»Das Ergebnis menschlichen Irrwahns und menschlicher Fühllosigkeit«

Die deutschen Frauen- und Friedensbewegungen und der Erste Weltkrieg

Am 19. Juli 1914 – drei Wochen nach dem Attentat von Sarajewo – veröffentlichte die Berliner satirische Zeitschrift Kladderadatsch eine sechsteilige Karikatur mit dem Titel »Die Suffragetten Suffragetten waren Mitglieder der Women’s Social and Political Union, einer britischen Frauenwahlrechtsvereinigung, die ab 1910 zunehmend aggressive Methoden des Kampfes wählte. So bespuckten sie z.B. Politiker, schlugen Schaufenster ein (was 1912 in London zur Verhaftung von 124 Frauen führte), ketteten sich an Gitterstäbe, zündeten öffentliches und privates Eigentum an oder legten auch Bomben. in Deutschland (Ein Hundstagtraum)«. Zehn heiße Sommertage danach, am 1. August, erklärte Österreich-Ungarn Serbien und Deutschland Russland den Krieg: »The great seminal catastrophe« (George F. Kennan) des Ersten Weltkriegs, die nach der Meinung vieler nicht vorhersehbar gewesen wäre, nahm ihren Anfang. Einige hatten sie freilich schon seit längerem kommen gesehen. Die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner zum Beispiel, die 1912 vorhergesagt hatte, dass »die Großmächte, obwohl sie eine schreckliche Angst vor dem Krieg haben, hilflos auf einen Flächenbrand zuzutreiben scheinen, der unsere Kultur und Zivilisation um ein Jahrhundert zurückwerfen wird.« Depesche der United Press Agency vom 20. April 1912, nachgedruckt in Advocate of Peace 74/5, (1912), 111.

Mit der von ihr heraufbeschworenen »Suffragettenplage« thematisierte die im Kladderadatsch erschienene Karikatur freilich eine etwas andere Art von »Julikrise«: Tollwütige englische Feministinnen wären gerade dabei, das deutsche Vaterland zu terrorisieren und seine Kultur zu zerstören. Nachdem diese »Hyänen« die Berliner Siegesallee in Schutt und Asche gelegt hatten, ohne dass die Polizei zur Stelle gewesen wäre, »überfielen die Damen die Verleger, plünderten die Lyrikbestände der letzten zehn Jahre und verbrannten sie«. Vom Umstand, dass »die Feuerwehr gerade Urlaub macht«, zu weiteren Schandtaten ermutigt, »zerhackeln« sie gleich noch mehrere Bilder in einer Kunstausstellung, Am 10. März 1914 schlitzte die Suffragette Mary Richardson Diego Velázquez’ Gemälde »Rokeby Venus« in der Londoner National Gallery auf. bevor sie schließlich zum Äußersten griffen: »Sie vernichteten das Nationalheiligtum! Durch teuflische List gelangen es ihnen, die Brauereien so zu zerstören, daß statt Bier nur noch – Wasser floß!« Erst in diesem Moment – in dem die Bilderfolge endet – werden sie verhaftet, in Ketten geschlagen und von Soldaten außer Landes gebracht.

Insgesamt bringt dieser »Hundstagtraum«, also die detailreiche Phantasie, zum Ausdruck, dass verwilderte angelsächsische Frauenrechtlerinnen im Begriffe stünden, über die deutsche Heimat herzufallen – wogegen diese sich mit allen Mitteln wappnen müsse. Auf einer psychologischen Ebene weist diese Karikatur sowohl darauf hin, wie leicht eigene kriegerische Neigungen auf »äußere Feinde« projiziert werden konnten, als auch darauf, wie sehr eine Dämonisierung feministischer Anliegen für eine nationale Schulterschluss-Ideologie nutzbar gemacht werden konnte. Darüber hinaus bringt sie wohl auch eine Beunruhigung zum Ausdruck, ob deutsche Frauenrechtsbewegungen sich nicht als ähnlich gefährlicher »innerer Feind« erweisen könnten wie ihre »hyänenhaften« britischen Mitstreiterinnen.

