Der Zwitter als Freak

Kathrin Zehnder beschreibt die Exotisierung von Intersexuellen und die Konsequenzen von Sex-Tests im Sport am Beispiel von Caster Semenya

Die Geschichte von Caster Semenya ist schnell erzählt: Eine junge südafrikanische Läuferin, die als Frau an der Leichtathletik-WM teilnimmt, erbringt eine unglaubliche Leistung. Wegen einem vermeintlichen Bartansatz und tiefer Stimme wird sie medial als »Mannsweib« Blick am Abend vom 20. August 2009. diffamiert und muss offiziell zum Sextest. Und plötzlich schaut die ganze Welt auf das, was Interessengruppen weltweit sonst nur mit Mühe in die Medien bringen: Intersexualität, Hermaphroditismus oder, wie es die Medizin nennt, eine »Störung der Geschlechtsentwicklung«. Dagegen wehren sich besagte Interessengruppen vehement. Für sie ist Intersexualität keine Störung oder Krankheit, sondern eine Variante neben Frau und Mann. Deshalb kämpfen sie auch gegen die Genitaloperationen, die bei den meisten Intersexuellen noch heute vorgenommen werden. Das bedeutet im Extremfall Kastration, Klitorisverkürzung und künstliche Scheide, in weniger schweren Fällen Hormone – ein Leben lang. Michael Groneberg/Kathrin Zehnder (Hrsg.), Intersex - Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes?, Fribourg 2008. Intersexualität ist ein Tabuthema und anscheinend für die Boulevardpresse nur dann interessant, wenn es zur Sensation gereicht.

Wie genau entschieden wird, ob ein Mensch ein Mann oder eine Frau ist, wurde aus den Medienberichten häufig nicht klar. Diese Verwirrung kommt nicht von ungefähr. Erstens hat der Mensch ganz unterschiedliche Geschlechtsmerkmale, die alle Indizien für ein Geschlecht sind, aber nur in Kombination mit anderen das Geschlecht bestimmen. Zweitens sind einzelne Merkmale nicht unbedingt klar bestimmbar und kommen in unzähligen Varianten vor. Dass manch ein Mann eher einen Bartflaum als einen Vollbart trägt und nicht jede Frau ein gebärfreudiges Becken besitzt, ist vielen klar. Dass Chromosomen in Varianten von X0, XXY, XXXXY oder XYY vorkommen, 5 Prozent aller Männer in ihrem Leben eine Brust entwickeln, dass es Frauen mit Hoden und Männer mit Gebärmutter gibt, ist hingegen den wenigsten bekannt.

 Ein Fall wie Caster Semenya führt vor Augen, dass Geschlecht eine relativ willkürliche Unterscheidung darstellt und zwar nicht nur auf die Frage hin, ob ein Mensch einen Penis hat oder nicht, sondern vor allem auch hinsichtlich kontinuierlich konstruierter Merkmale wie Körperbehaarung und Muskulatur; Eine als natürlich verstandene Grenze, die jedoch gleichzeitig fließend ist und je nach BetrachterIn unterschiedliche Toleranzwerte aufweist. Theoretisch, so suggerierte die Boulevardpresse, wäre Caster Semenya ein Mann, hätte sie XY-Chromosomen, eine Frau bei XX. Nur, so einfach ist es nicht: Es gibt Menschen, die trotz XY-Chromosomen einen weiblichen Körper, weibliche Muskulatur und nein, keinen Damenbart entwickeln. Ihr Y lässt sie keine Hundertstelsekunde schneller sein als »gewöhnliche« Frauen. Eine XY-Frau darf dann auch weiterhin bei den Frauen laufen. So entschied das International Olympic Commitee (IOC) im Falle der spanischen Hürdenläuferin Maria Patiño. Weil bei ihr ein Y-Chromosom nachgewiesen wurde, durfte sie bei den Olympischen Spielen 1988 nicht starten, wie diverse Zeitungen in den letzten Monaten berichteten. Patiño wurde jedoch später rehabilitiert und konnte (nach zweijährigem gerichtlichem Hickhack) wieder laufen. Ein Y bringt eben nicht automatisch Höchstleistung. Anne Fausto-Sterling, Sexing the Body: Gender Politics and the Construction of Sexuality, New York 2000.

