Die Register der Jungle-Orgel

Bekenntnisse auf dem Jungle-World-Kongress

Steht die Linke so sehr neben sich, dass sie es bei ihren Selbstgesprächen mit völlig Fremden zu tun hat? Gemeinsam mit iz3W, dem AStA der TU und memri (middle east media research institute) richtete die Jungle World vom 7.-9. September einen Kongress zu den Folgen des 11. September aus, der dieser Frage mehr oder weniger unfreiwillig auf den Grund ging: Die einzelnen Panels (Panel = Feld, Tafel, Gremium) sollten sich mit Antisemitismus ebenso befassen wie mit dem konkreten Nahostkonflikts, mit antiarabischem Rassismus ebenso wie mit Islamismus und Orientalismus. Die Jungle World folgte damit ihrer Nicht-Linie des integrationistischen Antinationalismus – und dass sie dieser treu geblieben ist, kann man ihr nur zugute halten.

In den Hauptrollen der Inner-Left-Soap: Peter Nowak, seines Zeichens Junge-Welt-Schreiberling, der meint, dass man die Unterdrückten lieben und die Unterdrücker hassen muß (Was kann er schon dafür, wenn ihm dabei ein paar Zionisten vor die Flinte laufen?). Justus Wertmüller von der Bahamas war zwar unter den Besuchern, überließ das Feld jedoch dem Nachwuchs. Podiumsstar Günter Jacob schließlich spielte das restliche Ensemble wie gehabt souverän an die Wand. Dazwischen tummelten sich ein paar Nebencharaktere, die tapfer ihre Rollen spielten und dabei zuweilen weit mehr zu bieten hatten als die Stars.

Der folgende Artikel versteht sich weniger als ein Kongressbericht – er versucht vielmehr anhand der Positionen und Bekenntnisse der TeilnehmerInnen Diskussionen in und um die antinationale Linke (und teilweise weitab von ihr) nachzuzeichnen. Damit das ganze nicht eskaliert, hier ein paar provisorische Regeln, auf die später noch zurückgegriffen werden wird:

 

1. Es geht um Israel – Jede Diskussion um den 11. September 2001 und um den Krieg, den die USA bereits jetzt gegen den Irak führen, muss einbeziehen, dass der konkrete Staat Israel durch die Ereignisse betroffen wird. Kompetente Äußerungen zur tatsächlichen Bedrohungslage sind in der deutschen Linken dünn gesät. Sie zieht es im Allgemeinen vor, große Heils- und Vernichtungsprophezeiungen auszusprechen, anstatt sich mit den wenigen verfügbaren Informationen über die politische Lage auseinander zu setzen und auf dieser Grundlage Aussagen zu treffen, deren Richtigkeit halbwegs zu beurteilen wäre.

2. Es geht um Antisemitismus – Insbesondere in Deutschland ist jede Diskussion über Israel sowohl an den strukturellen Antisemitismus bürgerlicher und antiimperialistischer Denkform gekoppelt als auch an das konkrete Ressentiment gegen Juden, dass sich oftmals in der Kritik an Israel ausdrückt (Aber nicht in jedem Fall mit ihr identisch sein muss).

3. Es geht um Deutschland – In der Diskussion über den 11. September 2001 werden in Deutschland vor allen Dingen deutsche Verhältnisse (re)produziert, der Antisemitismus schlägt sich im Antiisraelismus und Antiamerikanismus nieder. Wie auch immer man moralisch zur Antikriegsposition stehen mag, sie ist in jedem Fall mit der Idee eines “deutschen Weges” gekoppelt, der sich vom “hyperkapitalistischen” amerikanischen Weg abhebt. Antikriegsmoral in Deutschland ist deutsche Antikriegsmoral. Zwar müssen Antikriegspositionen nicht bewusst dem “deutschen Weg” in die Hände spielen, sie stehen aber immer vor dem Problem, sich zum Teil aus diesem herzuleiten und sich in jedem Fall in dem von ihm vorgegebenen Feld positionieren zu müssen.

