Ein Kommunist geht stiften

Die Geschichte der sogenannten Frankfurter Schule war und ist Thema unzähliger Auseinandersetzungen. Kann, so ließe sich also fragen, Jeanette Erazo Heufelders Der argentinische Krösus dieser bereits gut aufgearbeiteten Historie mehr als bloß eine weitere Fußnote hinzufügen? Der Untertitel des Buches verspricht zunächst nur, eine kleine Wirtschaftsgeschichte eben jener Schule zu sein; doch ist es viel mehr als das. Es bietet eine Mischung aus Wirtschaftshistoriographie, Porträt und Biographie. Den Zugang Heufelders bildet die (bisher allzu vernachlässigte, teils vergessene und mythenumrankte) Lebensgeschichte des Schöpfers und Mäzens des Instituts für Sozialforschung (IfS), Felix Weil, über die Gründungsprozess und Werdegang des Instituts nachgezeichnet werden. Als Grundlage dienen ihr im Wesentlichen Weils unvollendete Memoiren.

Aufgeteilt in drei Abschnitte unternimmt die Autorin die Rekonstruktion der wichtigsten Stationen in Weils Leben: Von seiner Jugend auf dem Anwesen des Vaters Hermann Weil, der 1890 nach Argentinien emigrierte und dort eines der erfolgreichsten Weizen- und Getreideexportunternehmen gründete, über die Schul- und Studienzeit in Deutschland, in der sich der junge Weil während der Novemberrevolution 1918 radikalisierte und 1921 mit einer Arbeit zum Sozialisierungsbegriff bei Alfred Weber promovierte, die Zeit als Finanzier der linken Berliner Kulturszene (Unterstützung des legendären Malik-Verlags, Finanzierung von Theateraufführungen wie Walter Mehrings Der Kaufmann von Berlin oder Import von Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin) und Stifter des Instituts, bis hin zu seinem Exil in den USA, der Entfremdung vom Institut in den fünfziger Jahren, dem Ende seines Mäzenatentums und seinem Tod ebenda.

Einzelne Meilensteine dieses Weges hebt Heufelder mit Blick auf die Institutsgeschichte hervor. So war Weil, der zwischenzeitlich, wenn auch widerwillig, Aufgaben im väterlichen Unternehmen in Argentinien übernahm, zeitweilig in die Aktivitäten der Komintern in Argentinien und Lateinamerika involviert. Anfang der zwanziger Jahre konnte er seinen Vater davon überzeugen, ganz im Sinne des damaligen Stiftergeistes, ein wissenschaftliches Institut inklusive Gebäude zu unterstützen. Im Gegenzug versprach er ihm einen Ehrendoktortitel. 1923 finanzierte Weil die von Karl Korsch geleitete Erste Marxistische Arbeitswoche, an der unter anderem Friedrich Pollock, Richard Sorge, Georg Lukács, Karl August Wittfogel und Fukumoto Kazuo teilnahmen. Es war das erste Seminar des im selben Jahr von ihm und seinem Freund Pollock gegründeten IfS, dessen Unterstützung und Finanzierung sich im Gegensatz zu seinen anderen Engagements als »Lebensaufgabe« erweisen würde.

Weil war allerdings nicht bloß Finanzier und Mäzen, sondern wesentlich in die Organisation der Projekte des Instituts involviert. Über seine Kontakte erfolgte zusammen mit dem Moskauer Marx-Engels-Institut die Herausgabe einer historisch-kritischen Ausgabe von Marx’ Werken, die letztlich aber an der Stalinisierung der UdSSR scheiterte. Dennoch sicherte Weils Vermögen immer wieder die Fortführung der Institutsarbeit. Nach dem Tod seines Vaters 1927 stieg er nach und nach aus dem Getreidehandel aus, gründete eine Aktiengesellschaft, die unter anderem in Immobilien investierte und brachte schließlich unter dem Eindruck des erstarkenden Antisemitismus in Deutschland das Hab und Gut dieser Gesellschaft, der Stiftung und des Instituts in eine Finanz- und Wirtschaftsgesellschaft namens ROBEMA ein. Mit ihrer Hilfe gelang es, das Vermögen vor dem Zugriff der Nazis zu retten. Von Felix Weils Bewahrung des Institutsvermögens durch geschickte Umschichtung und Verschachtelung – die, wenn man so will, wesentliche Erkenntnis des Buches –, hatten nur Pollock und Max Horkheimer Kenntnis. Selbst Leo Löwenthal teilte noch 1980 die Überzeugung, dass es Hermann Weil gewesen sei, der dem Institut ein großzügiges Grundvermögen zur Verfügung gestellt habe, das die beiden Instituts- und Stiftungsleiter in die USA gerettet hätten.

Das Wohl des Instituts stand für Weil stets »an oberster Stelle«, daher überschrieb er dem IfS 1935 beinahe sein gesamtes Vermögen und stellte 1945 mit einer erneuten Schenkung über 100.000 US-Dollar die Unabhängigkeit der Arbeit der Institutsmitglieder sicher. Er selbst verblieb nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den USA und verbrachte das Ende seines Lebens in recht einfachen Verhältnissen. Das Vorhaben, mit der Veröffentlichung von Memoiren die Geschichte des Instituts um die eigene Perspektive zu erweitern, wurde durch seinen Tod im Jahr 1975 vereitelt. Heufelders Verdienst ist es, zu zeigen, dass Felix Weil nicht nur ein Mäzen war, sondern ein überzeugter Kommunist, ohne dessen Engagement und Kapital die Kritische Theorie so nicht möglich geworden wäre.

Zwar interessiert sich Der argentinische Krösus kaum für die Kritische Theorie als Theorie oder die Inhalte von Weils eigenen Arbeiten. Trotzdem ist das Buch mehr als nur eine weitere Geschichte der Frankfurter Schule: Nach der bislang einzig auf Spanisch vorliegenden Biographie Weils von Mario Rapoport hat Jeanette Erazo Heufelder diese Lücke nun auch für den deutschen Sprachraum geschlossen.

Hauke Branding

Jeanette Erazo Heufelder: Der argentinische Krösus. Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule. Berenberg Verlag, Berlin 2017, 208 S., € 24,00.