 Geschlechtstests oder Gender Verification sind nichts Neues. Sie wurden von 1968 bis 1998 bei den Olympischen Spielen sogar systematisch durchgeführt. Der Historiker Stefan Wiederkehr sieht dies als Folge einer zweifachen Grenzüberschreitung. Einerseits drangen Frauen zunehmend in die Männerdomäne Sport ein, andererseits verdächtigte man Frauen als Männer während des kalten Krieges mit dem Ziel, die Leistungen der kommunistischen Länder zu bremsen. Stefan Wiederkehr, Mit zweifelsfreier Sicherheit ... keine Frau. Geschlechtertests im Spitzensport zwischen medizinischer Expertise und Technikeuphorie der Funktionäre, in: Technikgeschichte 75 (2008) H. 3, 253-270.

 Im antiken Griechenland und an den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit durften Frauen bis 1900 nicht teilnehmen. Man befürchtete, Frauen würden zu muskulös und unfruchtbar durch die sportliche Betätigung. Später waren sie für Tennis und Golf zugelassen und sukzessive erhielten sie Zugang zu weiteren Sportarten: 1912 zum Schwimmen und 1928 zur Leichtathletik. Pikantes Detail: Der 800-Meter-Lauf wurde, weil angeblich zu beschwerlich für Frauen, bis 1960 ausgenommen. Von Volleyball (1964) über das Rudern (1976) zum Radfahren (1984) und Fußball (1996) dürfen Frauen seit 2004 sogar ringen. Einzig Boxen und Baseball sowie die nordische Kombination und das Skispringen im Winter sind bis heute den Männern vorbehalten, Softball, Synchronschwimmen und Rhythmische Gymnastik hingegen den Frauen. Interessant ist auch, dass eine Sportart, soll sie ins olympische Programm aufgenommen werden als Männersport in 75, als Frauensport hingegen nur in 40 Ländern verbreitet sein muss. Noch heute treten Länder an der Olympiade als reine Männermannschaften an. 1992 waren es noch 35, in Atlanta 1996 26, in Sydney 2000 noch zehn, 2004 in Athen vier und 2008 drei Nationen, die ohne Frauen antraten. Eigentlich widerspricht dies der olympischen Charta, denn »alle Formen der Diskriminierung mit Bezug auf ein Land oder eine Person, sei es aus Gründen von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Motiven, sind mit der Olympischen Bewegung unvereinbar«. Regel 3, Kapitel 1 der Olympischen Charta. Bestrebungen, diese Länder von den olympischen Spielen auszuschließen blieben jedoch erfolglos. Anders lag der Fall aufgrund von Rassendiskriminierung. So war Südafrika deswegen 24 Jahre lang von den Olympischen Spielen ausgeschlossen.

 Aber zurück zum Sextest: Zu Beginn der Geschlechtertests in den Jahren 1967 und 1968 beruhten sie auf einer körperlichen Untersuchung. Später sollte der Barr-Body-Test eine einfache Antwort liefern. Mit diesem Test lässt sich anhand einer Speichelprobe leicht bestimmen, ob in einer Zelle Sexchromatinkörperchen vorhanden sind oder nicht. Ist dies der Fall, gilt die Probandin als Frau, ansonsten als Mann. Wiederkehr, Mit zweifelsfreier Sicherheit, 265. Dass diese Sichtweise vollkommen verkürzt ist, wurde weiter oben bereits gezeigt. Heute hat die International Association of Athletics Federations (IAAF) eine differenziertere Haltung. In ihrer Policy on Gender Verification legt sie fest, dass Fälle individuell beurteilt werden müssen und veranlasst für bestimmte Intersex-Syndrome, dass aus diesen keine Vorteile gezogen werden können. Die Formulierungen des IAAF sind jedoch vollkommen schwammig und taugen nicht für eine seriöse Beurteilung. Federations, International Association of Athletics, IAAF Policy on Gender Verification. Prepared by the IAAF Medical and Anti-Doping Commission 2006. Die Resultate der angekündigten Tests bei Caster Semenya wurden bis heute nicht veröffentlicht. Dies soll erst geschehen, wenn die IAAF im November in Monaco tagt und entscheidet, welche Konsequenzen die Resultate mit sich bringen. Das Vorgehen der IAAF im Fall Caster Semenya ist undurchsichtig und unethisch. Aufgrund von wessen Verdächtigungen wird ein Sextest überhaupt ins Auge gefasst? Aufgrund der eines Bartansatzes und ausgeprägter Muskulatur? Wie soll die individuelle Beurteilung im Detail aussehen und welche Konsequenzen hat diese für Caster Semenya? Weshalb dauert die Abklärung (während derer die IAAF ausdrücklich zur sportlichen Nichtbetätigung rät) so lange? Klar, im Sport geht es um knallharte Leistung. Fairerweise sollte aber allen bekannt sein, unter welchen Umständen diese Leistung anerkannt wird.

