Der Kapitalismus fickt mit einsamen Menschen 

Gedanken über OnlyFans und die (Un-)Möglichkeit von Fantasie und Intimität im Internet 

Auf den ersten Blick ist das 2016 gelaunchte Erotikportal OnlyFans wie ein soziales Netzwerk aufgebaut. Ähnlich wie auf Facebook lässt sich nach der Anmeldung als Creator:in, als User:in oder als beides zugleich ein eigenes Profil erstellen und damit Reichweite generieren.Wir gendern in diesem Beitrag, auch aufgrund der Redaktionsvorgaben. Die Statistiken zu OnlyFans zeigen auf, dass der Großteil der Creator:innen weiblich und ein Großteil der User:innen männlich ist.Daneben ist OnlyFans aber vor allem eins: ein Online-Markt für sexuellen Content. So können Creator:innen eine generelle Abonnementgebühr einrichten, um hinter dieser Bezahlschranke pornografische Inhalte bereitzustellen. User:innen wiederum können eine Art Trinkgeld geben, um Zugang zu exklusiveren Inhalten zu erhalten oder sogenannten custom content zu beziehen. OnlyFans hat damit einige neue Typen von Creator:innen hervorgebracht: vor allem weibliche Popstars oder Influencer:innen, die ihr Selbstmarketing um erotischen Content erweitern wollen, Prostituierte, die sich ein zweites Standbein zu schaffen versuchen, oder Personen, die vielleicht schon eine kleine Followerschaft auf Social Media besitzen und sich für womöglich übergriffige Kommentare jetzt zumindest entlohnen lassen möchten. Für einen erfolgreichen Einstieg in das OnlyFans-Business ist ein gewisser Bekanntheitsgrad samt Selbstmarketing-Bereitschaft wichtig, da eine Suche nach Kategorien wie auf gängigen Pornoseiten (»interracial«, »stepmom« & Co.) nicht vorgesehen ist. Ihrem Namen gemäß bietet die Plattform also vor allem schon bekannten Personen eine weitere Einnahmequelle für ihren nun dezidiert pornografischen Content. Anders als auf Facebook wird ein:e Creator:in hier nicht gesucht, sondern gefunden. 

Die Corona-Pandemie seit März 2020 kannte neben vielen Verlierer:innen auch einige Gewinner:innen: Lidl, Amazon und eben auch OnlyFans. Es war schwer, um den Schwall an Artikeln, Dokumentationen und Podcasts herumzukommen, die zunächst euphorisch die vermeintliche »Revolution« der Internetpornografie propagierten. Die Begeisterung schwappte auch in Teile linksliberaler und linker Kreise über: Eine Plattform, auf der man selbst bestimmen kann, welchen Content man für welchen Preis veröffentlicht? Ist das womöglich schon Selbstbestimmung? Andererseits schien auch OnlyFans nicht gänzlich unproblematisch zu sein, immerhin stellte der drohende Rückzug von Finanzdienstleistern und Bankpartnern als Investoren in der zweiten Jahreshälfte 2021 zwischenzeitlich die Frage in den Raum, ob erotische und pornographische Inhalte auf der Plattform verboten werden sollten.In der medialen Berichterstattung kursieren darüber zwei Hypothesen: Die eine geht von Zahlungsdienstleistern und Banken aus, die gegen illegale Inhalte und nicht autorisierte Materialien vorgehen, die andere folgt einer BBC-Recherche, wonach OnlyFans ertragreichen Accounts mehrere Verwarnungen aussprach, denen diese nicht nachkamen. Der Upload von illegalen oder unautorisierten Inhalten wurde thematisiert und auch der deutsche Jugendschutz hatte die lückenhafte Altersprüfung auf dem Schirm. 