Dieser Artikel beleuchtet einige wesentliche Realitäten und Phantasien rund um die »Frauenfrage« in Deutschland vor und während des Ersten Weltkriegs, wie sie vor allem im Zusammenhang der Aktivitäten kleiner und meist stark ausgegrenzter antimilitaristischer und feministischer Gruppen zum Ausdruck kamen. Wie die spätere Friedensnobelpreisträgerin Jane Addams – eine führende feministische Pazifistin in den USA, die Deutschland während des Kriegs besuchte – sich erinnerte, befanden sich Pazifistinnen zuweilen in einer bedrückend isolierten Lage: »Von Anfang des Großen Kriegs an […] spürten die Mitglieder unserer Gruppe […] diese vernichtende Wirkung des ›Alleinseins‹ […]. Wir konnten freilich die Überzeugung nicht verlieren, dass […] der moralische Wandel in menschlichen Angelegenheiten durchaus mit einer abweichenden Gruppe oder Person seinen Anfang nehmen kann – zuweilen mit einer, die im besten Falle als Spinner oder Sonderling bezeichnet, in schlimmeren Momenten aber auch als Gotteslästerer oder Verräter eingekerkert wird.« Jane Addams, Peace and Bread in Time of War, New York 1922, 140-142.

Vor dem Krieg

»Wer schreit: ›Die Waffen nieder!‹? Ein ruhmsüchtiger, hysterischer Blaustrumpf… Baronin Suttner.« Ostdeutsche Rundschau vom 8. Juli 1894. Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren der Zugang zu höherer Bildung, zu Arbeit, zu gleichen Rechten in der Ehe und egalitäres Wahlrecht die wichtigsten Anliegen, die von den (bürgerlichen wie sozialistischen) Frauenrechtsbewegungen in Deutschland verfolgt wurden. Das gesellschaftliche Milieu, dem ihre Vertreterinnen (damals mehrheitlich mittleren Alters) entstammten, war fast durchweg bildungsbürgerlich geprägt, was auch in einem breit gefächerten beruflichen Engagement zum Ausdruck kam – u.a. als Juristinnen, Reformpädagoginnen, Schriftstellerinnen, Übersetzerinnen oder Künstlerinnen.

Zahlreiche Kampagnen wurden auf internationaler Ebene koordiniert, wie etwa vom Internationalen Frauenbund (ICW), dem Weltbund für Frauenstimmrecht (IWSA) und der Internationale Sozialistischer Frauen. Ab der Jahrhundertwende fanden auch deutsche Feministinnen und Friedensaktivistinnen zunehmend zueinander. Führende Stimmen in der Frauenbewegung begannen, sich hörbar für ein weltweites Friedensengagement einzusetzen. So kam es etwa 1899 zum Zusammenwirken zwischen dem in London abgehaltenen Kongress des ICW und der ersten internationalen Friedenskonferenz in Den Haag, was etwa in von Margarethe Leonore Selenka organisierten deutschen Kundgebungen zu dieser Konferenz beispielhaft zum Ausdruck kam. Ute Kätzel, A Radical Women’s Rights and Peace Activist: Margarethe Lenore Selenka, in: Journal of Women’s History 13/3 (2001), 46-69. Die nächste, 1904 in Berlin abgehaltene Generalversammlung des ICW erlebte den Auftritt Bertha von Suttners, die vor einem vollen Auditorium erklärte: »Die Frauenbewegung weist mit der Friedensbewegung mehr als eine Ähnlichkeit auf und die beiden Fragen berühren sich in vielen Punkten. Nicht als ob die Friedensfrage eine ›feminine‹ wäre, wie ihre Verächter oft behaupten – der Feminismus ist ja auch nicht ›feminin‹ –, im Gegenteil: seine Gegner werfen ihm vor, unweiblich zu sein. Beide Fragen sind wesentlich Menschheitsfragen, sind Fragen des Menschenrechts. Der Feminismus will das Recht auf beide Hälften der Menschheit ausdehnen; die Friedensbewegung will es in den Verkehr der Völker einführen. […] Der Kampf für die Friedensidee hat zwei Eigenschaften, die es der Frau besonders leicht machen, sich daran zu beteiligen. Er wird gegen Brutalität geführt, und er wird ohne jede Brutalität geführt.« Bertha von Suttner, »Wie können Frauen die Friedensbewegung fördern?« Kölnische Volkszeitung vom 1. Juni 1911, 2. Vgl. Anna B. Eckstein, Die Frauen und die Friedensbewegung, Der deutsche Friedens-Kongreß in Wiesbaden 1910. o. O., 11-21.

