess bisheriger staatlicher Ordnungen (wie z.B. im Jugoslawienkrieg) das Potential bieten, jederzeit Austragungsort internationaler Interessenskonflikte zu werden: Für die neuen Machtblöcke USA und EU ist die Option des Eingriffs in solche Konflikte deshalb besonders interessant, weil das Pflegen offener militärischer Konkurrenz aufgrund ihres Selbstverständnisses für sie (noch) nicht auf dem Plan steht.

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist ebenso in der ungleichen Stärke und Organisationsweise der Kriegsparteien aufzufinden: Im Beispiel Jugoslawienkrieg standen sich NATO-, UN- und Freischärlertruppen, Teile der regulären Armee Ex-Jugoslawiens und bewaffnete Zivilisten gegenüber. Neuartig ist dabei nicht etwa die ungleiche Stärke der Kriegsparteien an sich, sondern der Umstand, dass sie zunehmend als in den Krieg involvierte Parteien mit eigenen Motivationen agieren und auch als solche erkannt werden. Das unterscheidet den Jugoslawienkrieg z.B. zumindest graduell vom Vietnamkrieg, der noch leichter als Stellvertreterkrieg aufgefasst werden konnte. Während sich in vergangenen Kriegen staatliche Hegemonie als eindeutig darstellte und entweder gegen eine gegnerische Hegemonie antrat oder aber mehr oder weniger „eigenes“ Territorium polizeilich befriedete, vermischt das Bild der Polizeiaktion sich nun mit dem des Krieges gegen einen äußeren Feind. Dieser Diskursnexus Krieg(2) wird ergänzt durch das Motiv des Befreiungskampfes, wie es deutlich in Ex-Jugoslawien auftauchte. Die UCK nur als Erfüllungsgehilfen EU-deutscher Interessen zu sehen, greift deshalb zu kurz: Wir haben es mit einer tatsächlichen Verschränkung von partikularem Nationalismus und staatlichen und ökonomischen Interessen der EU und der USA zu tun.

Paradigmatisch für die immer offenere Einschreibung nicht-staatlicher Formen in das öffentlich wahrgenommene Kriegsgeschehen ist auf der anderen Seite der Topos des „Terrors“(3). Der Terrorismus als kriegerisches Handeln wird unter anderem dadurch ganz konkret denkbar, dass er es immer leichter hat, sich Zugang zu Vernichtungswerkzeugen und Verbündeten zu verschaffen, die es ihm erlauben, sich den Staaten, die selbstverständlich über beides verfügen, als Bedrohung entgegenzustellen und gleichzeitig auf nicht-staatlicher Ebene zu verbleiben.

 

Krieg nach außen ist Krieg nach innen

Die Veränderungen, die der Staat im globalen Kapitalismus durchläuft, bedeuten sicher nicht seine Auflösung. In der Frage des Krieges lässt sich die Transformation der Stellung des Staates so formulieren: Der Staat ist nicht mehr das, was er ohnehin niemals war; er hat als ideeller Monopolist des Krieges abgedankt. Das bedeutet nicht, dass er als Akteur die Bühne des kriegerischen Geschehens verlässt, sondern dass er sich in ihm wie oben dargestellt zunehmend mit anderen Protagonisten vergleichen muss. Schon die Einordnung des Anschlags auf das World Trade Center als kriegerischer Akt macht das deutlich, und noch mehr: Sie weist auch darauf hin, wie die Staaten selbst ihr Verständnis von Krieg den veränderten Verhältnissen anpassen. Einerseits finden souverän agierende Staaten sich zunehmend auf Kriegsschauplätzen, auf denen sich eben kein Gegenüber auf der gleichen Konfliktebene verorten lässt (was in den Zeiten von Blockkonfrontation in der Formel des „Stellvertreterkrieges“ noch leichter in die herkömmliche Matrix einzuordnen war). Die Schlachtfelder sind oftmals nicht einmal mehr nach innen souveräne Staaten. Solche Staaten lassen sich im Kriegsverhältnis zunehmend schwerer als „äußere“ begreifen, gerade weil der Krieg in ihren Grenzen als Polizeiaktion erscheint. Die eigene Souveränität wird mit Formeln wie dem Völkerrecht auf fremdem Territorium angewandt, wodurch dieses Territorium auf der Rechtsebene praktisch angeeignet wird, ohne tatsächlich angeschlossen und „befriedet“ zu sein. Zum anderen wird die klassische Figur des äußeren Feindes dadurch zersetzt, dass der Terror, der als Topos zunehmend in den Krieg einzieht, ja gerade innerhalb der Grenzen des souveränen Staates wirkt.

