Der Dalai Lama und die Tibet-Frage.

Deutsche Begeisterung zwischen Projektion und Machtinteresse

Seinen Freund_innen bleibt der Dalai Lama treu. »Wenn man nach Kärnten kommt, ist es so, als würde man alte Freunde treffen, als würde man Mitglieder seiner Familie treffen«, schwärmte er, als er am 17. Mai 2012 in Klagenfurt eintraf. In Kärnten, erläuterte er dem erstaunten Publikum, habe bis zu seinem Tode am 7. Januar 2006 ein gewisser Heinrich Harrer gelebt, »ein persönlicher Freund und ein Freund Tibets«. Harrer habe es nach Tibet verschlagen, als er selbst, der Dalai Lama, noch ein Kind gewesen sei; der Österreicher sei schließlich sein »Lehrmeister« geworden: »Er hat mich gelehrt, was europäische Kultur ist, was Demokratie ist.« Die Tiroler Tageszeitung druckte die Äußerungen des berühmten Tibeters sorgfältig ab. Lediglich eine winzige Kleinigkeit unterschlug sie: Heinrich Harrer, Lehrmeister des Dalai Lama in Sachen Kultur und Demokratie, war, als er 1944 in Tibet eintraf, nicht bloß ein von Hitler persönlich geehrtes NS-Bergsteigeridol, sondern auch Mitglied in NSDAP und SS.

Tenzin Gyatso, am 6. Juli 1935 geboren und heute vor allem als spirituelles Oberhaupt Tibets, als 14. Dalai Lama, bekannt, spielt in den Ländern der westlichen Welt eine eigentümliche Rolle. Populär ist er vor allem in den hiesigen akademischen Mittelschichten, deren esoterische Sehnsucht nach exotischer Spiritualität er stets zuverlässig befriedigt. Als angeblicher Friedensapostel kommt er mit seinen süßlichen Phrasen von »Gewaltlosigkeit« in den gutmenschentümelnden Teilen der christlich geprägten Bildungsbourgeoisie gut an. Vermutlich entscheidend für seine Popularität ist jedoch, dass er für den Westen politisch äußerst nützlich war und dies bis heute ist. Entsprechend wurde und wird er vom Polit-Establishment tatkräftig unterstützt. Sein politischer Nutzen hat allerdings weniger mit seinen spirituellen Aktivitäten zu tun, sondern schlicht damit, dass Tibet – das Gebiet, auf das er Anspruch erhebt – Teil der Volksrepublik China ist.

Schon beim Stichwort Tibet fangen die Unklarheiten an, die die westliche Debatte um den Dalai Lama seit jeher begleiten. Tibet ist zunächst der Name eines riesigen, extrem dünn besiedelten, autonomen Gebiets der Volksrepublik China, in dem gerade einmal 2,6 Millionen von 1,3 Milliarden Chines_innen leben. Wenn der Dalai Lama und sein Anhang hingegen von Tibet sprechen, dann meinen sie zumeist ein Gebiet, das auch die Wohngegenden tibetischsprachiger Minderheiten in mehreren angrenzenden chinesischen Provinzen umfasst. »Großtibet« wurde in jüngerer Vergangenheit noch nie komplett von der tibetischen Hauptstadt Lhasa kontrolliert, es ist nicht mehr als eine Herrschaftsphantasie – und dazu eine, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von vielen Tibetisch sprechenden Menschen in den chinesischen Provinzen außerhalb Tibets strikt zurückgewiesen wurde. Wieso? Nachlesen kann man das in der Biographie des kommunistischen Untergrundkämpfers Phüntso Wangye, der, selbst der tibetischsprachigen Community in der Provinz Sichuan entstammend, in den vierziger Jahren gegen Warlords und Großgrundbesitzer rebellierte.Melvyn C. Goldstein u. a., A Tibetan Revolutionary. The Political Life and Times of Bapa Phüntso Wangye, Berkeley / Los Angeles / London 2004.