Eine grundlegende Tendenz, die einer zunehmenden Annäherung zwischen Feminismus und Pazifismus den Boden bereitete, ergab sich aus dem Anliegen der Frauenrechtsbewegungen, Gewalt auf sehr unterschiedlichen Ebenen zu thematisieren und zu bekämpfen – sei es im häuslichen (oft genug durch Alkoholmissbrauch gekennzeichneten) Rahmen oder auch im Zusammenhang des Kampfes gegen Sklaverei oder Vivisektion. In seiner tieferen Logik musste dieses Engagement auch auf der Ebene des »Verkehrs der Völker« in eine Richtung weisen, in der Kriege zur Austragung von Interessenskonflikten keinerlei Legitimität mehr beanspruchen könnten.

Zweifellos waren aber, wie das Beispiel der britischen Suffragetten zeigt, nicht alle Feministinnen zugleich Anhängerinnen von Gewaltfreiheit oder friedlicher politischer Aktion. Ähnlich war die »Schwesternschaft« des Feminismus auch in den eigenen Reihen zuweilen weit davon entfernt, Konflikte im solidarischen Dialog auszutragen. Wie etwa Anita Augspurg einmal an ihre Freundin Käthe Schirmacher schrieb: »[M]ir ist dies ganze Weiberintrigenspiel nachgerade so widerlich, daß es mir die ganze Frauenbewegung verekelt.« Zitiert in: Susanne Kinnebrock, Anita Augspurg (1857-1943). Herbolzheim 2005, 260. Die Belastung durch innere Grabenkämpfe wurde noch durch die weitaus gehässigeren Angriffe vergrößert, denen die Frauenbewegung von außen ausgesetzt war – von Seiten einflussreicher konservativer und nationalistischer Gruppierungen, die in den Medien prominent vertreten waren. Wie etwa ein Leitartikel in der Zeitschrift Die Frauenbewegung zur Berichterstattung über den 1904 in Berlin abgehaltenen Frauenwahlrechts-Kongress kommentierte: «Daß die konservative Presse ihre Glossen macht, ist man gewohnt, daß die unpolitischen Blätter diese nachzuahmen sich bemühen, ist nur ein Armutszeugnis für sie, daß die Vertreter der antisemitischen Presse alle Mitglieder der Konferenz zu Jüdinnen machten, und damit die ganze Bewegung zu einer jüdischen stempeln möchten, ist selbstverständlich.« Die Gründung des Weltbundes für Frauenstimmrecht, in: Die Frauenbewegung (15.6.1904): 89-91, hier 90, zitiert nach Kinnebrock, 261; vgl. grundlegender zur hier typisch zum Ausdruck kommenden antisemitischen Paranoia David Nirenberg, Anti-Judaism: The Western Tradition, New York 2013.

Auf diesem Kongress brachte Marie Stritt, die Vorsitzende des mitgliederstarken Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), die Errungenschaften der Bewegung mit den (von der russischen Teilnehmerin Anna Kal’manovi? wiedergegebenen) Worten zum Ausdruck, dass Frauen durch sie »sowohl selbstbewusster als auch selbstsicherer« geworden waren. Ihre neu gewonnene Selbstachtung veränderte auch die Art und Weise, wie Frauen ihre Pflichten wahrnähmen: Nun könnten sie »für sich selbst und nicht für die Männer leben.« Bemerkenswert an Stritts Vortrag war vor allem die Wortwahl, die zahlreiche dem Krieg entlehnte Bilder verwendete: »Die Bewegung hat immer noch viele Feinde [vragov]; viele wollen nicht, dass sie existiert. Aber viele feindliche Festungen sind schon niedergebrannt worden, und neues Gelände konnte erobert werden.« A.A. Kal’manovi?, Ot?et o ženskom meždunarodnom kongresse 1904 g. Saratov 1905, 1-18, hier 8 (von der Autorin aus dem Russischen übersetzt). Derartige Ausdrücke wiesen auf das Ausmaß hin, in dem sich militaristische Denkmuster durchsetzen konnten, die weit von Überzeugungen wie der Bertha von Suttners entfernt waren, dass gewaltfreier Protest das langfristig gangbarste Mittel war, um Wandel in einem fortschrittlichen Sinne voranzutreiben.

