Die Konterrevolution gegen Israel

»Kein Mensch ist heute mehr Antisemit, man versteht nur die Araber«Friedrich Dürrenmatt, Zusammenhänge. Essay über Israel, eine Konzeption, Zürich 1976, 135.

Nichts anderes ist der Zionismus als die letzte bürgerliche Revolution, die der Gegenwart. Theodor Herzl, dessen staats- und rechtsphilosophisches Buch Der Judenstaat diese Revolution 1896 erst so denkbar machte wie Jean-Jacques Rousseaus Gesellschaftsvertrag 1762 die französische, und David Ben Gurion, der Lenin Israels, sind nur die jüdische Variante der Robespierre, St. Just, Danton. Schon der Preis für die Erklärung der Menschenrechte waren die Guillotine und der revolutionäre Terror, schließlich die napoleonischen Kriege gegen die feudal-absoluten Mächte, die sich weigerten, das Prinzip des neuen Zeitalters, den Code civile, zu akzeptieren. Der König musste geköpft werden, um das Recht auf die Unverletzlichkeit des Körpers zu garantieren. 1789 hatte der Feudalismus der Egalité, Liberté und Fraternité Platz zu machen, und Karl Marx, der diesen Fortschritt unschwer als den hin zu Infanterie, Kavallerie und Artillerie zu denunzieren wusste, erkannte gleichwohl, dass erst so die Geschichte der Menschheit unter die ihr wesentliche Bestimmung gesetzt wurde, die der Vernunft. Darin enthielt die bürgerliche Revolution den Vorschein auf das ihr ganz Andere, auf Kommunismus als die freie Assoziation. Aber jede große Revolution, die ihren Namen verdient, findet ihre Konterrevolution, ihre Vendée. Die Vendée der Zionisten heißt Palästina, und das Ancien régime, der Block aus Pfaffen, Bauern und königstreuen Aristokraten, der den Jakobinern den Weg verlegen wollte, heißt heute PLO, Islamischer Djihad, Hamas und Hisbollah, dazu, um den Islamfaschismus europäisch zu würzen, eine Prise Postmoderne, Multikulti und linksbürgerlicher Pazifismus.

Es war das Unglück des Zionismus, dass seine Revolution nur ungleichzeitig sein konnte, aber noch mehr, dass sie die bürgerliche Revolution der Juden darstellte. Man weiß nicht recht, was für Israel desaströser sich auswirkt. Denn die Revolution der Zionisten fand statt zu einem Zeitpunkt, zu dem der Westen nicht nur der Aufklärung längst abgeschworen hatte, sondern sich vielmehr im Zuge der Zusammenbruchskrise des Kapitals und in Gestalt Deutschlands als des »schwarzen Lochs« der kapitalen Vergesellschaftung dazu radikalisierte, die Juden zur »Gegenrasse«, zum unvermittelten Anti der Menschheit zu stilisieren. Es tat dies nicht nur im Zuge ökonomischer, sondern auch politischer Wahnvorstellungen: Der Antisemitismus bezweckte nicht allein die ökonomische Wohlfahrt der Volksgemeinschaft, sondern zugleich den Staat des ganzen Volkes, die Identität der Deutschen als Rasse. Dieser Versuch, nicht nur das Rätsel der Kapitalproduktivität den Deutschen als ihr ursprüngliches Eigentum zuzueignen, sondern zugleich das Geheimnis der Loyalität, d.h. den Grund dafür sich einzuverleiben, dass das System von Befehl und Gehorsam so fraglos wie spontan wird, dass die Bereitschaft zum Opfer und vor allem zum Töten zur ersten, eingefleischten Natur wird. Dies war schon der Sinn der Nürnberger Gesetze: Jede Bestimmung, die vorgab, das, was jüdisch sein soll, zu definieren, war unmittelbar der Versuch, »das Deutsche« zu fabrizieren und im Souverän zu inkarnieren. Der Nazifaschismus ermordete die Juden, um die Volksgemeinschaft herzustellen, d.h. letztlich: um die bürgerliche Gesellschaft in eine Art Ameisenstaat aufzuheben. So war Hitler der erste Djihadist, und so kam Winston Churchill, auf die Frage, was für ein Buch denn Mein Kampf sei, darauf, es sei dies »der neue Koran« für Deutsche.Winston Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Bd. 1: Der Sturm zieht auf, Olten/Stuttgart/Salzburg 1950, 78. – Andererseits gilt: »Wer den Koran durch den code civil ersetzt, der muß die ganze Struktur der byzantinischen Gesellschaft nach abendländischem Muster ersetzen« (Karl Marx, Zur Geschichte der orientalischen Frage [1854], in: MEW 10, 171). Vgl. Karl A. Wittfogel, Die orientalische Frage. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht [1957], Frankfurt/Berlin/Wien 1981, Streitpunkte 1: Über die folgenschwere Folgenlosigkeit der Einschätzung der russischen Bauerngemeinde und ihres Verhältnisses zur Revolution in Westeuropa durch Karl Marx (Differenz zwischen Lenin und Marx über die Revolution in Rußland), in: www.parteimarx.org, sowie: Mostafa Vatankhah, Historischer Materialismus und Revolution in nichtindustrialisierten Ländern, Berlin 1973; Stefan Breuer, Die Imperien der Alten Welt, Berlin/Köln/Mainz 1987; Perry Anderson, Die Entstehung des absolutistischen Staates, Frankfurt/Main 1979.

