Es ist chic geworden, über ideologische Grenzen die Geschichte der Vereinigten Staaten als eine Art Weltrevolution gegen das aus dem Westfälischen Frieden von 1648 hervorgegangene System der souveränen (europäischen) Nationalstaaten zu interpretieren. Darüber echauffieren sich nationalistische Rechte ebenso wie die – sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion neu konstituierende – Linke. Ausdrücklich begrüßt hat diese Entwicklung dagegen Dan Diner, und auch der Berliner Politologe Herfried Münkler kann dem offenbar einiges abgewinnen.Herfried Münkler, Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Bonn 2005. Für den Postoperaisten Antonio Negri ist die amerikanische Weltrevolution eine Art unfreiwilliger Wegbereiter zur klassenlosen GesellschaftAntonio Negri/Michael Hardt, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt/Main u.New York 2000., ein Gedankengang, der sich bekanntlich ähnlich auch 150 Jahre früher in Marx' und Engels' Manifest der kommunistischen Partei finden lässt.
Nach dieser Lesart der Geschichte haben die USA im Anschluss an die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sukzessive ein immer weiter reichendes Modell der Entmachtung der Nationalstaaten und der Unterwerfung der Welt unter ein globales politisches und ökonomisches System etabliert. Dieses beruft sich nicht zuletzt auf eine Legitimität, die der nationalstaatlichen Souveränität zuwiderläuft. Sie beruft sich dabei insbesondere auf die Universalität von Menschenrechten. Die USA betreiben dabei das, was im Anschluss an den deutschen Staatsrechtler und juristischen NS-Apologeten Carl Schmitt im Sinne einer Art »stealth sovereignty«Jan-Werner Müller hat sich insbesondere um eine Analyse der Rolle Schmitt'schen Denkens in der globalisierungskritischen Linken verdient gemacht. Vgl. Jan-Werner Müller, Mit Schmitt gegen Schmitt und gegen die liberale Weltordnung. Zur transatlantischen Diskussion um Globalisierung, Empire und Pax Americana, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Der Staat des Dezisionismus. Carl Schmitt in der internationalen Debatte, Baden-Baden 2007, 209. interpretiert wird, hinter der ihre eigenen nationalen Interessen zurücktreten, um in imperialer Mission der Welt einen »neuen Nomos«Dan Diner, Das Prinzip Amerika, in: Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hrsg.), Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München 2003, 256–274. zu bringen.
Weltverbesserung und Machtpolitik
Sucht man nach den Paradigmen US-amerikanischer Außenpolitik, so findet sich ein reichhaltiges Angebot: die so genannten Antiimperialisten vs. die Expansionisten, beides Bezeichnungen, die auf die Zeit des spanisch-amerikanischen Krieges von 1898 zurückgehen. Später, in den zwanziger Jahren, sprach man von Interventionisten und Isolationisten. Beide Fraktionen findet man durch die ganze amerikanische Geschichte, beide haben sich stets bemüht, die eigentlichen Wahrer der Werte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zu sein. Eine Untersuchung der US-Außenpolitik anhand dieser beiden Richtungen führt in die Irre, denn so genannter Isolationismus oder Antiimperialismus hatten zwar ihre politischen Vertreter, die politischen Entscheidungsträger haben aber nie in ihrem Sinne gehandelt. Schließlich sind die USA seit Bestehen eine parlamentarische Demokratie, in deren parlamentarischen Vertretungen sich seit über 200 Jahren die unterschiedlichsten Fraktionen des Bürgertums gegenübersitzen. Trotzdem setzte sich langfristig immer eine expansive und interventionistische Politik gegen bescheidenere Entwürfe durch.
