Die Wiederkehr des Völkischen

Mit dem Wahlsieg von Rot-Grün 1998, dem »Aufstand der Anständigen« und der Liberalisierung konservativen Denkens in der CDU waren, so schien es, die letzten Reste völkischen Denkens aus der bundespolitischen Parteienlandschaft verschwunden. Doch auch in Deutschland, wo lange das Diktum von Franz Josef Strauß galt, dass es rechts der Unionsparteien keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, folgte die Wählerschaft mittlerweile dem europaweiten Trend des rechten Backlash. Völkisches Denken ist auf dem Vormarsch. Und mit der Alternative für Deutschland (AfD) schickt sich eine rechte Partei an, dauerhaft ihren Platz auf der politischen Landkarte einzunehmen. Dabei machte sie in der kurzen Zeit ihres Bestehens eine erhebliche Wandlung durch: 2013 war sie als Sammelbecken neoliberaler Eurokritiker um Bernd Lucke angetreten, der aber schon 2015 aus der Partei gedrängt wurde. Die Federführung übernahm dabei Frauke Petry, die als Vertreterin des rechtsnationalen Flügels im September 2016 für eine Rehabilitierung des Begriffs völkisch plädierte. Mittlerweile wurde auch sie von der Parteirechten um Alexander Gauland und André Poggenburg in ihre Schranken verwiesen.

Diese Entwicklung verwundert kaum, wirft man einen Blick in die neuen Publikationen der Historiker Michael Wildt und Volker Weiß. Der durchaus unterschiedliche historische Zugriff beider Autoren zeigt, dass rechtes Denken innerhalb der AfD ebenso wie bei anderen Akteuren der (Neuen) Rechten, allen Versuchen der Distanzierung vom Nationalsozialismus (NS) zum Trotz, stets auf bestimmte Kernelemente rechter Ideologie zurückfällt. Und diese Kernelemente waren eben auch konstitutiv für die NS-Ideologie.

Im Gegensatz zum Rechtsruck der AfD verwundert jedoch der von Volker Weiß in Die autoritäre Revolte geschilderte Aufstieg der Neuen Rechten. Diese »lange isolierte Fraktion der äußersten Rechten« habe es innerhalb weniger Jahre geschafft, eine breitere Masse zu erreichen. Das zeige sich nicht zuletzt an der Nähe von AfD-Funktionären wie Poggenburg zu Götz Kubitschek, einem zentralen Akteur der Neuen Rechten oder Auftritten Kubitscheks auf Pegida-Kundgebungen. Aber was ist eigentlich die Neue Rechte? In acht der neun Kapitel seziert Weiß Strömungen rechten Denkens zwischen dem popkulturellen Protest der Identitären Bewegung, den rechtsintellektuellen Zirkeln um das Institut für Staatspolitik und der Wochenzeitung Junge Freiheit. Eine Bestimmung der Neuen Rechten anhand bisheriger Kriterien gehe jedoch fehl, so Weiß im ersten Kapitel. Denn die ihr zugeschriebene »inhaltliche Distanz zum ›Dritten Reich‹«, die »Intellektualisierung der Rechten« sowie die »europäische Orientierung« träfen nur bedingt zu. Es sei vielmehr eine Begriffsbestimmung über das Adjektiv neu vorzunehmen, die nach dem Beginn der Neuen Rechten frage: Neu seien Auftreten und Politikstil, ihre Genealogie führe aber in die Vergangenheit.