Selbstverständlich wurde OnlyFans in den letzten drei Jahren kein fair bezahltes Porno-Paradies für alle Geschlechter und unterschiedlichste Körper. Für halbwegs gefestigte Linke lag der Gedanke nahe, dass die Plattform ein geradezu lächerlich schönes Beispiel für die irren Ausprägungen eines digitalen Spätkapitalismus ist. Freund:innen einen OnlyFans-Account zu empfehlen, wenn am Ende des Monats das Geld nur noch für Nudeln mit Ketchup reicht, ist zum zynischen Running-Gag geworden. Doch welche Praktiken sind auf der Plattform gängig, welche Vermarktungsstrategien greifen, was passiert (nicht) auf rechtlicher Ebene und was sagt dies vielleicht auch über das Geschlechterverhältnis in den häufig heraufbeschworenen postfeministischen Zeiten aus? 

 

Cock-Rating, Jerk-Off-Instruction und Girlfriend-Experience  

In Foren diskutieren OnlyFans-Profis und die, die sich dafür halten, mit Einstiegswilligen sehr offen über Formate, die sich gut vermarkten lassen. Drei besonders erfolgreiche Formate greifen Mechanismen auf, die aus Debatten um sexualisierte Gewalt im Internet sowie in- und außerhalb der klassischen Prostitution schon wohlbekannt sind.  
Ein Format, das immer wieder als gängig empfohlen wird, weil es auf Seite der Creator:innen wenig Aufwand bedeute und perfekt in der Trinkgeld-Funktion der Seite aufzugehen scheint, sind sogenannte Cock-Ratings. Ein UserFür dieses Beispiel bietet es sich an, einen männlichen User vorauszusetzen. bezahlt eine bestimmte Trinkgeldsumme dafür, dass er der Creator:in ein Dick-Pic zusenden darf, welches dann bewertet wird. Unaufgefordert Dick-Pics zu versenden ist in Deutschland nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB, dem Tatbestand für die »Verbreitung pornographischer Inhalte«, strafbar. Es wäre jedoch zu simpel zu behaupten, es ginge hierbei ausschließlich um die finanzielle Entledigung der Strafbarkeit auf Konsumentenseite, weil die Betrachter:innen nun nicht mehr gewaltsam, sondern vertraglich dazu genötigt sind, sich mit einem fremden Genital auseinanderzusetzen. 

Je nach Vorliebe des Käufers erfolgen die Bewertungen in ganz unterschiedlicher Weise. Eine Variante liegt darin, den Fokus auf die Wohlgeformtheit des Penis zu legen und diesem ein hohes Befriedigungspotenzial zu attestieren, eine andere vollzieht eine Abwertung als mickrig und unbefriedigend, eine gewünschte Erniedrigung steht hier im Zentrum. Bei beiden Vorlieben dient die digitale Vermittlung einer lustvollen Absicherung oder eben Verunsicherung der eigenen Potenz als postpubertäre Herrschaft des Genitalprimats. Was beim realen sexuellen Kontakt nicht vollkommen in der Macht des Phallusbesitzers, sondern zumindest hypothetisch in der Macht der Sexualpartner:innen steht, wird im Chat der phallischen Diskurse vermeintlich kontrollierbar gehalten. Weitere Varianten erhärten (vielleicht nicht nur) diesen Verdacht: Gewünscht ist eine genaue Beschreibung des Genitals bis hin zur Aderstruktur und der Form der Eichel samt Hypothesen darüber, wie sich diese in einer Hand, einer Vagina, während des Oral- oder Analverkehrs anfühlen würden, wiederum andere verlangen eine »realistische Einschätzung« im Vergleich mit anderen Männern. 

Jerk-Off-Instructions als geschriebene, gesprochene oder videografierte Masturbationsanleitungen können diese Praxis erweitern, jedoch auch getrennt davon stattfinden. Ein:e Creator:in, die je nach Vorliebe beispielweise zärtlich-verführerisch, betont kindlich, vulgär oder dominant bis autoritär die Masturbationsweisen des Users rahmt, bedient ganz unterschiedliche Bedürfnisse in wechselnden Anteilen. Hier auf ein personalisiertes Angebot zurückzugreifen und sich nicht der Anleitungen zu bedienen, die unzählige Pornoseiten bereitstellen, zeigt nicht unbedingt nur Trägheit zur Recherche nach dem passenden Angebot. Vom einfachen Wunsch danach, die eigene Masturbation zu teilen, kann die symbolische Übergabe der Kontrolle über die Selbstbefriedigung an eine (vermeintlich) real existierende Person entweder für eine Suspendierung der Subjektivität sorgen, die als entlastend erfahren werden kann, oder eine lustvolle Wiederholung von Entmännlichungserleben in sich tragen. 