Die bürgerliche Revolution der Juden, wie sie sich in Theodor Herzls Der Judenstaat aussprach, geriet in die Falle der Ungleichzeitigkeit. Dies ließ ihren gesellschaftlichen Charakter eklatant werden, als die bürgerlichen Gesellschaften im Begriff waren, zum autoritären Staat überzugehen. Alle Schwierigkeiten, denen sich der Versuch, die bürgerliche Gesellschaft der Juden zum Staat zu formieren, ausgesetzt sah, zeigen nur, im Invers, das Problem der Konstitution bürgerlicher Staatlichkeit schlechthin. Antizionismus ist der Selbsthass der bürgerlichen Gesellschaft, der projiziert wird.Siehe dazu Initiative Sozialistisches Forum, Der Kommunismus und Israel, in: Dies., Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Israel und die linksdeutsche Ideologie, Freiburg 22002, sowie Dies., Karl Marx, Israel und die Militanz der Vernunft, in: www.isf-freiburg.org. Die Juden waren zu Zeiten Theodor Herzls eine auf viele Nationen verstreute Gesellschaft; Nationen, die samt und sonders, die »Affäre Dreyfus« zeigt es, langsam, aber unerbittlich dazu übergingen, die Aufklärung Lügen zu strafen; und sie waren in den östlichen Gesellschaften der (semi-)asiatischen Despotie einer unmittelbar exterministischen Pogromgewalt ausgesetzt, sie konnten schließlich wenig Hoffnung setzen auf die Parteien der sozialdemokratischen Internationale, da die doch dem jüdischen Proletariat Osteuropas in Gestalt des »Bund« jedes Recht auf die sonst so eifrig proklamierte »nationale Selbstbestimmung« verweigerte. Das Bürgertum verweigerte die objektive Konsequenz seiner Aufklärung, die proletarische Internationale gefiel sich in den Rechtsillusionen und Staatlichkeitswahn, die hinein in den 4. August 1914 führten – so fand sich die internationale jüdische Gesellschaft im Außerhalb jedweder Dialektik von Herr und Knecht als die dritte Partei, der der fanatische Hass von Herr und Knecht gleichermaßen galt, d.h. als »Volksklasse« (Abraham Léon).Siehe Abraham Léon, Die jüdische Frage. Eine marxistische Darstellung (1942), Essen 1995. Das »Konzert der Nationen« fand ohne die Menschen statt, die auch die proletarische Internationale als Kosmopoliten denunzierte.

