Deutscher Rechtsfrieden

Die Ablehnung von Entschädigungsklagen vor deutschen Gerichten zeigt die Kontinuität der Ignoranz, mit der man in Deutschland den Forderungen von Überlebenden begegnet

Nach monatelanger Verzögerung meldete die deutsche Entschädigungsstiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« im Juni den Beginn der Auszahlung der sogenannten zweiten Rate an ehemalige KZ- und Ghettohäftlinge in Tschechien.(1) Obwohl es bereits ein Hohn ist, dass sich die deutsche Stiftung als Schuldnerin selbst ein Ratenzahlungsverfahren ermöglicht, bezweckte die Herauszögerung der Zahlungen vor allem die Verlängerung des Spiels auf Zeit.

Nur auf Druck war das kleine Almosen von fünf Milliarden Euro überhaupt zustande gekommen, auch wenn Stiftung und Bundesregierung jetzt behaupten, es handele sich um eine freiwillige Geste. Der Druck wurde mit Hilfe von US-amerikanischen Gerichten und dem Rechtsmittel der class action (Sammelklagen) gegen deutsche Unternehmen in den Vereinigten Staaten entfaltet.
 

Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen

Die Gründung des Almosenfonds war in erster Linie eine Verteidigungsstrategie, um nicht nur den Imageverlust, sondern handfeste Investitions- und Gewinneinbußen deutscher Unternehmen abzuwehren. Als Verteidigerin des Täterkollektivs trat die rot-grüne Bundesregierung auf, deren Sprecher Gerhard Schröder sich demonstrativ schützend vor die deutschen Unternehmen stellte.(2) Dennoch wird allenthalben von »Freiwilligkeit« gesprochen.

Dabei handelte sich um eine »Erpressung mit der Zeit«, wie der polnische KZ-Überlebende Ludwik Krasucki es ausdrückt, der für sein Land an den sogenannten Verhandlungen teilgenommen hat.(3) Der Klageweg hätte zu lange gedauert und viele der wenigen Überlebenden der Zwangs- und Sklavenarbeit wären in dieser Zeit gestorben. Die deutsche Seite konnte von den »Leistungsberechtigten«, wie die Opfer im Stiftungsdeutsch bezeichnet werden, das Zugeständnis erzwingen, auf alle weiteren Ansprüche zu verzichten. Der Entschädigungsfonds ist damit als finaler Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen gedacht und gepaart mit der Geste der Missachtung der letzten Überlebenden, die bis heute unter den Folgen der an ihnen begangenen Verbrechen leiden. Anerkannt wurden ihre Ansprüche von der deutschen Seite nie. Sowohl ein materieller Anspruch, beispielsweise auf die Rückzahlung der bis heute vorenthaltenen Lohnkosten, als auch ein juristisches Anrecht auf die Zahlungen wurden immer verneint. Dabei ging es stets auch um die Leugnung des Charakters der Zwangs- und Sklavenarbeit als Teil der »Vernichtung durch Arbeit«, einem gesellschaftlich übergreifenden, von tief internalisiertem Antisemitismus getragenen Projekt von nationalsozialistischer Führung, Bevölkerung und deutschen Unternehmen.

Da es sich heute um »freiwillige Leistungen« handele, gäbe es kein Rechtsverhältnis zwischen der Stiftung und den ehemaligen Zwangs- und Sklavenarbeitern. Gegenüber ihren »Partnerstiftungen« hatte die Stiftung auch durchgesetzt, dass gegen Ablehnungsbescheide keine Rechtsmittel möglich sind.(4) Der Rechtsweg ist also für die Opfer ausgeschlossen, während sich die Täter ihren Rechtsfrieden mit einem Almosen erkauften. Dieser Frieden war von Anfang an das oberste Ziel der deutschen Verhandlungsdelegation. Die Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen vor weiteren Klagen sollte durch das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen vom 17. Juli 2000 garantiert werden. Die deutsche Seite verlangte, dass die US-Regierung einen juristischen Rechtsfrieden durch ein sogenanntes statement of interest durchsetze, das besagt, dass es nicht in ihrem Interesse läge, wenn vor US-Gerichten deutsche Unternehmen verklagt würden. Außerdem forderten die Deutschen, dass sich die US-Vertreter »frühzeitig und nach besten Kräften bemühen, auf eine Weise, die sie für angemessen halten, diese Ziele [die Rechtssicherheit, T.E.] gemeinsam mit den Regierungen der Bundesstaaten und der Kommunen zu verwirklichen«, wie es im Regierungsabkommen heißt.(5) Dies meint einen administrativen und legislativen Rechtsfrieden, der quasi eine gesetzmäßige Wirkung entfalten soll; nicht nur verdeckt wird damit die Gewaltenteilung in den USA unterminiert.

