Die Grünen

Powerpartei der neuen industriellen Revolution

Der Super-GAU in Japan war der Initiationsritus der Grünen zur Aufnahme in den Bund der Volksparteien. Bis dahin waren sie eigentlich so, wie sie sind: eine Partei mit Köpfen auf Plakaten, ohne Rätsel und Wunder, praktisch und sachkompetent wie HeimwerkerInnen. Einige kennen sich aus mit der Einspeisungsvergütung, einige verstehen etwas von Waffengattungen, die Nächsten beschäftigen sich mit der Bahn, als hätten sie zeitlebens Bahnhöfe und Fachwerkhäuser mit Efeugewächsen von »Faller« zusammengeklebt. Am Abend des Triumphes in Baden-Württemberg war der erste Gedanke des grünen Fraktionsvorsitzenden im Kieler Landtag: »Wir müssen uns jetzt die gleichen Fragen stellen wie die Volksparteien: wie lange der Krankenwagen auf dem Land braucht, bis er beim Unfall ankommt.« Auf dem Land ist die Entfernung zur Unfallstelle oft länger als in Afghanistan. Nach »Fukushima« wollen nun 46 Prozent der vom Spiegel befragten Kinder Grün wählen. Nicht nur, weil Claudia Roth immer so lacht wie die Sonne auf ihren Laternen. Daniel (11) aus Hamburg sagt: »Die Grünen denken auch an die armen Leute, die von Hartz IV leben müssen.« Er plaudert, ohne es zu wissen, ein kollektives Drama aus: Entweder sind seine Eltern und LehrerInnen rotzdumm, oder sie belügen ihn absichtlich. Jeder Halbgebildete kann wissen, dass die Grünen Hartz IV und die Überwachung der Armen bis in die Schlafzimmer hinein einführten. Aber, das Unwissen ist fast noch größer als der Gedächtnisverlust, und seit »Fukushima« stehen die Grünen ohnehin im Ansehen so hoch im Kurs wie die Feuerwehr oder Karl Heinz Böhm.

Die Grünen sind anders als PolitologInnen sie beschreiben. Sie sind der Lichtblick im Fortschrittspessimismus und lieben die Heimat, sie widersetzen sich der Technologiefeindlichkeit und betreiben Denkmalpflege, sie forcieren die industrielle Revolution und singen im Kirchenchor. Auf diese Weise haben sie, was sie selbst angeht, die Parteienverdrossenheit verscheucht. Claudia Roth wandelt gern auf dem Bayreuther Teppich zu Ehren Richard Wagners, Winfried Kretschmann wandelt auf der Hochalb oder – als Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken – auf der Fronleichnamprozession Marien-Bildnissen hinterher. Er ballert im Schützenverein um die Krone und singt im Dorfchor das Jägerlied aus Webers »Der Freischütz«: »Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnü-hü-gen? Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich? Beim Klange der Hörner im Grünen zu lie-hi-gen. Den Hirsch zu verfolgen ...« So begeistert er KatholikenInnen und säkulare Besser-Verdienende gleichermaßen. Martin Walser bekennt: »Bei Herrn Kretschmann bin ich schnell daheim.« Industrieverbände bescheinigen ihm »hervorragende Mittelstandskenntnisse« und, dass er »sicher alles tun wird, damit es dem Wirtschaftsstandort gut geht«. Er sagte zum 125. Firmenjubiläum von Bosch zu den Industriellen des Landes: »Das Werk lobt den Meister« und verspricht allen »eine Bürgergesellschaft, aber kein Bürgerparadies«, die Herrschaft der Bourgeoisie also.

 

Die neue industrielle Revolution

 

Die materialistischen Kerne des Aufstiegs der Grünen sind die Schadensbilanzen des Kapitalismus und die neue industrielle Revolution. Nach »Fukushima« werden alle bestraft, die sich nicht schnell genug von der IG-Bergbau-Architektur der sechsziger Jahre mit ihren Atommeilern und Betonklötzen lösen.

