An der Spitze des Staates Österreich steht fortan ein Liberaler und kein RechtsextremistZurAbgrenzung des hier gebrauchten Rechtsextremismusbegriffs nach Willibald Holzer gegenüber jenem des deutschen Verfassungsschutzes siehe Bernhard Weidinger, Zwischen Kritik und konservativer Agenda: eine Verteidigung des Rechtsextremismusbegriffs gegen seine Proponent*innen, in: FIPU (Hrsg.), Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen, Band 1, Wien 2014, 69-87.: Selten war es einfacher, als gute Nachricht durchzugehen. Bei aller Erleichterung über die knappe Niederlage Norbert Hofers (FPÖ) bei der Stichwahl zum Bundespräsidenten Anfang Dezember kann nicht übersehen werden: Der vor nunmehr dreißig Jahren begonnene Aufstieg der parteiförmigen extremen Rechten in Österreich erlitt dadurch nur einen vorübergehenden Rückschlag. Die Gründe dieses Aufstiegs werden nachfolgend diskutiert – mit Blick auf mögliche Ableitungen für den Umgang mit rechtsextremen Ideen und Akteur_innen, in Österreich und anderswo.
Kurze Geschichte der FPÖ
2016 feierte die Freiheitliche Partei Österreichs(FPÖ) ihr sechzigjähriges Bestandsjubiläum. Die erste Hälfte dieses Zeitraums fristete die 1956 als Auffangbecken für (National-)Liberale, ehemalige und nicht-so-ehemalige Nazis gegründete Partei ein Randdasein, bei Wahlen stets weit abgeschlagen hinter SPÖ (sozialdemokratisch) und ÖVP (konservativ). Die Ablösung des vergleichsweise liberalen Parteiobmanns Norbert Steger 1986 durch Jörg Haider markierte zum einen das Ende der ersten freiheitlichen Regierungsbeteiligung (als Juniorpartnerin der SPÖ seit 1983), zum anderen den Start eines Erfolgslaufs, der die FPÖ von knapp fünf auf rund 27 Prozent (Nationalratswahl 1999) anwachsen ließ. Haiders Erfolgsrezept ruhte auf mehreren Säulen: Ethnisierung des Sozialen (»Ausländerfrage«als Angelpunkt), Geschichtsklitterung, Demagogie und Kampfansagen gegen das »Machtkartell« der Großparteien und das »Establishment« im Allgemeinen. Aus den Wahlen 1999 ging die FPÖ als zweitstärkste Partei hervor und war in weiterer Folge erneut Teil der Bundesregierung, diesmal an der Seite der ÖVP. Die schwarz-blaue Koalition geriet für die Freiheitlichen allerdings zum Fiasko. Aufgerieben zwischen Versprechen aus der Oppositionszeit und Regierungspragmatismus, stürzten Umfragewerte und Wahlergebnisse ins Bodenlose ab, was 2005 zur Spaltung führte: Haider gründete das Bündnis Zukunft Österreich(BZÖ), Heinz-Christian Strache übernahm eine politisch und finanziell am Boden liegende FPÖ, der er eine Rückkehr zum Haider?schen Erfolgskonzept der neunziger Jahre verordnete. Erneut zog der Rechtsruck einen steilen Aufstieg nach sich. 2013 konnte die FPÖ (das BZÖ war infolge des Unfalltodes Haiders 2008 aus der politischen Landschaft verschwunden) mit 20,5 Prozent die Lücke zu den beiden Großparteien wieder annähernd schließen. Seit 2014 liegt sie in allen Umfragen auf Platz eins – mit prognostizierten Wahlergebnissen zwischen 30 und 35 Prozent.