In Die männliche Herrschaft Pierre Bourdieu, Eine sanfte Gewalt. Pierre Bourdieu im Gespräch mit Irene Dölling und Margareta Steinrücke., in: Irene Dölling,/Beate Krais (Hrsg.), Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis, Frankfurt a.M. 1997, 218-230; ders., Die männliche Herrschaft, Frankfurt a.M. 2005. erläutert der Soziologe Pierre Bourdieu, dass die Frau als symbolisches Objekt konstituiert sei, dessen Sein als »Wahrgenommen-Sein« konstruiert ist. Anders gesagt entwickelt sich der weibliche Habitus zwingendermassen darauf hin, dass Körpererfahrung immer als Erfahrung des Körpers-für-Andere gemacht wird. Der weibliche Körper ist unablässig dem Blick und den Reden der anderen ausgesetzt. Dies hat »den Effekt, dass die Frauen in einen Zustand ständiger körperlicher Unsicherheit oder besser symbolischer Entfremdung versetzt sind. Ihr Sein ist ein Erscheinen, und so werden sie ohne explizite Aufforderung dazu gebracht, sich mit der Art wie sie ihren Körper halten und präsentieren […], den Männern gegenüber als disponibel […] zu zeigen. […]«. Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, 229. Bourdieu weist auch darauf hin, dass man die Erfolge der feministischen Kritik nicht überschätzen dürfe, dass das Prinzip männlicher Herrschaft und damit der oben erwähnte Platzverweis der Frauen im Grunde bis heute seine Gültigkeit hat. Dass dem so ist, beweist die Skandalisierung des Falles Caster Semenya leider nur allzu trefflich. Für Bourdieu nicht erstaunlich, denn gerade im Sport hört die weibliche Disponibilität, das Verfügbar-Sein für andere auf. Der Körper ist nicht mehr bloß für andere da, er »wird zum Körper für einen selbst, aus einem passiven und fremder Aktion unterliegenden Körper zu einem aktiven und handelnden Körper«. Ebd. 229. Wie Bourdieu weiter sagt, erscheine die Sportlerin, die sich ihren Körper gewissermaßen wieder aneignet vom Mann aus gesehen nicht »feminin«, ja als lesbisch. Oder anders gesagt: Entspricht eine Frau nicht der sozial konstruierten Rollenerwartung bezüglich ihres Geschlechts (Gender), reagieren Sportverbände mit einem Geschlechts(Sex)test. Wiederkehr, Mit zweifelsfreier Sicherheit, 256.

Caster Semenya stellt jedoch nicht nur eine Bedrohung der Weiblichkeit, sondern auch hegemonialer Männlichkeit dar. Die junge Sportlerin hat nämlich noch einige Muskeln mehr als die meisten Männer gerne hätten. Wenn eine Frau sein kann wie ein Mann (muskulös, schnell, selbstbewusst), dann muss sie ein Mann sein, weil sich sonst Mann-Sein nicht mehr von Frau-Sein unterscheidet.

