»Endlich nicht mehr fremd im eigenen Land«

Der Nationalisierungsdiskurs deutscher Popkultur hat die Ebene der reinen Standortlogik verlassen und setzt stattdessen unverhohlen auf eine trendy Geschichtsbewältigung(1)

Es gibt Dinge, die sollte manch KünstlerIn lieber für sich behalten. Zum Beispiel die eigenen Gedanken und liebevoll-naiv zur Schau gestellten Ideen zur Lage der Nation. Denn zumeist geht die Antwort auf diese Frage gegen den Baum, sie avanciert, wie es der Autor und Publizist Feridun Zaimoglu trefflichst formulierte zum »grenzdebilen Blödsinn«.(2) So auch im Fall der Berliner Band Mia, die Anfang Oktober mit ihrer Veröffentlichung »Was es ist«(3) nicht nur nach Reminiszenzen an den Dichter Erich Fried suchte, sondern in erster Linie ein euphorisches Liebeslied an die deutsche Nation verfasste. Eigentlich, so denkt man, ein Thema für einen Eklat, doch der blieb vorerst – des popkulturellen Friedens willen – aus. »Skandalisiert« wurde die Geschichte gerade mal von der Süddeutschen Zeitung, die verstört konstatierte, dass in Sachen Pop »die vaterlandslosen Zeiten nun vorbei zu sein scheinen«, und dabei unter Flehen an die guten alten Zeiten erinnerte, als »Slime noch brüllte‚ Deutschland muß sterben, damit wir leben können«.(4)

Die Frage nach der nationalen Identität in kultureller Verpackung ist wieder en vogue, das »kollektive Wir« erfährt seine Renaissance nun auch im Kulturbereich: Im »Wunder von Bern« lernen wir, dass auch Wehrmachtssoldaten weinen dürfen, die Hochglanzgazette »Deutsch« kokettiert angriffslustig mit ihrem Titel und die Künstlerkampagne »Angefangen«(5) schreit unter schwarz-rot-goldenem Banner für Toleranz und Respekt als neue deutsche Tugenden. »Durch die Neubelebung der Farben soll eben auch das Verhältnis zur eigenen Identität entkrampft werden.«(6) Grund genug für das Conne Island, dem neuen Lifestyle-Deutschland mal wieder eins mitzugeben.
 

Wo ist zu Hause Mama?

Die Versuche, die hiesige Poplandschaft mit der Pose des Nationalen auszustatten, sind nicht neu. Sie folgten bisher in der Regel einer codierten Standortdiskussion, die via nationalökonomischer Argumente an der Popkulturnation Deutschland bastelte. Anfang der neunziger Jahre waren es beispielsweise der Compost-Labelgründer Michael Reinboth, der mit der Compilation »Krauts with Attitude« mal flugs in Anlehnung an die US-amerikanische HipHop-Besetzung NWA das Gute mit dem Bösen vertauschte, um auf deutschsprachige Reimkultur aufmerksam zu machen oder das linke Trikont Label, das mit dem Sampler »Wo ist zu Hause Mama« die deutsche Sprache als das politisch und musikalisch verbindende Element ihres Begriffs von Popkultur herauszustellen versuchte. Beide Projekte waren von Anfang an einer vehementen und unversehrten Kritik von (Pop-)Links ausgesetzt. Als der Liedermacher Heinz Rudolf Kunze 1996 zusammen mit Dieter Thomas Heck und der rechtsintellektuellen Zeitung Junge Freiheit vom »Genozid an der deutschen Rockmusik«(7) faselte und eine 60/40-Quotierung zugunsten deutschsprachiger Titel forderte, waren die Widerrufe der Entrüstung ebenso noch intakt. Die damals von Kunze als qualitativ hochwertige Perlen deutscher Popmusik herausgestellten Blumfeld, Die Sterne und Goldenen Zitronen versetzten dem »Elendserlöser via Quote« zumindest einen verbalen Arschtritt. Im selben Jahr verweigerten die Hamburger Schüler von Tocotronic die Annahme des Viva-»Cometen« für die Preiskategorie »jung, deutsch und auf dem Weg nach oben«.

