Ehre, Ehrenmord und die ewig Fremden

Eine Analyse zur filmischen Darstellungen eines kulturell scheinbar unausweichlichen »Schicksals«

Im Frühjahr dieses Jahres kamen zwei Filme in die deutschen Kinos, die sich mit dem Thema Ehrenmord Ich markiere den Begriff Ehrenmord nur bei der ersten Erwähnung, denke ihn aber durchgängig in Anführungszeichen, weil er als Begriff nicht einfach unhinterfragt übernommen werden soll. Wie im Artikel hoffentlich klar werden wird, ist der Begriff vor allem auch ein mediales Schlagwort, dass Konnotationen aufruft und reproduziert, die gerade problematisiert werden sollen. Außerdem mangelt es immer noch an klaren Definitionen und Kriterien, so dass fraglich bleibt, was genau einen Ehrenmord als solchen auszeichnet. beschäftigen. Die Fremde Informationen zum Film siehe auch: http://www.diefremde.de/ - ein Film von Feo Aladag, der auf der diesjährigen Berlinale gefeiert wurde und der Film Ayla Leider lief der Film Ayla noch nicht in Leipziger Kinos, deshalb kann ich ihn bei der Auswertung der filmischen Darstellung nicht einbeziehen. vom türkischen Regisseur Su Turhan. Sie sollen Anlass sein um einige Fragen aufzuwerfen, die mit dem Thema Ehrenmorde verbunden sind und den breiteren medialen und gesellschaftlichen Diskurs zum Thema betrachten.

Der Film Die Fremde erzählt die Geschichte von Umay. Sie und ihr Sohn Cem verlassen Istanbul und den gewalttätigen Ehemann um nach Berlin zurückzukehren, zurück in die elterliche Wohnung in der auch die jüngere Schwester und die beiden Brüder leben. Doch die Freude ihrer Familie währt nur kurz. Obwohl den Eltern deutlich ist, wovor sie flieht, scheint niemand ihre Probleme ernst nehmen zu wollen. »Heute schlägt er, morgen streichelt er.«, antwortet Umays Vater auf ihre Weigerung zum Ehemann zurückzukehren. Vater und Brüder wollen so wenigstens die Rückkehr des Sohnes zum Ehemann organisieren. Umay weiß dies zu verhindern und ist fortan im Zwiespalt gefangen, sich vor ihrer Familie verstecken zu müssen und doch Anerkennung und Verständnis zu wollen. Sie versucht immer wieder Kontakt zu einzelnen Familienmitgliedern aufzunehmen. Schließlich eskaliert die Situation, als Umay auf der Hochzeit ihrer Schwester erscheint und die Familie öffentlich anklagt. So fasst der Vater nach einem kurzen Besuch im Heimatland mit seinen Söhnen den Entschluss die Tochter zu töten.

Vor den Augen der KinobesucherInnen entfaltet die Regisseurin eine Familientragödie, die mit scheinbarer Zwangsläufigkeit auf die Katastrophe hinarbeitet, dabei an griechische Dramen erinnert, in denen die Individuen zwar (inter-)agieren, aber von Prinzipien oder Normen gelenkt scheinen, die sich nur akzeptieren, nicht aber verstehen lassen. Dieses Schicksalhafte ist es dann auch, die verwirrt und den Eindruck von Unverständnis und Befremden entstehen lässt, mit der man den Film schließlich verlässt. Was ist es, das die ProtagonistInnen so handeln lässt, welche Kraft ist stärker als die Liebe der Eltern und Geschwister zueinander und was treibt den Vater zu solch einem Entschluss und die Brüder zur Durchführung? Diesen Fragen will der Film nachgehen, indem er das Leiden und innere Kämpfe aller Familienmitglieder intensiv zeigt. Das Anliegen der Regisseurin ist es die Dynamik nachzuvollziehen, die einem Ehrenmord vorausgeht.

 Auch RezensentInnen fragen sich: »Was verbirgt sich wirklich hinter den vielen Schlagzeilen in Sachen ›Ehrenmord‹? Was ›passiert‹ dabei dort tatsächlich?«. Zit. n. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1141609/ Ob es Aladag gelingt das zu klären sei dahin gestellt. Die Zwangsläufigkeit mit der die ProtagonistInnen handeln, ließe sich wie folgt auf den Punkt bringen: »My culture made me do it.« oder »It`s in their culture.« Was die Beteiligten zum Handeln zwingt, scheint eine bestimmte religiöse oder kulturelle Moral zu sein.