4. Es geht um die Linke – Selbst, wenn man nichts mehr mit ihr zu tun haben will, kann man ihr scheinbar doch nicht Adieu sagen (siehe Bahamas). Mag es der Welt auch vergleichsweise egal sein, wie die deutsche Linke sich zu einem Krieg gegen den Irak stellt, so werden doch zumindest für die linke Diskussion intern entscheidende Weichen gestellt. Die Frage ist also nicht: Wie muss die Linke intervenieren?, denn jede Intervention seitens der Linken ist zur Zeit ohnehin eine symbolische. Wichtiger ist: Wie kann die Linke eine Symbolsprache entwickeln, die nicht antisemitisch ist, die Verhältnisse kritisiert und sinnvoll interveniert?

5. Es geht um Rassismus – Ohne die Bedeutung eines der vorgenannten Punkte dadurch zu schmälern geht es auch darum, wie antiarabischer Rassismus durch den 11. September 2001 beeinflusst worden ist. Mögliche Kopplungen zum Antiislamismus müssen untersucht werden. Rassismus ist eine signifikant andere Denkform als Antisemitismus, was es umso wichtiger macht, die Kritik an ihm mitzudenken. Kritik am Islamismus darf dadurch nicht abgeschwächt werden, sie muss sich vielmehr genau äußern. Antiislamismus darf sich nicht aus rassistischen Denkfiguren ableiten oder diese bedienen.

6. Es geht um die USA – Über Punkt 1-5 sollte nicht vergessen werden, dass die USA ein maßgeblicher Protagonist in Sachen Weltordnung sind (wenn auch nicht deren alleinige Architekten). Eine Auseinandersetzung mit den Folgen des 11. September muss deshalb die Zwänge, denen die USA unterliegen, ebenso wie ihre Interessen ins Auge fassen. Ein klassischer “linker” Fehler wäre es dabei, als prinzipielles Argument gegen das Vorgehen der USA ins Feld zu führen, dass sie “nur Interessenpolitik” betreibe. Das versteht sich eigentlich für jeden Staat von selbst und ist an sich auch nicht der negative Gegenpol zu “moralischem Agieren”.

 

Diese Sechs provisorischen Eckpunkte linker Kritik sollen hier im Kontext der Debatten um den Kongress näher betrachtet werden. Sie sollten auf keinen Fall als Bekenntnisse missverstanden werden – diese Rolle kann ihnen allein schon deshalb nicht zukommen, weil sie je nach Konjunktur der Debatte durchaus im Widerspruch zueinander stehen können. Das im Hinterkopf und mit Chips und Bier versorgt, kann die Vorstellung beginnen ...

 

Trailer: Wertmüller vs. Vogt

Warnsinn und Gesellschaft

Mit der Flugblattüberschrift “Bloß nicht einseitig Partei ergreifen! ... schon gar nicht für Israel” meinte die Redaktion der Zeitschrift Bahamas, den Geist der Konferenz schon im Vorfeld treffend zu beschreiben. “Auf dem Jungle-World-Kongress glaubt man, durch betont zur Schau getragene Gleichgültigkeit der zwingenden Entscheidung aus dem Weg gehen zu können, sich entweder kompromisslos für die Verteidigung Israels auszusprechen oder gemeinsame Sache mit den Mordbuben zu machen.”(1) Es geht also um Israel (Eckpunkt 1). Das soll nicht abgestritten werden. Wie viel Kompromisslosigkeit daraus folgen muss, sei fürs erste dahingestellt. Inwiefern macht die Jungle World nun gemeinsame Sache mit den Mordbuben? Die Antwort harrt ein paar Sätze später des Lesers: Insofern nämlich, dass sie nicht “in den Verdacht geraten will, Verteidigerin der Zivilisation (die bekanntlich westlich ist) zu sein und schon deshalb entschieden vor Islam-Kritik warnt.” Wer warnt, wahnt. Die Bahamas lässt ihrerseits keinen Zweifel daran, dass sie sich für die Zivilisation entschieden hat (die bekanntlich westlich ist). Nicht ganz ohne Vorwahnung erklärt sie, dass sich “jede Diskussion mit Leuten verbieten [muss], die sich einer ‚emanzipatorische(n) Bewegung’ zurechnen, also längst Teil des Problems sind.” Dieses Problem personifiziert sich für die Autoren dieses Satzes zum Beispiel in Stefan Vogt, der das Panel zum Nahost-Konflikt moderierte.

