Die Explosion des subjektiven Faktors

Ein Film über die Rote Armee Fraktion (RAF) erliegt lediglich der Faszination ihrer Aktionen

Einen gesellschaftlichen Umbruch durch eine Geschichte erzählen zu wollen, ist problematisch. Es ist problematisch, weil der Umbruch, der erzählt werden muss, nur personifiziert und nur in einzelnen Geschichten zur Darstellung kommen kann. Da Kultur aber nun einmal darin besteht, aus der Not eine Tugend zu machen, wäre jenes Problem ebenso Lösung, gelänge es zu zeigen, dass, weil die Gesellschaft sich im Subjekt bricht und sogar in einzelnen Personen zur Sprache kommt, sich gerade dadurch, geradezu ganz unmittelbar, auch gesellschaftliche Umbrüche erzählen lassen. Gerade die RAF, deren Kampf ja im Wortsinn zu einer persönlichen Angelegenheit wurde, böte sich dann an, um an ihm den gesellschaftlichen Umbruch jener Zeit auszuweisen.

Der Film Der Baader-Meinhof-Komplex ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass auch das Gegenteil möglich ist, nämlich der Entzug aller gesellschaftlichen Relevanz. In den Figuren haben nicht die spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisse, die zu erzählen wären, Gestalt angenommen, und zwar auf beiden Seiten nicht. Stattdessen wird gegenüber der RAF die übliche Psychologisierung betrieben; hier ist die Subjektivität (ganz entgegen den Erklärungen der Filmemacher, sie wollten eine »Entmythologisierung« leisten) das blühende Leben und »Sex, Drugs & Rock n' Roll« werden sogar noch um die direkte Aktion erweitert. Komplementär dazu besteht die »Gegenseite«, nicht weniger einfallslos, aus grauen, humorlosen und spießigen Staatsdienern und Bürokraten. Weder nimmt in der RAF die Verlegenheit Gestalt an, dass die Revolution eben Gestalt annehmen muss, noch hat auf Seiten des Staates und seiner Organe der Universalismus der bürgerlichen Revolution die ihm angemessene Gestalt angenommen. Weder kommt die existenzialistische Idee der RAF zur Sprache, direkt und unmittelbar Gesetz und Ordnung herauszufordern, um sie im Namen einer höheren Vernunft nicht nur herab, ja sogar außer Kraft zu setzen, sondern um im Bruch mit Ordnung und Gesetz auch eine Situation zu schaffen, ohne die das Neue, Andere nicht eintreten könnte. Noch wird thematisiert, dass das Revolutionäre der bürgerlichen Gesellschaft gerade darin besteht, dass Ordnung und Gesetz unbesetzt bleiben müssen, dass niemand sich mit dem Gesetz identifizieren oder es außer Kraft setzen darf, so dass der Staat eben kein Subjekt ist. Und auch die Repräsentanten des Staates sind Subjekte dadurch, dass sie im Namen des Gesetzes auftreten und dem Gesetz dienen, also eben nur die Repräsentation einer un(an)greifbaren abstrakten Allgemeinheit sind. Da der Staat kein Subjekt ist (und zudem seinerseits der faschistischen Versuchung widerstand, Gesetz und Ordnung im Namen der Souveränität außer Kraft zu setzen), lief der Versuch der RAF, den Staat herauszufordern, ins Leere.

Mindestens zwei gesellschaftliche Umbrüche ließen sich an der RAF festmachen, ein politischer und ein ökonomischer. Oder vielmehr verlangt ein und derselbe Umbruch danach, ihn im Sinne einer Politischen Ökonomie zu erzählen, die nach der spekulativen Identität von Ökonomie und Politik sucht.

Da ist zum einen der Bruch mit der traditionellen marxistischen Gesellschaftskritik samt ihren politischen Organisierungsformen und ihrer staatlichen Institutionalisierung, zum anderen der Umbruch des sogenannten Industriezeitalters und der fordistischen Produktionsweise in die Wissensgesellschaft und Informationsverarbeitung.

