»Das Kind muss vom Kindergarten abgeholt werden«

Julia Hermann, Mitglied der AG Gender in der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union Berlin (FAU Berlin), steht im Interview mit Timo Schmitt für die Phase 2 Rede und Antwort über aktuelle und historische Aspekte des Anarchismus sowie über Chancen und Fallen zeitgenössischer feministischer Gewerkschaftsarbeit.

Phase 2: Ein flüchtiger Blick in die anarchistische Geschichtsschreibung reicht oft schon aus, um den Eindruck zu bekommen, der Anarchismus sei eine eher männlich dominierte Bewegung.

Julia Hermann: Der Anarchismus ist sehr männerdominiert, wobei es immer auch Frauen gab, die große und wichtige Rollen gespielt haben, angefangen bei Louise Michel über Emma Goldman bis hin zu der modernen Riot Grrrl-Bewegung, die verständlicherweise ohne männliche Mitglieder auskam. Auch in der Geschichte der Bewegung gab es schon immer viele wichtige Frauen neben ideengeschichtlichen Taktgebern wie Kropotkin, Bakunin, Rudolf Rocker und anderen, die sich nicht nur im Hintergrund bewegten oder sich mit der Rolle als unterstützende Partnerin zufriedengaben. Gerade in den Gewerkschaften waren es Frauen, die an vorderster Front gekämpft haben. Dass deren Namen, wie z.B. Milli Rocker, weithin in Vergessenheit geraten sind, ist ein anderes Problem, das nicht den anarchistischen und anarchosyndikalistischen Bewegungen zugeschrieben werden darf.

Phase 2: Sondern wem?

Julia Hermann: Es entsteht der Eindruck, dass es gerade in den letzten 15 Jahren noch mal einen inhaltlichen Swing gegeben hat. Linksradikale Gruppen weltweit werden danach bewertet, wie ihre Einstellung zu Frauen ist. Ich erinnere da zum Beispiel die Postfordistische Guerilla. Es wurde hier genau geguckt, wie die Einstellung militanter Gruppen zur feministischen Frage ist. Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) wurde  besonders hervorgehoben, weil dort Frauen im bewaffneten Kampf, also tatsächlich in eine militärische Struktur, eingebunden sind. Wir sehen heute, dass eine Delegation von David Graeber und Janet Biehl in die kurdischen Gebiete der Türkei und Syriens fährt und sich anguckt, wie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), bzw. ihr syrischer Ableger, sich organisiert. Das interessiert, denn die PKK hat jetzt, nachdem ihr Führer, Abdullah Öcalan, im Gefängnis die Schriften des amerikanischen Anarchisten Murray Bookchin gelesen und zur neuen Linie erklärt hat, eine basisdemokratische Kehrtwende vollzogen. Dass Frauen in der PKK schon immer gekämpft haben, das ist ja das eine, aber dass es jetzt auch noch mal gesamtgesellschaftlich auf einer anderen Ebene stattfinden soll, das wollen sich jetzt eben auch mal bekannte AnarchistInnen vor Ort angucken und deswegen fahren die dorthin. Und ich glaube diesen Swing, von dem ich eben gesprochen habe, den gibt es tatsächlich, weil die Fortschrittlichkeit einer Bewegung daran gemessen wird, wie Frauen darin gestellt sind. Und das ist auch in der anarchistischen Szene ein bisschen was Neues. Ein kritischer Blick auf die weniger anarchistischen Ziele dieser nationalen Befreiungsbewegungen geht dabei leider manchmal verloren – aber das steht auf einem anderen Blatt.

Phase 2: Wie verhält es sich mit der Radikalität, die dem geläufigen Bild der AnarchistInnen anhaftet? Lässt sich das einfach auf den Anarchosyndikalismus übertragen? Worin besteht dessen »Radikalität«?

Julia Hermann: Der Anarchosyndikalismus ist die gewerkschaftliche Form des Anarchismus: der Versuch, herrschaftsfrei und selbstverwaltet wirksame Gewerkschaftsarbeit zu leisten.