Während die CDU die Laufzeiten der alten Ungetüme verlängerte und der esoterische Flügel der Linken den Waren produzierenden Kapitalismus als Fiktion abtat, begann der real existierende Kapitalismus mit zwei Industrialisierungsschüben gleichzeitig. Die Hälfte der Menschheit (China, Indien, Brasilien, Indonesien) befindet sich auf dem Weg der Nachindustrialisierung, die das Investitionsvolumen und die Warenproduktion alle 10 bis 15 Jahre verdoppelt. In den USA kommen auf 1.000 Einwohner 860 Pkw, in Deutschland 700, in China erst 19, in Indien noch weniger. Die Angleichung der Fahrzeugdichte, das sind zwei oder drei Milliarden neue Automobile und die Vervierfachung der Container-Schifffahrt, würde wohl an der Öl-Beschaffung scheitern. Einschließlich der Sand- und Schieferöle reichen die Öl-Vorkommen zwar ein paar hundert Jahre, aber die Gewinnung wird riskanter und teurer, absorbiert Wert und reduziert den Gesamtprofit des Kapitals. Der ehemalige US-Regierungsberater Simmons empfiehlt die schnelle Abkehr vom Öl, »bevor ein Ressourcen-Krieg ausbricht«. Demnach wäre die Elektromobilität eine friedenserhaltende Maßnahme: E-Auto, E-Roller, E-Bike, E-Kapseln auf Schienen.

Neben der Nachindustrialisierung beginnt – als Reaktion auf die wachsende Schadensbilanz – die neue industrielle Revolution, die alle Wirtschaftssektoren und die Landschaften verändern wird: Stromproduktion, Automobile, Wohnhäuser, Küsten und Meere, Äcker und Wälder, Dörfer, Städte und die Sahara. Das Auftragsvolumen für Reparaturen wächst ständig zu Lasten des Kapitalwachstums. Die Rückversicherer melden, dass die »schadensrelevanten Überschwemmungen« sich seit 1980 verdreifacht haben. Wirbelstürme und Öl-Katastrophen kosten mehrere hundert Milliarden, Atomunfälle wiederholen sich im 25-Jahres-Rhythmus und streben einer Dimension entgegen, die den russischen Präsidenten veranlassten, den JapanerInnen die Umsiedlung nach Sibirien anzubieten. Der Klimawandel habe die gefährliche Schwelle überschritten, meldet die »Internationale Energieagentur«.

Die Energiewende als »Pionierwerk«

 

Nach drei schweren Wahlniederlagen, dem Verlust Baden-Württembergs und den Sturzflug auf Platz Drei in Bremen, hatte der Merkel-Seehofer-Flügel in der Union begriffen, dass ihr Bürgerblock sich nach dem nächsten Unfall, der vielleicht Kalifornien unbewohnbar macht, aus der Geschichte verabschieden könnte. Also riefen sie die Energiewende aus, nannten sie ein »Pionierwerk«, ein »nationales Gemeinschaftswerk, auf das wir stolz sein können«. Es gehe um die »Modernisierung unseres Landes« und die »Technologieführerschaft« in der Welt. Hinter den pompösen Begriffen verbirgt sich die aus der Selbstverleugnung gespeiste Angst. Die Regierung erklärt im Grunde, dass alle Regierungen der Bundesrepublik 50 Jahre lang in der Energiepolitik, dem »Kern der Industrie« (Röttgen), dummes Zeug gemacht haben, während die als »Ungeziefer« stigmatisierten Leute mit den Bolzenschneidern am Gitter weiser waren als der Parlamentarismus und die Wissenschaft zusammen. Das Bewusstsein hat die Grünen aber als Entdecker im Gedächtnis abgespeichert. In Zukunft werden Wirbelstürme und Überschwemmungen, Meteoriteneinschläge und Mondfinsternisse, Erdplattenverschiebungen und das Wetter sich in Stimmen für die Grünen verwandeln.

Der Ausstieg aus der Atomkraft ist konsequent, weil an ihr alles falsch ist. Sie produziert Stoffe, die Menschen tausend Jahre nach dem Leben trachten, und sie ist ein unrentabler Fremdkörper im Kapitalismus. Für rentable Großprojekte, die das Einzelkapital nicht schultern konnte, wurden Aktiengesellschaften und Konsortien gebildet – wie bei der Eisenbahn. Für die Atomkraft hat das Kapital keinen Finger gekrümmt. Atomprogramme waren stets politische Entscheidungen. Die Nationen wollten sich unabhängig machen vom Öl, oder den Stoff für die Atombombe produzieren. Ohne Staatsnachfrage und die Übernahme der Kosten für Forschung, Entwicklung, Endlagerung und Schäden stünde nirgendwo auf der Welt ein AKW. In den Genuss dieser Begünstigung kommt sonst nur die Rüstungsindustrie im Krieg. Die Nachfrage nach unrentablen Investitionen belastet durch die Umlenkung von Mehrwert die gesamte Kapitalakkumulation. Insofern ist die Korrektur ein Schritt zur Sanierung des Gesamtprofits, auch wenn RWE und E.ON

(die atomaren Geschäftsanteile sind 27 bzw. 45 Prozent) einen Teil ihres Kapitals nun als Fehlinvestition abschreiben können. Beide gelten als Übernahmekandidaten, Gazprom hat es auf E.ON abgesehen, der spanische Energiekonzern Iberdrola, der größte Windenergie-Produzent der Welt, hat ein Auge auf RWE geworfen.