Unschärfer wurden die kritischen Verhältnisse bereits zum Leipziger Festival »Neue Beiträge zur deutschen Popkultur«. Weitaus weniger Macher und KünstlerInnen konnten damals nachvollziehen, wieso das Conne Island mit gewerkschaftlichem Charme gegen den Fehlgriff in der Titelwahl auf die Barrikaden ging. Im damals publizierten Papier »Geschissen auf Deutschland – Pop ist universell – nicht national« stellten wir dezidiert klar, dass Pop für uns kein Toleranz- sondern ein Abgrenzungsmodell ist; dass wir einer nationalen Abtretung der Definitionsmacht des Pop einen universalistischen und westlich geprägten Popbegriff entgegensetzen und warnten so bereits damals vor einer Infrontstellung gegen die »anglo-amerikanische Kulturinvasion«, die »sich die bedrohliche Übermächtigkeit der Massenkultur aus eben jenen Breitengraden herbeihalluziniert«.(8) Dass sich die bereits damals geäußerten Befürchtungen, was das antiamerikanische Ressentiment betrifft, im Frühjahr 2003 anlässlich des Irakkrieges zu bestätigen schienen, war vorhersehbar. Oft genug wurden wir Zeuge, wie deutsche Hardcorebands urplötzlich den Rassismus in den Vereinigten Staaten anprangerten, anstatt sich mit dem Blut- und Boden- Staatsbürgerrecht im eigenen Land zu beschäftigen, wie deutsche Hip Hopper mutig ihren Stinkefinger Richtung Weißes Haus reckten, anstatt der auf Ordnung- und Sauberkeit basierenden Repression gegen sie hierzulande das nächste whole car entgegenzusetzen. Selbst die vermeintliche Pop-Intelligenzija aus Hamburg – davon zeugt beispielsweise der antiamerikanische Mottenkistengriff der von uns durchaus geschätzten Country-Band Fink – war nicht davor gefeit, selbst zum Problem zu werden, anstelle zur Lösung der ganzen Misere beizutragen.(9)

Der Versuch einer nationalen Beantwortung der Frage um die eigene popkulturelle Identität – also der Frage nach dem »zu Hause« – ist somit keine neue Geschichte. In regelmäßigen Zyklen wird sie gestellt und in regelmäßigen Zügen, zumindest bisher, auch abgeschmettert. Trat sie bislang in fast jedem Fall zusammen mit einer Argumentation gegen den amerikanischen »Kulturmüll« und andere Variationen der Kulturimperialismusthese auf die Bühne und benutzte das Ressentiment gegen das, was als das vermeintlich »Amerikanische« angenommen wurde zur eigenen identitären Reanimierung, so zeichnet sich heute eine neue Strategie ab: Das Vehikel der angeblichen amerikanischen Kulturlosigkeit scheint es nunmehr nicht zu benötigen, denn eine german offense ist angesagt, die die abgewandelte – weil nun nationale – Message des radical chic wohl besser umsetzt, als sich ihre Erfinder es je gedacht haben.

 

Mamma Mia

Der popkulturelle Aussetzer der Elektropunk-Band Mia ist daher kein Einzelfall und steht gewissermaßen exemplarisch für eine stete Entwicklung, die sich mittlerweile leider auch dadurch kennzeichnet, dass die Kritikerinnen und Kritiker von einst über soviel Blödheit im tiefen Tal der Verzweiflung verschwunden sind. Konnte man sich vor Jahren, dank der schlauen Köpfe der 80er- und 90er-Hardcore- und Poplinken noch halbwegs sicher sein, dass kein erstzunehmender Künstler es ungestraft versuchen sollte, irgendeinen positiven Bezug zu Deutschland herzustellen, gehört es heute fast zum guten Ton, die nationale Semantik zu bedienen. Das Neue dieser Entwicklung ist die unverhohlene Kreation einer vermeintlich besseren deutschen Identität, die genug aus der Geschichte gelernt hat und nun – zumal ja eine andere Generation – unbeschwert in die Zukunft eines ganz und gar gebesserten Kollektives zu schauen vermag. Nicht mehr die nationalökonomische Prämisse des Popstandorts steht im Scheinwerferlicht, sondern die kruden Insignien einer deutschen Normalität bilden den Rahmen. Endlich soll der Status der schuldbeladenen »Verlierernation« abgelegt sein, endlich – und dabei werden bis zum Erbrechen die durch das Ressentiment gegen Amerika bestimmten Demonstrationen gegen den Irak-Krieg angeführt – »kann das deutsche Kollektiv sich wieder auf die Schulter klopfen.«(10) So avanciert ein Schulterklopfer zum Schenkelklopfer: Gerade die deutsche Friedensbewegung, deren antiamerikanisches und schuldbefreiendes Potential selbst Wolf Biermann erkannte, wird zum Garanten für ein weltoffenes und geläutertes Deutschland. Wenn Mia singt, »Fragt man mich jetzt woher ich komme/ Tue ich mir nicht mehr selber Leid [...] wohin es geht, dass woll’n wir wissen/ und betreten neues deutsches Land« und die der Band nahestehende Kulturkampagne »Angefangen« in schwarz-rot-goldenen Lettern nach einer Neudefinition der deutschen Werte verlangt, dann wird sich nicht mal bemüht, derartige symbolische Grenzverletzungen zu kodieren. Das Label »Deutsch« steht nicht mehr, wie es sein sollte, für den Zivilisationsbruch der Massenvernichtung, nicht mehr für Land der Täter und deren Schuld, sondern für das »geklärte Verhältnis zur Vergangenheit«.

