Der Brexit und die britische Linke

An den EU-Austritt Großbritanniens gibt es hohe Erwartungen

Erhebt sich bald die sozialistische Republik aus dem Chaos, das das Brexit-Referendum hinter­lassen hat? Wenn man den Zentralkomitees di­verser trotzkistischer und stalinistischer Splitter­gruppen in Großbritannien Glauben schenken darf, steht dies unmittelbar bevor. BefürworterIn­nen des Lexit, also des linken Austritts aus der EU, sind davon überzeugt, dass der Brexit gute Chan­cen für einen linken Wandel auf der Insel schafft. So begrüßte etwa die trotzkistische Socialist Par­ty den Ausgang der Abstimmung als eine Revolte der ArbeiterInnenklasse.

Tatsächlich ist das Ergebnis des Referen­dums wohl eher dadurch zu erklären, dass ein Teil der ArbeiterInnenklasse einen anderen Teil aus dem Land schmeißen möchte. Einwanderung war das Thema, mit dem die Leave-Kampagne im Wahlkampf am meisten punkten konnte. Lexit-VertreterInnen wie die Socialist Party sprechen andere Themen an – prekäre Arbeitsbedingungen, hohe Mieten und Sozialkürzungen. Dabei stört es auch nicht, dass die genannten Sparmaßnahmen von der Konservativen Partei in die Wege geleitet wurden, die noch vor einigen Monaten bei den Wahlen für das Unterhaus eine absolute Mehrheit erzielte. Mit den verhassten BürokratInnen in Brüssel haben die Sozialkürzungen also herzlich wenig zu tun. Egal. Hauptsache man hat es »den Eliten« mal gezeigt.

David Cameron folgte auch gleich der Forde­rung der Socialist Party und trat zurück. Zwar nur, um Platz für seine ehemalige Ministerin Theresa May zu machen, die Socialist Party und andere Lin­ke geben aber die Hoffnung nicht auf, dass das Ausscheiden aus der EU doch noch den Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn an die Macht bringt. Dabei setzen sie auf Neuwahlen. Zwar sieht es weder so aus als würde es diese geben, noch ist klar warum das Ergebnis anders ausfallen sollte als noch vor einigen Monaten, doch der Traum vom sozialistischen Inselparadies lebt weiter.

Wie sich der wohl kaum noch abzuwendende Brexit auf die aus der EU stammenden MigrantIn­nen auswirken wird, ist ebenso ungewiss wie das zukünftige Verhältnis Großbritanniens zur EU ins­gesamt. AnhängerInnen der Lexit-Kampagne in­teressieren diese Fragen jedoch herzlich wenig. Schließlich sei der Deal mit der Türkei ein Beweis dafür, dass auch die EU nicht für offene Grenzen steht. Trotzdem hängt das Aufenthaltsrecht von Millionen von Menschen von der EU-Mitglied­schaft Großbritanniens ab. Aber warum sollte es den weißen MigrantInnen aus Europa besser er­gehen als MigrantInnen aus dem Nahen Osten und Afrika, von denen es nur wenige nach Groß­britannien schaffen? Das ist die perfide Logik, mit der der europäischen Integration jegliche pro­gressiven Aspekte abgestritten werden sollen.

Trotzkistische Gruppen wie die Socialist Par­ty und die Socialist Workers Party nehmen eine prominente Rolle in der britischen Linken ein. Die meisten von ihnen haben sich für den Brexit aus­gesprochen. Doch vereinzelt gab es auch kriti­sche Stimmen. Die Gruppe Workers‘ Liberty argu­mentiert, der Sozialismus könne »nicht allein in einem Land erbaut werden. Die arbeitende Klas­se muss sich über Grenzen hinweg vereinigen um Fortschritte zu erzielen. Umso niedriger die Gren­zen, desto leichter ist es sich zu vereinigen.« Auch die dem deutschsprachigen ...Ums Ganze!-Bündnis nahestehende Gruppe Plan C warnte vor dem nationalistischen Charakter des Austritts: »Eine Stimme für leave ist eine Stimme für die re­aktionäre, nationalistische Rechte. Es ist ein Sig­nal an die aufkeimenden rechten Bewegungen in ganz Europa, dass eine nach innen gewendete, xenophobe Politik der geschlossenen Tür eine po­litisch und ökonomisch realisierbare Lösung sei.«

Eigentlich wäre es gerade jetzt wichtig die Diskussionen über Nationalismus zu führen. Der Nationalismus reicht schließlich bis weit ins linke Spektrum. Doch abgesehen von einigen gut ge­meinten Solidaritätsbekundungen mit ZuwanderInnen bleibt diese Debatte aus. Schließlich muss­te sich Jeremy Corbyn direkt nach dem Referen­dum erneut zur Wahl zum Labour-Vorsitzenden stellen, und dabei kann er sich der Unterstützung von weiten Teilen der Linken, ob sie nun für leave oder wie er für remain waren, sicher sein. Für an­deres bleibt da nicht viel Zeit.

In einem Punkt haben die Lexit-BefürworterInnen wohl recht: Das Brexit-Votum ist auch als Reaktion auf die wirtschaftliche Krise und ihre Auswirkungen zu verstehen. Die britische Linke war bisher jedoch nicht in der Lage, ein emanzi­patorisches Gegenmodell zum Nationalismus der Rechten zu bieten. Eine solche Antwort kann nur kosmopolitisch sein und darf dem Nationalismus keine Zugeständnisse machen, auch wenn er ge­rade populär ist. Zweifelsohne muss sich emanzi­patorische Kritik auch gegen die europäischen Institutionen richten, aber eine Rückkehr zum Na­tionalstaat ist nicht die wünschenswerte Alterna­tive. Eins steht nach den Ereignissen in Großbri­tannien jedenfalls fest: Die europäische Frage muss ernst genommen werden. Wenn es mit Euro­pa weiter abwärts geht, muss die Linke einen glaubwürdigen Gegenvorschlag anbieten können. Dazu gehört eine Antwort auf die Frage, wie ein besseres Europa aussehen könnte.