Durch die Aufweichung der festen Matrix von Innen und Außen werden auch scheinbar überkommene Kriegsformen wieder zunehmend sichtbar. Der ethnisierte Krieg im ehemaligen Jugoslawien oder sogenannte Stammeskriege in Afrika sind dabei eben nicht als einfache Rückfälle in vorbürgerliche Formen zu sehen. Es handelt sich um Konfliktstrukturen, die dem kapitalistischen Weltverhältnis absolut angemessen sind. Wenn wir Deleuze und Guattari folgen, handelt es sich um Formen, die sich seit jeher dem Kapitalverhältnis einschreiben und es transformieren. Der Staat als Akteur im Kapitalverhältnis hat solche Kriegsmaschinen seit jeher integriert und imitiert. Zugleich werden diese Strukturen gewissermaßen als Selbstläufer immer wieder neu in die Verhältnisse eingeschrieben, zu deren hegemonialer Logik sie auch in Widerspruch geraten (siehe dazu den Artikel „No Angels“ von Nicolas Siepen in dieser Ausgabe).

Die Feststellung, dass der souveräne Staat nicht die einzige Kriegspartei ist, beeinflusst auch sein Agieren als solche. Teilstaatliche Formen der Kriegsführung oder solche, die sich nicht eindeutig gegen Staatsinstitutionen richten, erscheinen zunehmend legitim: Sei es die offene Aufrüstung der UCK oder der „Krieg nach innen“ gegen potentielle Schläfer oder auch die Umformulierung des Todes von Zivilisten zum „Kollateralschaden“. Die polizeilichen Funktionen von UNO-Truppen und die Aufbauleistungen von Menschenrechtsorganisationen werden immer offener in Planung und Ablauf des Krieges integriert. Immer weniger sind Kriege an feste Fronten gebunden, an denen sich Truppen gegenüberstehen. Das Handeln der militärisch starken Staaten erscheint nun eher als globale Bevölkerungspolitik, die sich am Horizont von Sicherheitspolitik, Migrationskontrolle und Ressourcenbedarf orientiert. Der bevölkerungspolitische Krieg ist natürlich keine neue Erfindung (der Nationalsozialismus bemühte ihn zumindest propagandistisch), er wird aber vielschichtiger und trotz all seiner Gewalt immer stärker vom Topos der „Sorge“ nicht nur um das eigene „Volk“, sondern um die gesamte Weltbevölkerung durchdrungen. Gerade im Krieg als Bevölkerungspolitik wird die Grenze zwischen Innen und Außen des Staates nun zunehmend unscharf.

 

