Der kommende Aufstand

Dokumentiert wird ein Inputreferat, das im Rahmen der Veranstaltung »Wenn's mal wieder länger dauert… ›Der kommende Aufstand‹, die K-Frage und wir«, organisiert von TOP B3rlin, gehalten wurde

Die Position des Komitees ist ja, bescheiden und anmaßend zugleich, die des »unsichtbaren Beobachters der Situation«. D.h. sie wollen nur beschreiben, ganz phänomenologisch, was ist und was ohnehin passiert. Das soll keine empirische Analyse sein und auch keine kategoriale Entwicklung, wie man das etwa von der Soziologie und vom Marxismus her kennt. Das Manifest will überhaupt keine theoretische Auseinandersetzung sein; im Gegenteil, es trumpft eher mit einer gewissen Evidenz auf, so als sei bereits alles gesagt und eh klar, was los ist, und als komme nun nur noch alles darauf an, eine Entscheidung zu treffen.

Indes wird das Manifest gerade dann interessant, wenn man es selbst zu der Situation dazuzählt, aus der es sich gleichsam abzieht und die es nur zu beobachten vorgibt. Dann ist das Manifest selbst Ausdruck einer bestimmten Entwicklung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Kritik. Es ist sogar Ausdruck einer bestimmten Ausweglosigkeit; auch oder vielleicht gerade, indem es wie ein radikaler Bruch daherkommt.

Dass das Buch selbst Teil der von ihm beobachteten Situation ist, wird in zweifacher Hinsicht meine Kritik sein.

• Zum einen in dem negativen Sinne, dass dem Buch eine solche selbstkritische Einordnung in die Situation fehlt. Es besticht vielmehr durch eine Distanzlosigkeit, kann darum eine existenziale Haltung einnehmen und wie ein Befreiungsschlag auftreten.

• Zum anderen in dem positiven Sinne, dass es als Teil der aktuellen Situation der Orientierung dienen kann. »Der Orientierung« heißt, es kann uns – wie eine große Vorsitzende es vor kurzem formuliert hat – auf der »Suche nach dem Weg zum Kommunismus helfen«.

Ich will kurz skizzieren, wie sich der kommende Aufstand in all die anderen Versuche einordnen lässt, den Weg zum Kommunismus zu bestimmen, und warum er in dieser Hinsicht sogar eine Entwicklung auf den Punkt bringt und höchst aktuell ist. Wie sahen also diese bisherigen Versuche aus?

1. Es war der große Anspruch von Marx und dann auch von der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung der ersten Stunde, den Kommunismus mit einer bestimmten Notwendigkeit zu begründen. Diese war zum einen eine logische Notwendigkeit, die vor allem aus den objektiven Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft folgen sollte, namentlich natürlich aus dem Widerspruch von Arbeit und Kapital. Es ging aber auch um eine geschichtliche Notwendigkeit, nämlich um diejenige, die aus der Entwicklung und Zuspitzung dieser objektiven Widersprüche folgen sollte; vor allem aus dem Fortschritt der Produktivkräfte, denen ihre kapitalistischen Produktionsverhältnisse irgendwann zur Fessel werden müssen.

Kurzum, es schien also, als ließe sich vom Standpunkt der Arbeit und der Produktivkräfte aus im Namen einer logischen wie geschichtlichen Folgerichtigkeit sprechen. Dieser erste Versuch will die Notwendigkeit des Kommunismus durch eine logische und geschichtliche Folgerichtigkeit begründen.

2. Dieser Versuch wurde schon früh für seinen Ökonomismus und Determinismus kritisiert. Dabei geriet insbesondere ein bestimmtes Problem in den Mittelpunkt, nämlich dass der objektiven Notwendigkeit offensichtlich keine subjektive entsprach. So bemerkte etwa Lenin, dass die Arbeiterklasse spontan nur trade-unionistisches, also gewerkschaftliches Bewusstsein hervorbringe. Er forderte darum einen subjektiven Faktor ein, der für das fehlende revolutionäre Bewusstsein einspringt: die Kommunistische Partei, bei Lenin gefasst als »Partei neuen Typs«. Georg Lukàcs hat dann diese Kritik aufgenommen und noch radikalisiert. Bei ihm muss nicht die Partei das revolutionäre Bewusstsein auf sich nehmen, sondern das Proletariat muss die eigene Entfremdung und Verdinglichung als Ware Arbeitskraft begreifen. Und durch dieses Selbstbewusstsein kommt es zu einem revolutionären Bewusstsein.