Der subjektive Faktor I

Die Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) bildeten sich in den westlichen Industrienationen in den sechziger Jahren heraus. Sie waren Ausdruck des Bedürfnisses nach radikaler Kritik im Allgemeinen und an der Konsolidierung der Nachkriegsgesellschaft im Besonderen. Sie waren aber auch eine Reaktion auf die Krise des traditionellen Marxismus, der Arbeiterbewegung und des realen Sozialismus. Entscheidend für diese Krise der traditionellen Formen und Gestalten der Gesellschaftskritik war ihr Legitimationsverlust, insbesondere der Legitimationsverlust ihrer schlechthin zentralen Kategorie, der Arbeit, und damit der Verlust des revolutionären Subjekts, der Arbeiterklasse. Die NSB sind nicht zu begreifen ohne das Vakuum, vielleicht sogar das Trauma, das dieser Verlust hinterlassen hat. Ohne den Verlust des revolutionären Subjekts ist auch die Hysterie nicht zu begreifen, mit der immer neue Subjekte an dessen Stelle gesetzt wurden, von den unterdrückten Massen im Trikont über die Ausgebeuteten und Marginalisierten auch der Metropolen bis zu den unterdrückten Trieben und unerfüllten Bedürfnissen, in denen das Revolutionäre schließlich persönlich und privat wurde.

Mit dem Legitimationsverlust der traditionellen, auf die Arbeit und ihre Klasse ausgerichteten Gesellschaftskritik gingen zwei wichtige Abwendungen einher. Die Abkehr von der Politik der Repräsentation und der Stellvertretung, wie sie von den kommunistischen und sozialdemokratischen Organisationen und Parteien für die Arbeit in Anspruch genommen wurde; eine Repräsentation, die den Kommunismus erst zur Aufgabe der Partei und dann zur Aufgabe des Staates werden ließ. Mit dieser Kritik der Repräsentation einher ging eine Kritik der Vertröstungspolitik. Die Sozialdemokratie vertrat sie allein schon durch ihre evolutionäre Ausrichtung, während die kommunistischen Parteien und Organisationen die Revolution vertagten auf die Reife der gesellschaftlichen Widersprüche und einer revolutionären Situation, also der Bedingungen für den Sozialismus. Die Vertröstungspolitik fand dann im Realsozialismus ihre Fortsetzung (und Verewigung).

Mit der Abkehr ging unmittelbar ein Drängen des sogenannten subjektiven Faktors einher, der, vereinfacht gesagt, die Lücke zwischen der kapitalistischen Objektivität und ihrer Überwindung schließen sollte. Die Entdeckung der Notwendigkeit eines subjektiven Faktors war nicht neu, vielmehr kreiste seit dem Ausbleiben der bereits zu Marx' Zeiten erwarteten Revolution die Gesellschaftskritik um diejenige subjektive Zutat, ohne die jene Lücke nicht zu schließen ist. Sie kreiste allerdings um eine Zutat, die aus den objektiven Verhältnissen gerade nicht abgeleitet werden kann, sondern die als Freiheit, Eintritt des geschichtsmächtigen Augenblicks, Entscheidung u.ä. reflektiert werden muss. Neu waren dagegen die explosionsartige Ausdifferenzierung und die umfassende Bedeutung, die dem subjektiven Faktor zugemessen wurden (die Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse, die Politisierung des Privaten, die Politik der ersten Person, die sexuelle Revolution und der Feminismus sowie der ganze Bereich des Kulturellen).

Der bewaffnete Kampf schien eine Option einer Abkehr von der traditionellen Gesellschaftskritik zu sein. Einerseits bildeten sich weltweit bewaffnet kämpfende Gruppen und Bewegungen jenseits der traditionellen Sozialdemokratie und der kommunistischen Organisationen, insbesondere in Gestalt der nationalen Befreiungsbewegungen; andererseits schien der Zerfall der aktuellen Protestbewegungen bzw. die Notwendigkeit ihrer Organisierung eben auch eine militante Fraktion nötig zu haben. Ja, es schien sogar, als verlangte das Versagen der Sozialdemokratie und der kommunistischen Bewegung bei der kampflosen Machtübernahme des Nationalsozialismus danach, nicht noch einmal unvorbereitet dazustehen. Warum nicht nur die NSB ein weltweites Phänomen zumindest der entwickelten Industrienationen des Westens gewesen sind, sondern auch die bewaffneten Gruppen, wird nur verständlich, wenn die Gründe für den bewaffneten Kampf in jenem Umbruch gesucht werden.

