Editorial

Willkommen zum ‚fünften Heft dieses Hortes der Vernunft in einer Welt des Wahnsinns. Die Flut bricht über uns herein: täglich, stündlich, minütlich und verdichtet sich zur Urkatastrophe des postfaschistischen Europas. Es ist nicht die migrantische Flut, welche noch zum Ende des letzten Jahrhunderts als bedrohliches Schreckensszenario gezeichnet wurde, sondern ist die Jahrhundertflut der sich zunehmend widerspenstig gerierenden Natur.

Und neben ein paar Toten am Schwarzen Meer, wird Deutschland zum wichtigsten Abladeplatz der gigantischen Wassermassen und damit zum Zentrum der Katastrophe. Es ist schauerlich und befreiend zugleich. Es ist der Krieg gegen die Wassermassen, welcher mit der Oderschlacht des Jahres 1997 als gewonnen galt, und nun in die Zentren der Zivilisation zurückkehrt und wieder unzählige Menschen ihrer Altstadt, ihrer Rhabarberernte und ihrer eingekellerten Konserven beraubt und darüber hinaus erbarmungslos tötet: Kühe, Schafe, Menschen.

Auf der anderen Seite ist jedoch nicht zu vergessen, dass die große Flut Deutschland in eine Position hievt, die ihm lange Zeit schlecht zu Gesicht stand: Opfer zu sein nämlich. Der großen Flucht der deutschen Bevölkerung vor den barbarischen Armeen der Slawen, welche zeitversetzt über 50 Jahre später noch einmal über die gefolterte Seele des deutschen Volkes vonstatten ging, folgt nun die große Flut. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sinniert über das Unfassbare: "Unter dem Eindruck der verheerenden Überflutungen in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas fehlen einem fast die Worte, die Katastrophe angemessen zu beschreiben." Es fehlen der FAZ fast die Worte und doch wird deutlich: das ist der Klima-Holocaust, eine "Katastrophe", die "angemessen zu Beschreiben" fast unmöglich ist.

Und so wird allerorten der Ausnahmezustand ausgerufen, mit dem die Bevölkerung zumeist nicht mal mehr etwas anfangen kann, und die Suche nach den Schuldigen aufgenommen. Dass es sich zwar um "amerikanische Verhältnisse" handelt, weiß die bundesdeutsche Publizistik schon auszusprechen, dass der Ami nun aber auch rundweg Schuld ist, da ist man etwas vorsichtiger. Besonders nach dem 11. September, wo gewisse Angriffe auf die hemmungslose Globalisierung als Ursache der weltweiten Erderwärmung unredlich erscheinen. Und doch ist es ein Jahr nach dem Angriff auf eines der größten Symbole des "großen Kapitals", die Zwillingstürme nämlich, durchaus opportun, stolz zu verkünden, dass Deutschland "nicht von denen beherrscht [wird], die das große Kapital haben." (G. Schröder). Sei es drum, auf derartiges wie auf das Kyoto-Protokoll darf schon mal verwiesen werden und ebenso erwähnt, dass die Schwächung des Staates als Bündnispartner der Natur zugunsten einer Stärkung der Globalwirtschaft als Gegnerin der Natur zu verhindern sei.

Und während Gerhard Schröder aus der Mottenkiste den "deutschen Weg" kramt, titelt die FAZ: "Mitteleuropa unter Wasser". Mitteleuropa, es dürfte bekannt sein, ist ein geostrategisches Konzept des deutschen Sonderwegs. Und während die FAZ nun jenes Konzept hervorkramt wie vor ihr Schröder den "deutschen Weg", titelt die Süddeutsche Zeitung am gleichen Tag: "Streit über Deutschlands Rolle in der Welt". Über absichtliche Zusammenhänge lässt sich leider nur spekulieren, zusammen lesen dürfte aber doch gestattet sein.

Um es nun der Konstruktionen nicht zu viel werden zu lassen, sei jenes Feld nun schleunigst verlassen und der Weg, welcher kein deutscher ist, freigemacht zum Wesentlichen des Hefts, welches Deutschland und mit ihm Mitteleuropa auch heut noch mehr als Täter denn als Opfer wahrnimmt.

In diesem Sinne
Phase 2, Leipzig