Den Shah loswerden und die Mullahs bekommen

Wie eine erfolgreiche Revolution der Emanzipation im Weg steht

Frank-Walter Steinmeier gratuliert am 21. Februar 2019 den Machthabern im Iran zu 40 Jahren »erfolgreicher Revolution«. Diese Revolution bedeutet für die iranische Bevölkerung: 40 Jahre Terror, Unterdrückung und Gewalt. In den ersten drei Monaten des Jahres 1979 zerschlugen sich die Emanzipationshoffnungen der Menschen, die für Veränderung gekämpftDie besten Informationen kommen von Vlogs oder Social-Media, etwa unter Hashtags wie #GirlsOfRevolutionStreet oder #dancingisnotacrime hatten und nicht für die Fortsetzung eines repressiven Regimes. Am 16. Januar 1979 floh Diktator Shah Mohammad Reza Pahlavi nach jahrelangen Protesten, woraufhin am 1. Februar Ajatollah Ruhollah Musawi Khomeini aus dem Exil nach Teheran zurückkehrte. Zehn Tage später brach das Regime des Shah endgültig zusammen. Nachdem Khomeini-treue Revolutionskomitees die Macht übernahmen, rief Khomeini am 1. April die islamische Republik Iran aus, wie sie bis heute besteht.

Fast forward to 2009. Mahmud Ahmadinedschad, Khomeini-treuer politischer Fundamentalist gewann die Präsidentschaftswahlen. Seine Gegenkandidaten warfen ihm und seiner Regierung massiven Wahlbetrug vor. Es entstanden die größten Massenproteste im Iran seit der Islamischen Revolution 1979. Die sogenannte »Grüne Revolution« forderte zwar Neuwahlen, aber kaum nachhaltige Veränderungen. Während sich der erzkonservative religiöse Wächterrat und der Revolutionsführer hinter Ahmadinedschad stellten, wurden die Proteste brutal niedergeschlagen.

Noch immer wird im Iran vehement für bessere Lebensumstände gekämpft. Westliche Medien üben sich derweil in Ignoranz und berichten nur dann über den Iran, wenn es um wirtschaftliche Sanktionen, drohende Interventionen oder brennende US-Flaggen geht.

Während die erste, die Islamische Revolution gelingt, scheitert die zweite, die Grüne Revolution. Wie kann man die gegenwärtigen Proteste vor dem Hintergrund der Revolutionen 1979 und 2009 deuten? Legt man als Maßstab für die Revolution ihr Potential zur Befreiung an, dann sind beide Revolutionen gescheitert. Muss man dem Iran nun eine Entwicklung nach westlichem Vorbild wünschen oder ist Emanzipation nur durch eine revolutionäre Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu haben?

Der Iran vor 1979

Die iranische Gesellschaft vor 1979 war geprägt von großer Armut, einem katastrophalen Gesundheitssystem und einem Bildungssystem, das die Grenzen zwischen Arm und Reich verfestigte. Auch außenpolitisch war die Lage für den Iran angespannt. Im Kalten Krieg war das Land durch seinen Rohstoffreichtum geopolitisch von großem Interesse. Der Shah positionierte den Iran an der Seite der USA und als Bündnispartner des Westens. Antikommunismus war staatstragende Ideologie.

Unmittelbar vor der Revolution besaß der Iran die fünftgrößte Armee der Welt. Der Geheimdienst SAVAK, der vielfach als »äußert kompetent beschrieben wurde, vor allem in dem Sinne, »alle IranerInnen im Auge zu behalten«, kontrollierte das Land. So beschreibt der Historiker Ervand Abrahamian diese Zeit treffend als Orwellianische Umgebung, in der es nicht erlaubt war, den Namen Karl Marx auch nur auszusprechen.