Solche Reflexion auf ein fehlendes revolutionäres Bewusstsein und die Einführung eines subjektiven Faktors, ob in Gestalt der Partei wie bei Lenin oder der unmittelbaren Selbstermächtigung der Arbeiterklasse wie bei Lukács, war der zweite Versuch auf dem Weg zum Kommunismus.

3. Der dritte Versuch resultierte aus einer Art Abkehr. Sie hängt einerseits mit der Erfahrung der beiden Weltkriege, des Nationalsozialismus und des Holocaust zusammen; andererseits mit der Legitimationskrise, in die Stalinismus und Realsozialismus die antikapitalistische Gesellschaftskritik geführt hatten. Die Abkehr betraf den emphatischen Revolutionsbegriff der marxistischen Tradition und führte zu einer Art Umkehr. Die Revolution hat nun eher den Charakter einer Notbremse, wie Walter Benjamin sagte – »damit es nicht so weitergeht«, wie Adorno hinzufügte. Tatsächlich lässt sich diese Abkehr am besten an der Kritischen Theorie festmachen. So haben insbesondere die »Dialektik der Aufklärung« und die »Negative Dialektik«, wie die Titel schon andeuten, auf die Probleme einer logischen Begründbarkeit und einer objektiven Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus reflektiert und in dieser Richtung nur Aporien festgestellt. Zudem würden die gesellschaftlichen Widersprüche mittlerweile nur noch in eine Eindimensionalität führen, und auch die Entwicklung der Produktivkräfte bringe nicht nur einen geschichtlichen Fortschritt mit sich, sondern ebenso eine verhängnisvolle und destruktive Entwicklung. Diese pessimistische Abkehr von einem emphatischen Revolutionsbegriff war der dritte Versuch.

Damit komme ich auch schon zur neuesten Entwicklung. Sie verbindet alle drei Versuche, also das Emphatische und die objektive Notwendigkeit des ersten Versuchs, den subjektiven Faktor des zweiten und die Abkehr und die Negativität des dritten. Aus dieser Verbindung entsteht allerdings etwas Neues: Ja, es gibt keine objektive Notwendigkeit für den Kommunismus; ja, die Notwendigkeit der Revolution lässt sich durch keine objektiven Widersprüche, keinen Fortschritt der Produktivkräfte und durch keine geschichtliche Entwicklung ableiten. Aber gerade das wird die Revolution erst als eine solche auszeichnen. Die Notwendigkeit liegt nämlich paradoxerweise in einem radikal subjektiven Akt, der aber selbst objektiv notwendig ist. Im Manifest wird dafür der Begriff der »Entscheidung« gebraucht.

Am prägnantesten wird dieser neueste Versuch von Alain Badiou formuliert. Bei ihm heißt Revolution nun Ereignis, und ein Ereignis wird erst ein solches gewesen sein, indem es gegen alle Notwendigkeit und überhaupt gegen das Bestehende und vielleicht sogar gegen alle Erwartungen eintritt. Es wird jedenfalls erst im radikalen Bruch eintreten, und dieser verlangt eine ebenso radikale Entscheidung. Daher ist es auch unzureichend, eine Analyse des Bestehenden zu betreiben, Fakten sprechen zu lassen, empirische Erfahrungen zu verarbeiten usw. Das wird immer im Status des Bestehenden bleiben, d.h. es wird daraus nur begründen können, was möglich ist. Ein Ereignis zeichnet sich aber gerade dadurch aus, mit den Möglichkeiten, die sich aus dem Bestehenden ergeben, zu brechen und ein ganz neues Feld des Möglichen zu eröffnen, d.h. ganz neu zu bestimmen, was möglich sein wird.

Innerhalb dieses neuesten Versuchs lassen sich nun drei »Haltungen« unterscheiden.

• Derrida z.B. nimmt eine eher ab- und erwartende Haltung gegenüber dem Ereignis ein; er will sich gastfreundlich zeigen: auf dass es eintreten möge.

• Badiou nimmt eine Formalisierung und Ontologisierung des Ereignisses vor, d.h. die Revolution wird wie ein mathematischer Term formuliert. Badiou bleibt nicht passiv erwartend und abwartend wie Derrida, er predigt aber auch keinen Aktionismus.Vgl. Frank Engster, Die Idee des Kommunismus – Die Reformulierungen der traditionellen Revolutionstheorie, in: Phase 2.32, 2009.