Im »Fall« Caster Semenya wird schließlich offenbar, dass es nicht nur um eine Abweichung von der Norm-Frau geht, sondern um die Verdächtigung, Semenya sei keine Frau, die durch vollkommen willkürliche weitere Differenzmerkmale wie die sexuelle Orientierung oder das soziale Geschlecht untermauert wird: Da meint etwa eine alte Freundin zu wissen, dass Caster schon immer auf Mädchen stand. Zudem hätte sie gern Fußball gespielt. Ein Beweis ihrer Unweiblichkeit? Interessant sind diesbezüglich auch die Bilder, die durch die Weltpresse gingen. Semenya zeigt sich oft in männlich konnotierten Siegerposen. Die Verdächtigungen resultieren nicht nur aus einer besonderen körperlichen Erscheinung, denn diese haben viele andere Sportlerinnen auch, sondern vielmehr aus Semenyas Verhalten. Eine sich freuende Frau sieht so eben nicht aus.

Auch medizinisch-psychologische Untersuchungen »befürchten« immer wieder eine Zunahme der homosexuellen Neigung bei Frauen mit hohen Testosteronwerten und Intersexuellen. Zudem wird in Untersuchungen nachzuweisen versucht, dass sich intersexuelle Mädchen »wilder« benehmen als andere. Trotz vollkommen widersprüchlichen Resultaten und kleinsten Stichproben hält man an diesen Fragen fest. Homophobie und Sexismus im 21. Jahrhundert?

Die südafrikanische Öffentlichkeit sorgte sich jedoch weniger um die Diskriminierung Caster Semenyas aufgrund homophober und sexistischer Berichterstattung, sondern warf der Welt rassistische Motive vor. Begründet wurden diese Vorwürfe jedoch nicht. Warum sind die Medienberichte über Caster Semenya (auch) rassistisch? Die Norm-Frau resp. das Weiblichkeitsideal sind »weiß« konstruiert, wie die feministische Kritik der letzten Jahrzehnte immer wieder gezeigt hat. Damit fällt alles, was nicht schlank ist, wenig Muskeln hat und weiß ist, unter die Kategorie »abweichend«. Problematisch an der medialen Berichterstattung ist diesbezüglich einerseits die Annahme, dass »Rasse« und Geschlecht natürliche Entitäten seien und nicht konstruierte Differenz- und Diskriminierungsmerkmale. So taugt Geschlecht im Sport zwar noch als Unterscheidungs- und damit Segregationsmerkmal, »Rasse« und Klasse jedoch nicht. Im Unterschied zur Klasse ist die »Rasse« eines Menschen jedoch sichtbar und kann deshalb weiterhin Diskriminierungen hervorrufen. Zum Glück werden im Sport keine »Rassen« unterschieden und das Argument, »Nicht-Weiße« müssten in einer separaten Kategorie laufen, weil sie durchschnittlich besser bemuskelt seien als »Weiße«, von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Eine Segregation nach Geschlechtern ist jedoch absolut unumstritten. Weil Geschlecht nach wie vor als natürlich und vor allem eindeutig verstanden wird.

Ein Aufschrei der Empörung geht durch Südafrika, weil ihre Läuferin als Zwitter verdächtigt wird. Aus einem Superstar wird ein Freak. Heute ist klar, dass der südafrikanische Verband nicht nur die Welt, sondern auch Semenya selbst getäuscht hat. Es bestand bereits früher ein »Verdacht«. Man hätte jedoch, wäre man an die Öffentlichkeit gegangen der ganzen Welt verkündet, Semenya sei nicht »normal«, so das Argument für die Lüge um Casters Geschlechtszugehörigkeit.