Das prä-revolutionäre Staatsgefüge des Iran war ein Kompromiss zwischen westlich orientierten Kräften und dem religiösen Lager, angeführt durch einen Vertreter des Königshauses. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass, so will es die Tradition, das Staatsoberhaupt zugleich als Beschützer des schiitischen Islam fungiert. Dieses Selbstverständnis geht zurück auf die Etablierung des Schiismus als Staatsreligion im 15. Jahrhundert. Trotz seiner vermeintlich säkularen Einstellung hatte auch Shah Mohammad Reza Pahlavi diese religiöse Funktion inne.

Khomeini als religiöser Führer

Ajatollah Ruhollah Musawi Khomeini gilt als zentrale Figur der iranischen Revolution. Er trat bereits zu Beginn der 60er Jahre als Gegner des Shahs Pahlavi in Erscheinung, dessen Regierung ihm zu westlich orientiert, zu säkular und zu pro-amerikanisch war. Khomeini wollte einen islamisch dominierten Staat. Als er am 3. Juni 1963 in der Stadt Qom den Shah öffentlich angriff, wurde er zum wiederholten Mal verhaftet. Seine AnhängerInnen antworteten mit Massenprotesten, die blutig niedergeschlagen wurden. Diese Proteste waren seit langem die ersten und bis 1978 die letzten, etablierten aber Khomeini in seiner Rolle als religiösen Führer über seine Exilierung im Jahr 1964 hinaus.

Durch seinen Erfolg als Anführer der islamischen Revolution wirkt es in der Rückschau als sei Khomeini der allein agierende Protagonist der religiösen Opposition gewesen. Dabei gab es neben der von ihm geführten militanten Strömung, der »Vereinigung der kämpfenden Geistlichkeit«, mit der Ulamā ein religiöses Establishment, welches sich vor allem um die Basar-Gemeinschaften formierte. Die Ulamā verwehrte sich zunächst einer Beteiligung am Politischen, um sich auf die Religion zu konzentrieren. Davon rückte sie ab, als das Regime im Kampf gegen die Inflation auch gegen die Basare als Orte religiösen und wirtschaftlichen Lebens vorging.

Die linke Opposition

Ist von der islamischen Revolution die Rede, wird diese nicht selten als »verratenene Revolution« bezeichnet. Während es einfach erscheint, die Frage »Wer hat uns verraten?« zu beantworten, ist es weniger einfach, auszumachen, wer die TrägerInnen dieser verratenen Emanzipationshoffnungen gewesen sein sollen. Wie vielerorts auf der Welt begeisterten auch im Iran in den siebziger Jahren marxistische Theoriekonzepte besonders die Studierenden an den Universitäten. Es bildeten sich marxistische Gruppierungen heraus, die sich teilweise zu Guerillagruppen entwickelten und die von Anfang an darum stritten, wie viel Religion in einer marxistischen Gruppe angemessen sei. Die bekanntesten VertreterInnen dieser Bewegungen sind bis heute die »Volksmudschahedin«. Eine deutliche Abgrenzung der MarxistInnen gegenüber religiösen Gruppen blieb in der Regel jedoch aus. Insgesamt koexistierten in der linken Opposition streng marxistische mit eher religiös geprägten Gruppen. Beide waren sich mindestens in ihrer Ablehnung des Shah-Regimes und ihrem Antiimperialismus einig.

Die Bedeutung, die den Guerilla- oder Untergrundgruppen zugemessen werden muss, resultiert nicht zuletzt aus der Schwäche der marxistisch-leninistischen Tudeh-Partei, die in den vierziger Jahren eine Massenorganisation war, bevor sie 1949 verboten wurde. Die massive Repression gegen Angehörige dieser Partei und nahestehende Gewerkschaften verhinderte, dass sie eine dominierende Rolle in der Linken einnehmen konnte. Auch sie kämpfte gegen den Shah mit dem Ziel einer demokratischen Republik als Zwischenschritt zu einer sozialistischen Gesell-

schaft.