 

You’re not alone

Mia und Kollegen sind nicht allein. Die »hippen Wohlstands- und Wohlfühlpatrioten«,(11) die ihr schlechtes Gewissen los werden möchten, können mittlerweile getrost in der Generation »Deutsch« zusammengefasst werden. Ein Kommentar im gleichnamigen Lifestyle-Magazin bringt die Sache auf den Punkt: »Erst in jüngster Zeit mehren sich sehr vorsichtige Zeichen einer neuen Generation, die sich selbst von der burlesken Seiten zu nehmen versteht, ohne sich dabei ihrer selbst zu schämen. Der Nationalcharakter scheint sich im Wandel zu beschleunigen und das Bild im Auslande, das einst die Gemütlichkeit als steckbrieflichstes Merkmal zeichnete, später aber das niederträchtige, das technokratisch-mordende Element in den Vordergrund setzte, enthält schon neue Farbspiele und Schattenwürfe.«(12) So verquast sieht neudeutsche Geschichtsklitterung aus. Die Mischung von Moralität und Zivilität sowie der berechnende Umgang mit der eigenen Vergangenheit, gepaart mit einer neorevisionistischen Historiographie bildet den dicken Schlußstrich, der mittlerweile die politische mit der popkulturellen Debatte vereint. Innerhalb dieser Entwicklung, oder besser Modernisierung ist es auch kein Widerspruch, dass eine Band wie Mia binnen eines halben Jahres zum »Revolutionären 1. Mai« in Berlin aufspielt, um einige Monate später in unbekümmerter Zielstrebigkeit ein neues nationales Projekt zu verkünden – das geht zusammen, daran ist man in Deutschland gerade Meister. Kennzeichnet sich die Berliner Republik dadurch, dass sie das Erinnern an Auschwitz unter Zuhilfenahme der Subsummierung von Leid mit dem Erinnern an die Großväter und -mütter vereint – das Schuld-Gedächtnis also durch eine Erinnerung eines angeblich universellen Leidens ersetzt – so hat der popkulturelle Soundtrack der Berliner Republik diese Werte schon verinnerlicht. Hier ist der nationale Mythos bereits auf on geschaltet, hier braucht es nicht einmal der neuen diskursiven Eckpunkte »Bombardierung«, »Vertreibung«, »Gefangenschaft« und »Vergewaltigung«, um die nationale Formierung zu kaschieren, hier wird unverblümt und mit infantilem Problembewusstsein das praktiziert, woran die große Mehrheit dieses Landes seit 60 Jahren bastelt: Das Geschichtsbuch in selbstgewisser Unschuld zuzuklappen.

 

