»Eine Hoffnung ist mir geblieben/die Zukunft ist ungeschrieben«

Kommunistische Kongresse zu veranstalten, hat solange Sinn, solange der Skandal, der den Namen Kapitalismus trägt, fortwährt. Doch als begriffsstrategische Intervention hat das Kommunismusmarketing nachzuweisen, nicht einfach Verrat zu sein. Eine vorauseilende Apologie.

»Man denke an einen Rosenstrauß: Ich lasse ihn meine Leidenschaft bedeuten«.(1) Der Rosenstrauß, der noch Roland Barthes geeignet schien, ihn seine Leidenschaft bedeuten zu lassen, ist Zeichen für Leidenschaft, nicht weil er ihm in einem voluntaristischen Akt diese Bedeutung gab und auch nicht, weil ein natürliches Band zwischen dem Rosenstrauß und der Leidenschaft bestünde, sondern weil die gesellschaftliche Konvention ein solches Band herstellte. Mittlerweile, nachdem die Blumenkonzerne dieser Welt alljährlich zum Valentinstag ihre Rosen mit Variationen des Slogans »Ich liebe Dich« vermarkten, ist zweierlei geschehen: Erstens, es bekommt einen leicht unoriginellen und fauligen Beigeschmack, seine Leidenschaft mittels eines Rosenstraußes zum Ausdruck zu bringen. Zweitens, der Rosenstrauß ist seiner Bedeutung, der Leidenschaft, nicht entleert, vielmehr ist die unermüdlich inszenierte Referenz des Rosenstraußes auf seine Bedeutung zur Bedingung seiner Verbreitung geworden.

Wird hierzu analog der Begriff des Kommunismus betrachtet, verkompliziert sich die Sache. Der Kommunismus, seit der Erledigung seiner realexistierenden Gestalt 1989 tatsächlich zum Gespenst geworden, erleidet zumindest in denjenigen Landstrichen, in denen die Postmoderne angekommen ist, ein ganz ähnliches Schicksal wie die Rosen. Rockbands und Armbanduhren erhöhen per Indienstnahme des kommunistischen Revolutionärs Che Guevara ihre Credibilty, die FAZ rezensiert begeistert Bücher, die vom »Glück, heute Kommunist zu sein« schwärmen, ein gewisser Slowene wird mit seiner Neuauflage des leninistischen Projekts als Autor der Feuilletons von der FR bis zur ZEIT hofiert und die rot-grüne Kulturstiftung des Bundes fördert einen kommunistischen Kongress mit Finanzmitteln in nicht unbeträchtlicher Höhe. Die diesbezügliche Sorge, allein durch Verbreitung falle ein Begriff der Verwässerung und Entwendung anheim, besitzt Züge eines autoritären Avantgardismus. Bereits die damaligen Päpstlichen wurden bei Erfindung des Buchdruckes nervös angesichts der Aussicht, die Bibel werde in die Hände der Ungebildeten fallen und dadurch die offizielle Exegese durch die vatikanischen Gelehrten unterminiert werden. Die AnhängerInnen des »wahren Kommunismus« wollen, wie der Vatikan der Bibel, dem verwaisten Text Das Kapital einen neuen Vater geben. Es hat jedoch der Buchdruck, es ist heutzutage bekannt, dem Christentum nicht geschadet.

Der Begriff des Kommunismus trägt jedoch, im Gegensatz zu dem Rosenstrauß, nicht nur ein erstes Bedeutetes – die Umstürzung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, ein verächtliches Wesen ist –, sondern durch die Kontaminierung des Begriffs durch den stalinistischen Terror auch noch ein zweites Bedeutetes mit sich – Gulag. Die Kategorie »Kommunismus« ist, weit davon entfernt, »entleert« zu sein, überdeterminiert. Eine Überdeterminierung, an der die kommunistische Linke zu laborieren hat, will sie sich nicht derselben Abgeschmacktheit schuldig machen wie jemand, die heute noch Rosensträuße verschenkt.

»Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung. [...] Das Proletariat kann nur weltgeschichtlich existieren, wie der Kommunismus, seine Aktion, nur als ›weltgeschichtliche‹ Existenz überhaupt vorhanden sein kann; weltgeschichtliche Existenz der Individuen, d.h. Existenz der Individuen, die unmittelbar mit der Weltgeschichte verknüpft ist.«(2) Vergegenwärtigen wir uns die Aussage Karl Marx’ über den Kommunismus, die nichts weniger als eine Definition ist, fällt auf, dass seine Charakterisierung des Kommunismus als »wirkliche Bewegung« heute als mehr zu lesen ist, als die defätistische Klage darüber, dass der Weltgeist nicht mehr mit uns ist. Sie ist in doppelter Weise um das Motiv der Kontingenz(3) figuriert: Kontingenz erstens, weil die Möglichkeit der Wirklichkeit des Kommunismus abhängt von kontingenten weltgeschichtlichen Entwicklungen, und zweitens deshalb, weil der Kommunismus die Kontingenz als sein normatives Ziel hat, insofern er die Menschen dazu befähigen will, ihre Geschichte selbst zu machen. Eine kommunistische Praxis der Kontingenz ist damit unendlich vertagt und gleichzeitig radikal überstürzt: Auf eine im emphatischen Sinne verstandene Zukünftigkeit zielend, hat sie doch ihren Ort und ihre Zeit im Hic et Nunc.

