Bündnisse, Perspektiven

should we stay or should we go

„Now this looks like a job for us so everybody follow us, cuz we need a little controversy, cuz it looks so empty without us.“ (EMINEM)

Warum schon wieder ein Artikel über dieses Thema? Das wurde doch schon tausendmal besprochen - auf dem Verstärker Kongress 1999, dem Antifa Kongress 2000 ...

Diese Frage stellt sich wegen des nicht vorhandenen inhaltlichen Grundkonsens zu linksradikaler Politik, der nicht einmal innerhalb der wenigen verbliebenen Gruppen existiert. Diskussionskultur ist mittlerweile Mangelware. und ein Hypen bzw. Dissen angesagter Theoriefragmente „In“ ist, dass sehr häufig mangelndes Wissen verdecken soll. Das ist der „I tell you something, you already know“ Effekt, der einen Grundkonsens über Sinn und Unsinn der (jeweiligen) Politik erschwert und einer platten Identifikation über Distinktion dient.

So lange nicht klar ist, was die jeweilige (Rest)Struktur der linksradikalen Szene überhaupt will, ist die Frage der potenziellen BündnispartnerInnen substanzlos.

Eine Auswirkung einer mangelnden Positionierung ist z.B. die strategische Ausrichtung auf die „Masse“, selbst um den Preis der Beliebigkeit, bei der auf Essentials verzichtet wird. Zu diesen Essentials sollte für Linksradikale der Kampf gegen Antisemitismus (auch in seiner „Verkleidung“ des Antizionismus), gegen Rassismus sowie der Kampf gegen eine weitere Verkürzung der bürgerlich demokratischen Hundeleine – genannt „Freiheit“ und „Menschenrechte“ gehören(1) . Natürlich sind das bei weitem keine „revolutionären Ziele“ und ohne eine Beseitigung des Kapitalismus werden Rassismus etc. weiterhin existieren, aber die Ausrichtung der eigenen Politik sollte doch wenigstens reformistisch (kleineres Übel) zur Erhaltung der Geschäftsgrundlage - und nicht regressiv sein. Diese Regression verkörpern z.B. viele „linke“ FreundInnen aller Unterdrückten („Völker“) und vor allem AntisemitInnen in der „Friedensbewegung“ sowie der „Anti-Globalisierungsbewegung“. In diesem Zusammenhang erweisen sich mitunter bürgerliche BündnispartnerInnen als erträglicher, v.a. wenn es um Israel und Antisemitismus geht.

Insbesondere dieser Aspekt verdeutlicht die begrenzte Wirkung von „Aufklärung“ gerade bei vielen „Linken“. Das äußert sich u.a. in zu vielen konsequenzlosen wiederkehrenden Diskussionen der linksradikalen Szene, die die eigene Praxis und existierendes Wissen sowie Erfahrungen nicht reflektieren bzw. verdrängen – das typische „Hamsterrad der Linken“.

Zu den wesentlichen Zielen von Linksradikalen sollte es gehören, wie die KollegInnen der AG Hooligans und Zyklopen (Phase 2.05) ganz richtig betonen, das zu Thematisieren, was los ist, inklusive einer richtigen Kritik des falschen Ganzen. Dabei darf nicht vergessen werden die schärfsten Kritiker an sich selbst zu sein.

Damit es aber nicht beim Selbstzweck zur verbalen Versicherung der eigenen Radikalität bleibt, sind natürlich Aktionen mit ansprechender Außenwirkung nötig, die motivieren und auch Spaß machen dürfen! Denn schließlich gibt es keinen reinen homo oeconomicus, dessen Verhalten nur auf der Ratio basiert. Dies gilt v.a. für „unsere Szene“ die größtenteils eine Jugendbewegung ist(2) .

Für die Durchführung von ansprechenden Aktionen ergibt sich jedoch das angerissene Dilemma mit wem „wir“ was und warum (nicht) machen sollten, bzw. warum sollte irgend jemand etwas mit „uns“ machen wollen?