Die Geschichte der USA ist daher eine Geschichte kontinuierlicher Expansion und Machtentfaltung. Die eigentliche Unterscheidung liegt in zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen: Verrechtlichung und Machtpolitik. Die Vereinigten Staaten haben in der Außenpolitik wie kaum eine andere Nation den globalen Freihandel, die universelle Gültigkeit von Menschenrechten und das Recht auf nationale Selbstbestimmung mit ihrem eigenen nationalen Interesse identifiziert. In Folge wurde das Interesse der Vereinigten Staaten als mit den objektiven Interessen der übrigen Menschheit identisch betrachtet. Eine schier endlose Zahl von Einwanderern, die ihr Glück in der neuen Welt suchten, wertete man als globales Plebiszit für den American Way of Life.
Amerikas großartiger und wirkungsmächtiger Mythos als leuchtendes Neues Jerusalem, als »City on the Hill«, als die sich schon 1630 der puritanische Siedler John Winthrop die Neue Welt vorstellteWilliam A. Williams, Der Welt Gesetz und Freiheit geben. Amerikas Sendungsglaube und imperiale Politik, Hamburg 1984, 35., steht in einem etwas schrägen Verhältnis zur politischen Praxis. Mit dieser setzte sich die USA sowohl bei ihrer territorialen Expansion im 19. Jahrhundert als auch bei ihrem Aufstieg zur letztlich einzig verbliebenen Weltmacht am Ende des 20. Jahrhunderts durch. Die so genannten Indianerkriege ähneln noch vergleichbaren europäischen Kolonialverbrechen. Interessant ist dagegen die Expansion in bereits kolonisierte Teile des Kontinents unter demokratischen Vorzeichen. Große Teile Mexikos wurden annektiert, indem zuerst die eigene Bevölkerung in Form von Siedlern über die Grenzen zog. Danach wurde ein Plebiszit über die Sezession und den Anschluss an die Vereinigten Staaten durchgeführt und im Anschluss an die mexikanische Verweigerung, dem Verfahren zuzustimmen, Mexiko der Krieg erklärt.Hans-Ulrich Wehler, Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik, Bd.1, Frankfurt a. M. 1984, 117f. Auf diese oder ähnliche Weise kam es dazu, dass die Staaten Texas, Neumexiko, Kalifornien und Colorado ihre Sternchen auf Old Glory hinzu sticken duften.
Ein ähnliches Changieren zwischen zivilisatorischer Mission und schlichter Interessenspolitik offenbart sich in dem Moment, als nach Abschluss der territorialen Expansion der amerikanische Adler beginnt, seine Schwingen über die Ozeane zu strecken. 1898 erklärten die Vereinigten Staaten Spanien, das gerade auf seiner Kolonie Kuba im Kampf gegen die kubanische Unabhängigkeitsbewegung die Bevölkerung in Lagern internierte, den Krieg. Die Forderung nach einer Intervention reichte bis hin zu den Gewerkschaften, die mit den kubanischen Nationalisten sympathisierten. Präsident McKinley dagegen argumentierte letztlich, dass die Spanier unfähig seien, auf der Insel ihre Rolle als staatliche Ordnungsmacht wahrzunehmen.Aufständische waren dazu übergegangen, Zuckerrohrplantagen anzugreifen, wodurch die Zuckerproduktion auf Kuba drohte, vollständig zu erliegen. Nicht nur bezogen die USA fast ihren gesamten Zucker aus Kuba, die Plantagen befanden sich auch weitgehend in US-amerikanischem Besitz. Vgl. Wehler, 193f.
Die USA zerschlugen die spanische Flotte vor den Philippinen, brachten das, was von den spanischen Überseebesitzungen übrig geblieben war, weitgehend unter ihre Kontrolle (Kuba, Philippinen, Guam) oder teilten es sich mit dem deutschen Kaiserreich (Samoa). Zu Bundesstaaten erklärte man dieses neue Imperium interessanterweise schon nicht mehr. Sie wurden zu Kolonien und Territorien oder im Falle Kubas sogar »unabhängig« – unter dem Vorbehalt eines permanenten Militärstützpunktes, den es bekanntlich noch heute gibt, und eines in der kubanischen Verfassung verankerten Rechts, im Falle innenpolitischer Schwierigkeiten militärisch zu intervenieren.