Deshalb waren die Juden gezwungen, das Problem der bürgerlichen Revolution in vollendeter Abstraktion zu durchdenken und zu praktizieren, in einer cartesianischen Klarheit, wie dies nie, auch nicht 1789, möglich war. Die »Autoemanzipation«, von der Leo Pinsker schon 1882 geschrieben hatte, war möglich nur als Münchhausen-Politik, nicht als Ableitung, sondern nur als Selbst-Begründung. Was der staatssüchtige Mob dem Zionismus als bodenlose Niedertracht ankreidet, die Parole »Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land« etwa, trifft die Sache genau. Es ist dies die Quintessenz der zionistischen Revolution: Keinen Staat, kein zentralisiertes Gewaltmonopol, gab es in Palästina, dessen vorfindliche Souveränität man, wie es die französischen Revolutionäre taten, erobern und sich aneignen hätte können. Kein begrenztes Staatsterritorium gab es, dessen Bewohner man hätte zur Bevölkerung, gar zum »Volk« formen können. Keine Gesellschaft gab es, wie in Frankreich, deren Produktionsweise irgend auf den Kapitalismus hinwies. Was es in Palästina gab, das war die Herrschaft des Osmanischen Reiches, d.h. das gesellschaftliche System einer asiatischen Despotie und einer asiatischen Produktionsweise, in der, im Kalifat (dem die Hamas bis heute nachtränt), die bedingungslose Einheit weltlicher und geistlicher Macht herrschte und in der der Einzelne, als Fellache, keineswegs, wie der europäische Bauer, ein Privateigentum an Grund und Boden genoss, sondern ein rechtloser Pächter war. Der Fellache war den Mullahs und Muftis hörig wie kein Bauer seinem Pfaffen. In Palästina gab es kein »Volk«, keine Masse Mensch, die irgend zum Staatsmaterial qualifiziert war, sondern moslemische Staatssklaven. In dieser despotischen Gesellschaft inaugurierten die jüdischen Immigranten in einem den Prozess der »ursprünglichen Akkumulation« des Kapitals wie zugleich den der ursprünglichen Zentralisation der politischen Gewalt. Proletarier aller Länder, die den Status des Bürgers nicht anders denn als Freiheit begreifen konnten, setzten die kapitalistische Produktionsweise ex nihilo ins Werk, die dazu nötige Staatsgewalt inklusive.

Die Bürger hassen den Zionismus dafür, dass er ihnen die immensen menschlichen Unkosten vor Augen führt, die ihr eigener, längst gnädig vergessener Staatswerdungsprozess im 16./17. Jahrhundert zur Konsequenz hatte. Wer etwa das 24. Kapitel des ersten Bandes des Marxschen Kapital über »Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation« studieren sollte, der wird unschwer den ökonomischen Prozess der zionistischen Konstitution wiedererkennen – mit dem Unterschied nur, dass die Vertriebenen zwecks Maloche nach Manchester gehen konnten. Niemand kommt heute auf die Idee, die Legitimität der britischen Staatlichkeit deswegen anzugreifen, während solcherlei im Falle Israel stets nur die »Künstlichkeit« des israelischen »Gebildes« demonstrieren soll, seine mangelnde »Verwurzelung« im »Boden« sowieso, daher auch die treuherzig aggressive Phrase vom »Existenzrecht Israels«»Ich habe deutsche Politiker niemals über das Existenzrecht Frankreichs, Großbritanniens oder der Vereinigten Staaten sprechen hören«, so Shimon Stein, der frühere israelische Botschafter, Es hat sich trotzdem gelohnt, in: Die Zeit, vom 19. März 2008.. Die Ideologie jedoch, der Staat habe »organisch« zu sein und im Volk zu wurzeln wie der Kürbis auf dem Mist, ist reaktionär, auch wenn sie fallweise von den sog. »Neuen Historikern« Israels kommt und besagt: Es gebe ein »natürliches Recht der Palästinenser auf nationale Souveränität und Unabhängigkeit«, so Ilan Pappe. Ein Naturrecht auf Staatlichkeit ist allerdings eine Idee, von der unter den Kalifen niemals die Rede sein konnte; es gab in diesem Reich überhaupt gar keine »Palästinenser«, die zum Subjekt einer Staatlichkeit hätten taugen können, sondern nur Araber, die in der Landschaft Palästina lebten wie die Oberammergauer in ihrem Herrgottswinkel. Was solche »neuen Historiker«, deren Begriff vom Staat allenfalls zur Sozialdemokratie langt, sich vorstellen, zeigen die Beispiele, mit denen sie ihre Einfalt illustrieren. So heißt es etwa in Ilan Pappes Die ethnische Säuberung Palästinas, der Zionismus habe sich, als er die Wüsten begrünte, bewusst gegen »die heimische Flora Palästinas« entschieden, und so käme es, dass in den »Wäldern ganz Israels nur zu 11 Prozent heimische Arten« wachsen. Aber noch ist Hoffnung, denn »zuweilen gelingt es der heimischen Flora überraschend, sich wieder durchzusetzen«.Ilan Pappe, Die ethnische Säuberung Palästinas, Frankfurt/Main 2007, 34 und 296. Auch die Bäume machen Intifada.

