Freud’sches Versprechen

Zum gesellschaftskritischen Potential der Psychoanalyse

A dangerous method (Eine dunkle Begierde) lautet der Name eines Spielfilms, der kürzlich in den deutschen Kinos angelaufen ist. Der Film handelt von den Psychoanalytikern Sigmund Freud und Carl-Gustav Jung sowie der jungen Patientin Sabina Spielrein (die später selbst Psychoanalytikerin wurde). In dem Film geht es um unterdrückte sexuelle Wünsche beziehungsweise das Ausleben derselben, um Neurosen und deren Heilung mit Hilfe einer damals neuen kathartischen Behandlungsmethode: der Psychoanalyse. Was immer man von dem Film halten mag, er bringt die Psychoanalyse derzeit einem breiten Publikum nahe und wirft einen Blick auf die historische Entstehung der Methode sowie die Streitigkeiten, die diese von Beginn an aufwarf. Seit ihrer Entstehung handelt es sich um eine höchst umstrittene Theorie und Therapieform, die im Laufe ihrer Geschichte viele Umdeutungen, Revisionen, Fortschreibungen und Weiterentwicklungen erfahren hat und aus der sich mittlerweile unterschiedliche psychoanalytische »Schulen« in vielen Ländern entwickelt haben.

Wir gehen in diesem Heft der Bedeutung und Relevanz der Psychoanalyse für eine linke/linksradikale Gesellschaftskritik nach und fragen, welche Rolle dasjenige, was man gemeinhin die Psyche nennt, heute im Prozess der Vergesellschaftung spielt und wie angemessen darüber gesprochen werden kann – gerade vor dem Hintergrund der sich verändernden Lebensverhältnisse. Über die Frage, ob die Psychoanalyse für eine Gesellschaftskritik zwingend notwendig ist, gibt es innerhalb der Linken sehr unterschiedliche Ansichten. Viele Kritiken der Gesellschaft kommen ja tatsächlich gut ohne die psychoanalytische Theorie aus. Für die Erfassung allein der »Bewegungsgesetze« der kapitalistischen Gesellschaft braucht es die Psychoanalyse sicherlich nicht – um eine Marx-Lektüre wird man aber wohl kaum herumkommen. Gilt das Interesse aber einer Analyse des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, die sich der subjektiven Seite von Vermittlungs- und Zurichtungsprozessen widmet, ist eine Subjekttheorie gefragt, die genau diese Zurichtungs- und Vermittlungsprozesse innerhalb des Subjekts aufzeigen und somit erklären kann, wie sich Gesellschaft im Individuum einschreibt und widerspiegelt.

Historisch betrachtet war es das Frankfurter Institut für Sozialforschung, das die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Psychoanalyse und Gesellschaftstheorie begründet hat. Ausgangspunkt war dabei die Frage, warum die Revolution nicht stattgefunden hatte. Weil der Marxismus neben seiner Analyse der Bewegungsgesetze des Kapitalismus nicht zuletzt als Revolutionstheorie angetreten war, kam er in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts in arge Erklärungsnöte: Wenn die Verelendungstheorie stimmen sollte, wo blieb dann die Revolution? Wie war es um das revolutionäre Bewusstsein der Arbeitenden und Angestellten bestimmt? Gerade das Proletariat war in Deutschland nicht vereint, sondern höchst gespalten. Es hatte nicht nur den Ersten Weltkrieg nicht verhindern können, sondern war sogar freudig in den Krieg gezogen. Von einem revolutionären Bewusstsein waren die ArbeiterInnen weit entfernt. Das alles warf Fragen auf, die ein rein ökonomischer Zugang nicht beantworten konnte. Es bedurfte einer Theorie des Subjekts, die die Vermittlungszusammenhänge zwischen Bewusstem, Unbewussten und Gesellschaft aufzudecken in der Lage war. Dieser Aufgabe – der Entwicklung einer analytischen Sozialpsychologie – nahm sich das Frankfurter Institut für Sozialforschung unter der Leitung von Max Horkheimer Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts an. Hier wurde ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt, der marxistische und psychoanalytische Theoriebildung vereinen sollte. Der Psychoanalytiker Erich Fromm führte 1930/31 die »Arbeiter- und Angestelltenerhebung« durch, um ein Bild über die oben erwähnte revolutionäre oder eben nicht revolutionäre Gesinnung von ArbeiterInnen, Angestellten und unteren Beamten zu bekommen. Das Ergebnis war recht ernüchternd: Obwohl viele ArbeiterInnen politisch die KPD wählten, waren sie doch innerfamiliär konservativ eingestellt und befürworteten einen autoritären Umgang in der eigenen Familie. Ein nicht zu verachtender Anteil der Arbeitenden und Angestellten (15 Prozent) war sogar offen autoritär eingestellt. Die Erkenntnis, dass zwischen den Bewusstseinsformen und der politischen Einstellung von Menschen mitunter eine große Differenz besteht, war für die spätere Forschung des Instituts für Sozialforschung zentral und beeinflusste auch die nach dem Krieg entstandenen Arbeiten zum autoritären Charakter. 