 

Es geht um Israel

Warum Vogt? Wer sich rückwärts durch die Debatte arbeitet, stößt zunächst auf einen Artikel von Justus Wertmüller in der Bahamas Nr. 39(2) , der erklärt, was denn nun eigentlich das Problem mit diesem “ganz perfiden Antizionisten” Vogt und seinen Spießgesellen sei. Wertmüller kritisiert Vogts “paternalistisches Gerede vom Opferstaat” und unterstellt, dass für ihn der einzige Grund, sich nicht im hemmungslosen Antisemitismus zu ergehen, eben der Opferstatus der Juden seit Auschwitz sei. Diese Aussage macht er an Vogts Artikel “Ein symbolischer Garant” fest(3) . Folgendes Zitat von Vogt wendet Wertmüller als ersten Streich gegen den Urheber: “Israel ist zunächst ein bürgerlicher Nationalstaat wie andere Staaten auch und damit ein Kollektiv.” Dass nationale Kollektive kritisiert gehören, möchte Wertmüller nicht abstreiten, schon aber, dass Israel eines sei. In einer Wendung, die einer näheren Betrachtung wert ist, beschuldigt er Vogt: “Es wird also schlicht das, was die bürgerliche Nation – mit einigen oft entscheidenden Unterschieden – ausmacht, auf diejenigen übertragen, die traditionell ins Visier solche Staatsbürgerkollektive geraten: die Juden.”

Mit diesem Vorwurf zeichnet Wertmüller zweifellos bewusst ein antisemitisches Weltbild nach, um es Vogt unterzujubeln: Israel ist also “die Juden”, zumindest in Vogts Kopf. Nun soll hier nicht die alte Antiimp-Leier davon gespielt werden, dass man ja Israel kritisieren könne, ohne antisemitisch zu sein – die Kritik an Israel steht insbesondere in der brd immer im Zusammenhang mit antisemitischen Diskursen. Wer als Linker solche Kritik übt, muss sich bewusst sein, dass sie auf den gutgedüngten Acker des Antisemitismus fällt – dieser Umstand muss mitthematisiert werden. Deshalb macht es aber noch keinen Sinn, den strukturellen Antisemitismus in den konkreten Juden stürzen zu lassen. Genauer: Der gedachte “Jude”, den Wertmüller Vogt unterstellt, ist als Projektionsfläche für das un-fassbare im strukturellen Antisemitismus gleichsam eine Denkfigur. Diese Denkfigur ist zwar an den “Judenstaat” Israel gekoppelt, darf aber nicht mit ihm gleichgesetzt werden. Entscheidend ist es, dass wir es mit einer Kopplung zu tun haben, dass struktureller Antisemitismus also nicht unbedingt die Konkretion seines Ressentiments im Antiisraelismus braucht. Proisraelische Antisemiten gibt es auch in Deutschland wie Sand am Meer.

Vogt bezeichnet nun in einer Gedankenbewegung vom anderen Ende aus den konkreten Staat Israel eben als einen konkreten Staat, und nicht etwa als die Konkretion der Denkfigur, die Wertmüller in ihm sieht. Dabei muss er zwar um die Nähe zum konkretisierten Antisemitismus wissen (der ja von der physischen Präsenz des “Juden” als Zielscheibe des Ressentiments lebt), in die er sich begibt, jedoch geht er korrekt vor. Wertmüllers Argumentation vergisst dagegen das, was am anderen Ende ihrer Logik liegt: Denn es ist wohl richtig, dass auch struktureller Antisemitismus als ganzes letztlich nicht ohne Juden auskommt, aber er kann sehr wohl darauf verzichten, von Juden zu reden. Der Antisemit muss auch nicht von Israel reden oder es hassen, wenn er das Unfassbare meint. Und aus diesem Unfassbaren kann ganz ohne die Rede von Israel ein konkreter Jude werden.