Die Abschaltung der Atomkraftwerke in einer Epoche, in der so viel Strom wie noch nie benötigt wird, um die CO-2-Schleudern zu ersetzen, lässt Geschäftsideen blühen. Das moderne Kapital überschlägt sich in seinen Erwartungen. Siemens sieht die Welt »wieder am Beginn eines Stromzeitalters«, Konzern-Chef Lösche berichtet, dass in der Welt »deutsche Unternehmen jetzt mehr denn je als Partner für Energieeffizienz wahrgenommen« werden und setzt auf den Bau »smarter Städte«. Pilotprojekt ist die Solarstadt Masdar City (Abu Dhabi) mit E-Transportkapseln statt Autos und ohne Abfall. Durch den Anstieg des Meerespegels werden schwimmenden Städte, Fabriken und Deichkonstruktionen dazukommen. Auf der »Intersolar-Messe« boten 2.000 Firmen an, was regenerativen Profit verspricht. Die Energiewende werde in Deutschland »40 Millionen Haushalte, 40 Millionen Fahrzeuge und zwei Millionen Unternehmen in ein intelligentes Energienetz einbinden und einen Multimilliardenmarkt auf der Welt erobern«, sagt der Präsident der Informationswirtschaft. Auf die deutsche »AKW-Rückbau- und Entsorgungskompetenz« setzt Henry Cordes, Geschäftsführer der Energiewerke Nord. Irgendwann werden auf langen Strecken nur E-Autos fahren und in Städten E-Kapseln auf Schienen und Akku-Bikes die Autos ersetzen. An den Straßen verdrängen Batterie-Aufladestationen die Tankstellen. In China werde das E-Mobil am schnellsten realisiert, sagt der Chef des japanischen Forschungsinstituts »Nomura«, weil »China zu wenig Öl hat«. In China prägen E-Roller das Straßenbild, zur Beschleunigung der Entwicklung des E-Autos hat China eine neue Handelsbarriere hochgezogen. Ausländische Autobauer dürfen nur chinesische Firmen mit Teilen für E-Autos beliefern. Wer auf den chinesischen Markt will, muss also über Gemeinschaftsunternehmen chinesische Fahrzeuge ausstatten.

Die Industrialisierung der »sanften« Energien

 

Die »grüne« Revolution treibt die Zentralisierung und Dezentralisierung voran. Der private Investor verbindet das Dach mit dem Wohnzimmer, die »Desertec«-Initiative, die von Greenpeace, Deutsche Bank, Siemens und zwanzig anderen unterstützt wird, vernetzt Afrika und Europa. Geplant ist die Industrialisierung der Wüsten Nordafrikas durch Wind- und Solarparks, dazu kommen Städte und Vergnügungsparks für zwei Millionen Arbeitskräfte sowie Kasernen für die Armeen. Man kalkuliert mit 400 Milliarden Euro in 40 Jahren für die Fabriken und einer Billion für Kabelsysteme durchs Mittelmeer und quer durch Europa. Deutschland steht vor einem Industrieschub durch neue Kohlen- und Gaskraftwerke (»Brückentechnologie«), Windräder, Solaranlagen, Kranschiffe, Speicher, Staumauern, Strömungs- und Gezeitenkraftwerke, Erdwärme, Stromtrassen. 30 Windparks sollen in der Nordsee, zehn in der Ostsee gebaut werden. An den Küsten werden Spezialhäfen, Werften, Montagefabriken und Werkstätten entstehen. Man baut Mega-Windräder, von denen eines drei Mal mehr Beton enthält als das BASF-Hochhaus in Ludwigshafen mit 28 Etagen. 4.450 Kilometer neue Stromtrassen sollen den Strom vom Meer ins Land transportieren. Überall werden Pumpspeicher-Kraftwerke von der Größe chemischer Fabriken gebaut: ein See im Tal, ein Stausee auf dem Berg, verbunden durch Rohre und Schächte mit Turbinen und Generatoren. Beim Einspeichern wird Strom eingesetzt, um das Wasser nach oben zu pumpen, wird Strom benötigt, stürzt das Wasser laut donnernd über Generatoren ins Tal. Insgesamt werden dafür gewaltige Mengen von Beton, Stahl, Kupfer, Kunststoff und strategischen Rohstoffen verbraucht. Um diese Industriekomplexe herum schreitet der Landfraß für den Anbau von Monokulturen zur Produktion von Bio-Kraftstoffen und -Heizstoffen voran. Der Kapitalismus hat die Tierhaltung und Erzeugung von Lebensmitteln industrialisiert, nun verdrängt er den Anbau von Lebensmittelpflanzen durch Industriepflanzen für den Antrieb seiner Maschinerie. Der Unterschied von Stadt und Land wird durch die Industrialisierung der Dörfer, Äcker und Wiesen eingeebnet. Man wird sich an Spiegel auf Hausdächern und Wiesen, an Windräder in Küstengewässern und auf Bergen, an Staumauern, Rohre, Stromtrassen und Industriepflanzen gewöhnen. Die Reichen siedeln in Luxusräumen, andere sitzen unter Windrädern und Elektrosmog, Spiegel- und Pappelanlagen vor Augen, einen donnernden Speicher in der Ferne, ein Konvoi mit Beton und Kupferrollen fährt Richtung Küste, Soldaten verpflichten sich zum Wüstendienst.