Der 11. September 2001 spricht

Wie lässt sich nun im Kontext des Krieges als Nexus vergleichzeitigter Formen höchstintensiver Auseinandersetzung die scheinbar so spezielle Bedeutung des 11. September 2001 begreifen? In gewisser Weise scheint der 11. September paradigmatisch für das Verständnis der „neuen Kriege“ zu sein. Nicht etwa in dem Sinne, dass das Kapitalverhältnis in Gestalt von Osama Bin Laden sich die scheinbar archaische Kriegsmaschine des „heiligen Krieges“ einfach angeeignet hätte. Vielmehr findet sich in ihnen exemplarisch jene Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wieder, die für eine kapitalistisch organisierte Welt kennzeichnend ist. Im Bild des 11. September fallen diese Ungleichzeitigkeiten sichtbar zusammen: Dass der vermeintlich archaische „Heilige Krieg“ des Islamismus eine technologisch und ideologisch ganz und gar moderne Angelegenheit ist, gehört dabei noch zu den bekannteren und nachvollziehbareren Ambivalenzen. Diese wird im Anschlag auf das World Trade Center ergänzt durch die Gleichsetzung symbolischer Kriegsziele mit dem tatsächlichen militärischen Angriff auf den Gegner (insbesondere in Gestalt des Pentagon), und mehr noch: Die Identifizierung der ermordeten Zivilbevölkerung mit dem Kriegsgegner und die Verwandlung von zivilen Objekten wie Flugzeug und Teppichmesser in Kriegswaffen. Für sich genommen sind all das keine neuen Elemente der Kriegsführung: Die Zivilbevölkerung als Kriegsgegner, Partisanenkrieg, mafios strukturierte Kriegsteilnehmer ohne staatliches Territorium. Der dreitausendfache Mord vom 11. September, der zugleich ein kriegerischer Akt war (allein das muss einer Kriegslogik, die Kriege als gewissermaßen faire Duelle zwischen Staaten auffasst, absurd scheinen – im Krieg gibt es Morde im Rechtssinn nur als Ausnahmeerscheinung) hat diese Topoi jedoch zu einem einzigen verbunden und überdeterminiert. Die Widersprüchlichkeiten kriegerischer Ereignisse sind hier praktisch zusammengefasst worden und als neue, eigenständige Größe in den Diskurs eingeführt. Das bedeutet nicht etwa, dass die irrationale Logik der Mörder vom 11. September der Logik kriegsführender Staaten entspricht, eher noch das Gegenteil: Gerade der Umstand, dass „Krieg“ als Topos sich in einem solch irrationalen Akt in die Wirklichkeit einschreiben kann, deutet darauf hin, dass das herkömmliche staatliche Verhältnis zum Krieg ihn nicht beschreiben kann und sich damit zwangsweise verändern muss. Der Anschlag auf das World Trade Center ist eine zugleich kriegerische und terroristische Handlung, ihm ist weder Krieg noch Polizeiaktion die angemessene Antwort. Der 11. September 2001 hat die Merkmale kriegerischer Verhältnisse zu einem Topos gebündelt, der einen Interpretationszwang erzeugt. Die neuen Interpretationen schreiben sich freilich in den Horizont alter Ideologien und Interessen ein. Wenn der Krieg zunehmend zur Polizeiaktion im Sinne des Weltfriedens stilisiert wird, bedeutet das nicht, dass nicht zugleich der Kampf um weltpolitische Einflusssphären geführt wird. Es handelt sich um sich verschränkende Ebenen.

Die Attentäter vom 11. September waren insofern bewusstseinsmäßig auf der Höhe der Zeit, als sie eine Totalisierung des Kriegsverhältnisses begrüßten und mit ihrer Handlung symbolisch verfestigten. Die Totalisierung des Kriegsverhältnisses meint hier eine Logik, die den Krieg selbst als gänzlich unvermittelte Handlung konstituierend in das Subjekt einschreibt. Und da die Idee des Krieges immer die Idee des eigenen Todes beinhaltet, negiert sie als subjektkonstituierendes Paradigma jedes Versprechen weltlicher, subjektiver Emanzipation. Der individuelle Zweck des Krieges liegt damit nicht mehr in der Vorstellung, zu überleben und die Früchte des Sieges zu ernten. Der Krieg selbst ist der Zweck. Der Krieg als Mittel ohne Zweck überhöht die Vorstellung vom Krieg als Nexus unterschiedlicher Konfrontationsebenen, die nur durch ihre gewaltsame Intensität verbunden werden mythisch, indem es genau diese Intensität als einziges Mittel und einzigen Zweck einsetzt.