Eine Sehnsucht nach Anerkennung der eigenen Subjektivität, vermittelt über die entstellte männliche Fokussierung auf den eigenen Penis in einer Sphäre, wo der Körper nur audiovisuell vermittelt erscheint, verweist auf einen Mangel an realen befriedigenden bzw. der Angst vor körperlichen und zwischenmenschlichen Erfahrungen. Auch der eigene »Marktwert« wird digital verhandelt: dies allerdings nicht als Komplettpaket im heterosexuellen Leben, wie bei einem freundschaftlichen Rat unter Kumpels oder im Dialog mit der Partnerin, bei der erfragt wird, was denn gerade besonders gut beim anderen Geschlecht ankäme. Vielmehr verbleibt es beim Spiel mit der Bedeutungsaufladung des männlichen Genitals, einzelne symbolisch aufgeladene Körperteile werden vom physischen und psychischen Individuum losgelöst. 

Der Fokus auf bestimmte Körperteile in der klassischen Pornografie Im Übrigen kursiert das Format auch in Form von »Pussy Ratings« und »Boob Ratings«, auch die Bewertung anderer Körperteile wird von unterschiedlichen Accounts angeboten.wird also durch custom-Pornografie via OnlyFans neu gerahmt, nicht nur im Format von Dick-Pics, sondern gerade auch im populären Bezahlformat des Zeigens der Vagina oder des Anus der Creatorin. Der Soziologe Rolf Pohl merkt an, dass es sich bei der männlicherseits nachgefragten Fragmentierung von weiblichen Körperteilen um eine Dehumanisierungsstrategie handelt, die auf ein projektives Pendant zum Phallus hinweist. Die Reduktion auf Körperöffnungen oder auch auf Körperteile wie Füße Eine gängige Erklärung für den Fußfetisch, bei dem es nicht um Degradierung geht und der streng genommen nur als »Vorliebe« zu klassifizieren ist, besteht darin, dass die zuständigen Gehirnareale für Genitalien neben denen für Zehen und Füße liegen, womit leicht eine Reizüberschneidung und Stimulation erfolgen kann.ist ein Versuch, die visuelle Repräsentation des Weiblichen an ein männlich-genitales Sexualbedürfnis anzupassen. Während in klassischen Pornos in schnellen Schnitten oder Endlosschleifen sämtliche weiblichen »Behälter« für die Penetrations- und Entladungsfantasie bereitgestellt werden, wird im kommentierten custom-Porno dieser »Klebrigkeit der Libido« zumindest etwas »Plastizität der Psyche« entgegengestellt. Rolf Pohl, Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen, Hannover 2019, 273 u. 376. Die Fixierung auf den jeweiligen psychosexuellen Entwicklungsstand oder das Objekt in der Perversion wird durch das Setting immerhin durch die Auseinandersetzung mit Intersubjektivität flankiert. Die Vermittlung über den Bildschirm hält die nötige Distanz. Zwischen Triebfreiheit und Objektbindung reguliert die Plattform die Angstabwehr: Das ermöglicht die technische Beherrschung des eigenen, aber auch die Kontrolle des weiblichen Körpers, der auf Stimulationsfunktionen reduziert bleibt. 

