Editorial

Auch wenn die Bild ängstlich fragt: »Sind wir bald alle Afrikaner?«, wissen wir es doch eigentlich besser. Wir sind Deutsche. Auf uns lastet die Verantwortung. Und wir sind Europäerinnen, uns eint mit dem Rest Europa, gemeinsam das dunkle Kapitel Zweiter Weltkrieg durchgestanden und gelitten zu haben. Die deutsche Identität, sie wird gefeiert und konstruiert – allgegenwärtig.

Der Superminister widmet sich einer neuen Initiative für mehr deutsche Sprache im Radio, was zur Folgen haben könnte, dass sich Heinz Rudolf Kunze, die Mutter aller Quotierungsversuche, derart beflügelt fühlt, dass er seinen Hit »Ich bin auch ein Vertriebener« neu auflegt, sozusagen als Soundtrack zur aktuellen Debatte um die Vertriebenen-stiftung. »Das ZDF fragt Sie und die ganze Nation: Wer ist Ihre erste Wahl?« Zunächst werden 10 aus 300 Vorschlägen ausgewählt. »Die Top Ten der beliebtesten Deutschen stellen sich dann der endgültigen Wahl zum besten Deutschen.« Hmm. Der beste Deutsche; der Beste unter den Besten also. Da möchte die Entscheidung wohl überlegt sein, Petra Kelly oder Sven Hannawald? Wernher von Braun und Siegfried-und-Roy, unterwanderten beide erfolgreich Feindesland, andererseits macht sie das nicht irgendwie zu Verrätern? Haben sich Campino und August Thyssen am Ende doch mehr ums Vaterland verdient gemacht? Sollte das Kreuz nicht gleichermaßen gesellschaftliche Verantwortung repräsentieren, ergo: aufmunternde nicht-alles-war-schlecht Zoniwahl. Die Kampagne der Super Illu für Helga Hahnemann, Gojko Mitic und Uns Täve wird wohl nicht auf sich warten lassen. Nichts falsch machen, kann der gute Deutsche mit Goethe, Schiller oder Mozart. Moment mal! Mozart? Nun gut, im engeren Sinne..., aber wer wird denn in diesen Zeiten noch so klein denken. Pluralistisch wie man sich nun mal zu geben hat, ist auch an eine Alternative für Ewiggestrige gedacht: Marx und Adorno sind ankreuzbar, in einer Reihe mit Stauffenberg und Ratzinger. Die geballte Deutschfeierei und Geschichtsdreherei war Grund genug, uns mit der neunten Phase 2 der Entwicklung des Geschichtsrevisionismus und seiner Auswüchse zu widmen. Heutzutage hat die Zivilgesellschaft mit ihren rot-grünen RepräsentantInnen aus der Geschichte gelernt und ihre Hausaufgaben gemacht und darf per se auf der guten Seite quasi alles (denken, sagen, tun). Andere argumentieren, das völkische Ticket liegt nicht nur griffbereit auf Tasche, sondern hat seine Gültigkeit nie verloren. Weiterhin werden die Entwicklungen des erinnerungspolitischen und Gedenkdiskurses analysiert, die eine positive Bezugnahme auf deutsche Geschichte erst ermöglichen. Das richtige Werkzeug also, die Heimattümelei anzugreifen. In diesem Sinne: Lethargy is over, here comes the Herbst!

 

DIE REDAKTION