Der Kapitalismus muss die Produktionssphäre ständig revolutionieren, Mehrwert produzieren oder anderen abjagen, muss Märkte ausdehnen, die den Mehrwert als Kapital realisieren. Die »grüne« Revolution verknüpft die Beton-Architektur der sechsziger Jahre mit der High-Tech-Kultur und verwandelt letzte Refugien in Kapital – mit leisen Autos. Sie senkt den Verbrauch fossiler Rohstoffe, macht die Industrieländer unabhängiger vom Öl, treibt sie aber in die Abhängigkeit von China. Ohne »seltene Erden«, von denen China 97 Prozent liefert, funktioniert kein Windrad, keine Fotovoltaik, kein Hybrid-Antrieb und kein E-Auto. China hat kürzlich die Liefermengen kontingentiert. Dagegen klagt Deutschland bei der Welthandelsorganisation (WTO), gleichzeitig wurde die deutsche Rohstoffagentur beauftragt, mit nationalen Kräften Rohstoffgebiete zu erschließen, Lizenzen zu besorgen und in Eigenregie zu fördern. Nun wird überall nach »seltenen Erden« gebuddelt. Die »sanfte Energie« kurbelt also nicht nur die Betonproduktion und die Industrialisierung der Wüsten an, sondern auch den Bergbau und das Militäraufkommen zur Sicherung der Investitionen und Transportwege auf der Welt.

»Jeder kann auf dem Dach mehr Strom erzeugen als er verbraucht«, sagt der Chef von »Solarworld«, und spricht damit die neue Klasse der NebenerwerbsunternehmerInnen an. Sie besitzt Haus- und Grundeigentum, investiert in die Energieproduktion auf dem Dach und verkauft die überschüssige Strommenge gegen die von den Grünen garantierte Einspeisungsvergütung. Der Volksmund spricht vom »Golddach«. Bisher haben 860.000 EigenheimbesitzerInnen 60 bis 70 Milliarden Euro eingenommen. Anders als die missmutigen, sich stets betrogen fühlenden historischen KleinbürgerInnen, hat der Stromhöker ein reines Gewissen. Sein Gewinn ist für die gute Sache. Die neue Klasse korrigiert laufend die organische Zusammensetzung des Kapitals nach unten und hilft so nebenher bei der Sanierung der Profitrate. Nach Marx muss der Kapitalismus, wenn er dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegensteuern will, das Verhältnis des wachsenden Kapitalblocks zu der Arbeit, die ihn von den Toten erweckt, nach unten korrigieren. Das geschieht durch Kapitalvernichtung in Krisen oder Kriegen, durch Kapitalkonzentration (Synergie-Effekte), durch Kapital sparende Techniken, durch Mischung des hochgefahrenen Blocks mit Kapital, das eine niedrigere organische Zusammensetzung aufweist, etwa des europäischen mit dem chinesischen. Der gleiche Effekt wird erzielt, wenn der Hauseigentümer seinen Geldschatz in Solarkapital verwandelt, das von IngenieurInnen, FabrikarbeiterInnen und HandwerkerInnen entwickelt, gebaut und installiert wurde. Der Staat hat bisher die Fotovoltaik mit 85 und die Windenergie mit 20 Milliarden Euro gefördert. Das wird sich ändern. Der Staat hat die Modernisierung des Energiesektors mit »künstlichem« Profit angeschoben, »um die Technologien in den Markt zu bringen«, sagt Röttgen. Bald müssen sie ihren Weg ohne staatliche Unterstützung gehen.

