Enduring Weltordnung

Der antiterroristische Dauerfall und seine Konflikte

Einleitung zum Schwerpunkt

Militärisch war der Krieg gegen die Taliban schnell entschieden. Ihre Kämpfer, durch ein propagandistisches Dauerbombardement als furchtlos und wahnwitzig stilisiert, erwiesen sich als rationale Nutzenabwäger. Meist früher als zu spät schmissen sie ihre Knarren hin oder handelten mit örtlichen Stammesfürsten einen pragmatisch unblutigen Modus aus. Im Allgemeinen widerstanden sie so dem Angebot des Märtyrertodes, der ihnen doch, glaubte man der hiesigen Medienberichterstattung nach dem 11.9., mit einer erklecklichen Anzahl von Jungfrauen und der Vergebung aller Sünden versüßt werden sollte.

Weder der schnelle Sieg noch die Anzeichen vernunftbegabten Denkens auf Seiten der Besiegten änderten etwas Grundsätzliches am Bedrohungsszenario "islamischer Fundamentalismus". Zumal sich gezeigt hatte, welchen Wert die Überhöhung des real nicht zu leugnenden Aggressions- und Vernichtungspotentials für die Einschwörung der westlichen Zivilisationen auf weitere Etappen kriegerischer Weltordnungspolitik hat. Befürchtungen, die Bürger der Demokratien missverstünden den Krieg gegen den Terror wirklich als fallbezogene juristische Strafverfolgung mit humanistischem Hintergedanken oder sähen ihre Rachebedürfnisse mit einem schnellen K.O. der afghanischen Gotteskrieger und ein paar hundert oder tausend zivilen Streubombenopfern relativ befriedigt, erwiesen sich als unbegründet. Es wurde mit einer Politik der Tat vorgebaut.

Der Wert der Demokratie in der Kriegsnation

In einer wirbelsturmartigen Dynamik entledigten sich die Staaten im Zuge der Anti-Terror-Pakete wesentlicher Elemente ihrer Schönwetterdemokratien. Die Journaillen der ersten Welt konnten da leider nichts machen, denn von ein paar besorgten idealistischen Traumtänzern à la Heribert Prantl mal abgesehen, die nun schon seit Jahren in einer immer kleineren Welt demokratietheoretischer Fiktion leben, beteiligten sich alle am Wettbewerb: "Wer kreiert den blödesten Wertekatalog der westlichen Zivilisation". Dass dabei niemand um die Kategorie "Kurze Röcke für Frauen" drum herum kam, war zu vermuten, da doch von Bush über die CSU bis zu den Grünen und Bahamas kein/e BellitzistIn versäumen durfte, die Kriegslegitimation als Fortsetzung des schon lange verfolgten Kampfes für die Rechte der Frauen zu beschönigen.

Und während noch unisono die Hymne auf Toleranz, Freiheit und die Begrenztheit staatlicher Gewalt geschmettert wurde, kassierten die nationalen Sicherheitsstaaten einiges von dem, was sie ihrer zivilen und zurückhaltenden Herrschaftsform zugute halten. Zunächst zeigte sich mit den Bomben auf Afghanistan zum wiederholten Male, dass die Durchsetzung der Weltordnung sich ihr eigenes Recht, wenn es sein muss, fern ab aller bestehenden Verträge verschafft. Im Innern konnte die beherzte rechtsstaatliche Offensive dann mehr Ergebnisse vorweisen. Die Trennung von Polizei und Geheimdienst, der Schutz der Privatsphäre, Einspruchsmöglichkeiten bei Verhaftungen und Abschiebungen. Zack, weg. Von heute auf morgen verschwanden mit den Anti-Terror-Paketen selbst Dauerbrenner des Demokratieunterrichts und der Gewaltmonopolist offenbarte seine inhärente Tendenz zum repressiven Überwachungsstaat (vgl. dazu den Beitrag "Backlash des Überwachungsstaates" in diesem Heft). In den Staaten initiierte man dazu noch schnell ein Militärtribunal, welches feindliche Ausländer nicht nur verhaften, sondern unter gnädiger Bereitstellung eines Pflichtverteidigers hinrichten darf, und dachte laut über die rechtliche Absicherung von Folter nach.