 

»Völkerrechtlicher Ausnahmezustand«

In Deutschland ist ein solcher Rechtsfrieden längst Wirklichkeit. Nach Jahren juristischen Kampfes lehnte im Juni der Bundesgerichtshof (BGH) eine Klage der Erben von ermordeten Einwohnern der griechischen Stadt Distomo ab.(6) Deren Mörder waren die gewöhnlichen Vollstrecker einer deutschen SS-Division.(7) Das Fortleben der Verbrechen bis in die jüngste Gegenwart und die Unmöglichkeit ihrer Sühne werden den Kindern der Mörder heute zum Argument, die Ansprüche der wenigen aus Zufall Entronnenen arrogant und kalt zurückzuweisen. Der BGH hat dieser Strategie einmal mehr den juristischen Segen erteilt. Er unterstrich, dass es keinen individuellen Rechtsanspruch auf Entschädigung gäbe und bezog sich dabei auf das geltende Völkerrecht im Zweiten Weltkrieg.

Mit der Europäischen Union hat sich Deutschland längst einen Schutzschild gegen finanzielle und juristische Ansprüche aus der deutschen Vernichtungstat geschaffen. Die europäische Barriere hielt auch im Fall Distomo.(8) Wessen Kind old europe ist, bewies dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Dezember 2002. Dort wurde die Revisionsklage aus Distomo mit dem Verweis auf die deutsche Staatenimmunität zurückgewiesen.(9) Diese Argumentation wurde nun vom BGH wiederholt. Eben diese Staatenimmunität ist es allerdings, die Deutschland als Fürsprecher des Internationalen Strafgerichtshof aufs Schärfste bekämpft. Die nationale Gesetzesgrundlage dafür heißt »Völkerstrafgesetzbuch«. Völker werden zu Rechtssubjekten, während Individuen und Staaten, die bisher als einzig denkbare Souveräne galten, auf der Anklagebank landen oder in den Zuschauerraum verbannt werden, wenn sie sich der völkischen Zuordnung widersetzen. Mit dem »Völkerstrafgesetzbuch« kann Deutschland überall auf der Welt begangene Verbrechen in der Bundesrepublik zur Anklage bringen.(10) Kaum verwunderlich ist es, dass die deutsche Justiz im ersten Verfahren auf Grundlage des neuen Gesetzes wegen eines angeblichen Massakers an Sudetendeutschen 1945 gegen Tschechen ermittelt.(11) Politisches Ziel solcher Klagen ist es, die Umsiedlungen von deutschen Faschisten nach der Niederlage Nazi-Deutschlands als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« anzuerkennen. So wird der Minderheitenschutz in der Verfassung der EU eine Waffe zur Erschwerung des EU-Beitritts von Tschechien. Gleichzeitig beruft man sich auf das geltende Völkerrecht bei der Abwehr von Klagen gegen die deutschen Henker.

Die Richter des BGH wussten dies alles, als sie die Klage aus Distomo abwiesen: »Dass das Völkerrecht heute, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, weitergehende Schutzsysteme zur Verfügung stellt, muss für die auf das Jahr 1944 bezogene Würdigung außer Betracht bleiben«, urteilten die Richter.(12) Was Deutschland als Recht international durchsetzt und was Deutschland als Recht gegen sich selbst gelten lässt, bestimmen die Kinder und Enkel der Täter. Das SS-Massaker in Distomo und mit ihm auch die deutsche Vernichtungstat werden zu einem unwesentlichen, kleinen und juristisch konsequenzlosen Teil universaler Menschheitsverbrechen wegrelativiert.

