»Es geht voran!«

Über die Rolle Deutschlands in der Rekonfiguration des Nationalen in Europa

Entgegen allen anderslautenden Prognosen, Hoffnungen und Befürchtungen nahm die Bedeutung des Nationalen trotz immer weiter voranschreitender internationaler Vernetzung in den letzten Jahrzehnten nicht ab. Weder erwies sich die Europäische Union als »postnationale Konstellation« (Habermas) noch als »kosmopolitisches Projekt« (Beck). Die Wiederkehr des Nationalen zeigte sich nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zunächst in den zerfallenden ehemaligen Staaten des »Ostblocks« in aller Deutlich- und Hässlichkeit. Bekanntermaßen huldigten aber auch die Deutschen ihrer endlich groß und frei gewordenen Nation traditionsbewusst qua Pogrom und antimigrantischer Gesetzgebung. Die Entwicklung in Deutschland ist dabei nicht nur binnenperspektivisch bedeutsam, sondern auch in Hinblick auf die Vorreiterrolle, die der außenpolitisch materialisierte deutsche Diskurs um Volk und Nation seit den neunziger Jahren in Europa zu spielen begann. Wir gehen davon aus, dass sich zentrale Veränderungen in Form und Inhalt der rekonfigurierten Nation aus ganz spezifischen Gründen von Deutschland aus verbreiteten. Hier geht es vor allem um Verschiebungen im Verhältnis des Nationalen zum Territorium, das heißt, um in der nationalen Denk- und Praxisform sich ausdrückende Verschiebungen des gesellschaftlichen Raum-Zeit-Gefüges.

Auch die Außenpolitik der Vereinigten Staaten zeigt, dass sie sich seit dem Ende des Kalten Krieges gleichermaßen in einer Umstrukturierung von Raum zu Zeit befinden. Ging es im Kalten Krieg noch darum, Stellvertreterkriege gegen die Sowjetunion zu führen und im Sinne einer »Containment-Policy« einen möglichst großen Block gegen die Systemkonkurrenz im Osten zu formieren, geht es seit dem Zusammenbruch der UdSSR auch hier vorrangig darum, Produktionsketten zu kontrollieren und diese, wenn es sein muss, in Ordnungskriegen mit mobilen Eingreiftruppen militärisch abzusichern. Auch wenn die beschriebenen Verschiebungen eine signifikante Tendenz im Kampf um politische Hegemonie darstellen, heißt dies aber im Umkehrschluss noch lange nicht, dass jedwedes politische oder militärische Handeln der USA und anderer weltpolitischer Akteure eindimensional von ökonomischen Interessen geleitet wäre. Im Irak- und noch deutlicher im Nahostkonflikt sind teilweise gänzlich andere Motive ausschlaggebend. Gleichzeitig findet der Versuch statt, weitere Staaten – etwa das wirtschaftlich unbedeutende, jedoch strategisch interessante Georgien – in die Nato zu integrieren. Diese Vermischung aus Raum (Nato/Georgien) und Zeit (Irak/Nahost) zeigt auf, dass sich die USA nach wie vor in einem Übergang befinden und die Verschiebung von Raum zu Zeit kein linearer, homogener Prozess ist. Die Spuren der bipolaren Weltordnung sind noch lange nicht verwischt und die Raum-Zeit-Transformation gestaltet sich an den Knotenpunkten der Macht (USA, Europa, Russland, China) gemäß der jeweils vorfindbaren verschiedenen ökonomischen und ideologischen Ausgangslage unterschiedlich.

Für Deutschland gilt jedenfalls, dass die Geschäftigkeit der Verdrängung nach Auschwitz und Vernichtungskrieg mittels stetig vorangetriebener Eroberung der Zeit (der Raum war ja nach '45 Tabu) in ökonomische Potenz transformiert werden konnte und Deutschlands außenpolitischer Kurs heute – vermittelt und gebündelt durch die EU – weltpolitisch wirksam wird. Produktionsketten und Absatzmärkte werden gesichert, während sich Deutschland zugleich als »Friedensnation« und »ehrlicher Makler« bestens verkaufen kann. Obendrein gelingt es den Deutschen erschreckend gut, subtil ihr modifiziertes völkisches Nationenkonstrukt in alle Welt erfolgreich zu exportieren. Die Kritik der spezifisch deutschen Form des Nationalen hat sich damit – allen Modernisierungen zum Trotz – keinesfalls erledigt, sondern bleibt leider weiter aktuell.