Verloren im Diskurs

Alarmierend ist dies für uns allemal. Die Geballtheit und Dreistigkeit der deutschen Popkultur-Offensive hat auch uns überrascht. Widerstand scheint zwecklos angesichts der Tatsache, dass sich selbst kritische Geister, die noch vor zehn Jahren gegen einen rassistischen Konsens mit dem Motto »Etwas besseres als die Nation«(13) durch die Lande tourten, heute unter dem Label der Compilation »Heimatkult – German Liedgut 1« – hier dürfen sich Die Sterne, Tocotronic und die Beginner(14) angesprochen fühlen – zusammenfassen lassen, ohne dabei aufzumerken. Unsere persönliche wie kulturpolitische Enttäuschung möchten wir an dieser Stelle nicht verbergen, denn die »Wiederbelebung der deutschen Popmusik«(15) meint für uns nach wie vor das rückwärtsgewandte Phantasma der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft. So schmerzvoll das ist – gleiten uns doch einige gute Freunde aus der Hand –, für uns haben die beschriebenen Formen identitärer Selbstzuschreibungen das Ende der Fahnenstange erreicht. Es mag pathetisch klingen: Nachdem das »Subversionsmodell Pop« bereits vor einigen Jahren als minderheitlich inszenierter Mainstream an seine Grenzen stieß und seinen rebellierendes Moment faktisch selbst konservierte, stirbt Pop heute zum zweiten Mal. Diesmal, so scheint es zumindest, ist der gegen die Chiffren der deutschen Nation einst in Stellung gebrachte Ansatz von Pop den Bach runter gegangen. Statt dessen entdecken junge »coole Deutsche«, mögen sie Mia, Sönke Wortmann oder eben Jan Eißfeldt heißen, aus Berlin-Mitte oder Hamburg kommen, spielerisch oder ganz direkt das deutsche Kollektiv als positive Bezugsgröße.

Nachdem die Linke, wohl zurecht, schon vor geraumer Zeit das sinkende (Pop-)Schiff verlassen hat, kann die nunmehr entstandene Situation gerne als nationaler Bumerang analysiert werden. Das Terrain, in dem wir als Conne Island stehen, ist verloren, das wissen wir selber. Trotzdem, wer das Konzept nationaler Identität in den mittlerweile leeren und ausgehöhlten Popbegriff transformieren möchte – sei es innerhalb einer neuen deutschen Härte oder einer neuen deutschen Sensibilität –, darf sich unseres Widerspruchs sicher sein.

 

Fußnoten:

(1) Dieser Text entstand nicht von ungefähr. Für Ende November war ein Konzert der Band Mia bereits langfristig im Conne Island gebucht. Nachdem Anfang Oktober die Mia-Single »Was es ist« herauskam und als tabubrecherischer Deutschland-Hype promotet wurde, sagte das Conne Island die Veranstaltung aufgrund nicht überwindbarer Differenzen ab. Der Beitrag ist daher als inhaltlicher Nachschub zu verstehen.

(2) Zaimoglu auf die Frage, was er von Mia halte, in: RBB-Kulturmagazin Polylux vom 29. September 2003.

(3) www.miarockt.de

(4) Süddeutsche Zeitung vom 28. Oktober 2003.

(5) O-Ton der verwirrten Kampagnenmacher zu den eigenen Grundfesten: Ziel ist ein »gemeinschaftliches Gefühl, für etwas Gutes gemeinsam einzustehen.« In scheinbarer Abwandlung eines Möllemann-Zitats werden außerdem »Liebe! Respekt! Toleranz! Mut!« zu den Werten erhoben, die das besagte neue Deutschland so sehr benötigt. Mehr unter: www.angefangen.de

(6) Mia. Sie haben einen Plan..., in: blonde magazin, Oktober 2003, 46.

(7) Zit. nach: Die Beute – Politik und Verbrechen, Winter 1996/97, 21.

(8) www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/66/21.html

(9) Zur Diskussion um popkulturellen Antiamerikanismus verweisen wir auf unsere Beiträge »No Volksmusik – No Antiamerikanismus« (http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/99/2.html) und »Nothing new on the German Front. Deutsche Popkultur nach dem 11. September« (http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/100/20.html).

(10) Polylux vom 29. September 2003.

(11) So Feridun Zaimoglu, a.a.O.

(12) Kai Burkhardt, Lummerland: Zur Lage der Nation, in: Deutsch Magazin, Herbst 2003, 192.

(13) Gemeint ist die Tour der Hamburger Wohlfahrtsausschüsse aus dem Jahr 1992, die u.a. auch im Conne Island Station machte.

(14) Ursprünglich war auch die Band Blumfeld für diesem Sampler offiziell angekündigt. Zu unserer Freude sind sie letztendlich doch nicht darauf vertreten.

(15) So die Ankündigung besagter Compilation, in der es weiter heißt: »In einer Zeit von Castings, Super- und Popstars schreit es förmlich nach einer antithetischen Bewegung. Genug von Fließbandproduktionen, gelernten Tanz-Choreographien und medialen Bandkonzepten.

Es ist Zeit für den Gegensatz, in einem Land, das sich stets neu findet, ohne je anzukommen. Es ist Zeit für Enthusiasmus, Melancholie und echte Ziele.«

Conne Island
Leipzig, 11. November 2003 (Kontakt: pop@conne-island.de)