Während des Krieges

Als der Krieg ausbrach, wurde er von der großen Mehrheit der Mitglieder der deutschen Frauenrechtsorganisationen befürwortet – oder jedenfalls weigerte sie sich, gegen ihn Stellung zu beziehen. Marie Stritt stellte sich hinter ihre konservativere Nachfolgerin im BDF-Vorsitz Gertrude Bäumer und lehnte es ab, am 1915 in Den Haag abgehaltenen Internationalen Frauenkongress gegen den Krieg teilzunehmen. Wie sie verkündete, »[gehörten] unser aller Arbeit, Gedanken und Gefühle zurzeit dem Vaterland, der eigenen Nation, [weshalb] es nicht an der Zeit [sei], auf internationalen Kongressen über den Krieg und seine Wirkungen zu theoretisieren.« Zitiert nach Elke Schüller, Marie Stritt. Eine »Kampffrohe Streiterin« in der Frauenbewegung (1855-1928), Königstein/Taunus 2005, 196. Entgegen paranoider Phantasien von über Deutschland herfallenden Suffragetten unterstützten also die deutschen Feministinnen in ihrer Mehrheit – und übrigens auch viele Pazifistinnen – »ihre Soldaten« und die Kriegsanstrengungen. So hatte etwa die Friedensaktivistin Mathilde Planck in diesem Sinne bereits 1910 erklärt, dass »die Friedensbewegung […] nicht gleichbedeutend mit Antimilitarismus [sei]. Im Gegenteil. Auch der Friedensfreund greift zu den Waffen, wenn das Vaterland ihn ruft.« Mathilde Planck. Die Friedensbewegung in Deutschland, in: Die Frau 17 (9. Juni 1910): 554ff. in: Sabine Hering/Cornelia Wenzel (Hrsg.), Frauen riefen, aber man hörte sie nicht. Quellenband. Kassel 1986, 44, 103-105. Durchaus in Übereinstimmung mit dem Zeitgeist erläuterte sie: »Auch die Friedensfreunde sind Patrioten. […] Auch sie wünschen ihrem Volke die erste Stelle in der Welt, die Führerschaft im geistigen und sittlichen Leben«. Ebd.

Nur eine kleine Minderheit von Feministinnen leistete entschiedenen Widerstand und beharrte auf ihrer Forderung, die Institution des Krieges abzuschaffen. Viele von ihnen wurden dafür massiv ausgegrenzt, dämonisiert, eingekerkert oder verbannt. Wie Jane Addams es zum Ausdruck brachte, finden sich Pazifisten »in Kriegszeiten in jenem natürlichen Bedürfnis buchstäblich ausgehungert, die eigenen Entscheidungen in den Augen der Mitmenschen gerechtfertigt zu finden.« Addams, 1922, 142. Diese kleine Minderheit bestand in Deutschland aus jenem Teil des sozialdemokratischen Lagers, der Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Opposition gegen die Kriegskredite unterstützte, und, unabhängig davon, aus radikalen Feministinnen, für die Feminismus und Pazifismus zwei Seiten derselben Medaille bildeten. Einige unter den Letzteren nahmen bald darauf an der Gründung einer Organisation teil, die demnächst ihr einhundertjähriges Bestehen feiern wird: der Internationalen Frauenliga für Friede und Freiheit (IFFF).

Ein wichtiger Anstoß für diese Bewegung war von Bertha von Suttner ausgegangen. Kurz vor ihrem Tod (der sie nur eine Woche vor dem Attentat von Sarajevo ereilen sollte) hatte die Autorin des epochemachenden Antikriegsromans Die Waffen nieder! (1889) eine Solidaritätsadresse an den neugegründeten Frauenbund der Deutschen Friedensgesellschaft gerichtet, unter deren Mitgliedern bald auch viele der deutschen Sektion der IFFF angehören sollten: »Verehrte Kämpferinnen […] Es wird Ihnen nicht ganz leicht gemacht werden, für die pazifistischen Ideale einzutreten. Auch unter den Frauen selber dürften Ihnen viele Gegnerinnen erwachsen. […] Nur die fortschrittlich gesinnten Frauen, nur solche, die sich zu sozialem Denken erzogen haben, sind es, die die Kraft haben […]. Im Namen der Liebe, diesem heiligsten aller Gefühle, […] im Namen der Güte, die ja erst den Menschen ›menschlich‹ macht, im Namen des Gottesbegriffs, zu dem sich unsere Ehrfurcht erhebt, wollen wir den Krieg bekämpfen; […] er [ist] ein Verbrechen. […] Es ist keine Elementarkatastrophe, es ist das Ergebnis menschlichen Irrwahns und menschlicher Fühllosigkeit.« Bertha von Suttner, Letzter Brief an die deutschen Frauen, Juni 1914 .Vgl. Jus Suffragii 9/3 (1914).