Wo hehre Ideale und harte Interessen sich vor allem zu Gunsten letzterer gütlich arrangieren, lässt der Vorwurf der Doppelmoral nicht lange auf sich warten. Die Profiteure sprechen von Pragmatismus, und den hatte das Erbe der Puritaner schon den Gründervätern in die Wiege gelegt. Es gibt in der ersten Generation der US-amerikanischen Außenpolitik zwei politische Leitlinien, deren geradezu sakrale Bedeutung für das Selbstverständnis der politischen Klasse Amerikas nicht zu unterschätzen ist: George Washingtons Abschiedsnote von 1796 und die so genannte Monroe-Doktrin von 1823.
Ade, du altes Europa!
George Washingtons »Abschiedsadresse an das amerikanische Volk« von 1796 sollte eine Art politisches Testament des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten sein. In der Vergangenheit ist sie immer wieder wegen ihrer angeblich antiimperialistischen und antimilitaristischen Inhalte gegen die Nachfolger Washingtons in Stellung gebracht worden. Washington warnte vor den Gefahren aufgeblähter kontinentaleuropäischer Militärapparate, was sich fast wie eine Vorwegnahme von Eisenhowers Warnungen vor den Gefahren des »militärisch-industriellen Komplexes« mehr als eineinhalb Jahrhunderte später liest. Tatsächlich wurde diese Warnung in gewisser Weise bis zur Wende zum 20. Jahrhundert weitgehend eingehalten. Die USA verfügten in dieser Zeit über keine nennenswerte stehende Armee. Dies änderte sich erst mit den »imperialen Präsidenten« McKinley und Theodore Roosevelt und dem von ihnen vorangetriebenen Aufbau einer weltmachtwürdigen Kriegsflotte. Ihre Kritiker hielten ihnen dann auch prompt Washingtons Abschiedsadresse unter die Nase. Beeindruckt hat es sie nicht.
Ganz im Gegenteil. Sie befolgten Washingtons letzten Willen wenn nicht im Wortlaut, dann doch im Geiste in einem wesentlich wichtigeren Aspekt: dem Schutz des so genannten Freihandels und offener Märkte. Dies war ein ganz entscheidendes Motiv hinter einer weiteren Empfehlung aus der Abschiedsadresse: keine »verheddernden Bündnisse mit fremden Mächten«zit. n. http://www.yale.edu/lawweb/avalon/washing.htm, übersetzt (wie im folgenden Text) durch den Autor., durch welche die Vereinigten Staaten in fremde Konflikte gezogen werden könnten. Diese Empfehlung wurde von so genannten Isolationisten sowohl gegen eine US-amerikanische Beteiligung am Ersten wie am Zweiten Weltkrieg ins Feld geführt – ebenfalls erfolglos.
Im Kern ging es George Washington nämlich weniger um Antimilitarismus als um den Zugang zu »offenen« Märkten. Das Bündnis mit einem Land, so die Befürchtung, könnte den Handel mit dem anderen zum Erliegen bringen. Die Horrorvision besteht dabei in jeder Form von Protektionismus. Freihandel bildete neben Demokratie und nationaler Selbstbestimmung einen der Grundwerte der jungen Republik. Ihre so genannten »Gründerväter«, eine Generation begnadeter bürgerlicher Alleskönner, erklärte diese Gesellschaftsordnung für so optimal, dass sie der Welt zum Vorbild dienen müsste.