Israel muss sich einerseits der »Künstlichkeit« bezichtigen lassen, weil seine Geschichte ohne jede historische Camouflage und Folklore den Charakter bürgerlicher Staatlichkeit als solcher zum Ausdruck bringt, und andererseits soll in eben dieser Polemik der wahrhafte Volksstaat als eine Art organisches Gekröse bejubelt werden, der, gegen alle jüdische »Abgehobenheit«, dem Volke einwurzele. Der Antisemitismus hat hier den ungeheuren Vorteil, Herrschaft überall dort, wo sie nicht von Juden ausgeübt wird, als therapeutisches Event und Selbstverwirklichung zu betrachten. So tat es z.B. der iranische Präsident Ahmadineschad, als er George W. Bush mitteilte: »Ich denke, dass die Errichtung eines neuen Staates mit einem neuen Volk ein neues Phänomen ist, das einzigartig ist für unsere Zeit«. Er hat ganz recht mit dieser Qualifikation des »Phänomens Israel«, aber dies beweist nicht die Verworfenheit des »zionistischen Regimes«Unbestreitbare Widersprüche. Irans Präsident Ahmadineschad schreibt an den amerikanischen Präsidenten George W. Bush, in: FAZ vom 17. Mai 2006., sondern vielmehr den gesellschaftlichen Zwang Israels zur Ungleichzeitigkeit, eine Zwangslage, die darin besteht, dass die postfaschistischen Gesellschaften mit Moslems sich verbünden, für die selbst die Hl. Inquisition schon der Fortschritt zur Aufklärung wäre.

Die Konterrevolution gegen Israel, die in vorsätzlicher Begriffsstutzigkeit das historische Schicksal der Juden ausbeutet, hat viele Fraktionen, nicht nur die des Islamfaschismus. Wenn es noch Pluralismus gibt, dann herrscht er hier, und der Markt der Möglichkeiten, sein Scherflein zum Hass auf Israel beizutragen, ist enorm, v.a. unter Linksmicheln. Wenn eine KPD/ML eine Broschüre mit dem Titel Zionismus – Todfeind der Völker veröffentlicht, die wesentlich aus Zitaten des abgelebten MaoStalinisten Enver Hoxha besteht – »Israel ... gleicht einer Pistole inmitten der arabischen Völker ...« – , mag das noch satirische Qualitäten haben.KPD/ML, Zionismus – Todfeind der Völker, Magdeburg 2006, gratis unter: www.kpd-ml.net/doc/partei/zionismus.pdf Wenn allerdings diese Trachtengruppe, die Israel als »Brückenkopf des Imperialismus« verteufelt, mit Linksparteilern wie Norman Paech sich verbündet, die für das »Völkerrecht« kämpfen, wird es ein bisschen unheimlich. Wenn dann die Claque der Anti-Antideutschen, darunter »ein Freiburger Soziologe« und Wildcat-Autor, der für das linksvölkische Blatt Junge Welt schreibt, einen »emanzipatorischen Antizionismus« vertritt und für die »wichtige und umkämpfte Unterscheidung zwischen Antisemitismus und legitimer Israel-Kritik«Gerhard Hanloser, Was Dir verhaßt ist... Michael Brumliks »Kritik des Zionismus«, in Junge Welt, vom 13. Februar 2008 (G.H. schreibt auch unter dem Alias »Walter Hanser«). eintritt, wird es gruselig. Der losgelassene Staatsfetischismus, der hier agiert, ist »paradoxerweise sozialistisch aus Israelfeindschaft«, wie der Philosoph Michael Landmann bemerkte, und: erwüchse dieser Sorte Links daraus »politischer Nutzen, so würde sie nötigenfalls morgen vom Sozialismus auch zur Anthroposophie schwenken«.Michael Landmann, Das Israelpseudos der Pseudolinken, Berlin 1971, 17.