Auf sozialdemokratischer Seite rief Rosa Luxemburg am 28. Juli 1914 dazu auf, »den Kriegsgelüsten der Regierungen den entschlossenen Friedenswillen der Volksmassen entgegenzustellen«. Rosa Luxemburg, Der Friede, der Dreibund und wir, Sozialdemokratische Korrespondenz 85 (1914), in: Hering/Wenzel 1986, 32, 73-74. Clara Zetkin protestierte gegen die »chauvinistischen Trommeln«, die die »die nackte Wahrheit« dieses Krieges übertönten, dass es um die Sicherung von Profitinteressen gehe – und nicht um irgendeinen »verachtenswerte[n] Charakter der Nationen, gegen die Deutschland nun seine Kräfte misst.« Jus Suffragii 9/3 (1914).

Auf einer Ende März 1915 in Bern abgehaltenen Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz wurde in einer Grundsatzerklärung die Frage beantwortet, wem der Krieg nützte: »Nur einer kleinen Minderheit in jeder Nation. […] Nicht die Verteidigung des Vaterlandes, seine Vergrößerung ist der Zweck dieses Krieges. So will es die kapitalistische Ordnung, denn ohne die Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen kann sie nicht bestehen. […] Genug des Mordens! […] Die ganze Menschheit blickt auf euch, ihr Proletarierinnen der kriegführenden Länder. Ihr sollt die Heldinnen, ihr sollt die Erlöserinnen werden! […] Nieder mit dem Kriege! Durch zum Sozialismus!« Manifest der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Bern vom 26. bis 28.März 1915, in: Hering/ Wenzel 1986, 34, 78-79. Die Verbreitung dieser Erklärung auf Flugblättern führte dazu, dass Zetkins Haus nach ihrer Rückkehr aus Bern mehrmals durchsucht wurde; bald danach wurde sie verhaftet. Die Arbeiterinnen-Zeitung 24/16 (1915).

Ein in vieler Hinsicht beispielloses Ereignis stellte der Internationale Frauenkongress dar, der Ende April 1915 in Den Haag stattfand. Lida Gustava Heymanns Aufruf zur Teilnahme nach einem Dreivierteljahr des Krieges war aufrüttelnd und erschütternd: »Europas Boden raucht von Menschenblut, – Menschenblut, Menschenfleisch wird zum Nährboden für die wogenden Kornfelder, der Zukunft auf deutscher, französischer, belgischer und russischer Erde. Millionen Frauenherzen flammen auf im wilden Weh. Keine Sprache der Erde ist reich genug, um soviel Leid in seiner ganzen Tiefe zu schildern. Und weiter tobt der völkerverheerende Krieg! Frauen Europas, wo bleibt Eure Stimme?« Lida Gustava Heymann, Eine Frage. »Frauen Europas, wann erschallt Euer Ruf?«, in: Neues Frauenleben 17/3 (1915), 63.