Politische Verortung der FPÖ heute
In ihrer Geschichte oszillierte die FPÖ stets zwischen den Polen Liberalismus und (Deutsch-)Nationalismus. Das von einigen Parteiobleuten verfolgte Projekt, sie in eine liberale Partei nach FDP-Vorbild umzuwandeln, kann infolge der Obmannwahl Haiders (1986) und zweier Abspaltungen (Liberales Forum1993, BZÖ 2005) als gescheitert angesehen werden. Seit Antritt Straches 2005 ist die FPÖ, was sie über weite Teile ihrer Geschichte war: die parteiförmige Repräsentantin des österreichischen Rechtsextremismus. Dass sie diesem zugerechnet werden kann, ist in der medialen Debatte allerdings alles andere als Konsens. Hier herrscht nach wie vor die Einstufung als »rechtspopulistisch« vor. Wenngleich der politische Stil der Strache-FPÖ – Verstärkung vorhandener Ressentiments, Mobilisierung autoritär-rebellischer Impulse, angeleitete Projektion – fraglos als populistisch bezeichnet werden kann, stellt dieser Begriff mit Blick auf die von der FPÖ vertretenen Inhalte doch eine Verharmlosung dar. So kehrte der völkische Nationalismus unter Strache nicht nur in Form des Bekenntnisses zur »deutschen Volks-, Sprach und Kulturgemeinschaft« ins Parteiprogramm zurück, sondern schlägt sich auch in konkreten Forderungen nieder – etwa jener, bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Rentenansprüche nicht nur nach Staatsbürger_innenschaft, sondern auch zwischen »autochthonen« und »nicht-autochthonen« Eltern zu unterscheiden. Weitere Gründe für die Einstufung der FPÖ als rechtsextrem liefern ihre systematische Rahmung verschiedenster Interessenkonflikte als kultureller Natur; ihre – heute vorrangig antimuslimische – Feindbildpflege; ein Autoritarismus, der etwa in hymnischen Sympathiebekundungen für Viktor Orbán oder Wladimir Putin zum Ausdruck kommt; oder ihre Politik der Delegitimierung rechtsstaatlicher und repräsentativ-demokratischer Institutionen im Sinne einer Rückabwicklung liberaler Demokratie in Richtung autoritärer Formierung. Zu diesen inhaltlichen Merkmalen gesellen sich eine Bündnis-, Veranstaltungs- und Subventionierungspolitik, die die FPÖ eher als organisierendes Zentrum der extremen Rechten denn als bloßen Andockhafen für diese ausweist, sowie die tragende Rolle völkisch-nationalistischer Burschenschafter innerhalb der Partei.
Bedingungen des freiheitlichen Aufstiegs
Wer sich auf die Suche nach den Gründen für die freiheitliche Erfolgsgeschichte begibt, kommt nicht umhin, der Partei auch eine gewisse Eigenleistung zu attestieren. Zu nennen wären etwa demagogisches Geschick, Konsequenz in der Wahl und propagandistischen Aufbereitung ihrer Themen und der erfolgreiche Aufbau einer medialen Parallelwelt (FPÖ-TV, ›unzensuriert.at‹, Straches Facebook-Präsenz, etc.).
Nichtsdestotrotz wäre der nunmehr zweimalige kometenhafte Aufstieg der FPÖ nicht möglich gewesen, hätte sie nicht Bedingungen vorgefunden, die sie in vielerlei Hinsicht begünstigten. Als Österreich-unspezifisch wären dabei allem voran die soziale Ungleichheit im Kontext der warenproduzierenden Gesellschaft, Lohnarbeitszwang, systemische Krisen, Leistungsdruck und das alle soziale Interaktion durchdringende Konkurrenzprinzip anzuführen. Ihre Folgen – Abstiegsängste, soziale Atomisierung, Verunsicherung und Kontrollverluste, die Suche nach Orientierung, Welterklärung und »Identität« – bescheren, wie vielfach festgestellt, rechtsextremen Angeboten großen Zuspruch. Die Einrichtung der Gesellschaft generiert Alltagserfahrungen, die recht(sextrem)e Setzungen – wonach »der Stärkere« sich durchsetzt, Schwache »verdientermaßen« auf der Strecke bleiben, Ungleichheit normal und das Leben ein ewiger Kampf sei – fortlaufend und scheinbar bestätigen, während sie linken Beschwörungen von Gleichheit und Solidarität den Geruch des Naiven, Weltfernen und Widernatürlichen verleiht.