Ich glaube die Radikalität im Anarchosyndikalismus ist tatsächlich in der Selbstorganisation zu sehen. Also die Tatsache, dass es eine nicht von außen kontrollierbare Gewerkschaft ist, die zu keinem sozialen Frieden gezwungen werden kann und wo nicht der Gewerkschaftsboss hingehen und sagen kann: So, der Streik ist jetzt abgeblasen. Das macht ja tatsächlich die Sprengkraft, Radikalität und Gefährlichkeit dieser Gewerkschaft aus und schützt auch vor reformistischen Strömungen.

Phase 2: Seit wann gibt es den Anarchosyndikalismus in Deutschland? Wie alt ist die FAU?

Julia Hermann: Die Freie Arbeiter-Union Deutschland (FAUD) wurde 1919 gegründet und existierte als solche bis zu ihrem Verbot 1933. Die FAU in ihrer heutigen Gestalt gibt es seit 1977 in Westdeutschland, später nach der Wende auch in Ostdeutschland, und sieht sich selbstverständlich in der Tradition der FAUD. Sie knüpft damit an die traditionelle syndikalistische Bewegung an und bezieht sich weiterhin direkt auf die FAUD. Dort gab es zu einem relativ frühen Zeitpunkt den Syndikalistischen Frauenbund (SFB), unter anderem von Milly Witkop-Rocker ins Leben gerufen. Der SFB hat sich bereits in den frühen zwanziger Jahren mit Themen beschäftigt, die heute unter dem Begriff der Care-Arbeit gefasst würden, und damit sehr früh eine avantgardistische Position bezogen. Es ging damals schon um mehr als um eine Mobilisierung lohnarbeitender Frauen für Revolution und Streik.

Phase 2: Heute jedenfalls gibt es keine größere eigenständige syndikalistische Frauenorganisation.

Julia Hermann: Der SFB war keine außenstehende oder autonome Gruppe, sondern in die FAUD integriert, agierte also innerhalb dieser. Und dadurch ergab sich, dass auch innerhalb der FAUD für die SFB geworben wurde. In der FAU verhält es sich heute so, dass sich feministische Positionen unter alle anderen Forderungen gerade im Sinne einer allgemeinen Herrschaftsfreiheit subsumieren lassen. Es gibt in den einzelnen Syndikaten Gruppen, die sich speziell mit Gender-Themen auseinandersetzen und die sich natürlich auch besonders mit der Frage »Was bedeutet Lohnarbeit für Frauen?« beschäftigen.

Phase 2: Wie schätzt Du die strukturelle Bedeutung feministischer Forderungen und Positionen innerhalb der FAU Berlin oder in der deutschlandweiten Dachorganisation FAU ein?

Julia Hermann: Die einzelnen Syndikate unterscheiden sich sehr und deshalb ist eine verallgemeinerte Einschätzung dieser Frage sehr schwierig. In Berlin etwa spielen diese Themen noch eine untergeordnete Rolle, aber es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass das Interesse kontinuierlich zunimmt. Es wurde eine Gender AG eingerichtet, wir haben uns mit der Fragestellung, inwiefern Frauen von Herrschaftsverhältnissen als Lohnarbeiterinnen betroffen sind, beschäftigt, haben dazu Workshops veranstaltet und Publikationen herausgegeben. Außerdem beraten wir Frauen, wenn sie aufgrund von sexueller Belästigung oder Diskriminierung am Arbeitsplatz zu uns kommen.

Zum einen können wir juristisch beraten und Hilfestellung leisten. Wir stellen bei Bedarf Anwälte zur Verfügung, ähnlich wie es etwa in der Beratung von Mobbingopfern oder anderen arbeitsrechtlichen Problemlagen geschieht. Zusätzlich muss die Situation in ihrer Besonderheit analysiert werden, um zu schauen: Wie kann die betroffene Person in ihrem Umfeld Unterstützung organisieren und welche Möglichkeiten gibt es, die Situation zu ihrem Gunsten zu verändern. Direkte Aktionen im Betrieb kämen da beispielsweise infrage.