Obwohl die Richter des BGH erklären, »dass bei der Ermittlung und Würdigung dieser Rechtslage nationalsozialistisches Gedankengut unberücksichtigt zu bleiben hat«(13), bewegt sich das BGH-Urteil nicht nur ausschließlich auf der Rechtsgrundlage von 1944, sondern bedient sich auch der damals gängigen Rechtsauslegung(14), inklusive Carl Schmitts »permanentem Ausnahmezustand«(15): Krieg, so die Richter des BGH, sei eben ein »völkerrechtlicher Ausnahmezustand«, eine juristische Bewertung daher unmöglich.(16) SS-Massaker und Massenvernichtung werden zu einer motivationslosen Kriegshandlung relativiert: »Aus dieser Sicht des Krieges als eines in erster Linie kollektiven Gewaltakts, der als ›Verhältnis von Staat zu Staat‹ aufgefasst wurde, lag damals die Vorstellung fern, ein kriegführender Staat könnte sich durch Delikte seiner bewaffneten Macht während des Krieges im Ausland (auch) gegenüber den Opfern unmittelbar schadenersatzpflichtig machen.«(17) Ein weiterer Schlag in das Gesicht der Opfer.

 

Drohkulisse gegen die Opfer

In der Berliner Zeitung drohte der deutsche Historiker und Kolumnist Götz Aly mit Gegenklagen: »Es handelt sich um eine Schadenersatzklage. Würde ihr stattgegeben, dann könnte – weil Recht eben nicht teilbar ist – jede heimatvertriebene Familie ihr Häuschen in Hirschberg, Krumau oder Tilsit zurückklagen, dann stünden die Enteignungen in der sowjetischen Zone zur Debatte, dann könnten die Überlebenden des Todesmarsches von Brünn oder die Hinterbliebenen derjenigen Greise, Frauen und Kinder vor Gericht gehen, die zum Beispiel nach der kampflosen Übergabe von Allenstein durch Soldaten der Roten Armee zu Hunderten niedergeschossen wurden.«(18) Mit revisionistischer Intention und aggressivem Ton setzt Aly die sogenannten Vertreibungen der Deutschen mit den nationalsozialistischen Verbrechen gleich. Die von der SS angeordneten Todesmärsche aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern hatten zum Ziel, auch noch die letzten Häftlinge und damit Zeugen der Verbrechen zu ermorden. Sie sind in nichts vergleichbar mit der Flucht von Deutschen vor den vorrückenden alliierten Armeen.

Im vergangenen Jahr hatte Aly die Geschichte Europas als »Verarbeitung des je eigenen Flüchtlingsschicksals – als individuelle oder als kollektive Erfahrung« beschrieben.(19) Auschwitz wird darin zu einer kleinen Episode in der Geschichte: »Es ist gut, dass Auschwitz heute in Deutschland weithin als Teil der nationalen Geschichte akzeptiert ist. Aber richtig verstanden wird der Mord an den europäischen Juden erst sein, wenn er zugleich als äußerste Form einer Politik der bevölkerungspolitischen ›Flurbereinigung‹ begriffen wird, die im Europa des 20. Jahrhunderts so viele Theoretiker, Anhänger und Nutznießer gefunden hat – und vor allem Opfer.«(20) Wer diese Opfer sind, hat Aly nun klargestellt: Sie sind Deutsche und lebten in Hirschberg, Krumau oder Allenstein. Die griechischen KlägerInnen dagegen stellten »Unbezahlbare Rechnungen« und stünden in der Tradition jener »Vertreter der Opfer«, die Aly in der Berliner Zeitung mit der SS verglich.(21)