Aladags Film kann man einerseits als Versuch loben Gewalt und Ungleichbehandlung von Frauen aufgrund religiöser, kultureller und/oder patriarchaler Vorstellungen und Praktiken zu thematisieren. Man kann ihren Film aber ebenso in eine breite öffentliche Auseinandersetzung einordnen, in der Ehrenmorde auf spezifische Weise thematisiert werden. Ich beschäftige mich im Folgenden mit den diskursiven Aspekten, weil es mir wichtig erscheint, eine kritische Perspektive und eine Sensibilität im Umgang mit dem Thema zu entwickeln. Also zu fragen: Wer thematisiert wann und wie Ehrenmorde, und welche Argumente und inhaltlichen Verknüpfungen tauchen dabei auf. Meine These ist, dass in den letzten Jahren das Thema Ehrenmord an Bedeutung gewonnen hat und dass die Art und Weise der öffentlichen Auseinandersetzung in weiten Teilen zur Stigmatisierung einer ethnischen Gruppe führt, die über diese Gewaltverbrechen als fremd, rückständig und nicht zugehörig markiert wird. Diese Gruppe wird u.a. über Negativdiskurse vereinheitlicht und lässt sich so von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgrenzen.

Ehrenmorddiskurs

Seit der Ermordung der dreiundzwanzigjährigen Hatun Sürücü Zum Tathergang, der Gerichtsverhandlung, sowie familiärem Hintergrund siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Hatun_S%C3%BCr %C3%BCc%C3%BC im Februar 2005 in Berlin-Tempelhof, der Festnahme drei ihrer Brüder und der Verurteilung des jüngsten Bruders, wird verstärkt über sogenannte Ehrverbrechen/Ehrenmorde gesprochen und immer wieder über einzelnen Fälle dezidiert berichtet. Im Anschluss an Hatun Sürücüs Tod gab es zum Thema umfassende Zeitungs- und Fernsehreportagen und Dokumentationen und anschließend filmische Adaptionen. So wurden auch im Sonntagabend-Tator bisher bereits drei Fälle von Ehrenmord behandelt. Tatort »Schatten der Angst«: http://www.daserste.de/tatort/sendung.asp?datum=06.04.2008, »Familienaufstellung«: http://www.daserste.de/tatort/sendung.asp?datum=08.02.2009, »Wem Ehre gebührt«: http://www.daserste.de/tatort/sendung.asp?datum=23.12.2007 Es lässt sich konstatieren, dass es bisher fast ausschließlich journalistische sowie schriftstellerisch-autobiographische Beschäftigung mit dem Thema Ehrenmord und kaum wissenschaftliche Studien gibt. So liegen keine offiziellen Statistiken vor, die erstens klare Kriterien zur Definition von Ehrenmorden aufstellen und zweitens, fundierte Aussagen über das Ausmaß ehrbezogener Gewaltformen zulassen würden. Bisher gibt es lediglich Schätzungen, die u.a. von der Berliner Schutzeinrichtung Papatya gemacht wurden. Die dort aufgeführte Zahl von 44 Fällen im Zeitraum von 1996 bis Februar 2005 basiert auf Zeitungsartikeln über bekannt gewordene Fälle. Ebenfalls existiert eine – im Anschluss an die Ermordung Hatun Sürücüs – vom BKA

BKA, Presseinformation zu den Ergebnissen einer Bund-Länderabfrage zum Ph?omenbereich »Ehrenmorde in Deutschland«, 2005. durchgeführte bundesweite Erfassung ähnlicher Delikte. Diese zählt im selben Zeitraum 55 Fälle – einschließlich Tötungsversuchen. Ausschlaggebendes Kriterium beider Erfassungen ist lediglich die Herkunft der Täter. Eine neue Studie von Anna Caroline Cöster aus dem Jahr 2009 befasst sich mit Ehrenmord in Deutschland und versucht die definitorische Lücke ein wenig zu schließen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass in einem Teil der untersuchten Fällen die Bezeichnung Ehrenmord nicht zutreffend ist, weil andere Motive (nicht Familienehre) vorlagen bzw. der Tathergang (Planung und Beteiligung eines Teils der Familie) nicht dem entsprechenden Muster folgte und es sich um Beziehungstaten im weiteren Sinne handelte, die unabhängig von der Herkunft der Beteiligten betrachtet werden müssen. Auch sie beklagt in ihrem Buch die mangelnde wissenschaftliche Forschung – die auch eine effektive Präventionsarbeit und Betreuung betroffener Frauen verbessern würde – und bemerkt, dass die Berichterstattung ihrer Meinung nach »zwischen Skandalisierung und Verharmlosung, zwischen Ignoranz und Übertreibung – stets verbunden mit der Integrationsfrage im Allgemeinen« – schwankt. Anna Caroline Cöster, Ehrenmord in Deutschland, Marburg 2009.