Die Herrschaft des Dalai Lamas: völkisch, sexistisch und brutal

In der tibetischsprachigen Community in Sichuan hatte man äußerst schlechte Erfahrungen mit der Herrschaft Lhasas gemacht. In der Stadt Derge etwa erlebte Phüntso Wangye, wie Einwohner_innen sich beklagten, Soldaten aus Lhasa hätten während einer kurzen Phase, als sie Derge kontrollierten, auf brutale Weise horrende Steuern eingetrieben, die Menschen verprügelt und sie bestohlen. »Die Chinesen« hingegen, erläuterte einer, hätten »als Herren gehandelt«, aber jegliche Exzesse vermieden. Man ziehe deshalb ihre Herrschaft der Herrschaft Lhasas vor. Ähnliches bekam Phüntso Wangye immer wieder zu hören. Als er selbst seine erste Reise nach Lhasa unternahm und, aus Sichuan kommend, vom Dalai Lama kontrolliertes Territorium betrat, da war er über viele autoritäre bis sadistische Bräuche höchst schockiert, die unter der Herrschaft Lhasas üblich waren. Er erlebte, wie die Willkürherrschaft des tibetischen Adels die Menschen im Lande terrorisierte, wie etwa zur Strafe abgeschnittene Körperteile zu Abschreckungszwecken öffentlich an Häuser genagelt wurden und Ähnliches. Seine Erfahrungen werden von Berichten anderer Tibet-Reisender aus der damaligen Zeit bestätigt. »Überall in Tibet sah ich Männer, denen wegen eines Diebstahls ein Arm oder ein Bein abgeschnitten worden war«, schilderte der britische Diplomat Robert Ford in einem Bericht über Tibet in der Zeit vor 1950. Die Macht lag bei den religiösen Eliten um den Dalai Lama und beim großgrundbesitzenden tibetischen Adel. An die 90 Prozent der Bevölkerung vegetierten als eine Art Leibeigene dahin und mussten Fronarbeit leisten; drei Prozent hatten gar den Status von Sklav_innen.

Die Feudalherrschaft des Dalai Lama und des tibetischen Adels, die andauerte, bis die chinesischen Streitkräfte 1950 die Kontrolle über das Gebiet wieder übernahmen, zeichnete sich durch ein hohes Maß an Brutalität und an struktureller Gewalt aus. Dies betraf insbesondere auch Frauen. Colin Goldner hat in seinem Mammutwerk über den Dalai Lama dokumentiert, wie gerade die tibetische Spielart des Buddhismus extrem sexistische Haltungen pflegt.Colin Goldner, Dalai Lama. Fall eines Gottkönigs, Aschaffenburg 2008. Einem der in Tibet prominentesten buddhistischen Lehrer wird etwa die Äußerung zugeschrieben, »die Frau« sei »immer eine Unruhestifterin«; sie sei »die primäre Ursache des Leidens«, könne »im besten Fall« noch »anderen dienen«, bringe »im schlimmsten Fall« jedoch nur »Missgeschick und Unglück«. Sexualpraktiken des tibetischen Buddhismus degradieren Frauen zu Sexualobjekten, die von den Lamas missbraucht werden – als Mittel zum vorgeblich religiösen Zweck.

Bleibt noch zu ergänzen, dass der 14. Dalai Lama sich einer völkischen Agitation befleißigt, die ihm begeisterten Beifall aus der deutschen extremen Rechten verschafft. Im September 2007 etwa äußerte er sich über seine Vorstellung von tibetischer »Autonomie«. »Autonomie heißt für mich auch, dass die Tibeter in der Mehrheit sein müssen. Das Gegenteil könnten wir nicht akzeptieren.« »Alle Chinesen, die Tibetisch sprechen und die tibetische Kultur respektieren, können bleiben«, fuhr er großmütig fort – um seine Toleranz gegenüber assimilationsbereiten Chines_innen gleich wieder einzuschränken: Sie dürften nur in Tibet bleiben, »sofern es nicht zu viele sind«. Die Äußerungen entstammen einem Interview, das die Süddeutsche Zeitung druckte, um das geneigte deutsche Lesepublikum von der Attraktivität der Gedanken des tibetischen Oberhaupts zu überzeugen. Ausgerechnet der NPD-Zeitung Deutsche Stimme fiel – leider zu Recht – der zutiefst völkische Charakter der Passage auf. »Was würde der Dalai Lama wohl über Berlin-Kreuzberg als zweitgrößte türkische Stadt der Welt sagen?«, fragte das Blatt im Oktober 2007: »Vielleicht führt ja die ›spirituelle Erleuchtung‹ durch den im Westen beliebten Dalai Lama bei so manchen Sinnsuchenden zu einer Rückkehr zu den eigenen Wurzeln.«