Die revolutionären Ereignisse

Am Beginn der Revolution steht eine Reihe blutiger Proteste. Den Anfang macht eine Massendemonstration in Qom im Januar 1978. Ausgelöst wurde diese durch einen regimetreuen Zeitungsartikel, in dem Khomeini vorgeworfen wurde, er arbeite mit KommunistInnen zusammen. Dieser Vorwurf war ein offenkundiger Versuch, alle oppositionellen Kräfte als »Agenten Moskaus« zu diskreditieren. Es kam zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und DemonstrantInnen. Bei den Protesten, die sich im weiteren Verlauf auch gegen die Polizeigewalt richteten, wurden immer wieder Banken, Schnapsläden oder Kinos von den Demonstrierenden attackiert, schlichtweg alles vermeintlich westlich Dekadente.

Obwohl die Proteste in der religiösen Opposition ihren Ausgangspunkt fanden, richtete sich die Reaktion der Regierung im Verlauf vor allem gegen Säkulare und Linke. Der Antikommunismus dieser Zeit traf sie mit voller Härte. Gleichzeitig versuchte das Regime, die religiöse Opposition zu beschwichtigen oder aber gar an sich zu binden.

Die Gewalt eskaliert

Die Taktik des Regimes war gezeichnet durch brutale Härte gegen Säkulare, Anbiederung beim Klerus und etwas Sozialdemokratie gegen den Hunger. Diese Strategie veränderte die Zusammensetzung der protestierenden Gruppen. Demonstrierte zunächst vor allem die religiöse Mittelklasse, so beteiligten sich später in großer Zahl (Industrie-)ArbeiterInnen an den Protesten.

Bei einer Demonstration am 22. Juli 1978 in Mashad waren erneut Todesopfer zu beklagen. Der Klerus ließ sich, trotz des Appeasements in seine Richtung, nicht vom Anti-Shah-Kurs abbringen. Auch die Härte gegenüber der weltlichen Opposition und die ökonomische Fehlplanung rief immer neue Proteste hervor. Das Regime sah sich mit zwei sehr unterschiedlichen Gruppen konfrontiert. Alle weiteren Maßnahmen des Shahs, wie etwa die Schließung von Casinos, die Abschaffung des »Ministeriums für Frauenangelegenheiten«, zielten darauf, den Klerus auf seine Seite zu ziehen, allerdings waren die Bemühungen erfolglos. Am 4. September 1978, dem Tag des Fastenbrechens nach dem Ramadan, demonstrierten im ganzen Iran Menschen für die Rückkehr Khomeinis. Die TeilnehmerInnenzahlen stiegen stetig, so dass am 7. September 1978 allein in Teheran bis zu 500.000 Menschen auf die Straße gingen. Unter den Demonstrierenden riefen auch linke StudentInnen den Namen Khomeinis, wie etwa Foucault in seinen Erinnerungen beschreibt.

»Ich bin müde und brauche eine Pause«

Die Regierung hielt mit dem Verbot jeglicher Versammlungen dagegen und verhängte den Ausnahmezustand. Am 8. September eskalierte die Situation dann endgültig. Dieser Tag ging, nicht zuletzt aufgrund der hohen Opferzahlen, als »Black Friday« in die iranische Geschichte ein. In der folgenden Zeit ebbte die Gewalt nicht mehr ab—insgesamt starben mehr als 20.000 Menschen. Als der Shah mit den Worten »Ich bin müde und brauche eine Pause« am 16. Januar 1979 floh, feierten Hunderttausende auf den Straßen.

Doch nachdem Khomeini am 1. Februar zurückkehrte, vollzog sich der Weg aus der Revolution in die neue Diktatur rasend schnell. In seiner ersten Rede erklärte er Monarchie, Parlament und Regierung für illegal und erhob den Anspruch, als religiöser Führer die Regierung zu bestimmen. Nachdem Khomeini sich der Neutralität der Armee versichert hatte, begannen am 13. Februar die Hinrichtungen ehemaliger Regime-Vertreter, also noch bevor er am 1. April nach einem gefälschten Referendum die islamische Republik ausrief. Im Sommer folgten Repressions- und Hinrichtungsaktionen gegen KritikerInnen der islamischen Republik und ehemalige Links-Oppositionelle. Im Dezember trat schließlich die theokratische Verfassung in Kraft, die auch heute noch im Iran Bestand hat. Sie konzentriert alle Macht beim Revolutionsführer und dem islamischen Wächterrat. Die Revolution hatte gesiegt, die Emanzipation war gescheitert.

