Das nächste Opfer des §129a

Pauschal und nach Gesinnung basteln sich Sachsen-Anhaltinische Staatshüter ein neues Objekt der Begierde

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»...sie legten mich in Handschellen, verbanden mir die Augen, setzten mich ins Auto und brausten los.« So endete am 27. November 2002 der Gang zum Bäcker für Marco H., einen der Betroffenen im Magdeburger §129a-Verfahren. Verdachtsmoment gegen ihn: Sein enger Kontakt mit Daniel W., der zeitgleich in Quedlinburg verhaftet wurde, während man ihre Wohnungen und die von mehreren Bekannten durchsuchen ließ. Am 1. April 2003 razzten die Behörden mehrere Wohnungen in Magdeburg sowie das AJZ in Dessau. Gut zwei Wochen später schlug die Bundesanwaltschaft schließlich mit der dritten Verhaftung zu und präsentierte damit das zur Konstruktion einer »terroristischen Vereinigung« noch fehlende Mitglied. Der Vorwurf an die Beschuldigten lautet, Mitglieder des »Kommandos Freilassung aller politischen Gefangenen« zu sein. Dieses hatte sich im März 2002 zu zwei versuchten Brandanschlägen bekannt. Der eine, ein Brandsatz unter einem geparkten BGS-Bus, schlug fehl, der andere verursachte an der Fassade des Magdeburger Landeskriminalamts geringe Sachschäden. Auf der Außenseite des Pakets mit dem nicht gezündeten Brandsatz fanden die Ermittler angeblich genau einen Fingerabdruck Daniel W.s. Es folgten umfangreiche Observationen in seinem Umfeld, die linke Szene der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt wurde ein halbes Jahr lang gründlich durchleuchtet. Am 1. September 2002 kam es zur Räumung des linken Wohn- und Kulturprojekts »Ulrike« – unter BKA-Beteiligung, wie Beobachter anhand des für solche Fälle atypischen Vorgehens der Beamten einschätzten. Die Beweise machen auch nach den Verhaftungen und Durchsuchungen einen schwachen Eindruck. Eine Flachbatterie, eine Fahrradglühbirne und Reste von Knallkörpern wurden für die Bundesanwaltschaft zu Material für die Produktion »unkonventioneller Spreng- und Brandvorrichtungen«. Spätestens seit April diesen Jahres vertritt die Behörde nun die Ansicht, das »Kommando« hätte auch unter anderen Namen noch weitere Anschläge verübt. Etwa als »Revolutionäre Aktion Carlo Giuliani« auf eine Daimler-Chrysler-Filiale und als »Kommando Globaler Widerstand« gegen zwei Telekom-Fahrzeuge in Magdeburg. Der Ermittlungsdruck ist hoch, die Aktionen der letzten Monate erscheinen deshalb beinahe verzweifelt: Die Durchsuchung des Dessauer AZ’ rechtfertigte das BKA mit einem Hinweis aus einem anonymen Brief, »die Magdeburger hätten dort Kisten eingelagert«. Gefunden wurde jedoch nichts. Und als »dritten Mann« einen öffentlich bekannten Aktivisten der linken Szene in Magdeburg zu verhaften, einen Tag, nachdem dieser auf einer Pressekonferenz zur Lage des Verfahrens aufgetreten war, sieht dann doch zu offen nach politischer Repression statt nach Terroristenfahndung aus. Nicht umsonst ist §129a StGB seit seiner Einführung 1976 als Repressions- und Observationsinstrument gegen die Linke berüchtigt. Nur drei Prozent aller Verfahren führten überhaupt zu Verurteilungen, in der Regel standen legale linke Gruppen im Visier. Die Folgen für die jeweilige Gruppe und Stadt waren meist verheerend. In Magdeburg sahen die Betroffenen das Verfahren anfangs nur als Krönung einer ganzen Reihe von repressiven Maßnahmen gegen die linke Szene. Mittlerweile zeichnet sich eher das umgekehrte Bild ab – die 129a-Ermittlungen waren der Motor der zunehmenden Repression. Hauptziel der Ermittler ist auch in Magdeburg die Arbeit politischer Gruppen. Eine dieser Gruppen wurde bereits öffentlich als Hort und Grundlage für die »terroristischen« Bestrebungen denunziert. Und auch in diesem Verfahren gilt wieder: Eine Verurteilung ist mehr als unwahrscheinlich. Aber die massive Überwachung der Magdeburger Szene, die massive Einschüchterung durch die Verhaftungen und die teilweise rüden Ermittlungsmethoden sind für die Sicherheitsbehörden Erfolg genug. Nach Einschätzung der Soligruppe Magdeburg-Quedlinburg »erstrecken sich die Observationen und Ausforschungen wahrscheinlich über alle aktiven linken Magdeburger Jugend-Gruppen«. Diese sehen sich nun vor der schwierigen Aufgabe, die durch den Druck erzeugte Lähmung wieder zu überwinden. Die Aufgabe ist aber nicht nur ihnen gestellt: Neben dem Magdeburger 129a-Verfahren laufen bundesweit derzeit 59 weitere. Jüngstes Bedrohungsszenario der Bundesanwaltschaft: Eine angeblich bundesweit Brandanschläge verübende »militante gruppe«.

Lucy Sandberg