Weiter unten scheint dieses Problem mit Wertmüllers Argumentation erneut auf: “Es fragt sich schließlich”, so Wertmüller, “was an einem Staat [Israel] normal sein soll, in dem anders als in jedem anderen bürgerlichen Staat die praktizierte Denkform der bürgerlichen Herrschaft, der Antisemitismus, schon aus rein logischer Unmöglichkeit nicht auftreten kann.” Es trifft natürlich zu, dass die praktizierte Denkform des bürgerlichen Staates in Israel nicht in dieser Form zum Ausdruck kommen kann. Über die strukturelle Denkform des bürgerlichen Staates ist damit jedoch nur gesagt, dass sie sich einer bestimmten, freilich allerabscheulichsten praktischen Konsequenz niemals hingeben kann. Wertmüller erklärt weiter: “In dem sich erweist, so abstrakt allgemein das antisemitische Bedürfnis genuiner Ausdruck des Bewusstseins der warenproduzierenden Welt ist, dass der Antisemitismus ohne die höchst konkreten Juden nicht auskommt und anders herum die höchst konkreten Juden keine Entsprechung für das abstrakt allgemeine Wirken des finalen Vernichtungswunsches des Staatsbürgers kennen.”(Hervorhebung: Phase 2 Berlin) Doch all das bleibt Behauptung. Wertmüller unterstellt, dass wir selbigen Sachverhalt in Israel beobachten könnten und nimmt diese imaginierte Beobachtung als Begründung dafür heran, alles in eins fallen zu lassen – strukturellen Antisemitismus, das Ressentiment gegen konkrete Juden, den finalen Vernichtungswunsch – so dass dieses Konglomerat des Verabscheuungswürdigen in Israel mangels Möglichkeit seiner Vervollständigung vollständig verschwinden muss. Dass das nicht funktioniert, wird spätestens deutlich, wenn Wertmüller sich in die absurde Behauptung versteigt, in Israel gäbe es keinen Rassismus. Die Aussage bleibt unerklärt – will Wertmüller etwa unterstellen, es gäbe eine strukturelle Gleichheit zwischen Rassismus und Antisemitismus, die auch die Praxis des ersteren in Israel unterbindet? Wohl kaum, doch eine andere Herleitung für diese Behauptung lässt sich kaum finden.

Nachdem Wertmüller zu Beginn seines Artikels noch treffend beklagt hat, dass Israel für manch antideutsche “Seminarlinke” zur reinen Projektionsfläche für Emanzipationsversprechen wird, ist bei der weiteren Lektüre seine Position von dieser Haltung nicht mehr zu unterscheiden: Den Zionismus sieht er als kulturelle Rebellion gegen die versteinerten Verhältnisse im Schtetl und als das Heilsversprechen, “an einem anderen Ort die ganze Chose aus eigener Kraft neu zu beginnen. Ohne faulige Traditionen, ohne galizische Zurückgebliebenheit, aber eben auch ohne eine bürgerliche Moderne, deren fanatische Ausprägung von ihnen nicht nur als Juden, sondern eben als Menschen für bedrohlich gehalten wurde.” Wertmüller mag damit ein mögliches Versprechen des Zionismus beschreiben. Es ist auch richtig, sich auf solche Versprechen zu beziehen – Schließlich muss die Linke auch auf die dem bürgerlichen Staat inhärenten Emanzipationsbegriffe zurückgreifen, es gibt gar keinen anderen “Ort”, von dem aus sie ihre Versprechen beziehen könnte. Ein Fehler ist es jedoch, das Versprechen mit der Erscheinungsform in eins fallen zu lassen – und genau das tut Wertmüller hier mit dem Zionismus. So überspringt er die (selbst)kritische Spannung, die die Auseinandersetzung der deutschen Linken mit dem Staat Israel eigentlich produzieren sollte. Diese Spannung entsteht dadurch, dass das linke Begriffssystem durch den Holocaust fundamental verunsichert und gebrochen ist und nicht einfach allgemein revidiert werden kann. Der klassische linke Bezug auf Emanzipation, die Angewohnheit, auf Seiten der “Unterdrückten” zu stehen, produziert in Bezug auf Israel (und nicht nur in Bezug darauf) unerträgliche, antisemitische Positionen. Linke Selbstkritik kann nur geübt werden, indem der Bruch um die Komplexe Antisemitismus und Israel thematisiert wird. Wertmüller entscheidet sich für eine Revision und erkennt damit diesen Bruch eben nicht an, sondern schiebt ihn der “emanzipatorischen Linken” unter. So sieht Politik als Bekenntnis aus.