Zwischen Ignoranz und Übertreibung

Cösters Untersuchung bestätigt meinen Eindruck, wonach die breite und teilweise emotional äußerst aufgeladene mediale Beschäftigung mit dem Thema und die öffentliche Diskussion nicht nur vom Entsetzen über die Tötungsdelikte gespeist sind, sondern mit weiteren gesellschaftlich relevanten Themen – wie Einwanderung, Integration, Staatsbürgerschaft und gemeinschaftliche Werte – verknüpft werden. Die Einbeziehung dieser Aspekte wirft ein anderes Licht auf die Debatte über Hatun Sürücüs Tod und macht deutlich, dass ihr Tod vielmehr Auslöser einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion, als ihr eigentlicher Gegenstand, war. Es lässt sich auch fragen, wie sehr sich öffentliche Debatte wirklich um die Situation der betroffenen Frauen dreht bzw. um deren Verbesserung. Oder ob es nicht vielmehr um die Instrumentalisierung dieser Verbrechen handelt, weil diese sich zur Empörung eignen. Nicht nur die Tat selber wird heute als paradigmatischer Ehrenmord betrachtet und liegt filmischen Adaptionen (zum Beispiel auch dem Film Die Fremde) zugrunde, auch scheinen mir nach wie vor die oben genannten gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen und Themen direkt mit der Auseinandersetzung um Ehrenmorde verknüpft zu sein. So kam es kurz nach der Ermordung zu einer Art Krisenstimmung, angefacht durch die Behauptung einiger Journalisten, dass dies bereits der sechste Ehrenmord in Berlin innerhalb von vier Monaten sei – eine Behauptung die später widerlegt wurde, da hier lediglich die Herkunft der Täter als Kriterium diente, nicht aber die jeweiligen Motive. Ehrenmorde wurden vor allem als Beweis für das Misslingen von Integration diskutiert. Dabei kam folgendes vorherrschende Bild einer türkischen Minderheit zum Tragen: Diese lebe hauptsächlich in deutschen Großstädten und Ballungsräumen, wo sie einem anderen Moral- und Rechtsverständnis folge und sogenannte »Parallelgesellschaften« bilden würde. Ehrenmorde müssen als Ausnahmeerscheinungen betrachtet werden – was nicht bedeutet diese Gewaltverbrechen zu relativieren – und dürfen nicht als Anlass für Generalisierungen dienen, was aber im Anschluss an die Ermordung Hatun Sürücüs geschah. Auch wenn jedes Delikt dieser Art moralisch verurteilt werden muss und hoffentlich auch juristisch geahndet wird, etablierte die mediale Aufblähung vor allem beschriebene Negativ-Stereotype. »Anhand spektakulärer Einzelfälle, etwa so genannter ›Ehrenmorde‹ oder Zwangsehen, finden mediale Inszenierungen statt, um unzulässige Generalisierungen und kultur- beziehungsweise religionsspezifische Zuschreibungen als Formen des rassistischen Wissens zu etablieren.«

Kien Nghi Ha, The White German's Burden. Multikulturalismus und Migrationspolitik aus postkolonialer Perspektive, in: Sabine Hess, Jana Binder und Johannes Moser (Hrsg.), No integration?!, Bielefeld 2009.

 Die Bezeichnung Ehrenmord ist wie oben bereits erwähnt recht undeutlich. In der Strafrechtspraxis wird deshalb versucht das Motiv Ehre zu definieren und in seiner Komplexität zu erfassen. In der Rechtsprechung wird es derzeit als niederer Beweggrund eingestuft und begründet somit auch eine Verurteilung zum Mord. In der beginnenden rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Ehrenmord wird der Tatbestand wie folgt definiert: »Der Ehrenmord ist die Tötung eines Familienmitgliedes und/oder einer dritten Person, mit dem/ mit der das Familienmitglied in einer für die Familie inakzeptablen Weise in Verbindung steht. Der Ehrenmord wird aus Anlass einer im sozialen Umfeld des Täters als Ehrverletzung aufgefassten Handlung des Opfers im Sinne einer Übertretung streng patriarchalisch-hierarchisch strukturierter gesellschaftlicher Normen begangen. Zur Wiederherstellung solcher Normen wird die Tötungshandlung durch einen nahen oder entfernten, i.d.R. männlichen Familienangehörigen ausgeführt. Die Tötungshandlung kann durch den Familienrat beschlossen und in Auftrag gegeben werden.« Bahar Erbil,Toleranz für Ehrenmörder? Soziokulturelle Motive im Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung des türkischen Ehrbegriffs, Berlin 2009.