Warum Khomeini siegte

Religiöser und linker Protest sind im Rückblick nur sehr schwer zu trennen. Das liegt zum einen an der Verankerung der Religion in der Gesellschaft, zum anderen an der Ablehnung des Shahs und am weit verbreiteten Antiamerikanismus. Auch die iranische Linke ist als stark heterogene »Bewegung« zu betrachten.

Heute scheint klar, wie geschickt Khomeini seine säkularen PartnerInnen über seine Ziele täuschte. So machte er sich die schiitische Tradition der Taqiyya zunutze, mit der sich der schiitische Islam jahrhundertelang vor Unterdrückung durch den sunnitischen Islam schützte. Die Taqiyya erlaubt es Schiiten, im Namen der Religion zu lügen um das eigene Überleben zu sichern. Entsprechend konnte sich Khomeini auf Marx berufen und nach der Revolution vorgeben, nichts mehr davon wissen. So gewann er die linke Opposition als Partnerin und konnte darüber hinaus auf immensen Rückhalt in der Landbevölkerung, der Mittelschicht und dem Klerus bauen.

Die Linke ging durch jahrzehntelange antikommunistische Repression geschwächt in die Auseinandersetzung mit dem Shah und um seine Nachfolge. Dennoch galt während der Revolution die Härte des Regimes vor allem den linken und säkularen Teilen der Opposition. Auch bezüglich ihrer Verankerung in die Gesellschaft und der ihnen zur Verfügung stehenden Macht- und Geldmittel war die linke Opposition gegenüber der religiösen von Anfang an im Nachteil. Die Tatsache, dass unmittelbar nach der Flucht des Shahs klerikale Revolutionskommitees die Macht auf den Straßen übernahmen und für (islamisches) Recht und (islamische) Ordnung sorgten, zeigt dies symptomatisch. Alles Säkulare, Moderne, Sozialistische war zudem in der Wahrnehmung weiter Teile der Bevölkerung doppelt negativ besetzt: mit der vom Shah praktizierten und von Khomeini als unislamisch gebrandmarkten Hinwendung zum Westen einerseits, mit dem von Regierung und Klerus als unislamisch verurteilten Staatssozialismus sowjetischer Prägung andererseits.

Die Linke war also nur gemeinsam mit Khomeini in der Lage, die Machtfrage zu stellen. Dementsprechend hatte sie keine Handhabe, nach dem Zusammenbruch des Shah-Regimes die Machtübernahme Khomeinis zu verhindern.

Ob mit der iranischen Linken von 1979 eine Revolution in befreiendem Sinne möglich gewesen wäre, ist aber ohnehin ungewiss, da sie sich neben Marx eben auch auf islamisches Recht und eine patriarchale Tradition stützte. Die Religion konnte als wesentliches ideologisches Fundament demnach weder benannt noch kritisiert werden. Neben progressiven KommunistInnen wie Mina Ahadi hatte dies ironischerweise auch der Shah erkannt, weshalb er versuchte, den Klerus zu umgarnen—genützt hat es ihm nichts.

»Bye bye Ahmadinedschad«

Nachdem es lange ruhig geblieben war, kam es 2009 erneut zu Protesten im Iran. Die als »Grüne Revolution« bezeichnete Protestbewegung, angeführt von den Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi, vereinte Menschen, die vom Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad enttäuscht waren. Beide konnten bereits vor der Wahl eine große AnhängerInnenschaft hinter sich versammeln. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Ahmadinedschad Korruption und Vetternwirtschaft angeprangert und der Bevölkerung Lebensmittel und Wohngeld versprochen. Das Resultat seiner Regierungsjahre war eine noch schlechtere wirtschaftliche Lage als zuvor. Zahlreiche männliche Anhänger Ahmadinedschads wurden mit hohen Posten ausgestattet. Nicht zuletzt soziale Bewegungen aber waren massiver Repression ausgesetzt.