Voraussetzung für eine Teilnahme war, sowohl gegen den Krieg als auch für das Frauenwahlrecht Stellung zu beziehen. Über eintausend Frauen aus 15 neutralen und kriegführenden Ländern sollten schließlich teilnehmen. Aus Deutschland kamen u.a. Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann, Helene Stöcker, Margarethe Selenka und Lucy Hoesch Ernst. Dr. Lucy Hoesch Ernst (1864-1944), Tochter aus einer wohlhabenden rheinländischen Industriellenfamilie, unterstützte die Frauenfriedensbewegung sowohl finanziell als auch durch ihre Mitwirkung an der Organisation von Demonstrationen. Dafür wurde sie am 3. März 1916 in militärische »Sicherheitshaft« genommen. Einen Monat später wurde sie entlassen – »gegen ein ausdrückliches Versprechen, sich für die Dauer des Kriegszustandes jeder politischen Tätigkeit zu enthalten, und gegen eine Sicherheit von 100.000 M«. Zitiert in: Carl Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919. Hg. von Ersnt Hüsmerl/Gerd Giesler. Berlin 2005, 556. Auch Lida Gustava Heymann wurde verboten, an Konferenzen teilzunehmen und öffentlich aufzutreten. Frida Perlen, die dem internationalen Planungskomitee angehört hatte, war von den Behörden daran gehindert worden, aus Deutschland auszureisen. In einer außergewöhnlichen Bekundung sozialistisch-bürgerlicher Solidarität sandte auch Clara Zetkin Grüße im Namen der Fraueninternationale. Eine bürgerliche Versammlung, Die Arbeiterinnen-Zeitung 24/11 (1915), 1. Die Konferenz fand ein beträchtliches Echo in wichtigen Medien. In Deutschland berichteten das Berliner Tageblatt, Vorwärts, die Kölnische Zeitung, die Vossische Zeitung und das Hamburger Fremdenblatt täglich. Vgl. Annika Wilmers, Pazifismus in der internationalen Frauenbewegung (1914-1920), Essen 2008.

Zum Abschluss gründeten die Kongressteilnehmerinnen das »Internationale Frauenkomitee für dauernden Frieden«. In dessen Grundsatzerklärung hieß es: »Von den kriegführenden, wie auch von den neutralen Ländern sind wir zusammen gekommen […] getrieben durch rein menschliche Erwägungen und zusammen gebracht durch den Glauben, dass die Frauen die Verantwortlichkeit der Regierungen teilen müssen. […] Wir erklären: der Lehrsatz, Kriege seien nicht zu vermeiden, ist sowohl eine Verneinung der Souveränität des Verstandes, als ein Verrat der tiefsten Triebe des menschlichen Herzens. Im Bewusstsein unseres Anteils an der Schuld […] fordern wir, Mitglieder dieses Kongresses, die Frauen aller Nationen feierlichst auf, für ihre eigene Befreiung zu arbeiten und unaufhörlich für einen gerechten und dauernden Frieden zu wirken.« Internationaler Frauenkongress Haag – vom 28. April bis 1. Mai 1915 (1915), 47 et passim.

Auf dem Kongress verabschiedete Resolutionen wandten sich u.a. gegen »die Auffassung, dass Frauen unter einer modernen Kriegsführung geschützt werden können« und »besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen, welche die Begleiterscheinung jedes Krieges sind«. Ihre besonderen Empfehlungen sollten später in mehrere der 1918 von US-Präsident Woodrow Wilson verkündeten 14 Punkte einfließen, die den Friedensverhandlungen des Jahres 1919 als Grundlage dienten. Es war insbesondere der Beharrlichkeit der Teilnehmerin Rosika Schwimmer zu verdanken, dass im Anschluss an den Kongress zwei Delegationen gebildet wurden, die zu Treffen mit Staatsführern sowohl kriegsführender als auch neutraler Mächte aufbrachen – u.a. mit Premierministern, Außenministern oder Präsidenten von 13 Ländern –, um eine sofortige Beendigung des Krieges zu fordern. Nach ihrer Rückkehr wurde ein mehrsprachiger Bericht sowohl des Kongresses als auch dieser höchst außergewöhnlichen Treffen veröffentlicht.

Alle Bemühungen – seien sie sozialistischer oder bürgerlich-radikaler Ausrichtung – erwiesen sich freilich als unzureichend, um den Krieg zu beenden. Nicht zuletzt die offene wie stillschweigende Unterstützung von Seiten der Mehrheit der Frauen machte es – wie Lida Gustava Heymann bitter beklagte – allzu lange unmöglich, dem Krieg ein Ende zu machen: »Ihre Hilfsbereitschaft, ihre Menschenliebe trug dazu bei, den Krieg zu humanisieren, aber auch zu verlängern.« Lida Gustava Heymann, Frauen von gestern und morgen, in: Völker-Friede 9 (Oktober 1917), 6-7, hier 6.