Die Anforderungen des Neoliberalismus an verschiedene soziale Milieus bringen unterschiedliche Formen von Einsamkeit und Sehnsüchten nach echter Zuneigung hervor. Die allgemeine Warenförmigkeit, die das Konsumieren von objektivierter Weiblichkeit möglich macht und gleichzeitig eine belohnende Exklusivbehandlung verspricht, soll vielfältige Erlösung verschaffen. Was im Kontext von Prostitution als »Freier wollen oft einfach nur reden« überproportional häufig aus den Reihen der Verfechter:innen eines liberalen Prostitutionsgesetzes verklärt wird, ist die besondere Spielart der privaten Chats als Girlfriend- bzw. Boyfriend-Experience auf OnlyFans. Dieses Format entspricht Tätigkeiten aus der Escort-Prostitution. Dort meint es, dass über Stunden bis mehrere Tage hinweg eine Zwischenmenschlichkeit simuliert wird, die an eine romantische Zweierbeziehung angelehnt ist. Was im Escort die Begleitung in Restaurants, Theater, zum Einkaufsbummel oder sogar in den Urlaub bedeutet und häufig Praktiken wie (öffentliches) Händchenhalten und Küsse auf den Mund mit einbegreift, prägt sich im Digitalen durch liebevolle Voicemails, sexy Fotos aus der Umkleidekabine, beim Yoga-Kurs oder beim Eis-Essen sowie Gute-Nacht-Küsse in die Front-Kamera aus.  

Dass die Girlfriend-Experience auch in einer sugargirl-Fantasie des Ausgehaltenwerdens aufgehen kann und man diesen »Job« als weniger entfremdete Arbeit wahrnimmt, die sich ganz natürlich in den eigenen sozialen Lebensentwurf eingliedern lässt, ist naheliegend. Vielleicht ist das Format oft eben nicht weit entfernt von den realen Beziehungserfahrungen einer weiblichen Sozialisation. Zudem ist der Dopaminausstoß bei positivem Feedback auf den eigenen Content mit der bereits gewohnten Nutzung von Social Media in seiner Bestätigungsfunktion für das Selbst womöglich zum Verwechseln ähnlich. Dass das sugargirl-Modell selbst in privaten Beziehungskonstellationen auf Dauer fragil ist, bleibt jedoch häufig außen vor. Das Älterwerden des Körpers und sich wandelnde Trends in Ästhetik und dem Vertrieb von Produkten machen solchen Lebensentwürfen einen Strich durch die Rechnung. Eine zumindest situativ gefühlte Verbesserung, die einige interviewte Digital-Creator:innen beschreiben, die vorher in der Pornoindustrie oder Prostitution tätig waren, ist nachvollziehbar, steht jedoch nur für einen Bruchteil der Akteur:innen. 

In den meisten Fällen ähneln Erfahrungen von Creator:innen denen von Prostituierten. Bei Angeboten unter dem Label Girlfriend-Experience, auf dem schwulen Markt auch Boyfriend-Experience, werden regelmäßig Punkte erreicht, an denen unrechtmäßige Ansprüche auf Körper und Dienstleistungen gewaltvoll durchgesetzt werden. Die »Experience« kippt, wenn es nicht mehr darum geht, eine:n imaginierte:n Freund:in zu haben, die:den man gern hat, und Dinge zu tun, auf die beide Lust haben. Aus »Wer ficken will, muss freundlich sein!« wird zwangsweise »Ich habe ja bezahlt und krieg dafür jetzt auch was!«. Der widersprüchliche Kern der Prostitution, das sogenannte Käuferparadox, bleibt bestehen: Ein OnlyFans-Account soll gleichzeitig Arbeit und keine Arbeit sein. Ein:e User:in will eine sexuelle Dienstleistung kaufen können, aber ein Verhalten bekommen, das nicht danach aussieht und sich nicht danach anfühlt. Die Waren- und Werthaftigkeit soll im Hinblick auf einen authentischen Gebrauchswert annulliert werden.  

 

USP – unabhängig, separiert, prekär? 