Zur Frage, ob es sich hierbei um ein strukturelles Problem handelt: In einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft treffen zwei Strömungen aufeinander, die beide sehr androzentrisch sind. Nämlich einerseits die anarchistische, linksradikale Bewegung, und auf der anderen Seite die Gewerkschaftsbewegung, also eine Bewegung, die sich jahrzehntelang an Industriearbeiter, also männliche Normalarbeiter, gerichtet hat. Diese Bewegung ist heute mit der Herausforderung konfrontiert, dass es einen höheren Anteil an Frauen gibt, die oft in atypischen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, und somit nicht in das Bild des »normalen« Angestellten passen, sondern eher einer prekären Beschäftigung nachgehen. Die Situation hat sich für klassische Gewerkschaftsarbeit also von Grund auf verändert. Ich glaube, dass die FAU als kleine, wendige Basisgewerkschaft einen besonderen Vorteil hat, weil sie in der Lage ist, auf eine solche Situation schneller und angemessener einzugehen.

Phase 2: Damit sprichst Du einen aktuellen Widerspruch in der gewerkschaftlichen Arbeit an: Viele Menschen, die sich nach Unterstützung sehnen, arbeiten sozial isoliert, sozusagen als atomisierte ArbeiterInnen. Welche Möglichkeiten existieren, solche Gruppen überhaupt zu erreichen?

Julia Hermann: Die erreichen uns. Es ist nicht so sehr unser Ziel, Gruppen aufzuspüren und zu organisieren, sondern es geht ja darum, dass Leute, die selbst in so einer Situation sind, darauf aufmerksam werden, dass es Möglichkeiten gibt, sich zu organisieren und ihre Situation selbstbestimmt zu verbessern. Wir unterstützen dann, indem wir helfen, zu organisieren. Jüngst ist das in Berlin geschehen: Rumänische Bauarbeiter, die am Bau der Mall of Berlin mitgewirkt hatten, wurden nicht bezahlt. Daraufhin sind sie in die FAU eingetreten und engagieren sich jetzt gewerkschaftlich für die Auszahlung ihres Lohns. Ein gutes Beispiel übrigens, wie sich ultraprekär Beschäftigte effektiv organisieren können.

Das ist ein Punkt, der uns als selbstverwaltete Organisation gegenüber Organisationen, die nach dem Top-down-Prinzip funktionieren, auszeichnet. Es wird keinE OrganisatorIn benötigt, um die Leute zum Protest anzuleiten, sondern der Prozess wird basisdemokratisch entschieden und geleitet. Deshalb gibt es in unserer Gewerkschaft keinen Chef, genauso wie wir in unserem alltäglichen Arbeitsleben am liebsten keine Chefs haben wollen.

Phase 2: In diesem Beispiel geht es um rumänische Bauarbeiter. Gibt es derzeit gewerkschaftliche Kämpfe, die sich explizit für Frauen einsetzen?

Julia Hermann: Im Moment nicht. Wir hören in den Workshops immer von Einzelfällen, wo Frauen am Arbeitsplatz negative Erfahrungen machen. Daraus konnte sich bislang kein breiter Arbeitskampf entwickeln. Eine solche Erwartung fußt meiner Meinung nach auf einer falschen Vorstellung von gewerkschaftlicher Arbeit. Der Arbeitskampf ist ja nur die Spitze des Eisberges, was schließlich in der Öffentlichkeit publik wird. Aber viel passiert im Innern: in den Betriebsgruppen, in den Betrieben selbst. Und das ist ein langwieriger Prozess.

Phase 2: Anders als vielleicht vorgestellt, gestaltet sich die Arbeit und die Beratung also viel kleinteiliger. Ihr versucht gar nicht unbedingt, einzelne Leute in großen Gruppen zu organisieren? Ich denke da an das Beispiel der prekär beschäftigten Frau, oder die Hausfrau, die harte Reproduktionsarbeit leistet, aber nicht gerade die klassische Klientin der Gewerkschaften darstellt.