Völkisch, sexistisch, autoritär, brutal: Die Herrschaft des Dalai Lama und des tibetischen Adels stieß bei einer Delegation aus dem Westen, die 1938 in Lhasa eintraf, auf erhebliches Interesse. Bei ihr handelte es sich um eine Exkursion von SS-Rassisten, die nach Tibet entsandt worden waren, um dort nach Spuren einer »arischen Rasse« zu suchen. Bruno Beger, einer der Teilnehmer, der später im Vernichtungslager Auschwitz »Mongolenforschung« betrieb und noch im Jahr 1994 vom Dalai Lama als »offizieller Gast« empfangen wurde, behauptete später in der Tat, er habe »im tibetischen Adel« ein »europide[s] Rassenelement« erkannt. Allerdings hatte die Reise auch einiges mit Machtpolitik zu tun. Am 4. September 1939 erörterte das Berliner Auswärtige Amt gemeinsam mit dem inzwischen zurückgekehrten Leiter der SS-Exkursion, Ernst Schäfer, Pläne, denen zufolge 30 SS-Männer unter Schäfers Führung mit Waffen für 1.000 bis 2.000 Mann nach Tibet reisen und dort Milizen für den Kampf gegen die britische Kolonie Indien sammeln sollten. Schäfer wurde zur Ausbildung bei der SS-Leibstandarte Adolf Hitler abkommandiert, bevor die Pläne dann doch noch fallengelassen wurden – Berlin beschloss, Britisch-Indien lieber von Afghanistan aus anzugreifen. Trotzdem zeigt der Fall, wie Tibet bereits in den dreißiger und vierziger Jahren ins Fahrwasser der Weltpolitik geriet. Dort ist es – mit einer kurzen Unterbrechung in den siebziger Jahren – bis heute geblieben, wenn sich auch der Kontext vollständig geändert hat.

Größere Bedeutung für den Westen bekam Tibet zunächst in den fünfziger Jahren. Dabei ging es vor allem darum, die Volksrepublik China im Systemkampf zu schwächen. In Tibet kam es immer wieder zu antichinesischen Unruhen, die unter anderem von Teilen des tibetischen Adels befeuert wurden – die alten Feudaleliten forderten ihre Privilegien zurück. Die Aufständischen wurden in jenen Tagen von der CIA logistisch und auch militärisch unterstützt; gegen den Kommunismus bediente sich der Westen schon damals jedes Verbündeten, und sei er noch so reaktionär. 1959 konnten sich der Dalai Lama und seine Entourage nicht mehr in Lhasa halten und mussten fliehen; seitdem residieren sie im nordindischen Dharamsala. Regierungsdokumente aus Washington belegen, dass die CIA in den sechziger Jahren bis zu 1,7 Millionen US-Dollar jährlich zahlte, um tibetische Operationen gegen die Volksrepublik am Laufen zu halten. Unter anderem ging es um Guerilla-Attacken, die tibetische Milizionäre von Nepal aus gegen China führten. Die US-Finanzierung und die Angriffe endeten, nachdem US-Präsident Richard Nixon 1972 Beijing besucht und damit die Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und China eingeleitet hatte: Die Systemkonfrontation ging von offener Konfrontation in die Phase von »Wandel durch Annäherung« über; Tibet benötigte man dafür nicht mehr.