Wie die Richter des BGH leugnet auch Aly die Präzedenzlosigkeit der deutschen Verbrechen, um sie vergleichend einzuordnen und schließlich zu entwirklichen.(22) Von den Richtern und der Bundesregierung fordert er die Wahrung der Interessen »aller Deutschen«, als hätten Schröder, Fischer und Schily daran jemals einen Zweifel gelassen. Als deutsche Schreckensphantasie malt er mögliche Sühnemaßnahmen an die Wand: »Betrachtet man die Folgen realistisch, wird sofort klar, welches Ausmaß für eine ernsthafte materielle Wiedergutmachung der Massenverbrechen aufzubringen wäre. Um das zu bezahlen wäre über langjährige 30- bis 50-Prozentige Lohn-, Gehalts- und Rentenminderungen für alle deutschen Staatsbürger zu reden, bei gleichzeitiger Verstärkung der Arbeitsleistung.«(23) Tatsächlich besitzt Deutschland, wie Aly ahnt, seine heutige wirtschaftliche Stärke allein aufgrund der massenhaften Ausbeutung und Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden und der Bevölkerung der von den Deutschen besetzten Ländern Europas. Gegen diese Tatsache richtete sich die gesamte Geschichte deutscher Entschädigungsverweigerung bis zum heutigen Tag. Auch die Bundesstiftung und ihr erbärmliches Almosen hatten allein den Zweck, die geschichtliche Verantwortung für die begangenen Verbrechen und ihre Kontinuität bis in die Gegenwart hinein zu leugnen.(24)

 

Juristische Schuldabwehr

Der Urteilsspruch aus Karlsruhe ist ganz im Sinne Alys ausgefallen. Er steht in der Tradition juristischer Absegnung der deutschen Entschädigungsverweigerung. Neben der Negierung eines Rechtsanspruches der Überlebenden wird auch zahlreichen Opfern, wie Kriegsgefangenen, die unter unmenschlichen Bedingungen zur Sklavenarbeit gezwungen wurden, per Gesetz das Almosen verweigert. Im Februar lehnte das Verwaltungsgericht Berlin die Ansprüche von zwei ehemaligen sowjetischen Soldaten ab.(25) Nach Meinung der Richter fehle es hier – wie auch im Fall von Klagen ehemaliger Kriegsgefangener aus Italien(26) – bereits an der Antragsbefugnis der Antragsteller. Die Richter erteilten damit einer besonders perfiden Abwehrstrategie des Gesetzgebers ihre juristische Weihe. Indem zwischen Anspruchsberechtigte und Bundesstiftung Partnerorganisationen als Verteilstationen geschaltet wurden, gibt es keine direkte Klagemöglichkeit gegen die Stiftung. So urteilten die Berliner Richter, die Stiftung sei »zur Gewährung und Auszahlung von Einmalleistungen weder berechtigt noch verpflichtet.«(27) Weiter gäbe es lediglich »eine moralische und historische Verpflichtung zur Gewährung einer Entschädigung, nicht auch eine rechtliche«(28), da sie nur den Partnerorganisationen Mittel der Stiftung zur Verfügung stelle, ohne dass dadurch eine Rechtsbeziehung unmittelbar zu den Antragstellern entstehe. Die Überlebenden werden zu bloßen Objekten deutscher Vergangenheitspolitik degradiert. Im Juni hat das Oberverwaltungsgericht diese Argumentation bestätigt.(29) Damit geben die Berliner Gerichte dem deutschen Projekt der massenhaften Ermordung von sowjetischen Kriegsgefangenen durch schwere körperliche Arbeiten und der besonders erniedrigenden, von antikommunistischem und rassistischem Hass getragenen Behandlung durch die deutschen Soldaten und SS-Mannschaften die juristische Legitimation. Sie behandeln die Zwangs- und Sklavenarbeit als »normale« und vertretbare Arbeit. Bereits im Juli 2001 hatte die Bundesstiftung den Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat damit beauftragt, ein Gutachten über den Status der sogenannten »Italienischen Militärinternierten« zu erstellen. Diese italienischen Kriegsgefangenen, die von den Deutschen interniert und schließlich in den Status von »Zivilarbeitern« überführt und zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, hatten versucht, ebenfalls Gelder aus der Stiftung zu erhalten. Tomuschat, der derzeit an einem Gutachten über die Völkerrechtswidrigkeit des US-Krieges gegen das verbrecherische Baath-Regime im Irak arbeitet, kam zu dem Ergebnis, dass die Überführung in den Zivilstatus unter Bruch der Genfer Konvention vollzogen worden und somit rechtlich unwirksam gewesen sei. Nach seiner Ansicht hätten die ehemaligen italienischen Zwangsarbeiter ihren Status als Kriegsgefangene nie eingebüßt. Damit seien sie nicht anspruchsberechtigt im Sinne des Stiftungsgesetzes.(30)