Julia Hermann: Das ist ein wirklich sehr gutes Beispiel, weil natürlich die Arbeit in der Gewerkschaft sich meistens an den Arbeitgeber richtet. Einen Arbeitgeber der Hausfrau, oder der Familie, den gibt es so natürlich nicht. Und die Hausfrau kann sich ihrer Arbeit viel schlechter verweigern oder gar streiken: Das Kind muss vom Kindergarten abgeholt werden. Das heißt, für eine ganz klassische gewerkschaftliche Arbeit ist es natürlich aus verschiedenen Gründen besonders schwierig, unbezahlte Care-Arbeit zu organisieren. Das ist eine Wunschvorstellung, aber es funktioniert nicht. Die anarchosyndikalistische Tradition hingegen und auch der Syndikalistische Frauenbund hat eher immer die Position starkgemacht, dass es ein gesellschaftliches Umdenken geben muss, in Bezug auf die Bewertung von Care-Arbeit. Dabei handelt es sich nicht um die Forderung nach Bezahlung von Care-Arbeit, sie muss aber anders verteilt werden, die Care-Arbeit darf nicht alleinige Sache der Frau sein. Es handelt sich also um Aufklärungsarbeit. Auch hierin unterscheidet sich der Anarchosyndikalismus von einer ganz normalen bürgerlichen Gewerkschaftsarbeit, weil es eine gesellschaftliche Utopie gibt, die hinter der gewerkschaftlichen Arbeit steht. So ist die Abschaffung von Herrschaftsverhältnissen eine Idee, die nicht einfach nur am Arbeitsplatz durchgesetzt werden sollte und wird, sondern es ist eine gesellschaftliche Utopie, die auch außerhalb der Arbeit verwirklicht werden muss. Einen pragmatischen Ansatz, der in diese Richtung zielt, verfolgte der SFB in den Zwanzigern: Die haben die USA als leuchtendes Beispiel benannt, weil dort Zentralheizung und elektrische Geräte eine Erleichterung für Hausfrauen erreichen konnte, während sich die Proletarierfrau in Deutschland mit mühseliger Handarbeit verausgabte. Diese progressive Einstellung galt damals als essenziell für den voranschreitenden Feminismus, übrigens im Gegensatz zu den in den Siebzigern populären ökofeministischen Strömungen.

Dennoch ist damit nur ein Widerspruch unter vielen benannt. Weitere Vorwürfe gegenüber solchen »weißen« feministischen Positionen lauteten, dass andere Unterdrückungsformen wie Rassismus oder Klassismus ignoriert würden.

So sind Positionen des Black Feminism in der deutschen anarchosyndikalistischen Bewegung kaum präsent, sie spielen genau genommen gar keine Rolle. Die dezidiert feministischen Positionen der zwanziger Jahre hatten Rassismus noch gar nicht auf dem Schirm. Und die antirassistischen Positionen der FAU nach 1977 vermischen sich wiederum auf andere Art und Weise nicht mit den feministischen Forderungen. Das liegt glaube ich daran, dass Critical Whiteness ein relativ neuer Diskurs in Europa ist. In der anarchistischen Bewegung kommt die Debatte erst allmählich an. In der alltäglichen gewerkschaftlichen Praxis ist Rassismus natürlich ein Thema, aber der eher akademische Critical-Whiteness-Ansatz im eigentlichen Sinne nicht.

Phase 2: In dieser Hinsicht gibt es also deiner Meinung nach noch viel Vermittlungsarbeit zu tun. Gilt dasselbe für feministische Forderungen? Was muss in dieser Hinsicht noch getan werden?