 Semenya könnte ein Zwitter sein - intersexuell. Ob sie daraus einen Vorteil zieht, ist mit dieser Aussage vollkommen unklar. Hätte sie einen XXY-Chromosomensatz, wie in manchen Medien spekuliert wurde, wäre sie medizinisch gesehen ein Mann mit einer Chromosomenvariante. Sie hätte die Muskulatur eines Mannes, einen Penis und allenfalls sehr kleine Hoden. Sie wäre unter Umständen groß gewachsen und allenfalls zeugungsunfähig. Hätte Caster das komplette Androgeninsensitivitätssyndrom (CAIS), Androgenresistenz (engl. AIS für androgen insensitivity syndrome). AIS bezeichnet eine verminderte oder fehlende Wirkung von Androgenen bei Personen mit 46,XY Karyotyp. Trotz des in den embryonalen Testes gebildeten Testosterons entwickeln sich durch die Umwandlung des Testosterons zu Östradiol weibliche Körperformen. Zu unterscheiden sind die komplette und die teilweise Androgenresistenz: CAIS und PAIS (complete/partial androgen insensitivity syndrome). Bei kompletter Androgenresistenz entfalten die Androgene keinerlei Wirkung. Trotz XY-Karyotyp entstehen daher ein weibliches äußeres Genitale und körperliches Erscheinungsbild. Ist die Wirkung der Androgene nur teilweise beeinträchtigt, weist das äussere Erscheinungsbild ein weites Spektrum auf. Der Phänotyp bei PAIS variiert von fast komplett weiblich mit geringen Virilisierungen zu fast komplett männlich. hieße das, dass sie zwar einen männlichen XY-Chromosomensatz besitzt, ihr Körper aber nicht oder nur teilweise auf das Testosteron reagieren konnte und sie sich deshalb bereits im Mutterleib äußerlich weiblich entwickelt hat. Daraus zöge sie sporttechnisch keinen Vorteil und die IAAF erlaubt – wie im Falle von Maria Patiño – ausdrücklich eine Teilnahme an Wettkämpfen als Frau.

Das Resultat hat für Caster Semenya jedoch nicht nur karrieretechnische, sondern auch persönliche Konsequenzen. Die Macht der binären Geschlechterordnung wirkt insofern disziplinierend, als das Wissen um oder gar die Akzeptanz von Intersexualität einer Selbstentwertung gleich käme und zwar nicht nur, weil damit der Betrugsverdacht manifest würde, sondern auch weil Caster sich als »abnorm« bezeichnen würde. Die Bekräftigungen ihres Vaters, sie sei ein Mädchen und die Plakate der südafrikanischen Bevölkerung, sie sei 100 Prozent Frau mögen zwar nett gemeint sein, machen aber Casters Situation nur noch verzweifelter. Würde sich nämlich herausstellen, dass sie eben doch kein echtes Mädchen und nicht 100 Prozent Frau ist, so ist zu befürchten, dass man nicht mehr hinter ihr steht. Als intersexueller Mensch hat man immer nur zwei Möglichkeiten: Man normalisiert sich mit dem Verweis darauf »wie alle andern« zu sein oder man betont das Anderssein. Die Normalisierung ist häufig zum Scheitern verurteilt: Man fühlt sich eben oft nicht als Frau, menstruiert nicht, kann nicht mitreden oder sieht nicht aus wie die Idealfrau. Dies führt dazu, dass sich viele Intersexuelle in ihrer Verzweiflung das Leben nehmen. Die andere Möglichkeit ist, sich das Anderssein anzueignen und sich der Zweigeschlechternorm nicht zu unterwerfen. Zwitter sein, Hermaphrodit, eine Beschenkte, eine besondere Art. Nur wo ist der Raum, dies auszuleben, ohne sich vollkommen ins Abseits zu manövrieren? Wer ermöglicht ein Ausprobieren intersexueller Geschlechternormen, wenn jedes Kind kurz nach der Geburt »zurechtgestutzt« wird?

 Schon Michel Foucault hat festgestellt, dass es im Falle des Hermaphroditismus stets nur darum gehe, das wahre Geschlecht hinter der abweichenden Erscheinung herauszufinden. Michel Foucault, Über Hermaphrodismus, Frankfurt a. M. 1998. Intersexualität existiert als Kategorie nicht in unseren Köpfen, Zwitter sind immer »kranke« Frauen oder Männer, sei es in der Medizin oder in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Und dies zeigen die zahlreichen Zwitterfälle im Sport sehr plastisch: Die Skirennfahrerin Erik(a) Schinegger war demnach schon immer ein Mann, man hat es nur nicht bemerkt. Dies suggeriert beispielsweise der Film von Kurt Mayer. Kurt Mayer, Erik(A) – Der Mann, der Weltmeisterin wurde, 2005 (Film). Die russischen Hermaphroditen im kalten Krieg waren nur Betrugsversuche, Männer, die man als Frauen tarnte. Wiederkehr, Mit zweifelsfreier Sicherheit. Die Tennisspielerin Sarah Gronert ist trotz Intersexualität eine »richtige« und schöne Frau. Sarah Fenske, Sie musste beweisen, dass sie eine Frau ist; http://www.bild.de/BILD/sport/mehr-sport/tennis/2008/07/29/rufmord-an-deutscher-ennis-spielerin/sie-musste-beweisen-dass-sie-eine-frau-ist.html Die Existenz von Zwittern wird zwar durch die Medienpräsenz von Caster Semenya offensichtlich, gleichzeitig verhindern jedoch solche Ereignisse eine Aufweichung des Geschlechterbinarismus, indem sie eigentlich nur bestätigen, was normal und was abweichend ist. Stellt sich heraus, dass Caster Semenya ein Hermaphrodit ist, ließe sich aufatmen: Dann ist ja alles in Ordnung, es war nur ein Freak. Was also paradoxerweise wirklich zum Nachdenken anregen würde, wäre, wenn Caster eine »richtige« Frau mit XX-Chromosomen, einer Gebärmutter und einer Vulva wäre. Dann müsste sich so manch eine Medienkonsumentin mit ihrem Bild von Weiblichkeit und ihren persönlichen Rassismen auseinandersetzen.