Die feinsinnige Unterscheidung von Antisemitismus und Antizionismus kommt aber aus dem Arsenal der Propaganda. Jeder, wenn er auch sonst nichts weiß, muss wissen, dass der Antisemitismus immer nur die im engeren Sinne ökonomischen Motive, und d.h. tatsächlich: Rationalisierungen des Judenhasses vertrat, während der Antizionismus seit Hitlers Rede im Bürgerbräu vom August 1920 die explizit politischen versammelt. Der Antizionismus ist von vorneherein, logisch wie historisch, jene Form des Judenhasses, der am Staat das seelenlos »Mechanische« vom gefühlig »Organischen« so abspaltet wie der Antisemitismus im engeren Sinne am Kapital die Spekulation von der Akkumulation des Kapitals. Daher schrieb Alfred Rosenberg, Ideologe en chef des NS, Traktate wie Der staatsfeindliche Zionismus (1943), weil er zwanghaft beweisen wollte, dass die Juden, weil sie zur Arbeit unfähig, dies auch für einen eigenen Staat seien: Denn »das Wesen des skrupellosen, zähen, national-übernational verbundenen parasitären Judenvolkes« reiche nur bis zum Zionismus, und der sei, »bestenfalls, der ohnmächtige Versuch eines zu produktiver Leistung unfähigen Volkes [...] sich ein neues Aufmarschgebiet für Weltbewucherung zu verschaffen«, jedenfalls aber die »Austreibung und Ausrottung der Araber« zu bewerkstelligen.Alfred Rosenberg, Der staatsfeindliche Zionismus, München 1943, 44, 84, 86. So wird das historische Bündnis des Nazi- mit dem Islamfaschismus gestiftet, und wie das geht, lässt sich in den Schriften des »Islamischen Zentral-Instituts zu Berlin e.V.« nachlesen: »Dieser Staat [...] ist ein blutiger Dolch im Herzen des arabischen Vaterlandes«, und froh könne man sein, sagt der Mufti von Jerusalem 1943, dass Deutschland sich entschlossen hat, »für die jüdische Gefahr eine endgültige Lösung zu finden.«Rede S. Em des Großmufti anlässlich der Protestkundgebung gegen die Balfour-Erklärung am 2. November 1943, dokumentiert in: Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1988. (Die Neuausgabe dieses Klassikers – Darmstadt 2008 – ist wenig brauchbar, da der Dokumentenanhang fehlt).

Die Scheidung des Antisemitismus vom Antizionismus, so haltlos sie ist, hat für Linke eine strategische Funktion: Unter der Hand lebt darin die Lüge fort, nichts anderes sei der Judenhass als eine zwar fehlgeleitete, aber eigentlich sozialrevolutionäre Energie. Karl Heinz Roth etwa, der Papst der Autonomen, mag so der Hamas attestieren, »aus den islamisch religiös verbrämten Strukturen von sozialer Selbsthilfe und Solidarität ließen sich sehr wohl emanzipatorische Perspektiven ableiten«, würden nur die Frauen nicht derart patriarchalisch misshandelt.Karl Heinz Roth, Empirie und Theorie. Die Marxsche Arbeitswertlehre im Licht der Arbeitsgeschichte (Teil II), in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 3/2007, 147–168, hier 164. Es wundert nicht, dass der explizite Judenhass der Hamas gar kein Thema ist, dass die ausdrückliche Verpflichtung ihrer Charta auf die »Protokolle der Weisen von Zion« nicht stattfindet. Wenn dann Khaled Maschal, ein Anführer der Hamas, der Meinung ist: »Die israelischen Aktionen in Gaza sind der wahre Holocaust«Zitiert nach Jüdische Zeitung Nr. 3/2008., dann kann dies nach den Maximen linksdeutscher Autonomie nur eine verrutschte Metapher sein. Geht es darum, die Liquidation Israels als höchstes und letztes Stadium der sozialen Revolution auszupreisen, dann geht der Gaul durch, wie kürzlich beim Ableben des Chefs der marxistisch-leninistischen »Volksfront zur Befreiung Palästinas« (PFLP), George Habasch: »Der Che Guevara der PalästinenserInnen«, titelte die linke Schweizer Wochenzeitung WoZ, kein Wunder, war doch sein Ziel »die Befreiung des gesamten historischen Palästina, inklusive Israel«WoZ vom 7. Februar 2008.; und die notorische Junge Welt riskierte unter der Schlagzeile »Ein Leben für die Freiheit« den irrwitzigen Satz: »Für Palästinenser war der überzeugte Marxist und Internationalist ein Patriot.«Junge Welt vom 29. Januar 2008. Da fehlt nicht viel, dass Ahmadineschad der Adorno der Mullahs geheißen werden wird.