Im Vergleich zu anderen Crowdfunding-Plattformen wie Patreon hat sich OnlyFans mit seinem Marktkonzept auf der Schnittstelle zwischen digitaler Selbstvermarktung, Pornografie und Prostitution eingenistet. Infotainment-Kanäle tun sich schwer mit der Begriffsbildung und landen bei »mediated soft prostitution«, die Creator:innen nennen sich Sexarbeiter:innen und Sexfluencer:innen oder werden als solche gelabelt. Die Frage ob es »faire« oder feministische Pornografie sowie Formen selbstbestimmter Sexarbeit geben kann, analog zum Wunsch nach fairerer Kleidung oder fairem Obst in strukturell unfairen gesellschaftlichen Verhältnissen, stellt sich in aktuellen Debatten genauso wie die Frage nach der Bekämpfung von gefühlter und realer Isolation, wirtschaftlicher Prekarität, insbesondere während einer globalen Pandemie. 

Globale Krisen bringen in Sachen Produktions- und Geschlechterverhältnis Verschiebungen hervor, die im Nachgang selten revidiert werden: Die Corona-Pandemie hat in vielen Teilen der Welt einen staatlichen Zugriff auf die unterschiedlichen Sphären romantischer und sexueller Beziehungen bewirkt, einschließlich der Märkte, die diese supplementieren und flankieren. Social Distancing und die damit einhergehende Isolation, vor allem durch Einschränkungen in der Freizeit- und Unterhaltungsindustrie, hat die Vereinzelung vorangetrieben. OnlyFans hat diese Lücke mit seinem Angebot vorgeblich nahbarer sexueller Kontakte notdürftig geflickt. 

Die Verbote von Laufhausbesuchen und Escort-Etablissements wurden maßgeblich nicht umgesetzt, um Prostituierte zu schützen. Der Schutz galt eher den finanzkräftigen Freiern, wohingegen man Prostituierten die prekären Einnahmequellen nahm. Menschen, die sich prostituieren mussten, sind komplett durch das Raster der deutschen Corona-Hilfen gefallen. Die Narrative der Sexarbeiter:innen, die vielleicht sogar vollständig aus der Straßenprostitution ausgestiegen sind und durch Corona und Onlyfans nun selbstbestimmt und deutlich sicherer ihre Dienstleistungen veräußern können, füllen den medialen Diskurs. Dass diese Entwicklung bedeutet, dass deutlich weniger Frauen und Männer in der Straßenprostitution arbeiten, ist jedoch sehr unwahrscheinlich.  

In den Debatten um eine faire, entproblematisierte und selbstbestimmte Prostitution wird die fragile Position der »Dienstleistenden« mit einem Bedürfnis nach Selbstaufwertung vereint, was beinahe in einer verzweifelten Allmachtsfantasie mündet. Unter dem Schleier der »Entstigmatisierung« und der kompletten Verlegung in den digitalen Raum entspinnt sich die Einbildung, sowohl dem Patriarchat als auch der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus samt akuter Zuspitzung, namentlich den Coronalockdowns, ein Schnippchen schlagen zu können. Das Narrativ bestätigt allerdings nur, was Social Media einer Influencer:in sowieso schon abverlangt: eine eigene Erfolgsgeschichte zu konstruieren und möglichst authentisch nach außen zu tragen. Hinter schrillen thumbnails und Instagram-Kacheln in zarten Sorbet-Tönen entsteht dabei ein weiterer Markt, der vor allem Personen, die bislang nichts mit sexuellen Dienstleistungen zu tun hatten, in die Maschinerie einspeist. Das durch positive Erzählungen gerahmte Verwischen von Arbeits-, Privat- und Intimsphäre suggeriert, diese Arbeit könne ganz mühelos nebenbei erledigt werden. 

Den Widerspruch der eigenen Vermarktung als gemeinsame Selbstlüge auszublenden, ist ein allseitiger Vertrag zwischen den Beteiligten – ähnlich wie in vielen neoliberalen Betriebskulturen. Schon der Appell »Support me on OnlyFans!« macht deutlich, dass »echte Fans« das eigene Idol unterstützen sollten. Dass diese materielle Unterstützung mit dem Motiv der Selbstverwirklichung der Creator:in spielt, ist kein Zufall. Die Verschleierung der Warenförmigkeit eines Unterhaltungsangebotes, das die Grenzen zwischen Unterhaltung und sexueller Dienstleistung verschwimmen lässt, ist Teil der Produktionslogik, die das permanente Ausreizen und Überschreiten persönlicher Grenzen fordert. Statt einer Subjektivierung entsteht eine Objektivierung, um tabulosen Content zu produzieren, der sich von anderen Profilen abhebt. 