Dass die vermeintliche Distanz der neurechten Akteure zum Nationalsozialismus ein Mythos ist, wie Weiß an vielen Stellen seines Buches belegt, bestätigt seine These, die Neue Rechte habe nur über die »künstliche Schöpfung einer neuen rechten Tradition« überleben können. Die nach 1945 erfolgte Immunisierung gegenüber Kritik durch die Abgrenzung vom Nationalsozialismus verweist auf einen im zweiten Kapitel untersuchten zentralen Mythos der Neuen Rechten – die Konservative Revolution. Anhand dieses von Armin Mohler, einem zentralen Vordenker der Neuen Rechten, geschaffenen Schlagwortes gelang es, den »Nationalsozialismus ahistorisch als etwas völlig Eigenes und Neues erscheinen zu lassen«. Völkische Denker wie Carl Schmitt oder Oswald Spengler wurden als vermeintlich unbelastete Konservative bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder salonfähig. Diese erfolgte, aber nicht folgerichtige Distanzierung vom Nationalsozialismus spiegelt sich auch in gegenwärtigen Akteuren der Neuen Rechten wider. So in der Identitären Bewegung, die Weiß im vierten Kapitel untersucht. Die immer wieder von Aktivist_innen aufgestellte Behauptung, gerade nicht rechts, sondern identitär zu sein, wird durch den Verkauf von Ernst-Jünger-Shirts oder die Stilisierung Heideggers zum »identitären Denker« zur Farce.

Längere Kontinuitätslinien zeigen sich weiterhin bei der Analyse neurechter Feindbilder im achten Kapitel. Sie fördert Überraschendes zutage: Denn nicht der Islam sei das eigentliche Feindbild der Neuen Rechten, sondern vielmehr der Liberalismus. Die Ablehnung des Liberalismus gehe zudem mit Antiamerikanismus sowie Antisemitismus einher. Anhand des Instrumentariums neurechten Denkens, der Theorie der »doppelten Feindschaft« von Carl Schmitt, zeigt Weiß, dass der Universalismus, meist in Gestalt des »Amerikanismus«, als »absoluter Feind« die völkische Identität bedrohe, er sei Nicht-Identität. Erst durch die eigene Schwäche sei der Islam zur Bedrohung, also zum »wirklichen Feind« geworden. Und letztlich gelte auch er als eine Identität, die jedoch in ihren Raum zurückgedrängt werden müsse. Somit gleiche der Islam dem Eigenen, während der Universalismus das Uneigentliche darstelle. Es verwundert vor diesem Hintergrund wenig, dass eine Partei wie die AfD unter dem Einfluss neurechter Theoretiker sich ihrer liberaleren Begründer entledigt.

Insgesamt legt Weiß einen kurzweiligen, aber detaillierten Überblick über das heterogene Spektrum der Neuen Rechten vor und schlägt eine Schneise in ihren ideologischen Irrgarten. Die Forderung nach einer »tatsächlichen Aufklärung« wird angestoßen und eingelöst. Das zeigt auch ein weiteres Verdienst des Buches: Es bleibt nicht bei einer Kritik neurechten Denkens stehen, sondern versucht sich auch an einer kritischen Reflexion der linken und liberalen Kritik an eben jenem Denken. Diese sei defizitär, da sie den »›Wahrheitskern‹ neurechter Politik« nicht zu fassen vermöge. Zusammenfassend ließe sich dieser Wahrheitskern als Appell zu einer notwendigen Kritik des Islam verstehen. Der Kampf gegen autoritäre Strömungen müsse sich also auf alle ihre Exponenten beziehen – ob nun Neue Rechte, Rechtspopulismus oder Islamismus.

Michael Wildts Schrift Volk, Volksgemeinschaft, AfD will keine »umfassende, geschichtswissenschaftliche Analyse«, sondern eine »historisch-politische Intervention« sein. Zur Intervention sah sich Wildt offensichtlich genötigt, da erwähnter André Poggenburg Wildt zitierte, um den Begriff »Volksgemeinschaft« seiner negativen Konnotation zu entheben. Wildt stellt dem entgegen, dass, wer heute von Volk sowie Volksgemeinschaft spreche, »die Abgründe des ›Volkes‹ nicht ignorieren« dürfe. Diesem Anspruch und dem Titel entsprechend, gliedert sich das Buch in drei Kapitel: Volk, Volksgemeinschaft sowie Das Volk der AfD.