Während Linke so entschieden am Kultus national-sozialer Kollektive arbeiten und in Gestalt der »PalästinerInnen« die wahrhaftigen Juden der Gegenwart erblicken, hat die staatstragende Mitte längst gemerkt, wie man sich an Israel und den Juden geschichtspolitisch gesundstoßen kann. Am besten geht das in der Knesset. Hier lässt sich die Verzweiflung Israels über den nicht enden wollenden Kampf mit der Konterrevolution vorzüglich ausbeuten. Vor zwei Jahren hatte der Bundespräsident den Juden bereits erklärt, »die Verantwortung für die Shoa [sei] Teil der deutschen Identität«Zitiert nach Günther Nonnenmacher, Auf solidem Grund, in: FAZ vom 15. Februar 2008., d.h. ein guter Klebstoff fürs Kollektiv, und er habe dafür zu danken. Nun bestätigte Angela Merkel die These, dass, wer die Deutschen zu Freunden hat, keine Feinde mehr braucht: Erst fabulierte sie von einem »im deutschen Namen verübten Massenmord«, weiterhin aber davon, »daß die Shoah uns Deutsche mit Scham erfüllt«Rede Merkels vor der Knesset, in: FAZ vom 19. März 2008.. Nicht also war die Vernichtung das Werk der zum Mordkollektiv versöhnten Gesellschaft der Deutschen gewesen, dessen revolutionäre Sühne aussteht, nein: Hitler soll der treulose Prokurist gewesen sein, der »im deutschen Namen« tat, was »uns Deutsche« zutiefst anwidert. Die Knesset nahm die Infamie zur Kenntnis; was blieb ihr anderes übrig. Aber auch in Tel Aviv liest man die Süddeutsche Zeitung, weiß also, was die Deutschen denken, z.B. gelegentlich des von der Hamas organisierten Ausbruchs aus dem Gaza-Streifen, »der für die Palästinenser so etwas war wie der 9. November für uns Deutsche«Thomas Avenarius, Der Auszug nach Ägypten, in: Süddeutsche Zeitung vom 26./27. Januar 2008..

Die Wahrheit liegt naturgemäß nicht in der Mitte. Denn die Juden haben, wie Andrej Gromyko im Mai 1947 vor der UN erklärte, viele tödlich entschlossene Feinde, aber nur wenige halbherzige Freunde: »Die Erfahrung der Vergangenheit [...] hat gezeigt, daß kein westeuropäischer Staat in der Lage war, dem jüdischen Volk bei der Verteidigung seiner Rechte und bloßen Existenz gegen die Gewalt der Hitleristen und ihrer Verbündeten wirklich Hilfe zu gewähren.«Andrej Gromyko, Rede des Delegierten der SU vor der UN am 14. Mai 1947, in: Der UN-Teilungsplan für Palästina und die Gründung des Staates Israel (1947/48), Offenbach 2002, 9. Die Teilung Palästinas, die ein Jahr später zur israelischen Unabhängigkeit führte, brach mit der Ideologie der »angestammten historischen Rechte«. Sie erkannte den Zionismus als revolutionären Ausdruck dessen an, dass es noch Vernunft gibt in der Geschichte, wenn sie auch niederschmetternd traurig ist: »Wenn der Staat Israel im Jahre 1937 gegründet worden wäre und die Kontrolle über die Einwanderung und den Schutz der Juden in Europa übernommen hätte, so hätten wir sie vor der Vernichtung bewahren können« (David Ben Gurion, 1949).David Ben Gurion, in: Das Neue Israel, Bd. 1, H. 20, 3.

INITIATIVE SOZIALISTISCHES FORUM (ISF)

Der Text ist eine überarbeitete und leicht gekürzte Fassung eines im April 2008 in Freiburg verteilten Flugblattes der ISF.