Julia Hermann: Ich glaube, was eine Gewerkschaft leisten muss, ist eine vernünftige antipatriarchale Analyse zu haben von dem, was weibliche Arbeitskraft bedeutet, wo die zu finden ist, was die Spezifika daran sind, um sich diesbezüglich besser organisieren zu können. Also natürlich solche Fragen wie Familie, Reproduktion und Care-Arbeit weiter in den Vordergrund zu stellen, aber dabei auch nicht zu vergessen, dass es eben eine Diskussion ist, die nicht nur am Arbeitsplatz geführt werden kann. Hier kann hilfreich sein, auf die fortschrittlichen Forderungen der FAUD zurückzukommen und eine gesellschaftliche Utopie in Aussicht zu stellen. Die Frage, wie sich Frauen am Arbeitsplatz organisieren und wie die Anarchistinnen agieren können, hat natürlich damit zu tun, welche Möglichkeiten sie in ihren Bezugsgruppen haben, und das meint nicht nur familiäre, sondern auch Freundschaftsgruppen. Ein Gewerkschaftsansatz ist dann emanzipatorisch, wenn er seinen Blickwinkel über den Arbeitsplatz hinaus erweitert.

Phase 2: Gibt es hierfür ein historisches Beispiel?

Julia Hermann: Im Spanischen Bürgerkrieg gab es eigenständige und autonome Frauenorganisationen. Anarchistinnen haben sich dort extra organisiert: Hervorzuheben sind da die mujeres libres – freie Frauen –, deren Organisation in den späten dreißiger Jahren 30.000 Mitglieder umfasst hat. Eine auch für heutige Verhältnisse große feministische Organisation, die aber hauptsächlich Bildungsarbeit geleistet hat. Deren Ansatz war es Frauen zu bilden, Alphabetisierung voranzutreiben, aber auch berufliche Weiterbildung vorzunehmen, damit Frauen eine andere Möglichkeit haben dieses neue Spanien mit aufzubauen.

Phase 2: Wie stehen anarchosyndikalistische Gruppen in Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarn da, insbesondere was die Durchsetzung und Thematisierung feministischer Positionen angeht? Gibt es bei der FAU Bestrebungen, sich mit anderen Dachgewerkschaften zu vernetzen und auszutauschen?

Julia Hermann: Wir haben Austausch mit anderen anarchosyndikalistischen oder syndikalistischen Gewerkschaften zu dem Thema. Die schwedische Sverige Arbetares Centralorganisation (SAC) hat beispielsweise sehr viel dazu gearbeitet. Diesen Austausch gibt es schon, der ist aber nicht so groß angelegt und auch nicht Teil der Organisationsstruktur. Damals wie heute ist es nicht der Schwerpunkt, geschlechtsspezifische Projekte voranzutreiben. Das ist damals wie heute ein Stein im Weg von solchen Bestrebungen, das ist ganz klar, aber ich glaube, dass Deutschland da auch nicht weiter hinterherhinkt als andere Länder, weder in der anarchosyndikalistischen Szene noch in der restlichen Gewerkschaftsszene. Es gibt Länder, die ein bisschen hervorstechen, z. B. die SAC in Schweden. Genauso gibt es Gewerkschaften in anderen europäischen Ländern, die das Thema total negieren, oder es hinausschieben, im Sinne von: »Wenn wir erst mal alle Herrschaftsverhältnisse abgeschafft haben, dann erledigt sich das mit dem Patriarchat eben auch von alleine.« Und das ist ja der Klassiker: Sexismus und Patriarchat werden zum Nebenwiderspruch degradiert und als guter Anarcho kann sich dann auf die Fahne geschrieben werden, dass dieser Widerspruch nach der Revolution mit einem Abwasch erledigt wird.

Phase 2: Es könnte also gefragt werden, ob die Nebenwiderspruchsthese Ausdruck einer utopistischen Ideologie ist, man also im Gedanken an die herrschaftsfreie Welt die Widersprüche im »Kleinen«, sprich in der täglichen, oft mühseligen Arbeit ignoriert.

Julia Hermann: Wahrscheinlich ist das ein Ausdruck einer männerdominierten Politszene. Bei der FAU ist das eher nicht der Fall. Dadurch, dass die FAU im Gegensatz zu kleinen Anarchogrüppchen nicht unmittelbar die Revolution plant, sondern erst mal die konkrete Arbeit in den Vordergrund stellt und sich in erster Linie als Gewerkschaft sieht, ist auch die Gefahr eines abgehobenen Utopismus nicht da.

Phase 2: Vielen Dank für das Interview.