Diese Verwirrung entsteht auch, weil liberale Spielarten des Netz-Feminismus die große OnlyFans-Erzählung schmücken: Die Plattform sei divers, queer, kinky – und dabei unglaublich frei! Auf Konsument:innenseite kommt das Versprechen auf emanzipatorisches Wichsen als Distinktion klasse an. Vorlieben dürfen absurd bis gewalttätig sein, wenn man dabei fair bezahlt und respektvoll moralische Unterstützung verbreitet. Eine Strategie auf OnlyFans kann es sein, Content in möglichst spezifischen bis absurden Nischen zu produzieren. Selbst wenn sich die Produktion dieses Contents mit eigenen Vorlieben verbinden lässt oder zunächst als spaßig empfunden wird, verbleibt sie im Modus der Selbstobjektivierung. Die Abwesenheit einer Kategorien-Suchfunktion auf der Plattform zwingt häufig dazu, das eigene Portfolio über TikTok, Reddit oder Instagram zu bewerben. Das Angebot verbleibt also nicht nur hinter einer Paywall. Es muss zumindest in einer anderen Teilöffentlichkeit zur Schau gestellt werden, welcher Fetisch bedient wird. Nicht nur erfordert das Bespielen vieler Kanäle einen hohen Aufwand, es bietet auch wenig Sicherheit, dass der Content in der Sphäre bleibt, für die er vorgesehen ist. In der Praxis liegt die persönliche Entscheidung, wer im Bekanntenkreis von welcher beruflichen Tätigkeit weiß, häufig nicht bei der Creator:in. Die Geheimhaltung vor der Familie oder beruflichen Kreisen ist schwer möglich. Wenn bestimmte Stimmen daraufhin die komplette Entstigmatisierung aller sexuellen Praktiken unkritisch als sexpositives Empowerment gutheißen und die gesellschaftliche Zurichtung ausblenden, die diese hervorbringt, massenmedial verbreitet und stützt, ist eben nur eine halbseitige und unvollständige Betrachtung von Pornografie im Internet vollführt.  

Die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin beschreibt Pornografie als besonders eklatante Form des Auseinanderklaffens von Fantasie und Realität, die eines komplexen Verständnisses von Erregung und Abscheu, symbolischer Repräsentation und wirklicher Interaktion bedarf.Jessica Benjamin, Phantasie und Geschlecht: Psychoanalytische Studien über Idealisierung. Anerkennung und Differenz, Frankfurt a.M. 1996, 145 ff. Ausgehend vom Prinzip der Anerkennung, also der wechselseitigen Interaktion mit anderen Menschen bei gleichzeitiger Erfahrbarkeit ähnlicher Gefühle und psychischer Zustände, beschreibt Benjamin, dass Verletzung, Missbrauch, Absurdität, Ekel oder Inzest fester Bestandteil einer Konfrontation mit innerer Destruktivität und realen Gefahren von außen sein können. Destruktion ist dabei nicht als Negation des Eros zu verstehen, sondern als seine Ergänzung. In der sexuellen Fantasie fungiert die Auseinandersetzung mit negativen Elementen als Legierung zwischen Eros und Todestrieb, sie reguliert das konflikthafte Verhältnis von Anerkennung und Zerstörung des Anderen.  

Neigungen, die mit innerer und äußerer Destruktivität umgehen, benötigen die Vorstellung eines Anderen als Subjekt. Dabei kann dieselbe sexuelle Fantasie in unterschiedlichen Positionen erfahren werden und sowohl das Gefühl des Sich-Verlierens als auch des Ganzseins evozieren, die als Höhepunkte erotischer Vereinigung als transformierend erlebt werden. In einer Gesellschaft, deren sittliche Ordnung auch die Sexualität rahmt, sind Fantasien, Vorlieben und Fetische immer auch als Abbilder einer sozialen Realität zu verstehen. Das Fantasieren oder auch das praktische Ausleben von Neigungen, die mit innerer und äußerer Destruktivität umgehen, braucht also die Vorstellung eines Anderen als Subjekt. Wenn wir auf dieser Grundlage eine positive Bestimmung von befreiter oder gesunder Sexualität vornehmen wollten, bewegen wir uns also auf einer Ebene der Mutmaßung über gesellschaftliche Ordnungen, die diese hervorbringen könnten. 