 

Die Gegenwart der Verbrechen

Trotz des eindeutigen juristischen Signals, mit dem die Position der Stiftung in diesem Jahr gestärkt wurde, gilt: Solange die Verbrechen sich bis in die Gegenwart verlängern und die Erinnerung an die deutsche Tat fortbesteht, werden die Täter keine Ruhe haben. Die plötzliche Auszahlung der zweiten Rate ist in diesem Kontext auch als Flucht nach vorn zu interpretieren. Wie sicher der Rechtsfrieden tatsächlich ist, lässt sich angesichts von mehreren noch anhängigen Klagen gegen deutsche Unternehmen vor US-Gerichten nicht sagen.(31) Im Verfahren der Erben des ehemaligen Kaufhausbesitzers Wertheim, deren Vermögen betrügerisch angeeignet und in die heutige Karstadt Quelle AG transferiert wurde, hat die US-Regierung noch kein statement of interest ausgesprochen.(32) Stuart Eizenstat, der US-amerikanische Unterhändler bei den Entschädigungsverhandlungen sieht dies als Beleg dafür, dass das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen in diesem Fall nicht greift.(33) In New Jersey ist eine Klage gegen die deutsche Stiftung anhängig, die zurückbehaltene Zinsen für die Kläger einfordert. In New York hat ein Überlebender der Menschenversuche in Auschwitz Schering und Bayer verklagt und fordert Auskunft über die an ihm »getesteten« Substanzen und Schmerzensgeld, da ihm die von der deutschen Stiftung gewährte Summe nicht ausreichend erscheint.(34) Zwar wurden im letzten Jahr bereits zwei Klagen abgewiesen, allerdings wurde im Urteil über eine Arisierungsklage gegen die Dresdner und die Deutsche Bank in Florida explizit vom Richter darauf hingewiesen, dass der Gegenstand des Verfahrens der Justiz entzogen sei und einer politischen Regelung unterstehe.(35) In ähnlicher Weise hat jüngst der supreme court in den USA ein kalifornisches Gesetz zurückgenommen, das es Shoah-Überlebenden erleichtern sollte, Versicherungsprämien zurückzufordern. Der Richter erklärte, die Überlebenden »müssten (...) sich an den US-Präsidenten George W. Bush oder den US-Kongress wenden«.(36) Ähnliche Gesetze sind noch in acht Bundesstaaten in Kraft, weitere fünf sollen folgen. In Minnesota soll ein Gesetz Zwangsarbeitern noch bis zum 31. Dezember 2010 Klagen auf Entschädigung ermöglichen.(37) Die deutsche Bundesregierung und die Stiftung versuchen, sich hinter der »Erfüllung der durch die Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft eingegangenen Verpflichtungen«(38) zu verstecken. Doch auch nach dem Beginn der Auszahlung der zweiten Rate, die erst im Herbst auch in Polen und Weißrussland beginnen soll, wird die Verzögerungstaktik weitergehen. Deutschland beharrt auf Rechtsfrieden. Die deutschen Gerichte haben ihren Teil dazu beigetragen. Ein anderes Signal könnte von den Richtern und Politikern der Vereinigten Staaten ausgehen. Hier könnte man sich auf die Tradition des antifaschistischen Kampfes gegen den NS und die deutsche Monopolwirtschaft aus den 40er Jahren erinnern.(39) Das bedeutet vielleicht demnächst: Kein Rechtsfrieden mit Deutschland!

 

Für Anmerkungen und Anregungen danke ich Dorothee Wein, Jörg Rensmann, Timo Reinfrank, Johanna Mueller und Norman Geißler

 

 

Fußnoten:

(1) Vgl. Pressemitteilung 05/2003 der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« vom 27. Juni 2003, nachzulesen auf www.stiftung-evz.de.