Im öffentlichen und medialen Verständnis weist die Bezeichnung vereinfachend auf ein Ehrverständnis hin, das religiös oder kulturell begründet wird. Dabei ist diese Benennung eine Kennzeichnung, die Herkunft oder ethnische Zugehörigkeit der Beteiligten ins Zentrum rückt und sie als ursächlich betrachtet. Andere Erklärungsweisen – wie zum Beispiel gewaltbetonte familiäre Konfliktlösungsstrategien oder Eifersucht, die unabhängig von Herkunft oder ethnischer Zugehörigkeit diskutiert werden könnten – fallen durch die kulturelle Rahmung des Konflikts von vornherein weg. Diese Rahmung geschieht automatisch durch die Bezeichnung Ehrenmord.

 Es lässt sich ganz klar sagen, dass es Tötungen oder Tötungsversuche mit der Begründung eines verletzten Ehrgefühls gibt und dass das vorliegende Verständnis von Ehre religiös und/oder kulturell begründet sein kann. Es kann ebenso durch ein patriarchales Verständnis von Geschlechterrollen motiviert sein. Was sich hinter Ehre verbirgt, unterliegt dabei gerade unter veränderten Lebensbedingungen – die durch Migration definitiv vorliegen – einem Wandel. Es lässt sich feststellen, dass sich »der Wert der Ehre in einen anderen Kontext einschreibt und damit eine ganz andere Bedeutung annimmt. Ging es in der ländlichen Türkei primär um die Behauptung einer Familie gegen eine andere, so geht es in Deutschland primär um die Abgrenzung von Ausländern gegenüber Deutschen. ›Wir sind Türken, wir haben Ehre.‹ Ehre wird damit zum ethnischen Marker, durch den Selbstbehauptung, Stolz, Widerstand und Differenz gekennzeichnet werden.« Werner Schiffauer, Parallelgesellschaften. Wie viel Wertekonsens braucht unsere Gesellschaft?, Bielefeld 2008. Diese Form der Selbstethnisierung lässt sich vor allem in den Nachfolgegenerationen türkischer Einwanderer feststellen. Auch lässt sich die Komplexität einer Tötungsabsicht selten auf die Realisierung eines stabilen kulturellen Ehrverständnisses reduzieren. Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich von der Herkunft des Täters und Opfers nicht auf einen Ehrenmord schließen lässt und das selbst die Inhalte des Verständnisses von Ehre vielfältig sind und sich wandeln. Deshalb muss in jedem Fall auf juristischer Ebene neu entschieden werden, welche Motive einem Tötungsdelikt zugrunde liegen und ob es sinnvoll ist, von einem Ehrenmord zu sprechen. Welche Implikationen und Effekte mit dieser Bezeichnung im medialen Diskurs einhergehen, soll nun betrachtet werden. Des Weiteren stellt sich die Frage einer gesellschaftskritischen Positionierung, die es erlaubt, patriarchale Praktiken zu kritisieren ohne ethnisierenden Generalisierungen aufzusitzen. Dass dies im aktuellen Mainstream-Diskurs über Ehrenmorde schwierig ist, wird sich zeigen.

Jenseits ethnisierender Generalisierungen

Eine umfassende und permanente gesellschaftliche Sensibilisierung für patriarchale Unterdrückungsstrukturen und Dominanzverhältnisse ist (nach wie vor) wichtig und notwendig, um den Betroffenen umfassende, auch institutionelle Hilfe zu bieten. In diesem Sinne ist es wesentlich auch kulturell und/oder religiös begründete/legitimierte Ungleichverhältnisse in der Familie oder zwischen den Geschlechtern öffentlich zu thematisieren. Zwangsverheiratungen oder Ehrverbrechen können dabei als der zugespitzte Ausdruck solcher nicht-freiheitlichen Verhältnisse betrachtet werden. Davon sind nach wie vor, wenn auch nicht ausschließlich, Mädchen und Frauen betroffen und so ist es auch sinnvoll bei der Skandalisierung diskriminierender Praktiken und Strukturen auf Geschlechtergleichheit zu verweisen.