Sicher, der Ausbau der Staatssicherheit vollzog sich ganz nach Plan bereits lange gehegter "Law and Order"-Konzepte, nur eben quasi mit Lichtgeschwindigkeit. Das ganze funktionierte so reibungslos, jenseits noch von der Simulation einer oppositionellen Haltung, da musste selbst der hartleibige Innenminister in die Kameras strahlen. Eigentlich war es aber gar nicht lustig gemeint und mehr noch als um effektive Steigerung staatlicher Herrschaftsoptionen, ging es wohl darum, dem Volk den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Dass es nicht aufmuckte, war ja beileibe keine Überraschung, zumindest in Deutschland wusste es politische Freiheiten eh nur zum Angeben oder zur Verschleierung der Liebe zum Führer zu nutzen. Man sah sich beim besten Willen nicht betroffen, und der rechtschaffene Deutsche begriff schnell, gegen wen sich ein Großteil des Maßnahmenkataloges von der Rasterfahndung bis zum biometrischen Personaldokument richtete. Zur besseren Kontrolle und Disziplinierung des fremdvölkischen ArbeiterInnenreservoirs steht jetzt ein nie da gewesener Apparat zur Verfügung, und mit dem Verweis auf die Transformationsfähigkeit eines braven "arabischen" Einser-Studenten in einen Terroristen ist der menschelnde Überschuss jeder ökonomisch indizierten Einwanderungsdiskussion schnell verjagt.

Übereinstimmung und Konkurrenz in der Neuen Weltordnung

Gelang die Wandlung der Staaten in Kriegsdemokratien noch über alle Maßen butterweich und konfliktfrei, brauchte der außenpolitische Griff nach Macht und Weltgeltung doch mehr Nachdruck. Es ärgerte nicht nur die FreundInnen actionnaher Kriegsberichterstattung, dass die USA ihre einzigartige militärische Interventionsfähigkeit so schnell unter Beweis stellten. Auch die StrategInnen der amerikanischen Juniorpartner dürften damit hadern. Vom Mittun der Briten abgesehen, welches eher den Grad der politischen Kooperationsfähigkeit und Verlässlichkeit anzeigen sollte, statt wirklich benötigt zu sein, blieb das richtig kriegerische Mitwirken der NATO-Partner begrenzt. Dabei war allen, die von der Ausrufung des Bündnisfalles betroffen waren, klar, dass sich ihr Einfluss auf weltpolitische Entscheidungen nicht unwesentlich an dem Maß ihres Mitwirkens am neuen Sicherheitskrieg festmacht. Zwar hatte schon lange ein sogenannter Reformprozess die NATO auf die militärische Intervention außerhalb des Bündnisgebietes vorbereitet, beim Angriff auf Afghanistan blieben jedoch die meisten Mitglieder außen vor. Die vor allem durch den Krieg gegen Jugoslawien bestätigte These, dass die NATO zum bewaffneten und aggressiven Arm der kapitalistischen Weltordnungspolitik nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus wird, bedarf zumindest einer einschränkenden Ergänzung (vgl. zu dieser Diskussion den Beitrag über die NATO-Strategien in diesem Heft). Die Interessenidentität der kapitalistischen Großmächte bei der Ausschaltung dysfunktionaler Störfaktoren, die derzeit vor allem in islamistischen Strömungen mit US-feindlicher Praxis gesehen werden, überdeckt nur zum Teil ihre gleichzeitig vorhandenen Differenzen. So erweist sich der Bündnisfall sowohl als einschwörende und einbindende aber auch als beschränkende Formel für die unruhigen Koalitionäre an der Seite der USA. Vor allem gilt dies für die europäischen Kontinentalmächte, die mit dem Ziel, ihrem ökonomischen Gewicht auch eine interventionsfähige militärische Ernsthaftigkeit zu verleihen, schon lange an einer "gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" laborieren. Die Hauptprotagonisten Deutschland und Frankreich guckten zunächst dumm aus der Wäsche: Über die Form und den Zuwachs an Handlungsmacht entschied die letzte verbleibende Weltmacht selbstbewusst alleine und bewies damit ihre kräftige Hegemoniefähigkeit.