 

Für die Differenzierung von Krieg und Menschenrecht

Wenn in diesem Artikel also Krieg als Nexus von Motivationen und Ereignissen auf unterschiedlichen Ebenen gedacht wird, die allein die Eigenschaft der höchsten Intensität teilen, dann kommt das einer solch fatalistischen Vereinigung von Mittel und Zweck natürlich gefährlich nahe. Um so wichtiger ist es, diesen Zusammenhang zu entwirren und Perspektiven herzustellen, aus denen Ereignisse bewertet werden können. Statt einer dünnbrettbohrerexistentialistischen Gleichmachung aller Opfer müssen wir uns auf die Auseinandersetzung mit den Ideologien und Ereignissen konzentrieren, die auf den aufeinandertreffenden Ebenen kriegerischer Handlungsweisen entstehen. Eine linksradikale Antikriegsperspektive muss sich jeder Gleichmacherei verschließen und monokausale Erklärungen ergänzen. Der Hinweis auf vermeintliche Ölinteressen der USA als Kriegsgrund kann ebenso wenig ausreichen den Krieg zu erklären, wie der Hinweis darauf, dass George W. Bush nur den Interpretationszwang ausagiert, den ihm die Ereignisse des 11. September 2001 auferlegt haben.

Es ist ebenfalls keine angemessene Antwort auf die Mystifizierung des Krieges, wenn ihm ein autoemanzipativer Charakter unterstellt wird, der die Segnungen bürgerlicher Zivilisation zu seinem objektiven Zweck macht. Zum einen ist die Vorstellung eines „objektiv emanzipatorischen Charakters“ eines Kriegs gegen den Irak schlicht naiv – es ist mehr als unwahrscheinlich, dass ein Elendsverwaltungsregime, dessen Verfasstheit den Ungleichzeitigkeiten des globalen Kapitalverhältnisses ohnehin absolut angemessen ist, durch eine militärische Niederlage zur Einführung bürgerlicher Verkehrsformen gebracht werden kann. Zweitens wiederholt ein solcher Versuch der Bewertung des Krieges seine Verknüpfung mit der Vorstellung des universellen Menschenrechts. Es handelt sich hierbei um eine Verknüpfung, die verbal erstmalig im Rahmen des Nationalsozialismus hergestellt wurde („Menschenrecht bricht Völkerrecht“, A. Hitler). Die Vermengung der Topoi Menschenrecht und Krieg wird nicht nur auf der Diskursebene immer sichtbarer, sie nimmt auch in der kriegerischen Praxis zu – z.B. wie bereits erwähnt dadurch, dass Hilfsorganisationen mittlerweile aktiv in die Planung und Organisation von Kriegseinsätzen einbezogen werden. Um es mit einem Zitat zu sagen, mit dem sich Slavoj Zizek auf den italienischen Rechtsphilosophen Giorgio Agamben bezieht: „Wir haben keine Opposition zwischen Krieg und humanitärer Hilfe mehr: ein und dieselbe Intervention kann auf beiden Ebenen simultan funktionieren. Vielleicht ist das endgültige Bild der lokalen Bevölkerung als ›Homo Sacer‹ das eines amerikanischen Kriegsflugzeugs über Afghanistan: man kann sich nie sicher sein, ob es Bomben oder Lebensmittelpakete bringen wird.“(4) Diese Vermengung der Vorstellung eines prinzipiellen, dem Menschen innewohnenden Rechts mit dem Topos des Krieges nähert sich einer anderen Form der Mystifikation an. Sie macht den Krieg gewissermaßen zum reinen Mittel, der dem Zweck des gesellschaftlichen Fortschritts untergeordnet ist. Der Krieg wird damit als weitgehend eigenständiger, gesellschaftskonstituierender Diskurs negiert. Es handelt sich jedoch beim Kriegsdiskurs ebenso wie beim Menschenrechts-Diskurs um zunehmend verwobene – wenn auch nicht identische – konstitutive Elemente gesellschaftlicher Verhältnisse. Lässt man beide zusammenfallen, entsteht jene Diskursfigur, die Agamben „nacktes Leben“ nennt, in der das politische Subjekt droht, zum apolitischen zu werden, dass mit der reinen Tatsache seiner Existenz zusammenfällt. Ein Leben, das entweder durch Lebensmittelpakete aufrechterhalten wird oder durch Bomben ausgelöscht. Linke Kritik muss bei aller Unmöglichkeit dieses Unterfangens dagegen immer ein Subjekt annehmen, das sich den eigenen Existenzverhältnissen gegenüberstellen kann und sie bewerten, das nicht in seinem Menschenrecht oder in seinem Tod als Kriegsopfer aufgeht, sondern zu beiden ein kritisches Verhältnis einnimmt. Damit unvereinbar ist eine Sicht, die die Körper und Lebensweisen der Menschen nur als Rohmaterial für die Emanzipation in Richtung Kommunismus sieht.