Tibet und die deutschen Interessen

In Dharamsala konsolidierte sich mittlerweile das tibetische Exil. »Tibetisches Exil« ist für das Milieu in Dharamsala ein etwas irreführender Ausdruck – schließlich ist die überwiegende Mehrzahl der Tibeter_innen in China geblieben. Ins Exil gegangen sind vor allem der Dalai Lama und seine Entourage, also die reaktionärsten Kräfte, die die alte Feudalherrschaft bewahren wollten. Die Grundbesitzer unter ihnen sind enteignet worden; mit ihrem Vorhaben, aus Dharamsala nach Tibet zurückzukehren, sind prinzipiell auch Restitutionsforderungen verbunden. Während der Dalai Lama bis heute als grinsender Friedensapostel porträtiert wird, haben die Aktivist_innen in Dharamsala um ihn herum nicht sonderlich viel mit Demokratie am Hut. Für ihre westlichen Unterstützer_innen ist das durchaus ein gewisses Problem – es stört die politische Ästhetik denn doch etwas, wenn man dabei ertappt wird, völlig undemokratische Strukturen gegen einen fremden Staat in Stellung zu bringen. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung bemüht sich deswegen ausdrücklich um die »Stärkung demokratischer Institutionen« innerhalb des tibetischen Exils – seit Jahren. Mit Erfolg? Nun ja. Ein altgedienter tibetischer Exilaktivist, Tsewang Norbu, der seit 1973 in der Bundesrepublik lebt, hat sich dazu geäußert. »In einer parlamentarischen Demokratie gibt es eine Regierungspartei oder eine Regierungskoalition [...] sowie eine oder mehrere Oppositionsparteien«, schrieb er 2008: »Wir haben das nicht.« Anschließend räumte er ein, dass es gelegentlich von Vorteil sein könne, wenn man sich Oppositionsparteien leiste – um sogleich wieder kräftig zurückzurudern: »Ich sage damit nicht, dass ein parlamentarisches System mit mehreren Parteien per se besser ist als ein Parlament mit nur einer oder ohne jegliche Partei.«

Tsewang Norbu ist einer derjenigen, die in den achtziger Jahren die bundesdeutsche Tibet-Szene auf die Beine stellten. Damals ahnten weitsichtigere Strateg_innen zumindest in Washington, dass die sich abzeichnenden Reformen die Volksrepublik zu einem erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung führen könnten. Die Idee lag nahe, für Bremsklötze zu sorgen, sollte China allzu stark werden und dem Westen gefährlich werden. Der Dalai Lama ist in der Tat geeignet, Beijing in Schwierigkeiten zu stürzen: Zum einen ist er in der Lage, die in Tibet verbliebenen, ihm loyalen Strukturen zu mobilisieren und mit ihrer Hilfe die Forderung nach größerer Autonomie, die die Zentralregierung schwächen würde, oder gar nach Sezession aus der Volksrepublik auf die Tagesordnung zu setzen. Zum anderen reichen seine Strukturen erkennbar über Tibet hinaus und in diejenigen Gebiete »Großtibets« hinein, die in Provinzen wie Sichuan oder Yunnan liegen – was bedeutet, dass größere Teile Chinas als nur das Autonome Gebiet Tibet von Unruhen erfasst werden können. Und drittens muss in Rechnung gestellt werden, dass der Dalai Lama religiöse Verehrung auch beispielsweise in der Inneren Mongolei genießt, einem weiteren Autonomen Gebiet, in dem Sezessionsbestrebungen nicht auf Dauer ausgeschlossen werden können. Das Druck- und Drohpotenzial gegenüber Beijing, das die Unterstützung des Dalai Lama dem Westen bietet, ist enorm.

Während sich in den USA in den achtziger Jahren das Repräsentantenhaus der Tibet-Thematik annahm und sie auf die Tagesordnung der Weltpolitik setzte, trieben in der Bundesrepublik vor allem grün-alternative Kreise die Dalai Lama-Verehrung voran. Der Exil-Tibeter Tsewang Norbu wurde Mitarbeiter der grünen Bundestagsabgeordneten Petra Kelly, deren Fraktion im Bundestag über Tibet und den Dalai Lama diskutierte. Unter den ersten Tibet-Aktivist_innen bei den Grünen waren überzeugte Buddhist_innen ebenso zu finden wie Anhänger_innen exotischer »Völker« oder auch schlicht antichinesische Kräfte. Ihnen gelang, was für die Wirksamkeit des Dalai Lama nicht zu unterschätzen ist: Aus ihrer esoterisch-exotisch und »Volksgruppen«-rechtlich geprägten Begeisterung für das tibetische Oberhaupt entstand ein Dalai Lama-Image, mit dem es bis heute möglich ist, den in höchstem Maße antidemokratisch-reaktionären Charakter der alten tibetischen Feudaleliten zu übertönen.