 

Es geht um Antisemitismus

Vogt mag in seiner Positionierung schwammiger sein als Wertmüller, er trägt der genannten Spannung aber Rechnung. “Die Existenz des israelischen Staates ist eine Tragödie” – diese Worte Vogts gelten Wertmüller als zentraler Angriffspunkt. Leider verschweigt er, wie dieser Satz endet: “dieser Staat verlangt aber gerade deshalb die Solidarität einer aufgeklärten Linken.” Vogt leitet die Notwendigkeit des Fortbestehens Israels aus dem Wirklichkeit gewordenen Scheitern der Aufklärung her, aus dem Holocaust. Diese Argumentation ist zwar nicht neu, fasst aber die Frage, um die es der deutschen Linken gehen sollte: Welche Gestalt nimmt der spezifisch deutsche Antisemitismus (insbesondere der der Linken) in der Auseinandersetzung mit dem Staat Israel an? Diese Frage lässt sich nicht ohne den Bezug auf den Holocaust denken, und sie sollte für eine Linke im Vordergrund stehen, die sich mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen auseinandersetzen muss. Die Existenz Israels zeichnet letztlich auch die Tragödie nach, dass die Weltsicht der Linken dem Antisemitismus in weiten Teilen innig verbunden ist. Wer deshalb linke Bezugs- und Begriffssysteme zu den Akten legt, vermeidet nur die notwendige Auseinandersetzung über deren Kopplungen mit dem Antisemitismus. Der Bruch, der bei einer Auseinandersetzung mit linken Begriffsystemen entsteht, muss wahrgenommen werden, den von ihm ausgehenden Rissen nachgegangen, um dem strukturellen Antisemitismus auf die Spur zu kommen. Man kann diesen Bruch nicht überspringen, wie die Bahamas-Redaktion das gerne tun würde. Gerade die konkrete Historizität des linken Antisemitismus (und das Versäumnis der Linken, konsequent gegen den Antisemitismus und für Israel einzutreten) hinterlässt Spuren, die sich mit keiner noch so nachdrücklichen Solidarität mit Israel kitten lassen. Vielmehr droht eine solcherart zum Universalismus erhobene Solidarität, das Gespenst des Juden, dass im strukturellen Antisemitismus umgeht, mit jüdischen Personen in eins fallen zu lassen. In ihr wird Israel gleichsam zur Idee des Judenstaats gemacht, und aus dem emanzipatorischen Versprechen des Zionismus wird ohne Übergang seine emanzipatorische Wirklichkeit – eine Sichtweise, die das emanzipatorische Potential des Zionismus gleichzeitig annulliert.

Vogts Artikel weist in die Richtung einer produktiven Auseinandersetzung mit dem linken Antisemitismus, die den Bruch im linken Bewusstsein als Ansatzpunkt der Diskussion wählt. Er ist damit weit bescheidener als Wertmüller und verzichtet auf ausholende Erklärungen zu den Versprechen des Zionismus. Es geht um Antisemitismus (Eckpunkt 2).

 

Hauptfilm: Die Bekenntnisverweigerung

Peter gegen den Rest der Welt

Schließlich muss alles Vorgeplänkel ein Ende haben, also auf zum Kongress. Die meisten Veranstaltungen waren spärlich besucht. Die wenigen Panels, die Publikum anzogen, wurden zur Bühne für den oben geschilderten Konflikt, der, wie schon angedeutet, einer um Meinungsvielfalt war. Nicht nur die Bahamas störte sich an selbiger, auf dem Kongress fand sie noch einen weit erbitterteren Gegner: Den schon erwähnten Zwischenrufer Peter Nowak, Journalist bei der jungen Welt(4) . Freilich ist diese Gegnerschaft wohl das einzige, was diesen fanatischen Antizionisten mit Justus Wertmüller verbindet.