Im Gegensatz zu Weiß beginnt Wildt nicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern in der Antike: Das erste Kapitel spannt den Bogen von der athenischen Polis bis zu den Balkankriegen der Jahre 1912/13. Dabei geht es ihm darum, die Ambivalenzen des Volksbegriffs aufzuzeigen. Der grundlegende Konflikt bestehe in unterschiedlichen Auffassungen dessen, was das Volk sei und wie es herrschen könne – in seiner Gesamtheit, also durch direkte Demokratie, oder durch Repräsentation. Dabei finde sich schon bei Aristoteles eine Ablehnung der Demokratie als »verfehlte Herrschaft der Vielen«. Eine Befürchtung, die auch die federalists, die Befürworter eines Repräsentativsystems als Grundlage der US-Verfassung, geteilt hätten. Eine andere Auffassung der Volkssouveränität lasse sich bei Rousseau ausmachen, der mit seiner Idee einer dem Volk zugrunde liegenden volonté générale die »Konzeption der Homogenität und Identität des Volkes« in der Moderne begründet habe. Letztlich führe die Frage, wie das Volk herrschen solle, zur Frage, wer das Volk ist. Die im 19. Jahrhundert gefundenen, ethnisierten Antworten sollten sich bald in gewalttätigen Auseinandersetzungen und ethnischen Säuberungen in den Balkankriegen 1912/13 materialisieren.

Der Disput um den Volksbegriff war auch in der Weimarer Republik virulent, so Wildt im zweiten Kapitel. Das deute sich in der Synthese der Weimarer Verfassung aus einem Repräsentativsystem in Form des Parlaments und einem direkt gewählten Präsidenten an, der die volonté générale, den einheitlichen Willen des Volkes darstellte. Viel mehr jedoch spiegele sich dies in dem von fast allen Parteien genutzten Begriff der Volksgemeinschaft. In der Verwendung durch die Sozialdemokraten sei er inklusiv und gerade auch gegen die Nationalsozialisten gerichtet gewesen. Der Volksgemeinschaftsbegriff der Nationalsozialisten hingegen war exklusiv – der Antisemitismus sein Konstituens. Carl Schmitt goss dieses Konzept in einen rechtlichen Rahmen: »Schmitt begriff das souveräne Volk nicht mehr als Assoziation freier und gleicher Bürger, sondern verstand Gleichheit substanziell.« Aus »Gleichartigen« seien später »Artgleiche« geworden.

Unter anderem mit Referenz auf Friedrich Ebert hatte André Poggenburg versucht, den Begriff der Volksgemeinschaft wieder positiv zu besetzen. Aber auch wenn Ebert den Begriff genutzt hat, so Wildts Einwand, könne er nicht mehr ohne den Nationalsozialismus gedacht werden: Beim Versuch, den Begriff »von der Verbindung zum Nationalsozialismus« zu entkoppeln, gehe es nicht darum, »den Nationalsozialismus zu rechtfertigen, sondern vielmehr um seine Entsorgung«. Es werde deutlich, dass völkisches Denken von der AfD rehabilitiert werden soll und ihre Konzeption des Volkes auf ethnischen Kriterien basiert und damit in geistiger Nähe zum Nationalsozialismus steht.

Wildts Abriss ist durchaus stringent argumentiert und lädt zur eingehenderen Beschäftigung mit den historischen Konzeptionen von Volk und Volksgemeinschaft ein. Insgesamt will das Buch in seiner Kürze jedoch zu viel: Vor allem im ersten Kapitel werden komplexe Entwicklungen nur grob skizziert. Auch bleiben Fragen offen, etwa: Wenn der Antisemitismus konstitutiv für die NS-Volksgemeinschaft war, welche Rolle spielt er in der AfD? Zugutezuhalten ist Wildt jedoch, dass er nicht versucht, der völkischen Definition des Volkes eine staatsbürgerliche entgegenzusetzen, wie es derzeit en vogue ist. Ihm geht es vielmehr um eine Historisierung des Volkes, an dessen Stelle mit Hannah Arendts Idee, »dass es so etwas gibt wie das Recht, Rechte zu haben«, konkrete Menschen treten sollen.

Johannes Radde

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes, Klett-Cotta, Stuttgart 2017, 304 S., € 20,00. (Auch: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2017, 304 S., € 4,50).

Michael Wildt: Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburger Edition, Hamburg 2017, 160 S., € 12,00. (Auch: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2017, 158 S., € 4,50).