Durch den terroristischen Anschlag sah sich die USA dazu angehalten, eine Region zuerst militärisch unter Kontrolle zu bringen und dann durch eine US-freundliche Ordnungsmacht zu kontrollieren, die vorher abseits interventionistischer Vorstellungen lag. Die Reaktion stellt deshalb aber keine Zäsur dar, sondern sie forciert vielmehr Konzepte amerikanischer Interessenpolitik, die darauf aus sind, den Gewalthaushalt der Staatenwelt zu kontrollieren, um rechtzeitig Gefahren für den erfolgreichsten Konkurrenten am Weltmarkt abzuwehren. Dass sie sich dabei auch nicht in einem weltanschaulichen Bündnis unbedacht Widersacher heran züchtet, zumal noch solch einen unsicheren Kantonisten wie Deutschland, liegt daran, dass die Vereinigten Staaten ihre Außenpolitik wie alle anderen kapitalistischen Staaten auch, nach rationalen und materiellen Nütztlichkeitserwägungen bestimmen und nicht nach den Maßgaben eines demokratischen Werteuniversalismus handeln.

Deutsche Ziele

Den verschmähten Bundesgenossen mangelt es weder an Einsicht in diese Prinzipien noch an Ambitionen, nach ihnen zu handeln. In der FAZ, der Zeitung, die am klarsten deutsche Interessenpolitik buchstabiert, ließt sich der Zusammenhang von realistischer Kräfteanalyse und Entscheidungsrichtlinien so: "Noch ist der Euro nicht die starke Währung, von der alle Europäer träumen. Und wer in der Weltpolitik die bestimmende Macht ist, hat der 11. September mit seinen Folgen abermals vor Augen geführt. Es sind die Vereinigten Staaten von Amerika. (...) Im von den Vereinigten Staaten geführten Krieg gegen den Terrorismus spiegelt sich Europas Stellung wieder. Es ist nicht ohnmächtig, aber es handelt in der zweiten Reihe." Unumwunden wird die Einführung des Euro und die Verschickung deutscher Soldaten nach Afghanistan und an das Horn von Afrika in einem "historischen Prozeß" verbunden, der auf den Zuwachs von Macht und Einflussnahme gerichtet ist. Und weil das damit anvisierte Hauen und Stechen nicht immer ohne Blessuren abgehen kann, wird ein solcher Kommentar wohlwissend mit "Rolle und Risiko" überschrieben.

Mit dem Schwanz wedelnd, aufdringlich und gleichfalls bissig, forderten die Europäer ihre Beteiligung am Kriegseinsatz. Nicht weil sie den Amerikanern in Kabul ein Stück des freien Weltmarktes strittig machen wollen, auf dem es auf absehbare Zeit nicht viel zu verkaufen und nichts zu kaufen geben wird. Wahrscheinlich auch weniger wegen der geostrategischen Bedeutung Mittelasiens als Stachel im russisch-chinesischen Einflussgebiet oder als Rohstofflager und den dazugehörigen Transitkorridor. Obwohl sich die Deutschen, was die direkte politische und ökonomische Einflussnahme betrifft, auch nicht völlig die Butter vom Brot nehmen lassen. Immerhin ist der afghanische "Minister für Wiederaufbau" ein ehemaliger Bochumer Professor der Wirtschaftswissenschaften, der erste anerkannte ausländische Diplomat ist der deutsche Botschafter, und der Kompromiss einer afghanischen Übergangsregierung wurde auch nicht irgendwo, sondern auf dem Bonner Petersberg erzwungen. So eine Art von "Entwicklungshilfe-Imperialismus" trägt neben dem Reputationsgewinn wohl noch andere Früchte. Viel eher aber buhlt man um den Einsatz der Truppen, weil Euro-Deutschland weiß, dass der ökonomische Gewinn ganz auf der Seite der Amerikaner läge, wenn die gesamte Welt in deren Industrie und Währung die einzig militärisch abgesicherte Anlagequelle sähe. Dass eine sicherheitspolitisch völlig unilateral handelnde USA die schönen Geschäfte der europäischen Partner mit den Schurkenstaaten verdirbt, dürfte ebenfalls eine nicht unerhebliche Motivationsquelle gewesen sein, über das Mitschießen auch eine Mitentscheidungskompetenz zu erhalten. Genau in diesem Kontext sind die öffentlichen Bekundungen europäischer Spitzenpolitiker zu verstehen, die, nachdem die ersten Krokodilstränen getrocknet waren, ihre Angst äußerten, dass sie in Zukunft nur noch Entscheidungen nachvollziehen, die anderswo getroffen werden.

Bei soviel offener Austragung konkurrierender Interessenpolitik zwischen den zwei größten Wirtschaftsblöcken brauchte es auch in Deutschland außer für einige Linke kaum noch des Menschenrechtshokuspokus, um den Willen zum dabei sein zu begründen. Nach den Worten des Außenministers entscheidet die Frage, ob das Land sich an die Seite Amerikas stellt, über "das weltpolitische Gewicht Deutschlands für die nächsten 30 Jahre".