Auf politisch-institutioneller Ebene spielt die über Jahrzehnte nachvollziehbare Entleerung des Politischen der extremen Rechten in die Hände. Die Globalisierung und die Selbstentmachtung der Politik durch Auslagerung immer weiterer Felder aus ihrem Gestaltungsbereich haben den politischen Prozess weithin auf Standortsicherung, die Exekution von Sachzwängen, Repression und Symbolpolitik reduziert und damit auch eine Entdemokratisierung befördert. In dieses Vakuum kann die Rechte mit ihren kulturalistischen Rahmungen und der Suggestion jener Handlungsfähigkeit vorstoßen, die den »alten Eliten« abhanden gekommen zu sein scheint.
Das Ende des »Wirtschaftswunders« der Nachkriegszeit führte überdies nicht nur in Österreich dazu, dass es immer weniger zu verteilen gab und ließ den Klassenkompromiss (in Österreich institutionalisiert im korporatistischen Modell der »Sozialpartnerschaft«) erodieren. An die Stelle positiver Identitätsmarker wie »sozialer Friede«, Wohlstand und Wohlfahrtsstaat trat ein immer stärker ethnisiertes Distinktionsbedürfnis. Sozialpatriotismus wurde durch Ethnozentrismus abgelöst. Die nunmehr im Rahmen der EU vergemeinschaftete Verschärfung der Grenzregime und sukzessive Unterminierung menschenrechtlicher Standards im Asylwesen erlebte die extreme Rechte folgerichtig als Legitimierung, hatte sie doch ebendies schon immer propagiert. Zusammen mit der Sozialpartnerschaft befindet sich zudem auch das eng mit ihr verknüpfte Koalitionsmodell in der Krise: Die Zusammenarbeit der beiden (ehemaligen) Großparteien wird weithin als überholt und ineffektiv erlebt.
Nicht außer Acht gelassen werden dürfen ferner historisch-kulturelle Bedingungen wie die autoritäre, paternalistische und apolitische Prägung der politischen Kultur in Österreich (Untertan_innenmentalität, fehlendes Grundrechtsbewusstsein, Anti-Individualismus, postnazistische Konsenspolitik statt Konfliktkultur, Wunsch nach »starker Führung«). Auch die auf die Zeit der Monarchie (bis 1918) zurückverweisenden völkischen Bedrohungsgefühle bzw. Überfremdungsängste spielen, dank fortwährender agitatorischer Reaktualisierung, bis heute eine Rolle und befördern heute wie damals einen Hang zu Selbstvergewisserung durch Abgrenzung. Als folgenschwer erweist sich auch der österreichische Weg der »Bewältigung« der NS-Vergangenheit: personelle Integration nach spärlicher Entnazifizierung, Auslagerung von Verantwortung und Abwehr von Reeducation, der Mythos von »Hitlers erstem Opfer«, Antikommunismus statt antifaschistischer Grundkonsens. Der in den späten 1980er Jahren einsetzende Verfall dieses aus Mythen und Lügen gezimmerten Abwehrgebäudes rief bei vielen Österreicher_innen Reaktionen zwischen Kränkung und Aggression hervor, die Haider mit wertschätzenden Anrufungen der »Ehemaligen«, Ambivalenz in der Bewertung des NS-Regimes und »Schlussstrich«-Forderungen geschickt in politischen Erfolg zu kanalisieren wusste.
Auch identitäre Verunsicherung infolge zunehmender Diversität und der Transformation von Geschlechterrollen wurde von der FPÖ aufgegriffen und mit entsprechend reaktionären Angeboten (männliche Privilegiensicherung, traditionelle Rollenbilder und »Werte«, Brauchtumsgedöns) beantwortet. Gerade die in den letzten Jahren um sich greifende Heimatduselei, ablesbar an Trachten-Revival und grassierender ›Gabalieritis‹, liefert ein anschauliches Beispiel eines Prozesses, den sich die FPÖ ebenso zunutze macht, wie sie ihn selbst beförderte. Auch die inzwischen hegemoniale Ethnisierung von Verteilungsfragen und die gesellschaftliche Durchsetzung des antimuslimischen Ressentiments als wirkmächtigster Differenzmarker wurden von der FPÖ ebenso vorangetrieben, wie sie davon profitierte.
Fehler im Umgang mit der FPÖ.