Gerade der letztere Teil der Frage ist in der heutigen Situation wesentlich, in der kaum von einer Überschneidung zwischen kultureller Rebellion, Konfrontation und linker antikapitalistischer Kritik gesprochen werden kann. Auch von der Existenz einer Zivilgesellschaft kann nur vereinzelt gesprochen werden. Innerhalb der Gewerkschaften müssen die wenigen aktiven AntirassistInnen / AntifaschistInnen um ihre weitere Relevanz kämpfen. Die wenigen NGOs sind, mit Ausnahme von attac, nicht gerade im Wachsen begriffen. Ganz zu schweigen von einer verstärkten Annäherung an die Realpolitik und des „Mitgestalten wollens“ bis zur Selbstverleugnung der ursprünglichen Kritik / Ideale. In der Parteienlandschaft befindet sich die PDS nun auch auf Bundesebene auf dem Weg eine Partei regressiver Ossis zu werden und Rot / Grün führen u.a. Kriege für ein stärkeres Deutschland. An diesem Prozess sind, gerade in den Parteien, etliche gewandelte ehemalige Linke / Linksradikale, wie z.B. „Joschka“, beteiligt, die für „uns“ grundsätzlich Teil des Problems und nicht der Lösung sein sollten. Daran dürfen auch einige linke Feigenblätter nichts ändern, die auch mal die eigene Parteipolitik kritisieren, z.B. bei Krieg und Castortransporten.

Die lokale Situation ist dennoch eher heterogen, so gab / gibt es in weiten Teilen des Ostens, aber auch in der westdeutschen Provinz noch nicht einmal ansatzweise eine „liberale“ Zivilgesellschaft. Dieses Problem wurde u.a. bereits im „Konzept Antifa“ oder der „Wurzen – Kampagne“ des BgR thematisiert. Dort ist es die Zivilgesellschaft, die z.B. Unterschriften gegen (geplante) lokale Flüchtlingsheime sammeln. In Gegenden wie z.B. Mecklenburg-Vorpommern oder auch Brandenburg sind es dann, mit marginalen Ausnahmen, höchstens (ehemalige) Linksradikale, die der Demokratie die ihr innewohnenden „Fehler“ (u.a. Gewalt, Rassismus und Antisemitismus) vorwerfen. Dies ist positiv, sollte von den Akteuren aber auch als das benannt werden was es ist - ein notwendiger Job zur Erhaltung der Geschäftsgrundlage und keine linksradikale Politik(3) .

Dieses Dilemma hat sich langfristig auch nicht nach dem staatlichen „Antifa Sommer“ 2000 geändert. Während dieser Zeit engagierten sich einige, wenn auch nicht alle, lokalen Angehörigen der Zivilgesellschaft gegen die Gewalt und eine Infragestellung des staatlichen Machtmonopols durch Rechtsradikale, z.B. mittels Demonstrationen oder Konzerte.

Die Motivation für ein Engagement der Zivilgesellschaft lassen sich in die folgenden Kategorien einordnen:

Die „Werber“; die Wahl- und Nachwuchswerbung für die eigene Partei / Organisation, z.B. PDS, Grüne, Gewerkschaften etc. betreiben.

Die „moralisch Betroffenen“; die tatsächlich über die, nicht gesetzlich legitimierte, Verletzung der Grundsäulen der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft (Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit) bestürzt sind.

Die „Widerwilligen“; die auf Grund des Drucks von durchsetzungsstarken Strukturen (Parteien, Vereine, Interessensvertretungen) kurzfristig und eher halbherzig agieren, aus der Angst vor den angedrohten Konsequenzen.

Die „vor allem deutschen Staatsbürger“; die eine internalisierte Verantwortlichkeit für ein positives Image von Deutschland in der Welt übernehmen. Dieses Image wird für eine stärkere Machtposition eines „modernen und normalen“ Landes benötigt. Wenngleich die diplomatischen Rücksichten auf dem „deutschen Weg“ (G. Schröder, 2002) immer weiter abnehmen, wenn es keine deutlichen Dämpfer gibt.

Überschneidungen sind bei diesen Kategorien natürlich vorhanden, da bis auf wenige beschränkte Hinterwäldler alle „verantwortliche gute Deutsche“ sind / sein wollen. Die Konsequenzen dessen zeigten sich historisch (v.a. beim Nationalsozialismus) wo der überwiegende Teil der bürgerlichen Zivilgesellschaft in „härteren Zeiten“ nicht mehr zur Verfügung stand, zum Gleichschritt des Volkswillens zurück kehrte bzw. dessen Takt mit vorgab. Dieser Aspekt sollte bewusst sein und eine notwendige Kritik an der bürgerlichen Demokratie verdeutlichen, die u.a. unappetitliche Auswirkungen wie z.B. Nazis reproduziert. Daher ist es auch falsch und blauäugig an die Zivilgesellschaft linksradikale Maßstäbe anzusetzen.