Nationalismus ist in seiner zeitgemäßen Form nicht mehr hauptsächlich räumlich definiert. Im Gegensatz zu früher geht es den NationalistInnen von heute eben nicht mehr unbedingt nur darum, möglichst große Territorien zu erobern um »Lebensraum« zu gewinnen oder den exklusiven nationalen Zugang zu möglichst vielen Rohstoffen zu erlangen. Vielmehr rückt unter den Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft eine zeitliche Dimension in den Vordergrund: Wer in der Lage ist, gut, schnell, effizient und nahtlos – eben zeitoptimiert – zu produzieren, dem ist nationale Stärke gewiss. Dass Deutschland sich besonders schnell und relativ problemlos an diesen Paradigmenwechsel anpassen konnte, erklärt sich unter anderem aus seiner historischen Rolle: Das alliierte Verbot der räumlichen Expansion zwang die Deutschen, ökonomische und politische Macht über Umwege zu erlangen. Der Exportweltmeister Deutschland hat diese Aufgabe verhältnismäßig gut gelöst; im Jahr 2008 ist Deutschland laut Nation Brands Index beliebteste Nation der Welt. Während sich die Sowjetunion und die USA im Versuch möglichst viele Satellitenstaaten – und damit ein möglichst großes Territorium zu kontrollieren – aufrieben, rüsteten sich Deutschland und seine neuen europäischen Partner (die eben noch vom selben Deutschland mit Krieg im Kampf für mehr »Lebensraum« überzogen wurden) für die Zukunft. Es ist kein Zufall, dass Deutschland zu den Ländern mit dem am besten ausgebauten Verkehrsnetz gehört, schließlich kann jede(r) »darin auch industrielle Lagerflächen sehen, die eben noch die alte Bezeichnung ›Straße‹ tragen.« Lothar Baier, Volk ohne Zeit – Essay über das eilige Vaterland, Berlin 1990, 50.

Die Konstellation nach 1945

Als im Mai 1945 das großdeutsche Projekt durch die Alliierten vorläufig beendet wurde, hielt sich die Orientierungslosigkeit der Besiegten in Grenzen. Die Trümmer stellten den Spielplatz der Verdrängung dar, auf dem sie in rastloser Geschäftigkeit ihrer liebsten Tätigkeit nachgehen konnten: so tun, als wäre nichts gewesen. Derweil machten sich die Sieger Gedanken darüber, wie Deutschland einzuhegen sei, so dass es für sie und den Rest der Welt künftig keine Gefahr mehr darstellen kann. Kluge Menschen wiesen schon damals darauf hin, dass den Deutschen nicht zu trauen sei. So schrieb etwa Philipp Bernstein, Mitarbeiter der Verwaltung der Amerikanischen Besatzungszone im Jahre 1947: »Wenn die amerikanische Armee sich morgen [aus Deutschland] zurückzieht, gibt es am nächsten Tag Pogrome.« Philipp Nassauer, Deutscher Imperialismus 1864–2006, www.deutscher-imperialismus.fdj.de/deutscher_imperialismus/pdf/info_imp_web.pdf,184. Keine Stunde Null also. Ergebnis war allerdings trotzdem nicht der auf der Zweiten Konferenz von Québec vorgestellte Morgenthauplan, der eine weitreichende Deindustrialisierung Deutschlands vorsah, United States Government Printing Office, Report on the Morgenthau Diaries, on 1967, volume 1, pp. 620–621. sondern nur die ein Jahr später im Potsdamer Abkommen festgelegten Gebietsabtretungen und schließlich eine sukzessive Normalisierung des (west)deutschen Staates. Aus den zur Trizone zusammengelegten westlichen Besatzungszonen entstand recht bald als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland, die nach und nach internationalen Organisationen (EWG und später UNO) beitrat und sogar eine eigene, in ein transatlantisches Militärbündnis integrierte, Armee aufstellen konnte. Diese Politik der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Westbindung war einerseits den Notwendigkeiten der Blockkonfrontation geschuldet (Truman-Doktrin), andererseits erhofften sich die Alliierten, die Deutschen durch diese nachhaltige Integration dauerhaft in Schach halten zu können. Da Deutschland nun wohl oder übel erstmal mit dem Verbot andere Länder zu erobern leben musste, entwickelte sich notgedrungen ein Primat der Innenpolitik. Auch wenn diese zunächst darin bestand, möglichst viele der von den Alliierten verurteilten Nazis – also das Zentrum der deutschen Gesellschaft – möglichst schnell zu amnestieren und möglichst geräuschlos in die postnazistische Gesellschaft zu integrieren. Den Forderungen nach einem Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen wurde politisch und juristisch weitgehend entsprochen, so dass sich die deutsche Volksgemeinschaft relativ problemlos über das Ende des Nationalsozialismus retten und vermittelt über Antikommunismus und Wirtschaftswunder auch mit der transatlantischen Einbindung arrangieren konnte.