Die Parteien der »Mitte«: Rhetorische Distanzierung, inhaltliche Angleichung
Die lange Liste der Fehler im Umgang mit der FPÖ beginnt bei der Appeasement-Politik von ÖVP und SPÖ: Halbherzige rhetorische Abgrenzung wird dabei seit Jahrzehnten von inhaltlicher Annäherung flankiert. Mit der Übernahme immer neuer Forderungen von rechts außen ging auch eine objektive Legitimierung ihrer Träger_innen einher. Inzwischen brechen mit der seit 1986 geltenden Nicht-Koalitions-Politik der Sozialdemokratie gegenüber der FPÖ auch die letzten Dämme. Im Burgenland regiert seit 2015 eine rot-blaue Koalition und auf Bundesebene bastelt neben der ÖVP auch der rechte Flügel der SPÖ an einer künftigen Zusammenarbeit. Das Fehlen eines antifaschistischen Grundkonsenses, der im konservativen und sozialdemokratischen Lager gleichermaßen verbreitete Überdruss an der (ehemals) großen Koalition und strategischer Opportunismus erklären diese Entwicklung nur zum Teil. Zu verweisen ist darüber hinaus auf Veränderungen in der Sozialdemokratie selbst. Ihr Abschied vom Klassenstandpunkt und von Visionen überhaupt beförderten eine Technokratisierung, die außer der sozialen Abfederung neoliberaler Standortpolitik nichts anzubieten hat und sich im Krisenfall auch für regressive (nationalistische, ethnisierende) Lösungsansätze offen zeigt.
Die mit der zuvor angesprochenen Entleerung des Politischen einhergegangene Angleichung des politischen Angebots zwischen Sozialdemokratie, Liberalen, Konservativen und Grünen ermöglichte es Parteien wie der FPÖ, als einzige Kraft zu erscheinen, die dem Status quo eine alternative Vision entgegensetzt, wenn auch eine auf Abwertung und Ausgrenzung basierende. Das der FPÖ überlassene Visionsmonopol zeigt sich am eindrücklichsten am Unwillen der anderen Parlamentsparteien, strukturelle Kritik an der EU zu üben.
Die historische Verspätung und bis heute manifeste Schwäche des liberalen Bürger_innentums in Österreich macht auch die Mitte offen für autoritäre Eingriffe. Parteipolitisch bildet jene liberale Bürger_innenschicht heute die wichtigste Wähler_innenbasis der im parlamentarischen Spektrum am weitesten links angesiedelten Partei: der Grünen. Für den Stempel »Linkspartei« reicht in Österreich freilich bereits ein konsequentes Bekenntnis zu Menschenrechten. Und so versinnbildlicht der Status Quo grüner Politik sich im Stereotyp des modernen Biedermeiers, der_die Fair Trade kauft, während sie_er die Leistungsgesellschaft affirmiert und sich als weltoffen geriert, während ihn_ihr bei dem Gedanken, den eigenen Sprössling in eine öffentliche Schule zu geben, das blanke Grauen befällt. Freiheitliche Erfolge analysiert dieser Typus dann auch bevorzugt als Prolet_innen-, bzw. euphemistischer: als Bildungsproblem. Angesichts eines 85 Prozent-Anteils an Hofer-Wähler_innen unter den wahlberechtigten Arbeiter_innen bei der Bundespräsidenten-Stichwahl ist dieser Fokus zwar in gewisser Weise verständlich, Alarmismus ist jedoch ebenso wenig angebracht wie bildungsbürgerlicher Dünkel. Zum einen da der Skandalisierung oft mehr klassistische Zuschreibung als Analyse zugrunde liegt. Zum anderen insofern als der im Vergleich hohe Anteil an Wechselwähler_innen unter der (ehemaligen) sozialdemokratischen Kernklientel darauf verweist, dass es sich nach wie vor um ein politisch umkämpftes Feld handelt.Von 1979 bis zur Nationalratswahl 1999 stieg der Anteil der FPÖ-Wähler_innen unter österreichischen Arbeiter_innen