An die Zivilgesellschaft, mit ihren gern genutzten Protagonisten wie z.B. Ströbele, sollte nur aus pragmatischen Gesichtspunkten appelliert werden ihren Job zu machen – die Wahrung unserer Geschäftsgrundlage und nicht die Hoffnung auf eine bessere Demokratie(4) . Einige Reste der Zivilgesellschaft sind u.a. aus taktischen Gesichtspunkten wie z.B. der Repression (Göteborg, Genua, § 129a etc.) oder bei Demonstrationen unverzichtbar. Hierfür ist (bei Berücksichtigung des Grundkonsens) keine weitere politische Übereinstimmung notwendig, da die Systemkritik praktisch existent ist / sein sollte und ein vorgeschobener Verbalradikalismus mitunter kontraproduktiv sein kann.

Und nun? Wesentlich ist es erst einmal, die Geschäftsgrundlage für das Streben nach einer herrschaftsfreien (kommunistischen) Gesellschaft zu erhalten bzw. zu verbessern, d.h. ein konsequentes Vorgehen gegen AntisemitInnen, RassistInnen und Rechtsradikale, sowie eine aktive Solidarität – ohne Paternalisierung gegenüber (potenziellen) Opfern. Hierfür kommen als pragmatische BündnispartnerInnen v.a. die Linksradikalen nach den bereits genannten Kriterien, Interessenvertretungen tatsächlich Betroffener und Angehörige der Zivilgesellschaft in Frage (z.B. NGOs). Dabei kommt mitunter hinzu, dass Linksradikale in ihrem Job Angehörige bzw. Advocaten der Zivilgesellschaft sind und dadurch eine Doppelfunktion haben, die ihnen bewusst sein sollte. Dazu gehört auch die permanente Reflexion des eigenen Handeln in der politischen Gruppe und dem Job. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen dennoch ist es möglich so wenig wie möglich „falsches“ zu tun!

Eine Möglichkeit etwas weniger falsches zu tun ist durch Aktionen in den benannten realpolitischen Arbeitsfeldern Menschen emotional anzusprechen und zu weiteren Reflektionen hinsichtlich der eigenen Vergesellschaftung und der Wirkungsmechanismen von Kapitalismus anzuregen. Obwohl diese Möglichkeit begrenzt ist und eine volitionale Reflexion bei dem Rezipienten Bedingung ist.

Weiterhin ist es möglich mit linksradikalen Aktionen die Verhandlungsposition (falls vorhandener) „progressiv reformistischer“ Kräfte in diesen Arbeitsfeldern zu stärken. Dabei darf jedoch die eigene theoretische und praktische Weiterentwicklung, unabhängig von den realen Verhältnissen, nicht vergessen werden, weil „wir“ eine andere und nicht nur verbesserte Welt wollen.

 

„Fox, is the truth out there?“ „I don´t know Scully, but I keep on searching.“

 

Fußnoten:

(1) „Wir“ sind auch Teil des Systems und dürfen als ModernisiererInnn auch verbal ein wenig kritisch sein, kriegen aber bei dem Wunsch der formulierten Kritik entsprechende Handlungen folgen zu lassen, schnell unsere Grenzen aufgezeigt. Abgesehen davon das eine grundlegende Kritik an „Freiheit“ und „Menschenrechtsbegriff“ bei Linksradikalen vorhanden sein sollte.

(2) Die Gründe hierfür liegen u.a. in den mit wachsendem Alter steigenden individuellen ökonomischen Zwängen und der sich entwickelnden Frustration. Diese stellt sich v.a. über den eklatanten Widerspruch zwischen Theorie und Praxis innerhalb der „Szene“ und der Realisierung der eigenen Vergesellschaftung ein.

(3) Auf der anderen Seite sollten sich auch Linksradikale hinterfragen, die diese Aktivitäten als reformistisch und schädlich betrachten, welchen Anteil sie an der Modernisierung und Aufrechterhaltung des Systems haben – wir unterliegen alle dem Prozess der Vergesellschaftung!

(4) Dass dieser Trugschluss verbreitet ist, zeigen die hoffnungsvollen Wünsche an Rot / Grün die z.B. einen aktiven Wahlkampf „Linksradikaler“ für Ströbele ermöglichten.

Phase 2 Berlin