Das Aufgreifen der Fantasmasierung und ihr Potenzial für Erotik durch eine aufgeladene (Selbst-)Wahrnehmung ist erst einmal nicht problematisch, genauso wenig, wie durch audiovisuelle Pornografie ein Vehikel zur Selbststimulierung und -regulierung zu bedienen. Die Verkehrsformen im Spätkapitalismus bringen jedoch ein Paradox mit sich, welches auch die Plattform OnlyFans trägt: Das Spannungsfeld zwischen Dienstleistung und Intimsphäre.  
 
Den Markt von der Bettkante schubsen?  
OnlyFans selbst hat seit seiner Entstehung eine Mystifizierung erfahren, obwohl Leaks und Medienrummel permanent offenlegen, was auf der Plattform passiert. Das kommerzielle Interesse an der Debatte um OnlyFans ist zum eigenen Zweig mutiert, der sich zwischen Stigmatisierung und Normalisierung verbreitert: Youtuber:innen, Podcaster:innen und Produzent:innen von Infotainment-Angeboten generieren auch weiterhin Klicks mit dem Thema. Als Marketing-Gag haben Wiener Museen 2021 einen OnlyFans-Account eingerichtet, um Kunstwerke, die von anderen Social-Media-Plattformen als Pornografie zensiert wurden, online bewerben zu können. Das Abschließen eines Abonnements konnte gegen eine Eintrittskarte getauscht werden. Eine smarte Idee, aber auch ein Indikator für die Reichweite der Debatte. 

Zwangsprostituierte und Opfer von Menschenhandel interessiert diese mannigfaltige Aufmerksamkeitsökonomie rund um die Plattform höchstwahrscheinlich wenig, wobei es keiner starken Gehirnakrobatik bedarf, um zu ahnen, dass der Markt auch unter Zugriff auf diese Personen bedient wird. Inwieweit OnlyFans genutzt wird, um reale Prostituierte zu vermitteln, ist schwer nachzuvollziehen, genauso wie eine Substitutionslogik durch ein Wegbrechen des klassischen Marktes der Onlinepornografie zumindest noch nicht zu belegen ist. Das, was gefragt ist und sich gut verkauft, bestimmen letztendlich nicht die Diskutierenden in den Foren, sondern die Käufer:innen.  

Ist es aber nicht wirklich ein qualitativer Fortschritt, von der Straßen- oder selbst Escort-Prostitution in den digitalen Raum zu wechseln? Materialistische Prostitutionskritiker:innen bringen es auf den Punkt: »Was die Erzählung der Sexarbeiterin daher rhetorisch vollzieht, muss die wirkliche Prostituierte in der Realität schaffen. Sie muss anwesend sein aber sich zugleich einreden, dass sie es nicht ist.«Zit. n. https://t1p.de/li1ob. Auch bei OnlyFans beruht die Erzählung der »selbstbestimmten Sexarbeiter:in« auf der cartesianischen Trennung. Sicher ist diese Trennung rein virtuell besser zu vollziehen und Körpererleben, Gewalt- und Leiderfahrungen sowie existentielle Gefahren für Leib und Leben sind anders zu bewerten. Wer allein vor der Kamera sitzt und erotischen oder pornografischen Content produziert, verkauft zunächst nicht den eigenen Körper. Produzent:innen verkaufen Bilder und Geschichten, die sich an diesen Körpern aufhängen. Wenn es auch häufig so scheint, reicht es eben nicht, nur die Kamera bei Masturbation oder partnerschaftlichem Sex draufzuhalten, um einen entspannten Nebenerwerb aufzubauen. 