Vor der Präsidentschaftswahl 2009 präsentierte Ahmadinedschad sich als einfacher Mann, der gegen das Establishment kämpfe. Damit war er bei der ärmeren Bevölkerung weiterhin erfolgreich, während er beim Bildungsbürgertum verspielt hatte. Als Ahmadinedschad bei den Wahlen die absolute Mehrheit erzielte, wurde dem Regime Wahlbetrug vorgeworfen. Es gab wochenlange Massenproteste. Dass die Wahlen manipuliert waren, war aber eher Anlass, nicht Ursache der Proteste. Vor allem im Internet äußerten IranerInnen ihren Unmut über die Regierung. Es wurde diskutiert, wie Reformen aussehen könnten, einige hegten mit Blick auf Mussawi und Karroubi sogar Hoffnungen auf eine, wie auch immer geartete, Demokratie. Da das Internet 2009 aber vor allem in (Groß-)Städten für die Mittel- und Oberschicht zugänglich war, rekrutierten sich die meisten Protestierenden aus diesen sozialen Gruppen. Sie gingen für wirtschaftliche Reformen und mehr persönliche Freiheiten auf die Straße. Auch einige linke und religiöse Revolutionäre sahen ihre Chance: Die einen wollten endlich das islamische Regime stürzen, die anderen die Ideale der islamischen Revolution 1979 erst recht verwirklicht sehen. So versammelten sich Studierende, Milizen, MärtyrerInnen-Familien, RevolutionsgegnerInnen und Leute, die vorher noch nie gewählt hatten, gemeinsam auf den Teheraner Straßen. Bei Demonstrationen und Kundgebungen hörte man Parolen wie »Bye bye Ahmadinedschad«, oder »Ich will meinen Wahlzettel zurück«.

Revolutionsführer und Wächterrat, in der islamischen Republik mächtiger als der Präsident, stellten sich schützend hinter Ahmadinedschad. Das Regime antwortete mit massiver Gewalt. Die Zahl der Toten belief sich auf eine hohe mindestens zweistellige Zahl, viele tausend Menschen wurden verhaftet und gefoltert, einige von ihnen werden bis heute vermisst. Mussawi wurde unter Hausarrest gestellt, man warf ihm Kontakte zu den USA und Europa vor. Internet und Mobilfunknetze wurden zeitweise abgeschaltet. Die Proteste dauerten über vierzehn Wochen an, wurden aber nach und nach kleiner.

Rückblickend ist vor allem die schnelle Mobilisierung tausender junger IranerInnen bemerkenswert, die trotz massiver Gewalt auf die Straße gingen. Letztlich waren ihre sehr breiten Forderungen und diversen Hoffnungen aber vermutlich für die Mehrheit der IranerInnen nicht überzeugend und anschlussfähig genug, es ihnen gleich zu tun. Die Zersplitterung der Opposition, die Tatsache, dass die Proteste in weiten Teilen ein städtisches Elitenphänomen blieben und ein aggressiv agierendes Regime, verurteilten die Bewegung zum Scheitern. Die ebenfalls stark religiöse und anti-westliche Prägung ließ zudem nahezu keinen Raum, linken, progressiven Ideen überhaupt zur Durchsetzung zu verhelfen.

Proteste seit 2017

Nach der »Grünen Revolution« wurden alle weiteren Proteste im Keim erstickt. Seit knapp eineinhalb Jahren kommt es jedoch wieder regelmäßig zu öffentlichem Widerstand, der vor allem von FeministInnen und ArbeiterInnen getragen wird.