Die Diskussion reicht nicht, ein Umdenken zu bewirken, sie bestätigt nur einmal mehr das Groteske des Zwitters, was so gar nichts mit uns »Normalen« zu tun haben soll. Sie bekräftigt also eine Grenze, an der Geschlecht nur ein bestimmtes Maß an Abweichung erträgt und keinesfalls fließend sein kann. Intersexuelle Sportler werden exotisiert und ausgestellt. Dies ist nicht im Sinne der Zwitterbewegung. Und dennoch wird diese indirekt von Semenya profitieren, indem das Tabuthema Intersexualität endliche eine mediale Präsenz erreicht. Im Kampf um Befreiung sollte jedoch jedeR selber entschieden, ob er/sie ihn mitträgt oder nicht. Semenya hielt bisher an ihrer Weiblichkeit fest, auch wenn sie intersexuell sein sollte, will sie sich nicht unbedingt als Aushängeschild der Zwitterbewegung verstehen. Sie wird – sollte sich der »Verdacht« bestätigen – damit beschäftigt sein, sich innerlich mit Intersexualität zu versöhnen und äußerlich als Frau zu positionieren. Denn sonst hat sie keine Chance. Nicht im Sport. Nicht in der Gesellschaft.

Diese Qualifizierung kommt nicht von ungefähr. Nach wie vor glauben die medizinischen Entscheidungsträger, Differenz lasse sich wegoperieren, Zwitter ließen sich normal machen, indem man sie kurz nach der Geburt operativ an eines der Geschlechter angleicht. Die Wahl dieses Geschlechts wird zwar erst nach exakten Tests – ähnlich wie sie nun bei Caster Semenya vorgenommen werden – getroffen, die Interpretation ist jedoch eher beliebig. Geschlecht ist so komplex, dass die Wahl von Mann oder Frau nur einem Auf- oder Abrunden einer exakten Rechnung gleichkommt. Zudem sind Kriterien der Machbarkeit häufig wichtiger als was tatsächlich vorhanden ist. Es ist beispielsweise viel einfacher, eine penetrierbare Vagina herzustellen als einen penetrationsfähigen Penis – also werden Intersexuelle häufig zu Mädchen operiert, egal, ob die Organe mit den Operationen noch lustempfindlich sind. Funktion steht hier an erster Stelle. Das ist nicht nur ein krasser Fall von Heteronormativität, sondern auch unsinnig, weil man damit Sexualität nur als einen Akt der Fortpflanzung liest. Viele Intersexuelle sind jedoch unfruchtbar, ihre Geschlechtsorgane sind in erster Linie Sexual- und nicht Fortpflanzungsorgane.

Auch Caster Semenya wird die Welt nicht verändern. Die Welt hat jedoch einmal mehr das Leben eines (vielleicht) intersexuellen Menschen auf tragische Art und Weise verändert.

~Von Katrin Zehnder. Die Autorin ist Soziologin. Sie forscht und lehrt zum Thema Intersexualität. 2010 erscheint ihr Buch Zwitter beim Namen nennen. Intersexualität zwischen Pathologie, Selbstbestimmung und leiblicher Erfahrung bei Transcript.