Zum Ausbruch kam Nowaks revolutionärer Volkszorn gegenüber dem israelischen Schriftsteller Yoram Kaniuk, der sich für eine Beseitigung von Saddams Husseins Regime aussprach und von seinen durchaus noch aktuellen Erfahrungen mit dem deutschen Antisemitismus berichtete. Kaniuk stellte folgendes fest: “If freedom needed to be fought for, the USA fought for it.” Diese Behauptung ließ bei Nowak die Alarmglocken schrillen. Mühsam beherrscht führte er die Interessengeleitetheit der USA ins Feld (Die von Kaniuk gar nicht bestritten worden war), um dann zu seinen Lieblingsverbrechen des Imperialistenstaates zu kommen – Mumia Abu Jamal in der Todeszelle und all die unterdrückten brothers and sisters waren da ebenso schnell bei der Hand wie die ermordeten Indianer, für die Nowak sein Herz ausschüttete. Nowaks Botschaft war klar verständlich: Ihm ging es um die USA (und um das nur ganz knapp unter der Hörschwelle mitgedachte Israel), die, weil sie imperialistische Interessen verfolgten, in all ihren Handlungen entschieden zu bekämpfen wären. Um ja keine differenzierte Betrachtungsweise aufkommen zu lassen, forderte er die absolute, übergeordnete Gültigkeit des antiimperialistischen Begriffssystems gegen Kaniuk ein. In seinem Kongressbericht in der Jungen Welt stellte Nowak dann implizit die Frage, was solche Aussagen wie die Kaniuks, was Kaniuk selbst eigentlich auf einem “linken” Kongress zu suchen hätten (“Dieser Satz ist am Wochenende in Berlin nicht etwa auf einem Symposium der Bildzeitung oder der Konrad-Adenauer-Stiftung gefallen.”(5) ).

Sicher, mit Kaniuk saß kein “Linker” auf dem Podium, schon gar nicht ein Linker, wie Nowak ihn sich wohl vorstellen würde. Es wäre durchaus wünschenswert gewesen, berechtigte Kritik an den Positionen Kaniuks zu üben. Seine Anwesenheit auf dem Podium war jedoch angemessen: Denn wie bereits oben angeführt, ermöglichen klassische Linke Bezugssysteme allein nicht den angemessenen Zugriff auf das Thema Israel.

Eben deshalb sollte man Nowaks Position auch nicht als den Hassausbruch von einem, der schon immer Antisemit war, abtun. Sie repräsentiert eine machtvolle linke Weltanschauung, die sich scheinbar historisch materialistisch motiviert. Eine Weltanschauung, in der Ausgebeutete und Unterdrückte immer Identifikationsobjekt sind, weil sie angeblich schon aus ihrem Sein heraus revolutionäres Bewusstsein hervorbringen. Leute wie Nowak sehen sich in diesem Sinne im Einklang mit der “Geschichte”, als dass sie die eigentliche, in ihrem Blickwinkel streng ökonomisch erfassbare Wahrheit der wertförmigen Vergesellschaftung als Universalismus setzen, aus dem sich jegliche politische Aktivität, jegliche Solidaritätsbekundung herleitet – getreu dem Credo: die Verdammten dieser Erde werden siegen, und das ist auch gut so. Dass sie diese Herleitung noch nicht mal besonders sorgfältig betreiben, sei ihnen belassen. Aber dass sie zugleich jegliches andere Analyseregister ignorieren, dass dazu geeignet sein könnte, Wirklichkeiten wie den Antisemitismus zu beschreiben und zu bekämpfen, ist unverzeihlich. Es handelt sich hierbei um vorsätzliche Blindheit gegenüber jedem ideologiekritischen oder diskursanalytischen Ansatz. Für den Linken nach Nowaks Zuschnitt sind diese Ansätze selbst nur Ideologie, die ihn davon abhalten will, konsequent für die Unterdrückten zu sprechen – und für die Horst Mahlers unter diesen Linken wird diese Konsequenz dann zur Endlösung.

In einem offenen Brief auf Indymedia wettert Nowak noch weit nachdrücklicher gegen die “Jungantideutschen” und ihre “Gurus”. Er flucht über die Atmosphäre der “political correctness” und erklärt, antideutsche Gruppen hätten den Kongress “gekapert”. Schließlich dokumentiert er seine vorsätzliche Blödheit selbst: Auf den Vorwurf, er sei Antizionist, erwidert er: “Über die Kategorie Zionismus-Antizionismus habe ich mich übrigens nie geäußert.” Natürlich nicht, solche Kategorien sind für Nowak reine Ideologie. Dem kann man tatsächlich nur entgegenhalten: Es geht um Israel.