Den Auftakt machte die Aktion Vida Mohaveds, deren Foto um die Welt ging: Sie steht unverschleiert auf einem Stromkasten in der Straße der Revolution in Teheran. Ihren Hijab hält sie zum Protest in die Luft. Das war am 27. Dezember 2017. Seitdem entwickelten sich verschiedene Bewegungen, die auf unterschiedliche Weise für die Rechte von Frauen eintreten. Die Aktion Vida Mohaveds inspirierte beispielsweise Schülerinnen und Studentinnen, die sich nun ebenfalls ohne Hijab mit dem Rücken zur Kamera fotografieren lassen. Sie zeigen dem islamischen Regime demonstrativ den Mittelfinger. Für die feministischen Proteste ist der Einfluss von Social Media enorm. Unter Hashtags wie #GirlsOfRevolutionStreet, #dancingisnotacrime oder #IranRegimeChange kursieren unzählige Posts, die die Aktionen dokumentieren. Durch die Nutzung von verbotenen Messengern wie Telegram entsteht eine breite Vernetzung auch über die Staatsgrenzen hinweg. Namenhafte Exiliranerinnen wie Masih Alinejad, Mina Ahadi und Mansoureh Shojaee unterstützen die Opposition.

Deutlicher als 2009 fordern die Protestierenden heute einen Wandel hin zu einem säkularen Staat. Es werden Parolen gerufen wie: »Reformist, Fundamentalist—Schluss damit!« oder »Reformisten und Konservative—das Spiel ist aus!« War das 2009 noch undenkbar, so werden heute religiöse Institutionen als Ort des Protests genutzt. Bei den Freitagsgebeten etwa versammeln sich Menschen und drehen den Mullahs demonstrativ den Rücken zu.

Auch der Widerstand von Seiten der ArbeiterInnen wächst. So streikten in den vergangenen Monaten bereits LKW-FahrerInnen, StahlarbeiterInnen, KrankenpflegerInnen und ÖlindustriearbeiterInnen. Durch Privatisierungen, Korruption und Sanktionen des Westens ist ihre Situation desaströs. Die Iranische Wirtschaft ist zudem vorrangig im Besitz religiöser Stiftungen, die große Teile der Profitmasse abschöpfen, während unabhängige Gewerkschaften grundsätzlich verboten sind und kein Streikrecht existiert. Die jüngsten Proteste richteten sich zunächst vor allem gegen zu niedrige oder oftmals gar nicht gezahlte Löhne und die Inflation. Sie entwickelten sich jedoch schnell zu Protesten für die Freiheit und gegen das iranische Regime. Auffällig ist, dass die Demonstrierenden sich nicht gegen den »imperialistischen Westen« und amerikanische Sanktionen, sondern gegen die Wirtschaftspolitik der iranischen Führung und die grassierende Korruption richten.

Zwei prominente Beispiele der vergangenen Monate sind die Proteste der ArbeiterInnen der »Haft Tappeh Sugarcane Company« und der »National Steel Company«. Um ihre Ausbreitung zu verhindern, reagierten die Sicherheitskräfte mit konsequenten Verhaftungen ihrer OrganisatorInnen. So wurde Esmail Bakhshi—ein prominenter Aktivist für Arbeitsrechte—inhaftiert. Er berichtete nach seiner Freilassung öffentlich über die Haftbedingungen: Folter, Missbrauch und Prügel. Ein medialer Aufschrei war die Konsequenz. Aufgrund der Verbreitung der Stimmen ehemaliger Inhaftierter über soziale Medien und omnipräsenter Repressionsdrohungen zum Trotz erscheint der selbstorganisierte ArbeiterInnenprotest ungebrochen.

Eine breite Opposition—anders als 2009

Für die Tragweite der gegenwärtigen Proteste ist der Bezug der verschiedenen Strömungen zueinander besonders relevant. Sie überschneiden sich in ihren Forderungen nach Gleich- bzw. Besserstellung der Frau, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und einer Verbesserung der ökonomischen Situation von ArbeiterInnen und Angestellten. Die Protestierenden gehören zudem unterschiedlichsten sozialen Schichten an. Die aktuellen Proteste unterscheiden sich darin deutlich von denen im Jahr 2009. Zudem wenden sie sich nicht nur gegen die Regierung, sondern mit Wächterrat und Revolutionsführer gegen den Kern der islamischen Revolution. Anders als 2009 findet aber keine nennenswerte Massenmobilisierung auf der Straße statt. Beides führt dazu, dass die Proteste wesentlich dezentraler organisiert sind als es seit 1979 je der Fall war. So sind sie schwieriger durch einzelne Repressionsmaßnahmen zu zerschlagen. Zugleich hat das iranische Regime einen Teil seiner Legitimation bei den Menschen eingebüßt, die es 2009 noch unterstützt hatten. Unabhängig davon, ob nun ein religiöser Hardliner, der sich als einfacher Mann geriert (Ahmadinedschad) oder ein als vermeintlicher Reformer gefeierter Präsident (Ro-hani) das Land regiert, scheint sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass Unfreiheit, Prekarisierung und Ungleichheit fortbestehen. Die Ursache dafür ist die Verfassung der islamischen Republik.