 

Krieg in uns

Der 11. September 2001 hat ein neues ideologisches Fundament hervorgebracht, das nun rückwirkend das längst schon gesetzte Verhältnis des Krieges umfasst. Künftige staatliche Projekte können und müssen auf dieses Fundament zurückgreifen. Jetzt schon zeichnet sich ab, wie terroristische und kriegerische Aktionen zunehmend auf die gleiche Vorstellung von dem, was Krieg ist, rekurrieren und in beide Richtungen verwechselbar werden. In der Kriegsführung des „Antiterrorkampfes“, die immer auch einen Krieg nach innen, auf dem eigenen staatlichen Territorium meint, formuliert sich also das schon vor dem 11. September existente Gegenstück zu den (religiös motivierten) Herausforderern der bestehenden Ordnung nur noch aus. Wenn Krieg und Terror einerseits und Krieg und Menschenrechte andererseits sich zunehmend identisch präsentieren (und es damit tendenziell werden), dann wird der Krieg immer mehr zur inneren Angelegenheit – nicht nur etwas, das innerhalb eines Staates stattfindet, sondern etwas, das sich in die Existenz der Subjekte selbst eingeschrieben hat. Man könnte den von Gilles Deleuze beschriebenen Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft analogisieren: Krieg ist nicht mehr ein Zustand, der Menschen in festen, abgegrenzten Räumen subjektiviert. Der Krieg setzt vielmehr unterschiedlichste Räume in Beziehung zueinander und macht sie variabel.

Was lässt sich über den Krieg sagen, wenn er abgesehen von seiner Eigenschaft als „intensive Handlungsoption“ ein zutiefst differentes Feld ist? Die alte Klage darüber, dass jeder Krieg schlecht und mörderisch sei, wiederholt nur die Mystifikation, die allein auf die Ebene der Intensität blickt. Insofern ist das Wort „Krieg“ tatsächlich verschleiernd, indem es davon ablenkt, dass ein spezifischer Krieg ein spezifisches gesellschaftliches Verhältnis ist, bei dessen entscheidendem Merkmal es sich gerade nicht darum handelt, ein Krieg zu sein. Die aktuell hegemoniale Wahrnehmung des Kriegs erkennt ihn als Nexus, dessen Bindeglied die Intensität ist. Sie verlegt jedoch seine Bedeutung allzu oft in dieses Bindeglied und ermöglicht damit nur totale Affirmation oder totale Ablehnung. Entscheidend für die Linke ist es deshalb nicht, eine prinzipielle Position zum Krieg an sich zu entwickeln. Vielmehr gilt es, eine Perspektive zu entwickeln, die bestimmte kriegerische Ereignisse beschreibt und kritisierbar macht. In diesem Sinne ist der Krieg weder Mittel noch Zweck noch das Identischwerden von beidem, sondern ein Verhältnis, dass aus Mitteln und Zwecken hervorgeht. Es geht also darum, die Verhältnisse zu kritisieren, die den Krieg hervorbringen, allerdings nicht im Sinne einer Formel, wie die, dass Kapitalismus zwangsläufig zu Krieg führen würde, sondern im Sinne einer konkreten Auseinandersetzung mit Kriegsereignissen.