Schon vor der Gründung der Vereinigten Staaten sprach der amerikanische Staatsmann, Verleger, Philosoph, Erfinder und späterer Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung Benjamin Franklin von den Neuengland-Kolonien als »Our Rising Empire«Zit. n. Wehler, 35., und Thomas Jefferson, dritter Präsident der Vereinigten Staaten, Architekt, Erfinder, Großgrundbesitzer, Sklavenhalter, Verfasser der prosaischen Präambel der Unabhängigkeitserklärung und anderer Oden an die Freiheit, sprach gerne von einem »Empire of Liberty« als leuchtendem Vorbild für die ganze Welt. Dieses Sendungsbewusstsein bekam erst viel später den griffigen Namen American exceptionalism, aus dem sich zunächst ein identitätsstiftendes nationales Narrativ und darüber hinaus der vielleicht erfolgreichste politische Mythos der Neuzeit entwickeln konnte.
Washington dachte durchaus in ähnlichen Kategorien, weshalb er den Amerikanern riet, sich nicht auf »verheddernde Bündnisse« einzulassen. Er befürchtete, sie könnten Amerika auf dem Weg zu imperialer Größe zum ernsthaften Hindernis werden. Das war 1796 angesichts der relativ schwachen weltpolitischen Position der USA auch durchaus eine realistische Einschätzung.
Washingtons Abschiedsadresse ist ein Abschied im doppelten Sinne: ein Abschied eines aus der Politik ausscheidenden Staatsmannes von seinem Volk und zugleich ein Abschied vom interstaatlichen System des kontinentalen Europa mit seiner Geheimdiplomatie, seinen Allianzen und Kabinettskriegen, vor allem aber vom Vorbehalt nationalstaatlicher Souveränität, seine Grenzen gegen fremde Güter und ausländische Investoren abzuschotten.Dass, so gesehen, das Recht anderer auf nationale Selbstbestimmung konsequenterweise eingeschränkt werden müsste, wurde in diesem Fall durch eine begriffliche, eigentlich unsinnige Trennung zwischen den Sphären der Politik und der Ökonomie erreicht. Politik war für Washington das Übel, Handel führte zu reichen Nationen und glücklichen Bürgern. Langfristig hatte das zur Folge, dass noch heute Politologen und Ökonomen von der jeweils anderen Disziplin in glücklicher Ahnungslosigkeit nebeneinanderher existieren. So gesehen war Washingtons Abschiedsadresse eine Art Fußnote zur Unabhängigkeitserklärung, die das Ende des politischen Systems des Jus Publicum Europaeum ankündigt.
Monroes Herausforderung
Als Präsident Monroe 1823 die aus der Feder des späteren Präsidenten und damaligen Außenministers John Quincy Adams stammende Adresse zur Lage der Nation verlas, die später als »Monroe-Doktrin« bekannt wurde, waren die USA bereits in einer ganz anderen weltpolitischen Position. Die europäische Staatenordnung erholte sich unter der Ägide Österreichs, Russlands und Preußens, die sich zur »Heiligen Allianz« zusammengeschlossen hatten, von dem Chaos, das die Französische Revolution und Napoleon aus ihrer Perspektive angerichtet hatten.