 

Alle Register ziehen

Günther Jacob lieferte auf dem Abschlusspanel des Kongresses die Vorlage für die zu Beginn dieses Artikels festgelegten Eckpunkte, indem er thematisierte, dass linke Kritik in Registern operiert, die Begriffs- und Bezugssystemen entsprechen. Je nachdem, in welchem Register Kritik operiert, haben die Begriffe andere Bedeutungen, lösen andere Reaktionen aus. Deshalb darf, wer von historischem Materialismus redet von Auschwitz nicht schweigen. Und wer vom Islamismus redet, darf vom Rassismus nicht schweigen. Solche Kritik bewegt sich hart an der Grenze zur Beliebigkeit – Wertmüller thematisierte dieses Problem, indem er erklärte, Jacob würde sich nur darum drücken, sich eindeutig für Israel und die Zivilisation zu positionieren, weil er den Bruch mit der Linken scheue. Die Kritik mag treffen, ändert aber nichts daran, dass die Analyse von Gesellschaft, wenn sie in nur einem Register operiert, zwangsläufig Positionen wie die Nowaks oder Wertmüllers hervorbringt – Positionen, die sich mit der Wirklichkeit nicht mehr ansatzweise zur Deckung bringen lassen. Der Unterschied ist der zwischen Bekenntnis und dem Versuch der Erkenntnis. Letzterer ist mit dem Problem konfrontiert, immer Provisorium zu bleiben, eben weil er in mehreren Registern operiert.

Bahamas-Style bzw. antiimperialistische Bekenntnisse waren unter anderem für den peinlichen Verlauf der Nicht-Diskussion mit Yoram Kaniuk verantwortlich. Für diese Positionen konnten Kaniuks Aussagen entweder nur Punkt prinzipieller Zustimmung sein (Da Kaniuk mit Israel das letzte verbliebene Emanzipationsversprechen repräsentiert) oder aber prinzipieller Ablehnung (Da Kaniuk stellvertretend für die Interessen der USA und Israels als “imperialistische Mächte” steht). Eine Diskussion mit Kaniuk wäre möglich gewesen, wenn man seine Aussagen als Beitrag aufgefasst hätte, der sich mit den Bedingungen für das Fortbestehen Israels und dem deutschen Antisemitismus befasst. Die Spannungen zwischen den Aussagen, die diese Blickrichtung hervorbringt, und den Ergebnissen anderer Zugänge müssen als gegenseitiges Korrektiv verstanden werden.

Um der Gefahr der Beliebigkeit einen positiven Ausblick entgegenzusetzen, sei ein weniger beachteter Referent auf dem Kongress hervorgehoben. In seinem Beitrag zum Thema “Feindbild Islam?” thematisierte Udo Wolter die Diskussion über antiarabischen Rassismus im Kontext des 11. September 2001. Zentral war für ihn die Abgrenzung rassistischer Weltbilder von Antisemitischen. Während ihm zufolge der Antisemitismus als geschlossenes Weltbild funktioniert, in dem die Juden nur einen Platz als noch zu eliminierende haben, gehorcht der Rassismus (auch der positiv-kulturalistisch gewendete) weit eher dem Prinzip der sowohl bewundernden als auch abfälligen Konstruktion eines “Anderen”. Wolter sprach sich gegen eine falsche Parallelisierung von Antisemitismus und antiarabischem Rassismus aus, die besonders bei den Palästina-Freunden zunehmende Konjunktur hat und Israel mit dem Nazifaschismus vergleichen will. Gleichzeitig nimmt sein Beitrag antiarabischen Rassismus ernst und versucht sich an einer Kritik des selbigen, die nicht in der kulturalistischen Gegenbewegung der Solidarität mit dem Islam endet. Eine solche Strategie setzt voraus, dass ein Begriff je nach Analyseregister unterschiedlich gedacht wird. Wenn der Islam einfach als eliminatorisch-antisemitischer Islamismus und Gegenbewegung zur Aufklärung gedacht wird, erscheint natürlich jeder Antirassismus, der antiislamische Denkformen kritisiert, als aufklärungsfeindlich und antisemitisch. Linker Antirassismus kommt jedoch nicht umhin, den Anteil des westlichen Orientalismus an der Konstitution des Islamismus zu untersuchen. Dass muss nicht (kann aber) bedeuten, den Islamismus zu entschuldigen oder gar gutzuheißen, indem man ihn lediglich zum Reflex auf die Erfahrung des Kolonialismus macht – wer das glaubt, sitzt letztlich auch der antiimperialistischen Mär auf, dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten automatisch das Subjekt des gesellschaftlichen Fortschritts in Richtung Kommunismus sind. Diesen Irrtum teilen bestimmte Fraktionen der antideutschen Linken leider mit den Apologeten, die im Anschlag auf das WTC immer noch gerne einen “objektiv antiimperialistischen Akt” sehen möchten(6) .