Nationale Autarkie statt »Globalismus«

 

Das Fernsehen warf einen Blick in ein Modelldorf. Überall Spiegel auf den Dächern der Wohn- und Bauernhäuser, auf Stallungen, öffentlichen Häusern und Wiesen, daneben Pappelhaine für das Blockheizkraftwerk, das von den Besitzenden als gemeinsames »Bürgerkraftwerk« betrieben wird, in den Kellern Rapspressen für die Diesel-Gewinnung. Früher hat man Blumenbeete angelegt für den Wettbewerb »Das schönste Dorf«. Heute macht man mit in der »Solar-Bundesliga«, in der die Rangliste nach Solar-Peaks gebildet wird. Der Reporter vom lokalen »Blättle«, in dem regelmäßig die Top 100 veröffentlicht werden, bedrängt jeden, der noch kein Spiegel auf dem Dach oder Carport hat. Der Inhaber der Großtischlerei sagt: »Mir schaffe mit Strom, wo nichts koscht.« Das Vereinsleben blüht wieder, berichtet der Dorf-Philosoph. Irgendwas sei immer zu besprechen. Wind, Wasser, Solar, »grad so, als könnte sich jeder das Liebschte aussuche«. Leithammel seien vorangegangen, »da funktioniert die menschliche Gesellschaft wie im Tierreich«. Drei pubertierende Kinder hatten Geld von ihrer Oma geerbt, wollten sich was kaufen, doch der Vater hat sie »vom Solarunternehmertum überzeugt«. Viktor (15) hat seinen Freunden erläutert, »dass es ja wächst, das ganze Geld, durch den Strom, wo man einsparen kann«. Alle würden am gleichen Strang ziehen, weil sich keiner dem Verdacht aussetzen wolle, er unterstütze Ölscheichs und Ölmultis, an Stelle der Heimatindustrie und des Handwerks. Nationale Autarkie statt »Globalismus« ist überall ein Motiv.

Pat Cadam rüstet in den USA Pkw auf Hybrid um. Zu seinen Kunden zählt »der frühere Direktor der CIA, nicht gerade der typische Öko, aber jemand, der sich um unsere Abhängigkeit von Öl und unsere nationale Sicherheit sorgt«.

Diese Welt wird vielleicht länger halten, aber wer möchte in dieser erdrückenden Atmosphäre, in der die Ethik in eine Brunnenwasser-Wärmepumpe gekrochen ist und Widerworte sich aus Respekt vor den Dingen vor sich selbst schämen, leben? Die neuen NebenerwerbsunternehmerInnen, die zugleich LohnarbeiterInnen, KleinproduzentInnen und HändlerInnen sind, sind genauso Teil einer stabilen sozialökonomischen Basis der Grünen wie die erwachsen gewordenen DemonstrantInnen, die heute als DozentInnen, LehrerInnen, ForscherInnen, AbteilungsleiterInnen bei Solarfirmen und Greenpeace, bald auch als Grünhelm-Offiziere das moderne Gerüst der Nation bilden. Ihnen zur Seite steht das Bewusstsein, das diesmal keine Angst vor der technischen Revolution hat, sondern sie herbeisehnt. Vor allem sind die Grünen durch ihre hohe Glaubwürdigkeit eine exzellente Versöhnungsinstanz, denn die neue technische Revolution ist nicht »sanft«, »sicher« oder »friedlich« und sie gelingt nur durch die beschleunigte Kapitalbildung zu Lasten des Massenkonsums.

RAINER TRAMPERT

Der Autor ist Publizist. Letzte Veröffentlichungen: »Brave new World – Die neue industrielle Revolution und die neue Klasse der Nebenerwerbsunternehmer« (Konkret, 7/2011), »Kollateralschäden unter Bündnispartnern – Nato und Lybien« (Jungle World Nr. 13).