• Der »Kommende Aufstand« nun nimmt einerseits eine aktive und existenziale Haltung ein, die andererseits aber wie eine Art Kunstwerk wirkt. Selbst da, wo es um militante Praxis und ihre Wirksamkeit geht, wirkt das wie ein bloßes Statement, wie rein symbolische Politik, die nicht auf Mehrheiten, nicht auf das bessere Argument, nicht auf Überzeugen etc. zielt, sondern eher eine bestimmte Position markieren will.

Jedenfalls ist das Manifest aktuell, weil es ähnlich wie Derrida, Agamben, Badiou u.a. den Weg zum Kommunismus vom Ereignis und von der Entscheidung her denkt. Dieses Denken vom Ereignis her lässt sich verdeutlichen anhand einer zentralen Unterscheidung oder besser Differenz. Sie wird im Manifest gleich zu Anfang betont und vor allem am Ende ausgeführt, nämlich die Differenz zwischen der Politik und dem Politischen. Politik ist das, was die demokratischen Parteien, aber auch ihre linken KritikerInnen und GegnerInnen betreiben und in konstruktive Kritik führt, Organisierung verlangt und schließlich im »Milieu«, in der »Vollversammlung«, in der »Anästhesie« etc. endet. Die Frage nach dem Politischen geht dagegen von einer gewissen Grundlosigkeit insofern aus, als sie allen Formen der Politik eine Letztbegründbarkeit abspricht. Sie delegitimiert mithin alle Gestalten, die als Repräsentation einer solchen Letztbegründung auftreten und sich etwa durch Gott, durch die Arbeit, die Nation oder auch durch die Vernunft oder das Volk begründen wollen. Dieser Bruch mit allen Versuchen, Politik positiv zu begründen und sie auf einen letzten Grund zurückzuführen oder daraus abzuleiten, eröffnet die Frage nach dem Politischen, mithin nach der Kraft eines Ereignisses, nach der Freiheit der Entscheidung, nach dem Universellen usw. Hier kommt m.E. auch die existenziale Haltung des Manifestes her.Und die Anschlussmöglichkeit zu Heidegger, Nietzsche, Jünger, Schmitt, Arendt, Sorel etc. Vereinfacht gesagt geht es um eine Unterscheidung, die vor allem in der französischen Philosophie präsent ist, sich z.T. aber auf Heidegger, Benjamin und Schmitt beruft und von Autoren wie Jean Luc Nancy, Claude Lefort, Alain Badiou, Ernesto Laclau, Giorgio Agamben thematisiert wurde.

Soweit zur These, dass das Manifest eine Entwicklung innerhalb der Kapitalismuskritik auf den Punkt bringt und dass es insofern der Orientierung dient. Damit ist allerdings auch die oben angekündigte Kritik verbunden, dass es das gerade nicht thematisiert. Mehr noch, es fehlt diejenige selbstkritische Wendung, die m.E. für eine radikale Gesellschaftskritik wesentlich ist. D.h. das Komitee begreift sich selbst nicht als Teil dessen, was es verachtet, gerade da, wo es auf eine Entscheidung und einen Bruch zielt. Wie ist das zu verstehen?

Das beste Beispiel ist immer noch die große Idee der kommunistischen Revolution, die der traditionelle Marxismus formuliert hat.

Diese Idee besteht vereinfacht gesagt darin, dass die Arbeit einerseits das Gesellschaftliche schlechthin und quasi an-sich-Universelle sein soll, dass dieses Universelle andererseits aber im Widerspruch steht zur privaten und ungeplanten kapitalistischen Anwendung und Ausbeutung der Arbeit. Darum soll die Arbeiterklasse ja auch das Subjekt der Revolution sein. Das Problem ist nun diese positive Bestimmung der Arbeit. So ist zu Recht kritisch darauf hingewiesen worden, dass die Arbeit eine spezifisch kapitalistische Kategorie ist, ebenso wie die Arbeiterklasse, und dass beide als solche keineswegs über den Kapitalismus hinausweisen, sondern im Gegenteil mit ihm vergehen müssen. Es ist bekanntlich ein Unterschied ums Ganze, ob es um die Befreiung der Arbeit geht, oder um die Befreiung von der Arbeit.