Letztlich geht es darum, die Ideologie mitzudenken, die aus der konsequenten Fortführung eines einzelnen Analyseregisters folgt. Solidarität mit Israel ist damit – wie jede Solidarität - eine strategische, provisorische Haltung und niemals absolut. Sie ist immer den Umständen geschuldet, die auch die Wirklichkeit des Holocaust enthalten, und nicht etwa eine praktische Ableitung aus dem theoretischen zionistischen Heilsversprechen. Wenn Solidarität sich bewusst ist, ein ideologischer Einsatz zu sein, macht die Parole “Solidarität mit Israel” Sinn. Es geht um das Bewusstsein darum, dass die eigenen Begriffssysteme ideologisch sind und selbst Ideologie (re)produzieren. Ideologie muss jedoch durch andere Ideologie gebrochen werden, Islamismuskritik muss mit Antirassismus in Spannung versetzt werden – Warnsinn ist nicht gleich Wahnsinn.

 

Abspann

Was blieb ...

... war das Abschlusspanel. Reichlich verloren wirkte Marco Bascetta von der italienischen Gruppe Il Manifesto, der ein paar Empire-Weisheiten zum besten gab, aber ansonsten recht ratlos und fehl am Platze wirkte. Folglich interessierte man sich kaum für ihn. Günter Jacob rief zu einem Netzwerk anti-antisemitischer Gruppen auf, was allerdings auch eher hilflos wirkte; irgendwie erinnerte das von ihm angedachte Konzept an die AA/BO. Was nach dem Verlassen des Kongresses am intensivsten hängen blieb, waren die Ohrenschmerzen, die eine Besucherin mit ihren regelmäßigen plärrenden Aufrufen, man solle endlich aufhören herumzusitzen und zu reden und lieber etwas konkretes gegen den Antisemitismus unternehmen. Es hatte wohl niemand das Herz, sie auf die Ressentimentbeladenheit des Antiintellektualismus hinzuweisen.

 

 

Zum Nacherleben

Das Buch zum Kongress ist im Verbrecher Verlag erschienen, heißt Elfter September Nulleins und kostet 14 €.

Stefan Vogts Artikel ist auf: www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2002/22/05a.htm nachzulesen.

Justus Wertmüllers Artikel findet sich in der Bahamas 39 oder auf: www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web39-3.htm

Das Flugblatt der Bahamas zum Jungle-World-Kongress gibt´s als Download bei www.redaktion-bahamas.org

Peter Nowaks Artikel aus der jungen Welt: www.jungewelt.de/2002/9-10/022.php

Nowaks offener Brief: de.indymedia.org/2002/09/29171.shtml

 

Verbotene Liebe

Als ob es auf dem Kongress nicht genug Bekenntnisse gegeben hätte, ließ Peter Nowak es sich im Nachhinein nicht nehmen, seine geheime Bewunderung für Günter Jacob verlauten zu lassen. Der ließ sich die innige Umarmung freilich nicht gefallen und postete eine Distanzierung auf Indymedia.

Günter Jacobs Richtigstellung: www.de.indymedia.org/2002/09/29398.shtml

 

 

Fußnoten:

(1) Bahamas-Flugblatt (siehe unten).

(2) Der Antizionismus und Herr Vogt – Warum Israel kein ganz normaler bürgerlicher Staat ist. Folgende Zitate ebd.

(3) Jungle World 22/2002. Folgende Zitate ebd.

(4) Die man vielleicht als das andere ihrer selbst der Jungle World bezeichnen könnte ...

(5) junge Welt vom 10. September 2002.

(6) Jörg Miehe in der jungen Welt vom 25.11.2001.

Phase 2 Berlin