Kreise, die weniger esoterisch, dafür stärker machtpolitisch orientiert waren, nahmen sich dann zu Beginn der neunziger Jahre – der Dalai Lama hatte 1989 den Friedensnobelpreis erhalten und war damit prominent genug – der Tibet-Thematik an. Besondere Aktivitäten entwickelte die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Sie unternahm es, nicht nur das tibetische »Exilparlament« zu unterstützen, sondern auch die überall aus dem Boden sprießenden Tibet-Unterstützungsgruppen regelmäßig zu koordinieren. Seit Mitte der neunziger Jahre führt sie immer wieder die sogenannten Support Group Conferences durch, bei denen Tibet-Initiativen aus aller Welt zusammenkommen, um ihre Aktivitäten miteinander abzustimmen. Der Friedrich-Naumann-Stiftung sind ihre Tibet-Aktivitäten einen hohen Preis wert: 1996 musste sie ihretwegen ihr Stiftungsbüro in Beijing schließen. Dennoch hat sie bis heute nicht von der Durchführung der Support Group Conferences abgelassen.

Ganz im Gegenteil. Weltweit Schlagzeilen machten die Ergebnisse einer derartigen Konferenz, die jene Stiftung im Mai 2007 in Brüssel durchführte. Dort wurden detaillierte Pläne für eine »Olympics Campaign« vorgelegt, die offiziell darauf abzielten, die Olympiade 2008 in Beijing zur Tibet-PR zu nutzen. Im Rückblick muss man konstatieren, dass es sich bei der Kampagne, die auf jener Konferenz besprochen und mit der Wahl einer Koordinatorin praktisch in die Wege geleitet wurde, vor allem um eine Negativ-Kampagne gegen China handelte. Angeleitet von der in Brüssel gewählten Koordinatorin und einigen Mitarbeiter_innen, formierten sich anlässlich des olympischen Fackellaufes in zahlreichen Ländern Protestaktionen, die wochenlang und weltweit hohe Wellen schlugen. Auch dazu ist der Dalai Lama nützlich: Der Imageschaden für Beijing war enorm.

Vom Dalai Lama begeistert sind heute fast alle, die es darauf abgesehen haben, China zu schaden. Die erklärten Anhänger_innen des tibetischen Oberhaupts reichen von den Grünen über Roland Koch (CDU), der einst das Amt des hessischen Ministerpräsidenten mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erkämpfte, bis zum mittlerweile per Autounfall verstorbenen Ex-Chef der FPÖ, Jörg Haider. Haider wollte in Hüttenberg, der Heimat des ehemaligen NSDAP- und SS-Mannes und Dalai Lama-Lehrers Heinrich Harrer, ein Tibet-Zentrum errichten; seine Pläne misslangen jedoch. Deutschsprachige Separatist_innen aus Südtirol unterhalten ebenfalls beste Kontakte zur tibetischen Exilregierung; Dharamsala könne, heißt es zur Begründung, eine ganze Menge von den Autonomieregelungen lernen, die die Südtiroler_innen mit Hilfe der »Schutzmacht« Österreich in den vergangenen Jahrzehnten durchsetzten. Und sobald es – aus welchem Grund auch immer – im Interesse einer Regierung liegt, Beijing ein paar Nadelstiche zu versetzen, dann ist ein Treffen zum Beispiel einer Kanzlerin mit dem Dalai Lama stets das Mittel der Wahl. Wobei ein solches Treffen gelegentlich auch zu Missverständnissen führt: Selbstverständlich geht es dabei nicht darum, echte Sympathie für das religiöse Oberhaupt Tibets zum Ausdruck zu bringen; auch der Dalai Lama ist für Regierungspolitik nur ein Mittel zum Zweck. So erklärt es sich, dass die deutsche Kanzlerin den Dalai Lama im September 2007 empfing, als man sich im Westen darauf vorbereitete, Beijing mit einer Kampagne zur Olympiade 2008 zu schaden, dass der Dalai Lama aber im Jahr 2011 nur nach Hessen reiste und Berlin fernblieb. Damals hatte die Bundesregierung andere Prioritäten und konnte sich keinen zusätzlichen Ärger mit China leisten.

Jörg Kronauer

Der Autor ist Sozialwissenschaftler und freier Journalist.