1990 folgt die »Wiedervereinigung« Deutschlands. Und prompt meldet sich das »deutsche Volk«, vorbereitet durch acht Jahre Kohl'sche Deutschtümelei, in unerträglicher Penetranz und Dreistigkeit wieder zu Wort. Bereits im gleichen Jahr fordert der damalige Außenminister Genscher einen ständigen Sitz für Deutschland im UN-Sicherheitsrat. Ein Jahr später legt der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe einen Plan zur Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums mit Polen vor, der die Einrichtung einer deutschen Wirtschaftszone (mit D-Mark als Zahlungsmittel) im polnischen Teil der Insel Usedom empfiehlt. Und schon 1992 wird in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« der Bundesregierung die Abkehr von der deutschen Nachkriegsmilitärdoktrin verkündet: »Aufgabe der deutschen Bundeswehr ist die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt.« Nassauer, Deutscher Imperialismus, 252. Sieben Jahre später war es dann endgültig soweit: die Bundeswehr sorgte auf dem Balkan tatsächlich für den ins Auge gefassten »ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen.«

Holiday in Yugoslavia

Ein Blick zurück: Der Staat Jugoslawien brach in den neunziger Jahren Stück für Stück auseinander. Begründet war dies vor allem in einer weltweiten Schuldenkrise, die Jugoslawien bereits in den achtziger Jahren ergriffen hatte. Dem Versuch, Jugoslawien möglichst schnell kreditfinanziert zu industrialisieren war nur mäßiger Erfolg beschieden – während die Exporterlöse der nach wie vor auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähigen Industrie stagnierten, explodierten Schulden und Zinszahlungen. Gleichzeitig kollidierte dieser Versuch, »mit den noch schneller steigenden Ansprüchen der ArbeiterInnen.« »Der Krieg in Jugoslawien – ein Krieg gegen die Arbeiterklasse«, Wildcat-Zirkular Nr. 52/53, 1999. Massive Streiks führten zum Einknicken der Betriebsleitungen, die über Kredite beim Staat versuchten, die Lohnforderungen ihrer Beschäftigten zu erfüllen. Da diese nicht zurückgezahlt werden konnten, stieg die jugoslawische Staatsverschuldung weiter dramatisch an und Jugoslawien erhielt 1981 »den größten Umschuldungskredit, den der IWF bis dahin vergeben hatte.« Ebd. Wie in solchen Fällen üblich, war dieser Kredit mit der Forderung nach einer wirtschaftlichen Umstrukturierung verbunden, was erhebliche Widerstände der jugoslawischen Bevölkerung nach sich zog: »Allein 1987 gab es etwa 4000 Streiks. Den Höhepunkt erreichten Streiks und Demonstrationen 1988.« Ebd. Dem wurde seitens der politischen Führungen der verschiedenen jugoslawischen Teilrepubliken mit einer massiven nationalistischen Mobilmachung begegnet, um in altbekannter Manier von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Aufbauend auf den in Jugoslawien nie völlig überwundenen partikularen Nationalismen wurde zusehends die ideologisch als »Vielvölkerstaat« betrachtete Föderation, deren sozialistische Staatsdoktrin zudem durch einen schleichenden Übergang zum Kapitalismus ausgehöhlt war, in Frage gestellt. In den ökonomisch höher entwickelten Republiken Slowenien und Kroatien wurde die Alimentierung wirtschaftlich schwächerer Regionen als krisenverschärfende Belastung wahrgenommen, während jene ihrerseits den Gesamtstaat einer systematischen Ausplünderung des Südens zugunsten des reicheren Nordens bezichtigten. Im Laufe der neunziger Jahre kam es dann zum endgültigen Zusammenbruch und zur Aufspaltung des Landes in verschiedene Kleinstaaten.