Imperialismus und Verständnis

Dass die deutschen Bestrebungen, den Einfluss als Weltmacht zu vergrößern, weiterhin im Fahrwasser der USA geschehen, ärgert Nazis und andere Antiamerikaner, ein Grund, die Kritik von der deutschen und der amerikanischen Machtpolitik zu wenden, ist das nicht (vgl. dazu den Artikel "Der neue Griff nach der Weltmacht" von D. Hartmann in diesem Heft).

Doch ist Vorsicht angebracht, wenn mit Hilfe antiimperialistischer Erklärungsansätze, eine linke Antikriegsbewegung konstituiert werden soll. Es gibt heute ein weit verbreitetes Verständnis von imperialistischer Politik, welches damit im Allgemeinen das aggressive Vertreten politischer Machtinteressen nach außen und militärische Ordnungs- und Sicherheitspolitik aus zumeist ökonomischem Antrieb begreift. Nimmt man dieses Analyseinstrumentarium in seinen traditionellen theoretischen Ableitungen und Voraussetzungen etwas genauer, ist es auf die Realität nur mit Hängen und Würgen anzuwenden. Der direkte oder implizite Bezug auf die Theorie Lenins kann, gewollt oder ungewollt, auch seine Annahmen von der alles entscheidenden Macht der großen Monopole und des Finanzkapitals, die das angeblich letzte Stadium des Kapitalismus vor seiner zwangsläufig eintretenden Selbstzerfleischung kennzeichnen, extrahieren. Neben der geschichtsoptimistischen Heilserwartung vom unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch kommt dies ebenso einem personalisierenden Kapitalismusverständnis entgegen, welches abstrakte bzw. versachlichte Herrschaftsverhältnisse ignoriert. Auch dass sich der Wettkampf der Großmächte um Einfluss und Hegemonie nicht unbedingt in kriegerischen Auseinandersetzungen und in der militärischen Eroberung fremder Territorien ausdrückt, verlangt eine Revision des traditionellen Imperialismusansatzes (vgl. dazu den Artikel "Vom Imperialismus zum Empire" in diesem Heft). Noch grundlegender ist aber der Bruch mit der linken Tradition, der imperialistischen Realität ein fortschrittliches, zur Identifikation geeignetes Subjekt gegenüberzustellen. Aus der Geschichte der positiven Bezugnahme auf antikoloniale, teils linke, teils nur nationale Befreiungsbewegungen, kristallisierte sich ein projektiver Revoltenwunsch, der immer wieder bereit war, von linken Parametern der Solidarität abzusehen und in den USA als dem wirkungsmächtigsten Gegner realsozialistischer Befreiungs- und Unterstützungsversuche schließlich den einzigen Vertreter imperialistischer Politik verortete. Dabei hatten die Unterstützung nationaler, ja auch völkischer Gemeinschaftsvorstellungen und die Einnahme einer antiamerikanischen Position, die sich schon aus der europäischen Tradition heraus kulturell verdichten konnte, immer auch eine offene Anschlussstelle zum althergebrachten Antiamerikanismus der Deutschen. Schon seit einem Jahrhundert gibt es eine mal mehr, mal minder große Anzahl von VolksgenossInnen, die auf den sozialen guten Kapitalismus hierzulande hoffen oder gleich auf den nationalen Sozialismus bauen und denen deshalb der amerikanische "shareholder value" samt seines liberalen Überbaus suspekt erscheint.