Gerade weil die Umstände und die Motivation, die zu bewaffneten Gruppen wie den Roten Brigaden, der IRA, der ETA, der RAF oder der PFLP geführt haben, unterschiedlicher kaum sein könnten, stellt sich die Frage ihrer zeitlichen und auch ihrer – zumindest was das sozialistische Selbstverständnis angeht – inhaltlichen Überschneidung. So gingen etwa die Roten Brigaden hervor aus dem antifaschistischen Widerstand sowie aus durchaus erfolgreichen Kämpfen einer militanten und organisierten Arbeiterklasse in den Fabriken, während die RAF aus einer Studentenbewegung bzw. ihrem Niedergang hervorging. Diese Studentenbewegung stand nicht nur in keiner Kontinuität mehr zur sozialistischen und kommunistischen Bewegung in Deutschland, sie war im Gegenteil eine Reflexion auf deren Vernichtung durch den Nationalsozialismus, aber auch auf das Versagen der sozialdemokratischen und kommunistischen Bewegung gegenüber dem Nationalsozialismus. Und doch treffen sie zusammen durch ihre Abkehr vom traditionellen Weg der sozialistischen Bewegung.

Der subjektive Faktor II

Indes wird der Umbruch im Politischen nicht verständlich, wenn darin nicht der ökonomische Umbruch jener Zeit betrachtet wird. Das heißt nicht, politische Bewegungen oder ihre Subjekte aus der Ökonomie abzuleiten, etwa als den Überbau einer materiellen Basis, als Ausdruck einer bestimmten Produktionsweise oder, was dasselbe ist, nur schwammiger, als Verdichtung ökonomischer Kräfteverhältnisse. Es geht eher, mit Slavoj Žižek, um eine Parallaxe. Das bedeutet, es geht darum, dass das Politische als solches – wie die Kunst – gerade das ist, was nicht aus der Ökonomie abgeleitet und nicht auf sie reduziert werden kann, obwohl es nicht ohne die Ökonomie zu begründen ist. Es ist daher aufschlussreich, dass es gerade eine Studentenbewegung, eine antiautoritäre Bewegung, eine Situationistische Internationale, eine italienische Autonomia und eine autonome Bewegung waren, die die Gesellschaftskritik der traditionellen sozialistischen Bewegung und Organisationen abgelöst haben. Denn wenn sich die Arbeiterbewegung und ihre Organisierung noch als – vereinfacht gesagt – ideeller Gesamtkapitalist des variablen Kapitals verstehen lassen, so sind die NSB Teil der Durchsetzungsbewegung des neuen Paradigmas einer postfordistischen Produktionsweise, in der das variable Kapital und die Produktivkräfte auf Bildung, Wissen und Informationsverarbeitung basieren.

Der traditionellen Gesellschaftskritik schien die Arbeiterklasse der »privilegierte Ort« für den revolutionären Umbruch des Kapitalismus schlechthin zu sein. Einerseits weil ihre Praxis (gesamt-)gesellschaftlich bestimmt und die gesellschaftliche Produktivkraft schlechthin ist. Andererseits weil die gesellschaftliche Bestimmung und die produktive Kraft sich in entfremdeter, enteigneter Stellung zu den Produktionsmitteln befinden und sich der Anwendung und Abhängigkeit kapitalistischer Produktions- und Eigentumsverhältnisse unterziehen müssen. Die NSB verkörpern nun diesen »privilegierten Ort« der Revolutionierung des Kapitalismus in ökonomischer wie politischer Hinsicht ganz unmittelbar, nämlich im Bewusstsein, sich der Notwendigkeit der Selbstbestimmung und Selbstorganisation unterziehen zu müssen. Sie erscheinen zu dem Zeitpunkt, an dem die Produktivkraft nicht mehr in einer bestimmten Klasse verkörpert zu sein scheint, in einer Klasse, die ihr Wissen und ihre Macht, ihre Kooperation und ihre Organisation nur in der Verwertung der kapitalistischen Produktionsmittel erhält. Die Produktivkräfte scheinen das kapitalistische Produktionsmittel schlechthin geworden zu sein und sich in Wissen, Kommunikation und Information einzulösen. Mittlerweile werden Programmierung und Codierung, Medien und Sprache offiziell als die gesellschaftlichen Produktivkräfte ausgegeben. Insofern ist es nur folgerichtig, wenn der Postoperaismus die Produktivkraft, statt in Gestalt der Arbeiterklasse in Gestalt der Multitude verherrlicht.