Um Abonnent:innen bei der Stange zu halten, ergeben sich Professionalisierungszwänge: Ob besseres technischen Equipment, die Abrechnung der Einnahmen, das Content-Management oder die Erweiterung des Repertoires mit mehr und spezielleren Toys, der Recherche über spezielle Fetische und der Aneignung ihrer gekonnten Inszenierungen – es kommt eine Menge an notwendigem Know-How zusammen. Nicht nur die Akquise von Kund:innen ist aufwendig, auch die sozioökonomischen Voraussetzungen zum Einstieg in der Plattform sind hoch. Selbst wenn die DIY-Ästhetik eine gefragte Nähe suggeriert und Kamera- und Schnitttechnik auf mobilen Endgeräten deutlich zugänglicher und intuitiv bedienbarer ist, als noch vor 10 Jahren, die Produktion von Video-, Bild- und Textmaterial ist extrem arbeitsintensiv. In sub-reddits weisen erfahrenere Creator:innen häufig darauf hin, dass Neueinsteiger:innen aufgrund des mangelnden Wissens um diesen Aufwand die Preise für Monatsabos und Pay-Per-View extrem drücken. Auch Konsument:innen diskutieren diese Preis-Leistungs-Dynamik. 

Das Marketing von OnlyFans richtet sich gezielt an ökonomisch vulnerable Personen und Gruppen auf der Suche nach finanzieller Sicherheit bei gleichzeitiger Flexibilität. Die Professionalisierungsdynamik treibt sie dabei häufig in die Arme des Agenturendschungels, der sich um OnlyFans verdichtet hat. Selbst, wenn ein:e Creator:in genug verdient, um einige Tätigkeiten wie Vermarktung und Schnitt auszulagern, stellt sich die Frage, ob damit nicht die klassische Figur des Zuhälters nur in ein abstrakteres Ausbeutungsverhältnis überführt wird. Denn das meiste Geld streichen am Ende immer noch die Agenturen und die Plattform selbst ein.  

Der digitale Verkaufsmarkt kennt wenige Grenzen. Vermutlich wird die Arbeitsteilung, die durch Agenturen und Start-Ups bereits passiert, dadurch nur noch weiter verstärkt. Angekaufte Bilder werden von kreativen Schreiberlingen als persönliche Kund:innenbetreuung kombiniert, zu großen Teilen auch mit vorformulierten Texten aus dem Baukasten.Möglicherweise werden hier Refugien der Erotic- und Fanfiction zunehmend kommodifiziert, die sich bisher in Internet-Foren an der Schnittstelle von Popkultur, Sexualität und Fantasie gebildet haben. Auch bei Plattformen wie OnlyFans könnte sich außerdem etablieren, was in anderen Formen der Produktion von medialen Kulturgütern durch den Einsatz von KI schon längst stattfindet: Eine Anzahl von Bots in Reihenschaltung verbinden die gewünschte Influencer:in mit den demografischen Daten der User:in, der Content wird nach persönlichen Vorlieben ausgegeben und wahlweise in den präferierten Fetisch eingebettet. Es bedarf dann nur noch einer rekombinierenden Bedienung von Accounts, um das Spannungsfeld zwischen Dienstleistung und der Sehnsucht nach einer »authentischen Intimität« als Erzählung aufrechtzuerhalten. Sind wir damit auf dem Weg in eine Pornografie und Prostitution ohne reale Personen, ohne physische Körper und ohne subjektive Leiderfahrungen? Ist das Bedienen und Monitoring dieser Dienstleistung dann doch wieder nur ein Job wie jeder andere? Als Schritt in Richtung einer emanzipierten Sexualität wäre dieses Szenario jedenfalls nicht zu bezeichnen. Schließlich säßen weiterhin zugerichtete, vereinzelte Produzent:innen und Konsument:innen vor ihren Bildschirmen. 

 

Gruppe Prostitutionskritik Leipzig  
Die Autor:innen sind Teil einer linken Vernetzung zur Kritik der Prostitution und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese hervorbringen.