Das lässt sich am zweiten Beispiel weiter ausweisen, nämlich am Staat. Die verhängnisvolle Entwicklung des Realsozialismus ist ja Folge nicht nur des emphatischen Arbeits- und Klassenbegriffs, sondern der Repräsentation der Arbeit und ihrer Klasse durch die Kommunistische Partei und dann durch den Staat. Im Realsozialismus wurden mit der Arbeit auch die Partei und der Staat totalisiert und verewigt, während das Revolutionäre doch umgekehrt ihre Abschaffung gewesen wäre. Kurzum, so wie die Arbeiterklasse sich gegen sich selbst wenden und sich negieren und abschaffen müsste, so müsste auch der sozialistische Staat sich gegen sich wenden und abschaffen. Es mit diesem Dilemma aufzunehmen, diese paradoxe Aufgabe ist m.E. die eigentliche entscheidende Zutat in jeder »revolutionären« Kritik. Diese Selbstkritik vermisst man nicht nur im Manifest, das Fehlen ermöglicht auch erst seinen Gestus, als sei schon alles klar und man könne zur Tat schreiten.

Ich will dafür zum Schluss ein Beispiel aus dem Manifest selbst geben. Einerseits schließt es an die Situationistische Internationale und ihre Kritik der »Gesellschaft des Spektakels« an. Hier ging es bereits um eine eher kulturkritisch als orthodox marxistische Kritik. Vereinfacht gesagt ging es darum, dass die Ware nicht nur im engen ökonomischen Sinne aufzufassen ist, sondern dass in der Welt des Konsums, der Kulturindustrie und der Werbung alles Ware ist und dass hier die Ware als Spektakel gefasst werden muss. Entsprechend ging es nicht mehr um Verelendung im Sinne materieller Armut, sondern um die geistige und emotionale Verelendung durch die Konsum- und Medienwelt, aber auch durch bestimmte Regierungstechniken usw. An diese Kritik schließt auch das Manifest an.

Aber ist das Manifest nicht selbst ein Spektakel in diesem schlechten Sinne? Leicht konsumierbar wie ein Wegwerfartikel, bestechend durch einen Stil, eine existanziale Haltung und eine radikale Geste, statt mit Analyse, inhaltlicher Auseinandersetzung oder kategorialer Entwicklung aufzuwarten? Die neueste Mode auf dem Markt der Linken, heute durchs Feuilleton getrieben, um morgen schon wieder folgenlos durch den nächste Hype abgelöst zu werden, so wie es selbst Negris Empire abgelöst hat? Ist es spektakulär nicht gerade durch eine fulminante Sprache wie in der Werbung und plakative Militanz und Grenzüberschreitung wie in der Kunst?

Es geht nicht darum, dem Manifest seine Haltung, seinen Stil, seine Sprache etc. vorzuwerfen. Aber all das müsste selbst zur kritisierten Gesellschaft dazugerechnet werden, in einer Art Selbstekel, Selbsthass oder was eben die passende Haltung für ein unsichtbares Komitee wäre. Daher ist die Kritik auch nicht, dass das Manifest zu radikal ist, weil es mit allem brechen will, womöglich sogar mit der gesamten Zivilisation, und weil es auch all die linken Organisationsformen, Vollversammlungen, Machtansprüche etc. ablehnt. Die Kritik ist im Gegenteil, dass es nicht radikal genug ist, weil es auch brechen müsste mit all den Phantasmen, die die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft hervorruft. Genau diese Phantasmen werden aber im Gegenteil auch noch beschworen: Als ob wir nur radikal mit dem Bestehenden brechen müssten, um der eigenen Freiheit ausgesetzt zu sein und in einer offenen Situation der Entscheidung zu stehen. Als ob, wenn wir uns nur befreiten von all den Zumutungen der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung: vom Geld, vom Staat, von den Waren- und Medienströmen, von der Versorgung durch die Nahrungsmittelindustrie – als ob wir dann im Offenen stünden, als ob dann die Notwendigkeit der Entscheidung aufbräche, und als ob wir dann der Freiheit zu echten Bindungen qua politischer Entscheidung ausgesetzt wären und all ihre Konsequenzen auf uns nehmen könnten.

Frank Engster

Der Autor lebt in Berlin.