Wenn also die NSB eine Abkehr von der traditionellen Gesellschaftskritik vollziehen, und wenn in dieser Abkehr der subjektive Faktor zur Geltung drängt: Ist dann die RAF gleichsam der Exzess des subjektiven Faktors?

Der subjektive Faktor III

Schon Lenin hat auf einen »subjektiven Faktor« bestanden: Die objektiven Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft, allen voran der Widerspruch zwischen der (gesamt-)gesellschaftlichen Bestimmung der Arbeit sowie ihrer kapitalistischen Anwendung und Ausbeutung, erlangen keine Notwendigkeit, ohne dass genau diese Notwendigkeit zu Bewusstsein kommt. Die Arbeiterklasse aber bringt »aus eigener Kraft nur trade-unionistisches« (Lenin), also gewerkschaftliches und reformistisches Bewusstsein hervor. Dass die gesellschaftliche Bestimmung der Arbeit reflexiv wird und die Arbeiterklasse an sich die Möglichkeit des Sozialismus erkennt, wurde daher bei Lenin zur Aufgabe der Partei. Sie muss für die gesellschaftliche Bestimmung der Arbeit Partei ergreifen, d.h. sie muss nicht, obwohl es so scheint, das Klassenbewusstsein, gleichsam stellvertretend, auf sich nehmen, sondern sie muss für das fehlende revolutionäre Bewusstsein einspringen. Bei Lenin bestehen die subjektiven Zutaten in der Notwendigkeit der Erziehung, Organisierung und Führung eines unzureichenden Bewusstseins. Diese führten zur Hypostase des Politischen und der Subjektivität, allerdings in Gestalt von Partei und Staat. Das endete bekanntlich in einer Sowjet-Union, die von einem »Vater« geführt wurde.

Indes lässt sich bereits unmittelbar nach Lenin eine entscheidende Spaltung innerhalb des subjektiven Faktors festmachen, und zwar am jungen Lukács in Geschichte und Klassenbewußtsein. Lukács' Idee der Revolution ist, dass die warenförmige Entfremdung und Verdinglichung der gesellschaftlichen Bestimmung und der produktiven Kraft der Arbeit in einer besonderen Ware, der Ware Arbeitskraft, reflexiv werden und zu Bewusstsein kommen können. Revolutionäres Bewusstsein ist demnach vor oder vielmehr ohne die Partei möglich. Und indem die gesellschaftliche Bestimmung und die produktive Kraft der Arbeit reflexiv werden, ist im Selbstbewusstsein des Proletariats auch schon die Überwindung der Entfremdung und Verdinglichung gegeben. Obwohl also beide, Lenin und Lukács, auf der Notwendigkeit eines subjektiven Faktors bestehen, scheidet sich der revolutionäre Weg an der Frage der Subjektivität. Die parteikommunistische Position hat die Notwendigkeit der Organisierung und Institutionalisierung, der Erziehung und der Führung der Massen und ihres Bewusstseins betont, die zweite Position die Spontaneität und die Notwendigkeit der (z.B. rätedemokratischen) Selbstorganisation. Beide Pole sind in der Studentenbewegung, vor allem im Zuge ihres Niedergangs, in der Diskussion um die Frage der richtigen Organisierung wieder aufgetaucht. Es hat zunächst eine Re-Leninisierung in Gestalt der K-Gruppen gegeben, später hat sich dann mit den Autonomen wieder der Gegenpol durchgesetzt.