Diese positive Norm ist jedoch auch zentrales Moment in der Unterscheidung kollektiver Identitäten. Hiermit nähern wir uns der Perspektive an, die die Thematisierung von Ehrenmorden auch als Praxis der Herstellung von Gruppenidentitäten ins Blickfeld rückt. Diese Perspektive wird erst deutlich, wenn man die wiederkehrende Darstellung und Betonung bestimmter diskursiver Aspekte betrachtet. Geschlechtergleichbehandlung wird dabei zum entscheidenden kollektiven Wert für das Deutsch-Sein, somit auch zum Grenzstein für Zugehörigkeit. Durch die Betonung diskriminierender Praktiken einer Minderheit wird diese nicht nur als rückständig und unmodern sowie illiberal dargestellt, sondern auch homogenisiert und lässt sich somit als Gruppe von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. Innerhalb dieser gruppenspezifischen Definition nimmt im Besonderen das ungleiche Geschlechterverhältnis einen dominanten Platz ein. Der unterdrückten und sozial schlechter gestellten Frau steht ein vor allem gewalttätig und unberechenbar, zuallererst aber patriarchal agierendem Mann gegenüber.

 »[S]kandalisierende öffentliche Negativdiskurse [bleiben] weitgehend ungebrochen wirkmächtig, die speziell den türkischstämmigen Mann und Vater als traditionellen Patriarchen darstellen, der gleichsam zum Prototyp der als ›fremd‹ konstruierten Geschlechterverhältnisse im Migrationskontext avancierte. Dominante Themen dieses ethnisierenden Männlichkeitsdiskurses sind ›Ehrenmord‹, ›Zwangsheirat‹, (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Kriminalität der (jungen) Männer, die als schlecht integriert gelten.« Michael Tunc, Viele türkische Männer fliehen von zu Hause, in: Lydia Potts/ Jan K?nemund(Hrsg.), Mann wird man, Bielefeld 2008. Damit soll nicht gesagt werden, dass es patriarchale Gewalt in türkischen und/oder muslimischen Familien nicht gibt oder dass wir diese unter den Tisch kehren könnten. Vielmehr geht es mir darum zu betonen, dass dominante Darstellungen türkischer/muslimischer Männer und Frauen sowie ihr Verhältnis zueinander allzu oft negative Stereotype reproduzieren, die eben genannten Mustern folgen und schwarz-weiß Kategorisierungen zulassen. Genannt sei hier die Dichotomie von Tradition versus Moderne sowie die Vorstellung des/der Einzelnen als gefangen in kulturellen/religiösen Zwängen gegenüber der Idee des autonomen und freien Individuums.

 Diese Pauschalisierungen haben verschiedene Funktionen und Effekte. Einmal kann so der Eindruck entstehen, dass türkische/muslimische Frauen generell unterdrückt seien und dass männliche Familienangehörige potentiell oder tatsächlich gewalttätig seien. Es besteht dann die Gefahr, dass frauenfeindliche Verhaltensweisen zum Charakteristikum der Männer einer ethnisch definierten Gruppe gemacht werden (Ethnisierung Der Begriff der Ethnisierung weist darauf hin, dass Ethnizität eine soziale Kategorie ist, die erst diskursiv hervorgebracht wird und die keine empirisch-soziale Tatsache beschreibt. Durch Ethnisierung, das heißt durch die Betonung ethnisch-kultureller Merkmale, werden Identitäten entlang dieser Grenzlinie diskursiv immer wieder produziert. von Sexismus) und Frauen eine defensive Rolle zugesprochen wird, der sie nur durch Hilfe von Außen entkommen können. Außerdem können klare Zuschreibungen Entlastungs- und Ablenkungsfunktionen haben, im Bezug aufbezüglich gewaltvolle und repressive Momente in den Geschlechterbeziehungen der Mehrheitsgesellschaft haben und darüber hinaus die Konstituierung eindeutiger Gruppenzugehörigkeiten ermöglichen. »Ethnisierende Erklärungen und die Verallgemeinerung sexistischen bzw. patriarchalen Verhaltens einzelner türkischer Männer erschaffen nicht nur den singulären türkisch-muslimischen Mann, sondern implizieren gleichzeitig eine homogene Wir-Gruppe der Deutschen, die sich durch konträre Eigenschaften auszeichnet […]. Das Vorhandensein patriarchaler Strukturen in der Mehrheitsgesellschaft gerät dadurch aus dem Blick.« Paul Scheibelhofer, Die Lokalisierung des globalen Patriarchen: Zur diskursiven Produktion des türkisch-muslimischen Mannes in Deutschland, in: Lydia Potts/ Jan Kühnemund (Hrsg.), Mann wird man, Bielefeld 2008. Auf diese Weise wird eine hegemoniale Form von Männlichkeit produziert – die des liberalen und liebevollen deutschen Mannes – und alle nicht erwünschten und unpassenden Eigenschaften auf eine fremde Männlichkeit projiziert (und somit ausgeschlossen). Eine solche Gegenüberstellung lässt sich auch im Film Die Fremde zwischen dem neuen Geliebten Umays und ihren männlichen Familienangehörigen finden. Ersterer wird dabei zum Idealbild des modernen, emanzipierten und verständnisvollen deutschen Mannes.