Heute den Kommunismus als wirkliche Bewegung zu konstituieren, kann einerseits heißen, nach gesellschaftlichen Entwicklungen zu suchen, in denen die neue Gesellschaft im Schoße der alten entsteht (erblickt werden solche Entwicklungen in der Globalisierung, der immateriellen Arbeit, im Internet oder Linux). Anderseits geht es aber auch um den performativen Einsatz(4) des Kommunismus als handlungsanleitenden Bezugspunkt emanzipatorischer Politik. Wenn ein solcher Einsatz dem Kommunismus gesellschaftliche Veränderung und nicht etwa Integration und Stabilisierung als perlokutionären Gehalt(5) besorgen will, wird sie mit dem schlichten Versuch scheitern, die Begriffe in einer Art souveränen Akt »zu besetzen«. Sie muss ihren Eingriffspunkt finden in der Struktur der Sprache selbst, die letztlich die Struktur der Rationalität des Politischen selbst ist. Doch aus welchem diskursiven Feld kann sie diesen sprengenden Gehalt stehlen? Wo liegt das irdische Himmelreich, das die zu entführenden Bedeutungen bewohnen?

Marx sah die Aufhebung des Kapitalismus bereits in der Figur des Proletariats vergegenständlicht, das »nur zum Prinzip der Gesellschaft [erhebt], was diese zu seinem Prinzip erhoben hat, was in ihm als negatives Resultat der Gesellschaft schon ohne sein Zutun verkörpert ist«.(6) Innerhalb der Gesellschaft selbst ist ein gesellschaftliches Außen eingeschlossen, das Marx als subalternes Sozialisationsmilieu konzipieren kann und dessen Aufgabe nur noch ist, »zu sich« zu kommen. Die Zeit des Kalten Krieges verlagerte das Außen in das Innen des Gegners und ermöglichte der radikalen Linken, die distinktive Negation durch die Sympathisierung mit dem Feind zu vollziehen. Die Präsenz der realexistierenden Gestalt des Kommunismus determinierte beides, das innen- und das außenpolitische Vokabular aller gesellschaftlichen Akteure.

Heute ist keine praktisch konstituierte Nichtidentität mehr auszumachen. Nach dem Ende der Blockkonfrontation und dem damit aufkommenden globalen Paradigma der Post-Politik, die keine Interessen, sondern nur noch Rezepte kennt, kann eine emanzipatorische Praxis ihre handlungsleitenden Bezugspunkte keinem gesellschaftlichen Außen mehr entlehnen. Sie ist fundamental auf das Immanenzfeld kapitalistischer Realität verwiesen. »Das konsensuelle Denken stellt heute bequemerweise das, was es Ausschließung nennt, im einfachen Verhältnis eines Innen und Außen dar. Aber was unter dem Namen der Ausschließung auf dem Spiel steht, ist kein Draußen-Sein. Es ist die Weise der Aufteilung, nach der ein Innen und Außen zusammengefügt werden können. Und diese ›Ausschließung‹ meint heute eine ganz bestimmte Form dieser Aufteilung. Sie ist die Unsichtbarkeit der Aufteilung selbst, das Auslöschen der Spuren, die es erlauben würden, in einem politischen Dispositiv(7) von Subjektivierung das Verhältnis von Gemeinschaft und Nicht-Gemeinschaft zu legitimieren.«(8) Nichtidentität ist heute nur virtuell vorhanden, dort, wo die Begriffe, die in aller Munde sich schon befinden, auf ihre Resignifizierung warten. Sie ist das diskurseigene Außen. »Kein Signifikant kann radikal repräsentativ sein, denn jeder Signifikant ist der Ort einer andauernden méconnaisance.(9) Er produziert die Erwartung einer Einheit, eines vollständigen letzten Wiedererkennens, das niemals zustande gebracht werden kann (...). Dies hält die Signifikanten für neue Bedeutungen und neue Möglichkeiten politischer Resignifikation offen.«(10)

Die große Geste der Forderung nach Kommunismus, die wir als Antwort auf das postpolitische Paradigma vorschlagen, ist also ebenfalls ein Vorschlag, ein Feld der Kontingenz zu eröffnen. Deshalb, weil der Begriff des Kommunismus nicht autoritativ geschlossen oder endgültig interpretativ fixiert werden soll, sondern als performativer Einsatz die Möglichkeit dynamischer Resignifizierung offenhält. Deshalb, weil die Politik erst dort beginnt, wo überzählige Signifikanten die Rationalität des Konsenses und damit die gegenwärtige Logik der Zählung fälschen. Wir träten ein in die Gegenwart eines neuen Sinns von Kommunismus, dessen korrespondierende Realität doch erst in der Zukunft zu finden sein wird.

 

 

Fußnoten:

(1) Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt/Main 1964, S. 90.

(2) Karl Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 35.

(3) »Kontingenz« ist die Möglichkeit, dass eine Sache anders beschaffen sein könnte, als sie es tatsächlich ist.

(4) »Performative Äußerungen« sind Bezeichnungen für Äußerungen, mit denen jeweils bestimmte Handlungen vollzogen werden, im Unterschied zu Äußerungen, die nur etwas konstatieren.

(5) »Perlokutive Akte« sind Sprachhandlungen die Wirkungen erzielen.

(6) Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, S. 391.

(7) »Dispositive« sind bei Foucault Komplexe, in denen Wissen und Macht zusammenwirken, machtstrategisch wirksam in der Verknüpfung von Diskursen und Praktiken.

(8) Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt/Main 2002, S. 125.

(9) Verkennung

(10) Judith Butler, Körper von Gewicht, Berlin 1995, S. 254. »Der Signifikant« ist das Bezeichnende.

Frankfurter Basisgruppe Demopunk
FrankPunK