(2) Vgl. zur Geschichte der sogenannten Entschädigungsverhandlungen aktuell: gruppe offene rechnungen (Hrsg.), The Final Insult. Das Diktat gegen die Überlebenden. Deutsche Erinnerungsabwehr und Nichtentschädigung der NS-Sklavenarbeit, Münster 2003.

(3) Vgl. ebd., S. 129.

(4) Vgl. Rolf Surmann, Zu den Akten. Urteil zur Zwangsarbeit,

Jungle World vom 12. März 2003.

(5) Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/7434 vom 6. November 2001, S. 4.

(6) BGH – Az.: III ZR 245/98, Urteil vom 26. Juni 2003.

(7) Vgl. Lars Reissmann, Es war doch Krieg, Jungle World vom 4. Juni 2003.

(8) Vgl. zur Geschichte der Distomoklage u.a. Rolf Surmann, Die Klage der Opfer von Distomo. Über den entschädigungspolitischen Schlussstrich und weiterhin aktuelle Forderungen der NS-Opfer, in: gruppe offene rechnungen (Hrsg.), The Final Insult, S. 191-217.

(9) Vgl. Oliver Tolmein, Im Zweifel für den Staat. Urteil im Distomo-Prozess, Jungle World vom 5. März 2003.

(10) Vgl. Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002, BGB I 2002, S. 2254.

(11) Vgl. Justiz prüft Massaker an Sudetendeutschen, Frankfurter Rundschau vom

23. Juli 2002.

(12) BGH, Urteil vom 26. Juni 2003.

(13) BGH, Urteil vom 26. Juni 2003.

(14) Vgl. Lars Reissmann, Alles, was Recht ist. Urteil im Distomo-Prozess, Jungle World vom 2. Juli 2003.

(15) Vgl. zu Carl Schmitt: Raphael Gross, Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, Frankfurt/Main 2000.

(16) BGH, Urteil vom 26. Juni 2003.

(17) Ebd.

(18) Vgl. Götz Aly, Unbezahlbare Rechnungen, Berliner Zeitung vom 28. Juni 2003.

(19) Vgl. Götz Aly und Karl Schlögl, Verschiebebahnhof Europa, Süddeutsche Zeitung vom 23./24. März 2003.

(20) Vgl. Götz Aly, Das Prinzip Vertreibung, Der Spiegel 22/2001.

(21) Vgl. Götz Aly, Das Prinzip Wassersuppe, Berliner Zeitung

vom 3. Februar 2000.

(22) Vgl. zu Alys Historisierungsstrategien: Tobias Ebbrecht und Timo Reinfrank, Deutsche Schuld und die Störenfriede der Erinnerung, in: gruppe offene rechnungen (Hrsg.), The Final Insult, 255ff.

(23) Vgl. Götz Aly, Unbezahlbare Rechnungen.

(24) Vgl. Jörg Rensmann, Anmerkungen zur Geschichte der deutschen Nichtentschädigung, in: gruppe offene rechnungen (Hrsg.), The Final Insult, 45-70.

(25) Berl. VG 9 A 435.02.

(26) Berl. VG 9 A 336.02.

(27) Berl. VG 9 A 435.02.

(28) Ebd.

(29) Berl. OVG 6 S 35.03.

(30) Vgl. Thorsten Fuchshuber, Preis der Illusion, Jungle World 46/2001.

(31) Vgl. dazu bereits Rolf Surmann, Schlussstrich-Politik, Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2003, S. 10-13.

(32) Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1026 vom 19. Mai 2003, S. 3.

(33) Vgl. Peter Gumbel, The Battle for Berlin, TIME – magazine vom 4. August 2003, Vol. 162, No. 5; den Hinweis darauf verdanke ich Martin Cüppers; auch: Rolf Surmann, Schlussstrich-Politik, S. 12.

(34) Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1026, S. 11f.

(35) Vgl. ebd., S. 2.

(36) Vgl. afp, 24. Juni 2003.

(37) Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1026, S. 14f.

(38) Vgl. ebd., S. 2.

(39) Vgl. dazu Bernd Greiner, Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans, Hamburg 1995.

Tobias Ebbrecht
Mitglied der gruppe offene rechnungen in Berlin