Emanzipation oder Barbarei!

Es ist durchaus möglich, im Iran zu leben ohne dau-

erhaften Repressionen ausgesetzt zu sein. Das geht aber nur, solange man nicht politisch aktiv ist oder mit dem islamischen Regime in Konflikt gerät. Andernfalls schlägt es nach wie vor mit seiner vollen Härte zurück. Verfassung und Politik der islamischen Republik sind menschenfeindlich—nach innen wie nach außen, denn vom Atomprogramm und der andauernden Vernichtungsdrohung gegen Israel haben wir hier nicht gesprochen. Beides, Repression und Vernichtungsdrohung, wird man in einem System, in dem die Bewahrung der Grundsätze der islamischen Revolution oberste Staatsräson ist, nie beenden. Die Mullahs müssen also weg. Aber wie?

1979 zeigt deutlich: Eine gewaltsame Revolution kann ein repressives Regime durch ein noch repressiveres ersetzen und so aus emanzipatorischer Sicht völlig wirkungslos bleiben. Gleichzeitig führen gewaltsame Proteste gegen ein mit aller Härte unterdrückendes Regime nicht zwangsläufig zum Erfolg: das zeigt uns 2009. Im Gegenteil, sie sind schnell extremen Gewaltmaßnahmen des Staates ausgesetzt. Unsere Hoffnung, die Mullahs könnten in einer einzigen revolutionären Welle weggefegt und wenigstens durch eine kapitalistische Demokratie nach westlichem Vorbild ersetzt werden, ist nahe Null. Von einer befreiten Gesellschaft und dem guten Leben ganz zu Schweigen.

Wir sind allerdings auch nicht vollkommen hoffnungslos. Anders als 2009 sehen wir heute einen dezentralen Protest, dessen Zustimmung in den letzten Jahren gewachsen ist. Führten radikale Forderungen 2009 noch zur Abkehr vieler Menschen von den Protesten, scheint die Unzufriedenheit seitdem immens gewachsen zu sein. Die Erkenntnis, dass punktuelle Reformen keine Verbesserung bringen, ist bei vielen angekommen. Das zeigt sich auch daran, dass die aktuellen Proteste vor allem von feministischen Bewegungen initiiert wurden. Ohne die sowohl von IranerInnen als auch von westlichen FeministInnen und Regierungen geteilte Erkenntnis, dass Misogynie nicht lediglich eine Begleiterscheinung des Regimes darstellt, sondern diesem inhärent ist, ist aus unserer Sicht ein erfolgreicher emanzipatorischer Prozess nicht möglich. Die Abwertung von Frauen ist wesentlicher Bestandteil der islamischen Ideologie. Verbesserungen durch einfache Reformen werden also ausbleiben. Unsere Hoffnung, dass die gegenwärtigen Proteste der islamischen Republik langfristig ihr ideologisches Fundament entziehen können, sind dementsprechend etwas größer geworden. Und wenn die Bestrebungen der iranischen Frauen nicht wieder von patriarchalen Strukturen verraten werden, ist die nächste Revolution im Iran hoffentlich säkular und feministisch.

f_act

f_act ist eine linksradikale kommunistische Gruppe in Göttingen Ihre Arbeitsschwerpunkte sind materialistischer Feminismus, Geschichtspolitik und Antifaschismus.