Nach dem Krieg

Im Jahre 1919 fanden zwei weitere internationale Frauenfriedenskongresse statt; gleichzeitig wurde es Frauen verweigert, an den offiziellen Friedensverhandlungen teilzunehmen. Die erste Konferenz, die am 11. und 12. Februar in Bern stattfand, war eine Teilveranstaltung der Internationalen Arbeiter- und Sozialistenkonferenz, an der aber auch Augspurg, Heymann und Schwimmer teilnahmen. Wie in der von Augspurg und Heymann neu gegründeten Zeitschrift Die Frau im Staat berichtet wurde, war das Ergebnis enttäuschend. Während die Frauen an den Rand gedrängt wurden, erwiesen sich die Männer als hoffnungslos unfähig: »Viele der männlichen Delegierten könnten sich von der trostlosen Vergangenheit nicht freimachen. Sie überschütteten sich gegenseitig mit berechtigten und unberechtigten Vorwürfen, feindeten sich in unwürdiger Weise an.« Internationale Frauen-Friedenskonferenz in Bern, in: Die Frau im Staat (März 1919), 8-11.

Die Enttäuschung über den »Frieden der Männer« setzte sich auch auf dem 2. Internationalen Frauenkongress fort, der im Mai 1919 in Zürich stattfand, auf dem das 1915 in Den Haag gegründete Internationale Frauenkomitee in die IFFF umgewandelt wurde. Aus Deutschland nahmen 27 Frauen daran teil. Vor dem Hintergrund ihrer kurz zuvor in der bayrischen Räterepublik gemachten Erfahrungen plädierte Augspurg dafür, dass Frauen entschieden Sorge tragen sollten, »den Männern Waffen und Munition unzugänglich« zu machen, nachdem »selbst diejenigen Parteien und Individuen, die ich in den gesetzgebenden Versammlungen gegen Krieg und gewalttätige Mittel hatte reden hören, in dem Augenblicke, da sie Waffen in die Hand bekamen, mit dem bekannten Heldenmute der Männer, der stets über sie kommt, sobald sie eine Schießwaffe haben, auch Gelegenheit suchten, diese Waffen zu benützen.« Bericht des Internationalen Frauenkongress Zürich, 1919, Genf o.D. 112-113.

Leider sollte diesem Plädoyer für zivilisiertere Formen politischer Auseinandersetzung nur wenig praktischer Erfolg beschieden sein. Obwohl die Frauen nach dem Krieg das Wahlrecht errangen und die deutsche Sektion der IFFF in den folgenden Jahren beträchtliche Mitgliederzuwächse verzeichnen konnte – bis zu einem Höhepunkt im Jahre 1932, als sie Ortsgruppen in 99 Städten aufwies –, liefen die Bemühungen um breite Abrüstung in den Zwischenkriegsjahren weitgehend ins Leere. 1934 war ein Großteil der Führung – z.B. Anita Augspurg, Gertrud Baer, Lucy Hoesch Ernst, Lida Gustava Heymann, Magda Hoppstock Huth Magda Hoppstock-Huth (1881-1959) war Tochter einer hanseatischen Kaufmannsfamilie. Von 1919 bis 1933 leitete sie die IFFF-Ortsgruppe Hamburg. 1933 floh sie zuerst nach England, ab 1938 lebte sie in Südafrika. Danach kehrte sie aber aus Sorge um ihren Sohn heimlich nach Hamburg zurück, wo sie 1944 von der Gestapo verhaftet wurde. Vgl. In Memoriam: Magda Hoppstock-Huth, Pax et Libertas 23/5 (1959), 12. und Helene Stöcker – aus Deutschland geflohen. Baer folgte Jane Addams und Emily Greene Balch als internationale Vorsitzende der IFFF nach und fand ihren Weg in die USA. Nur wenigen der anderen war es beschieden, noch das Ende des Zweiten Weltkriegs zu erleben.

~ Von Laurie R. Cohen. Die Autorin ist Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck. Zu ihren letzten Veröffentlichungen zählen Smolensk under the Nazis (2013) und Freche Frauen. Fallbeispiele von Friedensaktivistinnen und Weltbürgerinnen im transatlantischen Vergleich (2012).