zwar von 4 Prozent auf 47 Prozent an, während dieSPÖ bei ihrer Kernklientel im gleichen Zeitraum von 65 Prozent auf 35 Prozent abrutschte; allerdings wurde die Entwicklung mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ gestoppt, da diese 2002 gerade in diesem Wähler_innensegmenteinen historisch einmaligen Stimmenverlust von fast der Hälfte auf 16 Prozent einfuhr. Auch wenn sie die SPÖ zwischenzeitlich mit 34 Prozent zu 24 Prozent neuerlich überholen konnte, ist es - gerade vor dem Hintergrund einer nach rechts rückenden Sozialdemokratie - weiterhin möglich, dass sich das Ergebnis wieder zugunsten der SPÖ dreht. Insofern wäre die wohl wichtigste Frage aus linker(er) Perspektive, wie die partielle sozialdemokratische Hegemonie seit den siebziger Jahren derartig erodieren konnte. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Kapitulation vor den beiden seit den Achtzigern für die FPÖ zentralen politischen Narrativen: zum einen ein »Anti-Establishment«-Frame, in dem sich die FPÖ als Fürsprecherin des »kleinen Mannes« konstruiert; zum anderen ein »Überfremdungs«-Frame, der zunächst rein biologistisch-völkisch funktionierte und ab Mitte der 2000er Jahre, kulturalistisch-antimuslimisch aufgeladen, in ein generelles Untergangs-Narrativ eingebunden wurde. In diesem fällt Europa aufgrund mangelnder »Wehrhaftigkeit« und verräterischer Polit-Eliten einer fortschreitenden »Islamisierung« zum Opfer.Vgl. CarinaKlammer, Imaginationen des Untergangs. zur Konstruktion antimuslimischer Fremdbilder im Rahmen der Identitätspolitik der FPÖ, Wien 2013. Anstatt derartige Narrative auszuhebeln und vermeintlich ethnische Konflikte als soziale zu repolitisieren, beschränkte auch die Sozialdemokratie sich weitgehend auf Kritik an der Darbietungsform (»Hetze«) und am postfaktischen Gehalt (»Lüge«) der freiheitlichen Botschaften sowie auf das Einmahnen »konstruktiver Lösungsansätze«. Am Ende treffen sich jedoch alle, von rechts außen bis mitte-links, in der prinzipiellen Befürwortung von Grenzschließung zur Sicherung des »nationalen Wohlstandes«. Mit dem Unterschied, dass dies aus Perspektive der extremen Rechten einen Schritt darstellt, den Status quo zu verändern, während die Mitte ihn damit aufrechtzuerhalten sucht. Dieselbe Tendenz, sich an rechtsextreme Vorstöße populistisch gewendet anzupassen, anstatt die »Politik mit der Angst«Ruth Wodak, Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse, Hamburg 2016. zu dekonstruieren, kann auch an der medialen Berichterstattung nachvollzogen werden.
Medien: »Rechtspopulismus« als Quotengarant?
Die Normalisierung des Rechtsextremismus treibt bereits seit Haider auch in der Medienlandschaft ihre Blüten, was nicht zuletzt mit der Stärke des Boulevards und der starken Medienkonzentration in Österreich zusammenhängt. Eine Pionierfunktion hatte dabei die Neue Kronenzeitung(NKZ), die relativ zur Bevölkerungszahl auflagenstärkste Tageszeitung der Welt. Auch die Berichterstattung liberaler Medien reproduziert nicht selten das Schüren von Angst vor »Fremden« im Allgemeinen und Muslim_innen sowie Geflüchteten im Besonderen. Zur medienvermittelten Normalisierung des Rechtsextremismus trägt zudem die Weigerung bei, das Phänomen beim Namen zu nennen: FPÖ-Erfolge werden chronisch als »Protest«-Voten verharmlost, was auf die Entlastung jener »gesellschaftlichen Mitte« hinausläuft, als deren Vertreterin die FPÖ sich inzwischen, leider nicht ganz zu Unrecht, geriert.