Ein solches Vorgehen birgt einige Fallstricke: Allzu leicht ist es, sich in fatalistischer Differenziertheit zu ergehen, in der alles unglaublich komplex und unlösbar wird. Negri und Hardt bringen in „Empire“ eine zwar nicht ganz neue, aber treffende Kritik am „postmodernen“ Betonen der Differenz an:(5) Sie richtet sich nämlich möglicherweise auch im Kontext des Krieges gegen den Schatten alter Feinde, d.h. sie stellt eine binäre Kriegslogik in Frage, die nicht einmal mehr die kriegsführenden Parteien für zutreffend halten. Ein Fatalismus der Differenz als resignierte Verlängerung ihres Abfeierns mag dem Gegenstand der Untersuchung angemessen sein, nicht aber dem Anbringen wirkungsvoller Kritik. Kritik muss sich in dem Sinne positionieren, dass sie eine Perspektive einnimmt – z.B. in dem Sinne, dass sie den Krieg gegen den Irak im Rahmen deutscher Interessen untersucht. Solche Kritik muss sich bewusst sein, dass sie den Krieg, mit dem sie sich auseinandersetzt, nicht gänzlich beschreibt – denn um den Krieg gänzlich zu beschreiben, ist es nötig, ihn in der einen oder anderen Weise zu mystifizieren. Verschiedene Kritikebenen müssen also angebracht und miteinander verknüpft werden. Auf der Annahme der Differenz muss zwar beharrt werden, dass Ausmaß ihrer Betonung darf aber nicht als Gradmesser der Radikalität von Kritik missverstanden werden.

Dass eine Positionierung zum Irak-Krieg nützlich sein kann, auch um sich zu zukünftigen Kriegen zu verhalten, sei unbestritten. Dass an ihm eine wie auch immer geartete „prinzipielle“ Kriegskritik formuliert werden könnte, muss dagegen prinzipiell verneint werden. In diesem Sinne ist eine radikale Kritik am konkreten Krieg nur möglich, wenn sie den Krieg als Kategorie ablehnt.

 

Fußnoten:

(1) Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt a.M. 1976.

(2) Wenn hier und im Folgenden von „Krieg“ die Rede ist, ist damit genau jener Diskursnexus gemeint, d.h.: ein Zusammentreffen von Bedeutungen, die dem verliehen werden, was im allgemeinen als „Krieg“ verstanden wird.

(3) Der Terrorbegriff ist hier ebenso wie der Kriegsbegriff vor allem diskursanalytisch von Interesse. Terror wird in dieser Perspektive aufgefasst als gewaltsames Handeln, das weder an einen souveränen Staat gebunden ist noch an ein Konzept von (völker-) rechtlicher Legalität. Der Terror macht keinen Unterschied zwischen Militär und Zivilbevölkerung. Terrorgruppen agieren dezentral, nicht an den Grenzen der Staaten, sondern immer in ihrem Inneren. Terrorgewalt wird von einzelnen, zu verantwortenden Subjekten direkt ausgeübt, im Gegensatz dazu erscheint die Verantwortung für die Gewalt „herkömmlicher“ Staatenkriege immer von den sie direkt Ausübenden getrennt. Der Staatenkrieg wird nicht von Individuen geführt, die sich zu seinem Zweck organisiert haben, sondern von einer Organisation (dem Staat), die den Anspruch erhebt, das Wohl ihrer Individuen zu vertreten.

Der als moralisches Urteil gemeinte Friedensbewegungs-Slogan, demzufolge Krieg der „wahre“ Terror ist, erscheint in bezug auf die neuen Kriege insofern angemessen, als die Diskursfigur des Krieges tatsächlich immer mehr Eigenschaften von der des Terrors übernimmt. Das impliziert allerdings nicht, dass die neuen Kriege irgendwie „mehr Leid“ produzieren oder gewissermaßen „niederträchtiger“ wären.

(4) Vgl. Slavoy Zizek, „Are we in a war? Do we have an enemy?“, in: „ØYES, border = Ø, location = yes“, November 2002, make-world paper # 2, S. 30. Originaltext: „We have no longer an opposition between war and humanitarian aid: the same intervention can function at both levels simultaneously. Perhaps the ultimate image of the ›local population‹ as homo sacer is that of the American warplane flying above Afghanistan: one can never be sure whether it will be dropping bombs or food parcels.“

(5) Vgl. Antonio Negri/Michael Hardt, Empire, Frankfurt a.M. 2002, S. 152 ff.

Phase 2 Berlin