 Über die positive Norm der Gleichheit der Geschlechter und die Ethnisierung von Sexismus – als Zuschreibung an die Männer einer ethnischen Gruppe – werden des Weiteren verschiedene thematische Ansätze verschränkt, so dass z.B. kritische feministische und antirassistische Posi

tionierungen erschwert werden, weil »diejenigen, denen es sowohl um die Rechte von Frauen wie auch um die von EinwanderInnen geht, leicht in eine argumentative Zwickmühle geraten«, <sup>Margarete Jäger, Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs. Analyse einer Diskursverschränkung, in: Reiner Keller(Hrsg.), Forschungspraxis 3, Wiesbaden 2008. da demokratische Rechte von EinwanderInnen und Frauenforderungen gegeneinander ausgespielt werden. »Durch eine Ethnisierung von Sexismus wird nicht nur eine demokratische Norm zur Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsteile funktionalisiert. Zusätzliche Brisanz gewinnt sie dadurch, dass sie gleichzeitig regressive Tendenzen der Einwanderungs- und Asylpolitik unterstützt.« Ebd. Zu nennen seien hier als Beispiel Äußerungen des damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der nach der Verurteilung von Hatun Sürücüs Bruder in der FAZ vom 15.04.2006 forderte, »Einwanderer sollten die ›deutsche Alltagskultur‹ akzeptieren. Dazu gehörten die Sprache, die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wer sich nicht integriere, solle in seine Heimat zu

rückkehren«. Positionen wie diese bedienen sich einer positiv besetzten Norm um diffamierende Äußerungen im öffentlichen Diskurs zu legitimieren und sind weit davon entfernt tatsächlich feministische Forderungen – wie die Unterstützung von Frauen und Mädchen bei der Realisierung eines eigenen Lebenskonzepts – zu unterstützen. Sie können als ›Politik des Ressentiments‹ <sup>Dieser Begriff geht auf die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown zurück und bezieht sich auf politische Maßnahmen, die sich der Abschreckung und Abstrafung bedienen, wodurch der mühsame Weg grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen umgangen wird. So kann durch rechtliche Änderungen z.B. im Ausländer- oder Strafrecht nur ein partieller (wenn überhaupt) Schutz vor Gewalt erreicht werden und gesellschaftliche Prozesse, die ein hierarchisches Geschlechterverhältnis produzieren, bleiben unberührt. bezeichnet werden, denn über solche Argumentation lassen sich im Folgeschritt auch Abschiebungen legitimieren.

Die vorangegangen Annahme betonen, dass die Art und Weise der Beschäftigung mit Ehrenmorden im medialen Diskurs die Stigmatisierung einer türkischen/muslimischen Minderheit zur Folge hat, welche die über negative Stereotype homogenisiert und so als imaginierte Gemeinschaft mit geteilten Werten hervorgebracht wird. Eindeutige kollektive Identitäten werden dabei gerade über das Geschlechterverhältnis hergestellt, wobei in der Gegenüberstellung ein traditionelles und patriarchales Geschlechterverhältnis dem liberalen und modernen Verständnis (der deutschen Mehrheitsgesellschaft) als Negativfolie dient. Die zentrale Rolle spielt bei der Konstituierung dieser Geschlechterrollen und -beziehungen die Norm der Gleichberechtigung. Durch die Verstrickung dieser positiven Norm in Praktiken der kulturrassistischen Zuschreibung wird eine feministische und gesellschaftskritische Positionierung erschwert, die nicht selbst in diese Zuschreibungsfalle tappen will.

Von Jana Scheuring. Die Autorin lebt in Berlin.