Die USA hatten diese Situation genutzt, um ihr Territorium maßgeblich zu vergrößern. Zwar scheiterte der Versuch, Kanada gewaltsam zu annektieren, aber im Westen kauften sie von den Franzosen gewaltige Gebiete. Zugleich erklärten sich mehrere ehemalige Kolonien in Lateinamerika für unabhängig, darunter Mexiko und Brasilien. Monroe befürchtete, mit der Restauration des monarchisch-dynastischen Systems in Europa könnten den expansionistischen und hegemonialen Ambitionen der USA auf dem amerikanischen Kontinent wieder neue Hindernisse erwachsen. Als die britische Regierung ihn um ein Bündnis anfragte, um im gemeinsamen Interesse kontinentaleuropäische Interventionen und Rekolonisationen zu verhindern, reagierte Monroe mit einer einseitigen Erklärung, dass der amerikanische Kontinent von nun an eine No-Go-Area für europäische Kolonialprojekte sei. Bestehende Besitzungen würden zwar nicht angerührt, eindeutig war aber die Intention, auf dem amerikanischen Kontinent die demokratisch-republikanische Regierungsform zum herrschenden Prinzip zu erklären. Die »westliche Hemisphäre« sollte von nun an anderen politischen Spielregeln gehorchen als das alte Europa. Dabei spielt insbesondere eine Art Vorgänger in der Theorie vom »demokratischen Frieden«, wonach stabile Demokratien nicht gegeneinander Krieg führen, eine Rolle. Die Republiken der neuen Welt sollten auf Grundlage einer besseren Gesellschaftsform einen verantwortungsbewussten neuen Menschentyp hervorbringen, den »Amerikaner«, weshalb die Monroe-Doktrin für den Volksmund durch das Schlagwort »Amerika den Amerikanern« paraphrasiert wurde.Trotz der semantischen Ähnlichkeit ist diese Losung daher nicht mit der ethnisch gemeinten Naziparole »Deutschland den Deutschen« vergleichbar.
Die USA wären auch zu diesem Zeitpunkt keiner europäischen Streitmacht gewachsen gewesen, und letztlich konnte die Monroe-Doktrin zunächst nur mit der Hilfe Großbritanniens durchgesetzt werden. Monroe und Adams spekulierten darauf, dass die Briten dies notgedrungen im eigenen Interesse tun müssten und behielten Recht.
Im Gegenzug, so erklärte Monroe gnädig ferner in seiner Ansprache, werde man sich nicht in die inneren Angelegenheiten Europas einmischen, indem man etwa darauf verzichtete, die republikanisch gesinnte griechische Unabhängigkeitsbewegung zu unterstützen.
Die Doktrin wird gelegentlich als letzter großer Akt einer globalen Grenzziehung in Form einer »globalen Linie« zwischen demokratischer und dynastischer Legitimität angesehen. Manchmal wird sie sogar als ein Akt des Isolationismus gegenüber dem Rest der Welt gedeutet. Beides ist falsch. Auch in diesem Fall war die Grenzziehung eher ein Akt des Absteckens von Claims. An eine Ausweitung des Geltungsbereiches der Monroe-Doktrin über das Territorium Amerikas hinaus war unter den gegebenen globalen Kräfteverhältnissen nicht zu denken. Zudem argumentierte auch Monroe, der im Übrigen mit seiner Entscheidung gegen ein Bündnis mit England ganz im Sinne George Washingtons gehandelt hatte, ebenfalls mit dem Erhalt des Freihandels, und der betraf eben nicht nur den amerikanischen Kontinent.
Zugleich entwickelte die Monroe-Doktrin eine expansive Eigendynamik, welche die territoriale Expansion der USA noch um ein Vielfaches übertreffen sollte. Sie erfuhr zahlreiche Erweiterungen und Aktualisierungen.
Theodore Roosevelt, der im Krieg von 1898 noch seinen Posten als stellvertretender Marineminister kündigte, um eine bunte Truppe von Harvard-Absolventen und Indianerkriegsveteranen anzuführen, fügte der Doktrin mit seinem so genannten »Corollarium zur Monroe-Doktrin« eine hegemoniale Note hinzu. Angesichts politischer Unruhen in ganz Lateinamerika verkündete er, dass sich die USA in Zukunft zur Herstellung von politischer Ordnung innerhalb der westlichen Hemisphäre als »internationale Polizeimacht« intervenieren müsse. Mit anderen Worten: Die Vereinigten Staaten würden staatliche Souveränität solange respektieren, wie diese Staaten auf ihrem Territorium für Ordnung sorgen, ansonsten müsse eben nachgeholfen werden. Roosevelt brachte diese Politik auf die griffige Formel »speak quietly and carry a big stick«. Diese Politik grenzte sich somit ausdrücklich insbesondere von Kaiser Wilhelms säbelrasselnder Suche nach sonnigen Plätzen in Afrika und im Pazifik ab. Obwohl Roosevelt zu einer politischen Fraktion gehörte, die ganz stolz und selbstverständlich von einem »American Empire« sprach, grenzte sie sich doch von einer Politik formeller Kolonisierung und direkter Kontrolle ab. Deutlich wurden die unterschiedlichen weltpolitischen Konzeptionen auch, als Roosevelts Außenminister John Hay an die europäischen Mächte seine beiden berühmten außenpolitischen Noten verschickte. Angesichts der drohenden Parzellierung Chinas verlangte diese den Erhalt der territorialen Einheit Chinas und einer »offenen Tür« für amerikanische Exportgüter. Die Europäer zeigten sich zunächst eher unbeeindruckt, aber die »offene Tür« wurde zu einem weiteren sakralen Bestandteil der US-Außenpolitik.