Ein weiteres Problem ist die mediale (Über-)Repräsentation: Vor allem in den neunziger Jahren erhielt die FPÖ eine im Vergleich mit den eigentlichen Regierungsparteien unverhältnismäßige Aufmerksamkeit. Dies ist nicht zuletzt auf das sich kritisch gebende Kokettieren mit auflagen- und quotengenerierenden Schreckgespenstern wie Haider oder Strache zurückzuführen, dass deren Selbstinszenierung als Rebellen gegen »Altparteien« und »Establishment« immer schon in die Hände spielte. Die linksliberale Zeitung Falterbelegte Haider daher bereits in den neunziger Jahren mit einem »Bilderverbot«, um darauf hinzuweisen, dass »die Sprache der Bilder gerade auch dort propagandistisch wirkt, wo der Text kritische Auseinandersetzung versucht«.http://0cn.de/k2ml. Von solcher (Selbst-)Reflexion hat sich die österreichische Medienlandschaft zusehends entfernt. Stattdessen werden – nicht zuletzt auch im öffentlichen Rundfunk – selbst marginalen Gruppen wie den »Identitären« breite Propagandaplattformen geboten. Begründet wird dies wahlweise mit einer vermeintlichen journalistischen Pflicht, »alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen« oder damit, dass Rechtsextreme sich ohnehin »selbst entzaubern« würden, so ihre Mitdiskutant_innen dies nicht erledigen sollten. Letztlich befördert die Berichterstattung mitdem Rechtsextremismus statt überihn jedoch vor allem eines: dessen weitere Normalisierung.Ausführlich dazu: http://0cn.de/123t.
Leerstellen und Lehren für die Linke
Als ein Symptom der »österreichischen Zustände« zeigt sich, dass die Linke einen Großteil ihrer Energie für antifaschistische Abwehrkämpfe aufwendet und damit auch weite Teile jener Arbeit anstößt oder selbst übernimmt, die etwa in Deutschland von staatlichen Institutionen oder der »bunt-gegen-braun«-Zivilgesellschaft erledigt wird. So greift linke Politik mitunter nicht viel weiter als der bürgerliche Antifaschismus. Auch herrscht eine beträchtliche Hemmung vor, die ohnehin spärliche Zivilgesellschaft, wenn sie einmal sich aufzuraffen bequemt, gleich wieder von links unter Druck zu setzen. Dies verdeutlichte nicht zuletzt der unsichere Umgang der radikalen Linken mit der 2015 kurz aufflackernden »Willkommenskultur«. Im autonomen Spektrum begünstigen diese Zustände einen Verbalradikalismus mit Hang zu selbstreferentiellen Obsessionen. Derartige Inszenierungen entspringen nicht zuletzt einem (zum Teil nachvollziehbaren) Ohnmachtsgefühl: So gering ist die Anschlussfähigkeit der eigenen Positionen an breitere Gesellschaftsschichten, dass diesen lieber der Kampf in toto angesagt wird. Dies führt jedoch auch dazu, dass die Theorie und Praxis emanzipatorischer Gegenentwürfe gegenüber Schaukämpfen ins Hintertreffen gerät.
Ein aktuelleres Problem stellt die seit Beginn der zweitausender Jahre beobachtbare (Teil-)Spaltung antirassistischer und antifaschistischer Perspektiven dar. Schon seit Zusammenbruch des Realsozialismus und der bipolaren Weltordnung wird die Ungerechtigkeit im Weltmaßstab zunehmend anhand der Formel »›der Westen‹gegen ›den Islam‹« zum ideologischen Spektakel, an dem auch die Linke nicht immer zur Gänze unbeteiligt ist. Die damit einhergehenden Grabenkämpfe und Opferkonkurrenzdebatten zwischen eher hegemonietheoretisch-antirassistisch verorteten sowie ideologie- und antisemitismuskritischen Ansätzen drehen sich einerseits um die Frage, ob antimuslimischer Rassismus Antisemitismus als hegemoniales Feindbild abgelöst habe, wie nicht wenige unter Verweis auf die seit 2005 das Feindbild Muslim_innen agitatorisch ins Zentrum rückende und sich gleichzeitig (bislang weitgehend erfolglos) an die israelische Rechte anbiedernde FPÖ argumentieren. Andererseits scheiden sie sich an der Einschätzung darüber, ob die Schrecken des Terrors in den westlichen Ländern eurozentristisch überbetont werden bzw. wem für diese die Hauptschuld angelastet werden soll: der islamistischen Ideologie oder vielmehr dem Westen selbst.