Deutschland nahm in dieser Entwicklung ideologisch, politisch und ökonomisch eine aktive Rolle ein: Im Unterschied etwa zu Frankreich, das aufgrund seines republikanischen Verständnisses von Nation zunächst einen Fortbestand des jugoslawischen Gesamtstaates anstrebte, war Jugoslawien für die Deutschen, gemäß ihres traditionell völkisch geprägten Konzepts von Nation, demgemäß unterschiedliche »Völker« und »Kulturen« keine funktionierende gemeinsame Nation bilden können, ein zum Scheitern verurteiltes »Kunstgebilde«, das folgerichtig in seine naturgemäßen völkischen Teile aufzuspalten war. Propagandistisch wurde der erste deutsche Kriegseinsatz der Nachkriegsgeschichte, der Kosovokrieg 1999, in der Öffentlichkeit zudem humanitär begründet. Die vielen Toten des mittlerweile schon einige Jahre andauernden jugoslawischen Bürgerkriegs waren der offizielle Grund für den deutschen Kriegseinsatz. Die anfangs präsentierten, ganz nebenbei bequemerweise die deutschen Verbrechen des Nationalsozialismus relativierenden, »Fakten« von angeblichen serbischen Konzentrationslagern und Vernichtungsplänen gegenüber der albanischen Bevölkerung des Kosovo erwiesen sich relativ schnell als aus der Luft gegriffene Kriegspropaganda. Es handelte es sich in Wirklichkeit um einen auf beiden Seiten bisweilen grausam geführten Bürgerkrieg, aber eben nicht um einen Vernichtungskrieg, dessen kollektive Halluzination sich vorrangig einer durch Schuldabwehr motivierten deutschen Projektion verdankte.

In den Länderberichten des Auswärtigen Amtes zu den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien heißt es übereinstimmend, dass Deutschland mittlerweile wieder zu den wichtigsten Handelspartnern dieser Staaten – einschließlich Serbiens – gehört. Auswärtiges Amt: Länderberichte Mazedonien, Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzogowina, Slowenien. 2008. Die Stabilisierung von im Bürgerkrieg zusammengebrochenen Produktionsketten im ehemaligen Jugoslawien durch militärische Intervention hatte für Deutschland einen privilegierten Status in den wirtschaftlichen Beziehungen zu den jugoslawischen Nachfolgestaaten zur Folge, so wie es sinngemäß in den »Verteidigungspoltischen Richtlinien« schon sieben Jahre zuvor angekündigt wurde. Vergessen werden darf hierbei nicht, dass Deutschland durch die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens im Alleingang – gegen internationale Widerstände – und eine unermüdliche Lobbyarbeit für die albanischen SeparatistInnen im Kosovo maßgeblich mit für die Eskalation und Desintegration sorgte, die es durch militärische Intervention dann wieder zu befrieden und gemäß den deutschen Vorstellungen neu zu ordnen suchte. Deutschland ließ dabei zudem mit traumwandlerischer Sicherheit alte völkische Bindungen (Kroatien, Bosnien, Albanien) und alte Feinbilder (Serbien) wieder aufleben, ohne indes exklusive deutsche Einflusszonen oder gar Vasallenstaaten zu schaffen. Die völkisch-nationalistisch orchestrierte Aufsplitterung Jugoslawiens in politisch und ökonomisch einflusslose Zwergstaaten öffnete die Region ironischerweise vollständig dem globalen Handel und setzte die alternativlos gewordene Einbindung der (ex-)jugoslawischen Ökonomie in die internationalen Produktionsketten endgültig durch – ein Prozess, der den deutschen Einfluss in Südosteuropa durch die zentrale Stellung der deutschen Ökonomie innerhalb dieser Produktionsketten automatisch wachsen lassen musste. Insofern ist der Jugoslawienkrieg ein paradigmatisches Beispiel für die Verknüpfung einer Vergangenheitspolitik, deren Anti-NS-Rhetorik »Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus: beides gehört bei mir zusammen, liebe Freundinnen und Freunde. [...] Ich halte zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige Einstellung - unbefristete Einstellung der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal« Fischer in seiner Rede auf dem Außerordentlichen Parteitag der Grünen in Bielefeld, 13. Mai 1999. beharrlich Kontinuitäten knüpft, mit einer gegenwartsbezogenen politisch-ökonomischen Interessenpolitik.

