Editorial

Angesichts von zehntausenden Menschen, die durch Erdbeben und Tsunami gestorben sind, der Millionen von Menschen, die vor radioaktiver Strahlung durch die atomaren Anlagen in Fukushima bedroht sind, und angesichts der Traumata, Verwüstungen und Leiden, die in Japan zu sehen sind, versagt das linke Vokabular. Mitgefühl, Verstörung oder Verängstigungen gehören kaum ins Repertoire, in der Regel werden sie belächelt. Was bleibt? In gewohnter Manier den Mediendiskurs zu kritisieren, verärgert über die stereotypen Darstellungen von Japaner_innen als diszipliniert und obrigkeitsergeben zu sein? Oder über die bekannten und dennoch nahezu unerträglichen Meldungen, über die Anzahl der betroffenen Deutschen? Sicherlich, alles verwerflich. Ebenso zutreffend ist die Kritik an den zynischen Updates über die »Auswirkungen auf die Weltwirtschaft«, wenn in Ticker und Börsenreportage individuelles und kollektives Leid in monetäre Verluste und Gewinne Unbeteiligter umgerechnet wird.

Die ebenfalls zynischen Versuche der Parteienpolitik, noch schnell ein paar Stimmen aus dem Unglück zu gewinnen und die Menschen für absolut dumm zu verkaufen, in dem sich z.B. Regierende oder ehemals Regierende als Gegner_innen von Atomkraftwerken gerieren, können schon dazu führen, dass man sich auf die grammatikalische Ebene flüchtet. Die Steigerung von größt- ist nun mal nicht super größt. Das ist einfach zu benennen. Angesichts der kapitalistischen Widersinnigkeit, auf einer Technik, die nicht kontrollierbar ist und außer Kontrolle lebensbedrohlich für Millionen von Menschen über einen unvorstellbaren Zeitraum, ist auch die Flucht in eigenen Zynismus allzu verständlich. Und so ist auch das Singen von kitschigem Liedgut à la »Das ist die perfekte Welle« nur ein Versuch, der Verzweiflung Raum zu geben.

Und doch. Zwanzig Jahre nach Tschernobyl ist Fukushima zum neuen Symbol für den atomaren Wahnsinn geworden. Und es ist in Ordnung, das nicht sofort einordnen zu können, herunterzubrechen in kritisierbare Partikel, die Hauptschuldigen in Deutschland zu sehen, sondern angstvoll und emphatisch die Meldungen zu verfolgen, die nicht besser zu werden drohen.

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