Mit der Zunahme islamistischer Anschläge (nicht nur in Europa) scheinen sich die Positionen weiter zu verhärten. Antirassistische Perspektiven reduzieren hierbei Antisemitismuskritik mitunter auf täter_innengesellschaftlichen Eurozentrismus, insbesondere indem dessen aktuelle Formen – sei es struktureller, israelbezogener oder islamisierter Antisemitismus – negiert werden. Der FPÖ fällt es vor diesem Hintergrund nicht schwer, sich als entschiedenste Kritikerin eines islamisch verbrämten Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft zu inszenieren. Gleichzeitig werden reaktionäre Einstellungen bei Muslim_innen (bzw. Marginalisierten im Allgemeinen) aufgrund einer paternalistischen (Pseudo-)Rassismuskritik gerne ausgeblendet.Exemplarisch: http://0cn.de/5txh. Antirassistische Kontexte müssten essentialisierende Identitätspolitik stärker kritisieren, wie sie etwa in Aufrufen zur Allianzbildung mit »den« Muslim_innen aufscheint. Ein Faktum, das vom ideologiekritischen Spektrum richtigerweise kritisiert wird, mitunter jedoch dazu führt, die Analyse von antimuslimischem Rassismus zu verabschieden bzw. als Generalangriff auf Antisemitismuskritik abzuwehren.http://0cn.de/5m74. Ideologiekritische Kontexte müssten sich zudem von der Idee verabschieden, dass der Hinweis auf die gegenwärtige Breitenwirksamkeit des antimuslimischen Ressentiments einem Belittlement von real existierenden Problemen gleichkomme. Vielmehr müssten sie hinterfragen, inwieweit eine primär auf Koranexegese basierende (Pseudo-)Islamkritik aus den eigenen Reihen essentialisierende Dimensionen beinhaltet, die dem von der FPÖ systematisch befeuerten, aber auch weit ins bürgerliche Zentrum vorgedrungenen antimuslimischen Diskurs zuspielen – etwa, wenn a priori vorausgesetzt wird, dass sich religiöse Ideologie eins zu eins ins Individuum übersetze.Exemplarisch: Thomas Maul, Sex, Djihad und Despotie, Freiburg 2010. Derartige Fehlschlüsse hängen einerseits mit einem theoretisch zu eng gefassten Rassismusbegriff zusammen, der differentialistischen oder »kulturalistischen« Rassismus nicht als solchen fasst. Zum anderen berühren sie – als Ausdruck der Opferkonkurrenz-Logik – nicht nur analytische Fragen, sondern auch jene der (Nicht-)Anerkennung politischer Kämpfe.
Aktuell ist antimuslimischer Rassismus jedoch auch deswegen ernst zu nehmen, da er, in Kombination mit dem strukturell antisemitischen Anti-Establishment-Frame, eine ideologische Basis für die rechten und rechtsextremen Wahlerfolge der letzten Jahre liefert. Insofern müsste eine Linke stärker an der Überwindung ihrer Grabenkämpfe arbeiten und die gegenwärtige Verzahnung von Rassismus und Antisemitismus ernst nehmen.
Angesichts der jüngsten Terroranschläge in Europa sowie einer Welt, die im Allgemeinen zunehmend aus den Fugen zu geraten scheint, ist mehr denn je zu befürchten, dass eine Politik mit der Angst das Potenzial hat, Rechtsextreme in ganz Europa an die Regierungen zu bringen. Gleichzeitig setzen auch Linke der Kulturalisierung und Ethnisierung sozialer Fragen – der gemeinsamen Geschäftsgrundlage von Rechtsextremen und Islamist_innen – häufig die falschen Antworten entgegen bzw. nehmen selbst daran teil. Dementgegen müsste Ideologiekritik wieder auf die Höhe der Zeit gehoben – und umgekehrt Identitätspolitik vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Julia Edthofer/ Carina Klammer / Bernhard Weidinger
Julia Edhofer ist Soziologin in Wien, arbeitet derzeit hauptsächlich zu israelbezogenem Antisemitismus in der Linken und Reibeflächen von Antisemitismus- und Rassismuskritik.
Carina Klammer ist Soziologin in Wien, arbeitet zur extremen Rechten im Postnazismus.
Bernhard Weidinger ist Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien.
Die Autor_innen sind Teil der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).