Die RAF hat dann sogar den Existenzialismus, der in Lukács' Formulierung des subjektiven Faktors steckt, noch einmal radikalisiert. Das revolutionäre Bewusstsein entsteht nicht, wie noch bei Lukács, indem ein qua warenförmiger Verdinglichung und Entfremdung und qua Klassenstellung privilegiertes Erkenntnissubjekt an sich selbst die Möglichkeit der Revolution trifft. Das revolutionäre Bewusstsein wird allein qua Entscheidung und Aktionismus getroffen. Damit hat die RAF mehr als nur den subjektiven Gegenpol zum Ökonomismus und Determinismus der traditionellen Gesellschaftskritik markiert, sie hat für den subjektiven Faktor auch eine Art Endpunkt markiert. Die RAF-ler wurden von Seiten des traditionellen Marxismus denn auch stets als haltlose und wildgewordene Bürgerkinder und Anarchisten beschimpft. Der Endpunkt besteht nicht allein darin, sich von allen objektiven Bedingungen abzukehren, sondern darin, die eigene Subjektivität zur objektiven Notwendigkeit zu erheben. Bei Lenin hieß »Parteilichkeit« noch Partei-ergreifen für ein fehlendes revolutionäres Bewusstsein der Arbeiterklasse; bei Lukács hieß dann Partei-ergreifen, dass die zur Ware gewordene Arbeitskraft Partei ergreifen muss für: sich selbst.

Die RAF ergreift jedoch weder Partei für ein fehlendes revolutionäres Bewusstsein noch für die gesellschaftliche Bestimmung der Arbeit und das objektive Interesse oder die historische Mission der Arbeiterklasse. Gleichwohl kommen der subjektive Faktor und sein Exzess nicht, wie der RAF gemeinhin vorgeworfen wird, aus einem Ausfall von Gewissen und Moral, schon gar nicht aus Feigheit. Die Eskalation des subjektiven Faktors kommt im Gegenteil aus überschießender Moral. Oder vielmehr ist es der empfundene Überschuss an Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Unfreiheit, der auf Seiten der Subjektivität eskaliert. Es ging nicht mehr darum, die Differenz zwischen Klasse an sich und Klasse für sich zu schließen, ob nun durch die Partei oder durch die Selbstorganisation der Produktivkraft, sondern die Differenz zwischen Sein und Sollen. Anders ausgedrückt, die Differenz zwischen dem Bestehenden und seinem Nicht-Sein-Sollen scheint nach einem subjektiven Einsatz zu verlangen.

Darum hat die RAF auch nicht, wie die durchaus wohlwollende, vorherrschende Auslegung ihrer Geschichte meint, ursprünglich hehre Ziele später mit den falschen Mitteln verfolgt. Vielmehr ist die RAF der Verzicht auf das Mittel. Sie hat sich der Frage nach den adäquaten Mitteln, der theoretisch-diskursiven wie der praktisch-organisatorischen, enthoben durch das Fällen einer Entscheidung, als ob die Revolution eine moralische Frage wäre und allein der Wille zählte. Folgerichtig scheint die nackte Existenz und der Einsatz des nackten Lebens (des Eigenen wie das »der Anderen«) das buchstäblich letzte Mittel zu sein, nicht zuletzt um die eigene Souveränität zu bewahren, und sei es im Selbstmord. Auch die Diskussion, die im Anschluss an Hobbes, Schmitt, Benjamin, Foucault und Agamben um die Konstitution von Souveränität kreist, bezieht ihre Faszination aus der »Schlüsselszene« des Existenzialismus: dem unvermittelten In-Eins-Setzen von Gewalt und Politik, Existenz und Waffe, Leben und Tod. Daher auch die Faszination, welche die Aktionen der RAF noch auf ihre Kritiker ausübt, im direkten Gegensatz zu ihren Texten und Erklärungen, die allenfalls durch bleierne Schwere faszinieren. Der Film jedoch gibt sich dieser Faszination, genau wie ehemals seine Protagonisten, unreflektiert hin.

FRANK ENGSTER

Der Autor ist am Institut für Methodenkritik tätig.