Linker Kontext und antizionistische Rezeption

Es war die beste Folge der Golf-Kriegsdiskussionen und Verdienst der antinationalen/antideutschen Strömung, dass sich eine linke Kritik an einem Antiimperialismus der reaktionären Bündnisse, des Antiamerikanismus und der verkürzten Kapitalismuskritik entwickeln konnte. Zwar gab es Positionen, die von dieser Seite dem Zauber der Menschenrechtslügerei erlagen und die Kritik an der deutschen Erlangung von Kriegsfähigkeit auf dieser Etappe vernachlässigten. Dass aber der Fokus auf die antizionistischen Ableitungen einer altbacken daherkommenden Antiimp-Bewegung gerichtet wurde, die in Israel nur die US-gesteuerte Verkörperung eines Kolonisationsprojektes zur Unterdrückung der arabischen Massen und Kontrolle des rohstoffreichen Nahen Ostens sah, war richtig (vgl. dazu Stephan Grigats "Never Ending Story - Bücher zum Linken Antisemitismus" in diesem Heft sowie den Beitrag "Der Krieg, die Linke und Stürme im Wasserglas"). Der existentiellen Bedrohung des Staates Israel, der von den Opfern und Gegnern des Nationalsozialismus aufgebaut wurde, kommt bis heute ein besonderer Stellenwert zu. Dass im zweiten Golfkrieg und bei allen militärischen und terroristischen Bedrohungen davor und danach die Vernichtungsdrohung nicht wahr gemacht werden konnte, heißt nicht, dass es kein entsprechendes Potential gab und bis heute gibt. Die gesamte Diskussion über Israel und seine unterdrückerische Politik gegenüber den Palästinensern, darf nicht die Reflexion vergessen, dass in Deutschland diskutiert wird. Wenn der FDP-Ekel und Vertreter der deutschen Giftgasfraktion Möllemann in der "grausamen" Politik Israels die hauptsächliche Ursache für den Terrorismus sieht, wenn nach Aussage des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde die Bedrohungssituation der Juden in Deutschland immer weiter zunimmt, wenn Teile der zweifelsohne marginalen Friedensbewegung "jüdisches Finanzkapital" und US-Imperialismus zum Feindbild erklären und im Gegenzug ihre Solidarität mit religiösen und völkischen Bewegungen zum Ausdruck bringen, so ist dies Grund genug, für notwendige Abgrenzungen.

Trotzdem ist ein analytischer Blick auf die Verhältnisse und Positionen der Handelnden im Nahen Osten wichtig. Gerade eine linke, ideologiekritische Herangehensweise, welche die israelische und palästinensische Staats- und Identitätspolitik und ihre Auswirkungen zum Gegenstand hat, kann nicht einfach verworfen werden (vgl. dazu den Beitrag von Moshe Zuckermann: "Strukturprobleme des Israel-Palästina-Konflikts" in diesem Heft). Wer aber historische Besonderheiten negiert, die Ungleichzeitigkeiten linker Positionen glatt bügelt und auf der Wahrhaftigkeit ausschließlicher Erkenntnismethoden besteht, wird Israel immer nur als Speerspitze des Imperialismus, als unterdrückenden Staat oder auch als einzigen Vorboten der Emanzipation missverstehen. Erkenntnisperspektiven, die zum Ergebnis haben, der Staat der Holocaust-Überlebenden und der verfolgten Juden könne kein Existenzrecht beanspruchen, bleiben aber bei jeder Diskussion immer außerhalb der Toleranzgrenze.

Es ist nicht unproblematisch, in der hiesigen Situation die Stimmen der israelischen Linken stark zu machen. Nicht weil sie mit ihrer Kritik an der Politik des israelischen Staates falsch liegen würden, sondern weil es in Deutschland eine Rezeptionspraxis gibt, die Schlimmes ahnen lässt.

Bei der Suche nach unverfänglichen Kronzeugen antizionistischer Argumente greifen auch die deutschen Medien, z.B. der gestandene Walserianer Rudolf Augstein, gerne auf die marginalisierte israelische Linke zurück. Wenn selbst in der Tagesschau Kommentare von prominenten linken FriedensaktivistInnen kein Problem sind, dann ist dabei weder ihr antikapitalistischer Background, ihre kritische Theorie der Nation oder ihr Paradigma von der historischen Berechtigung eines israelischen Staates von Interesse, sondern sind es einzig ihre Funktionalität für das antiisraelische Statement und die Forderung nach einer Intervention europäischer "Friedenstruppen", die zählen. Gerade bei letzterem kann die Kritik nicht deutlich genug ausgesprochen werden. Die Forderung israelischer Linker nach einer "humanitären Intervention" der EU (vgl. auch hierzu den Beitrag von Moshe Zuckermann in diesem Heft) ist falsch und gefährlich. Der direkte militärische Zugriff einer Allianz aus Antisemiten, islamfreundlicher europäischer Wirtschaft und EU-Raumpolitikern, die sich gegen die Konkurrenz der USA profilieren - und dies bei der gegenwärtigen Nichtexistenz einer halbwegs wirkungsmächtigen palästinensischen Linken - liefe wohl zwangsläufig auf die Stärkung fundamentalistischer Strömungen hinaus.

Phase 2 Leipzig