Der Durchbruch als ernst zu nehmende und ernst genommene Weltmacht gelang den USA nämlich erst im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, dessen Ausgang entscheidend vom Kriegseintritt der USA beeinflusst wurde. Der damalige Präsident Woodrow Wilson hatte vor dem Kongress für den Kriegseintritt mit der Formel geworben: »die Welt sicher machen für die Demokratie«. Nach dem Krieg wünschte er sich, dass die Mitglieder des neu gegründeten Völkerbundes – dem Vorläufer der Vereinten Nationen – »die Doktrin des Präsident Monroe als die Doktrin der Welt«Zit. n. John Milton Cooper jr., Whose League of Nations? Theodore Roosevelt, Woodrow Wilson, and World Order, in: William N. Tilchin/Charles E. Neu (Hrsg.), Artists of Power. Theodore Roosevelt, Woodrow Wilson, and Their Enduring Impact on U.S. Foreign Policy, London 2006, 163–180. anerkennen sollten. Tatsächlich musste auf Druck des US-Kongresses der Geltungsanspruch der Monroe-Doktrin in die Satzung des Völkerbundes aufgenommen werden – auch wenn die eigentliche Bedeutung dieser Doktrin weiterhin von der jeweiligen US-Regierung nach tagespolitischem Bedarf ausgelegt wurde. Wenn Macht und Recht die Paradigmen sind, zwischen denen die US-Außenpolitik changiert, dann ist die Monroe-Doktrin ihr gelungenster Ausdruck. Sie ist weder reines Recht noch reine Politik. Auch wenn sie im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts immer weniger zeitgemäß schien, so berief man sich noch unter Ronald Reagan explizit auf sie. Nach Gusto intervenierten die USA militärisch in Lateinamerika und in der Karibik, zuletzt unter Bill Clinton auf Haiti. Diese Interventionen werden mal völkerrechtlich legitimiert, mal nicht. Vor allem aber hat die Monroe-Doktrin eine bestimmte Form der Außenpolitik bestimmt, die den beanspruchten Geltungsbereich dieser Doktrin längst überschritten hat. Roosevelts Vorstellung von internationaler Polizeimacht kann durchaus als Vorläufer der »humanitären Interventionen« der neunziger Jahre gesehen werden. Die heutige Vorstellung vom Umgang mit so genanntem Staatsversagen – »failed states« – findet ebenfalls hier ihre Vorläufer. Dahinter steht ein politisches Selbstverständnis von guter und falscher Staatsführung, für die das amerikanische Staats- und Gesellschaftsmodell der Maßstab bleibt. Diese Vorstellung ist letztlich unvereinbar mit der Vorstellung von der prinzipiellen Gleichwertigkeit souveräner Nationalstaaten.
CARL MELCHERS
Vom Autor erscheint im September 2008 das Buch: Carl Schmitt als »Imperialismustheoretiker« – Zur Renaissance der Vorstellung von der imperialen Souveränität der Vereinigten Staaten (VDM-Verlag).