Not Georgia ? Georgia

Betrachten wir nun einen anderen Konflikt. 2008 – Russisches Militär marschiert nach Auseinandersetzungen russisch-ossetischer mit georgischen Milizen auf dem Gebiet, der formal zu Georgien gehörigen, faktisch von Russland kontrollierten, Provinz Südossetien in Georgien ein. Aus Sicht der russischen Propaganda sollen das ebenfalls nominell georgische Abchasien und Südossetien autonome Staaten werden, da Georgien deren BewohnerInnen diskriminiere. Die georgische Propaganda sieht die Sache natürlich gänzlich anders und beansprucht die abtrünnigen Provinzen als Teil des international anerkannten georgischen Staatsgebietes. Kurz darauf sprechen die USA ihre Solidarität mit dem verbündeten Georgien aus und erklären, der Konflikt dürfe nicht militärisch gelöst werden. Schon bevor die militärische Intervention Russlands in Georgien beginnt, wird der bevorstehende Konflikt zwischen den USA und Russland absehbar. Russland, zu dieser Zeit durch steigende Rohstoffpreise gerade wirtschaftlich im Aufwind, traut sich zunehmend, international Druck auszuüben: Die Unterbrechung der Energieversorgung der Ukraine und Litauens, Handelssanktionen gegen Polen, die Wiederaufnahme strategischer Bomberflüge außerhalb russischer Grenzen, die Erhebung eines Anspruchs auf den Nordpol und gemeinsame Militärmanöver mit China, Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan und Usbekistan verdeutlichen dies. Die USA hingegen arbeiten gleichzeitig daran, die Nato (unter anderem um Georgien) zu erweitern und ein Raketenschild aufzubauen. Die Einsätze in Afghanistan und im Irak waren und sind dabei noch nicht beendet und die Problemfelder Iran und islamischer Terrorismus nach wie vor ungelöst.

Wie verhalten sich nun die europäischen Länder zu diesem Konflikt mit Russland? In Frankreich und Deutschland erklären Politik und Presse, dass die USA Russland nicht hätten provozieren dürfen, wenngleich auch die militärische Intervention Russlands keine angemessene Form der Konfliktlösung sei. Stattdessen müsse nunmehr versucht werden, auf diplomatischen Wegen eine friedliche Lösung zu finden, um die guten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Russland nicht zu gefährden. Obwohl sich die meisten osteuropäischen Staaten für härtere Schritte gegen Russland aussprechen, setzt sich dieser französisch-deutsche Kurs in der EU durch. Deutlich zeigt sich eine deutsche Hegemonie in den quasi-staatlichen supranationalen Institutionen der Europäischen Union.

Im Kaukasus-Konflikt wird die deutsche Vorreiterrolle in der Neubestimmung des Nationalen sichtbar: Russland will oder kann – möglicherweise aufgrund seiner international nur bedingt wettbewerbsfähigen Industrie – die weltweite Verschiebung der Machtstruktur vom Raum zur Zeit noch nicht in eine dieser Formwandlung entsprechende politische Strategie umsetzen. Der weltpolitische Einfluss hängt aber immer mehr von der Stärke einer hochflexiblen Ökonomie und der internationalen Akzeptanz der jeweiligen Nation ab und tendenziell immer weniger von den durch diese Nation politisch und militärisch unmittelbar und exklusiv kontrollierten Territorien. Letztendlich fällt es einer international akzeptierten und vernetzten Nation leichter, international arbeitsteilig strukturierte Produktions- und weltmarktförmig diversifizierte Distributionsketten zu beherrschen, als einer sich in Grenzkriegen um verhältnismäßig unbedeutende Gebiete aufreibenden Territorialmacht klassischen Zuschnitts.

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht!

Auch wenn die hier geleistete Analyse der gesellschaftlichen Raumzeit, also eines politisch-ökonomischen wie ideologischen Hinzutretens einer zeitlichen Dimension zum Raum, selbstverständlich nur einen Aspekt des Verhältnisses von Ideologie, Staat und Ökonomie ausdrücken kann, zeigt sich das erschreckend passgenaue Ineinandergreifen eines sich rasant erneuernden Nationalismusdiskurses mit einer sich exponentiell beschleunigt veränderten politökonomischen Matrix hier unserer Meinung nach recht anschaulich.

Die Kritik dieses sich aus unterschiedlichen ideologischen Quellen speisenden und für verschiedene politische und ökonomische Interessenlagen baukastenartig nutzbaren deutschen Neonationalismus ist entscheidend für antifaschistische Theorie und Praxis auf der Höhe der Zeit. Kommt doch hier auch alltagspraktisch zusammen, was zusammen gehört: der grüne »Weltbürger«, der vom friedlich vereinigten guten Europa quatscht, die Christdemokratin, die den starken Wirtschaftsstandort fordert, aber auch der Nazi, allzeit bereit zu sterben, damit Deutschland leben kann. Wie integrativ dieser renovierte und meist betont harmlos daherkommende Nationalismus ist, zeigt sich nicht zuletzt am Anklang, den dieses Modell auch zunehmend bei so genannten Linken findet. Und so feiern bei der Fußballweltmeisterschaft einträchtig Oma, Opa und Hans-Peter, Kevin und Mandy, dass wir jetzt wieder stolz auf ein Deutschland sein können, das es endlich einmal »geschafft« hat, ohne sich die schwarz-rot-goldene Weste schmutzig zu machen.

~Von Sinistra! Antagonistische Assoziation.