In ihrem Buch Dialektik der Aufklärung legen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ferner dar, wieso ein Phänomen wie der Antisemitismus ihrer Ansicht nach nur in einer interdisziplinären Betrachtung begriffen werden kann, in der die Psychoanalyse ein zwingender Bestandteil sein muss. In dem Kapitel »Elemente des Antisemitismus« beschreiben die Autoren nicht nur wie sich der Antisemitismus aus religiösen, ökonomischen und historischen Gründen heraus entwickelt, sondern  wie er sich innerhalb der Subjekte gestaltet. In der »pathischen Projektion« sehen Adorno/Horkheimer einen zentralen Mechanismus antisemitischer Einstellung: Subjekte projizieren eigene, vom Über?Ich verpönte libidinöse oder destruktive Wünsche auf die Juden, um sie dort benennen und angreifen zu können. Die antisemitischen Zeichnungen des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer sind ein gutes Beispiel für solche Projektionen, in denen das Bild des mordenden, vergewaltigenden, raffgierigen Juden gezeichnet wird, den es zu bekämpfen gelte. Der Mechanismus der Projektion spielt aber nicht nur beim Antisemitismus eine Rolle: Genauso gut können viele rassistische Vorurteile mit Hilfe der Psychoanalyse aufgedeckt und als Projektionen entschlüsselt werden. Und das gilt für damals wie für heute, denn auch wenn sich Phänomene wie der Antisemitismus und Rassismus in ihren Ausdruckformen verändern, so bleiben doch die zugrunde liegenden Strukturmechanismen gleich. 

Zentral innerhalb der psychoanalytischen Theorie ist die Annahme eines Unbewussten, also einer Instanz im Individuum, die die bewussten und rationalen Gedanken des Subjekts permanent unterläuft, die ihm selbst aber gar nicht direkt zugänglich ist. Freud hat – nicht gerade bescheiden – für sich in Anspruch genommen, mit seiner Theorie vom Unbewussten der Menschheit eine dritte große Kränkung zugefügt zu haben. Er stellt sich damit in eine Reihe mit Copernicus und Galileo, die herausfanden, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, sondern sich um die Sonne dreht, sowie mit Darwin und seiner Evolutionstheorie. Die dritte große Kränkung bestehe nach Freud in der bitteren Einsicht, dass der Mensch nicht »Herr im eigenen Hause« sei. Für das Selbstbild des bürgerlichen, aufgeklärten Menschen tatsächlich eine nicht zu verachtende Kränkung und für die Entwicklung einer Sozialpsychologie der Gesellschaft eine nicht hoch genug zu schätzende Erkenntnis. So wird auch eine Parallele der Freud’schen Theorie mit der Marx’schen offensichtlich: Während Marx analysierte, dass die Menschen den von ihnen nicht durchschauten Gesetzmäßigkeiten ökonomischer Prozesse unterliegen und diese ihnen wie ein äußerer Zwang und eine Objektivität gegenübertreten, so sind es bei Freud die unbewussten Triebregungen, die von den Subjekten nicht durchschaut werden, die aber ihr bewusstes Denken oftmals mehr bestimmen als ihnen lieb ist. Marx hat also die innersten Strukturprinzipien der kapitalistischen Gesellschaft beschrieben und allein durch die Darstellung eben jener Funktionsweise eine Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft geliefert, indem er aufzeigte, wie diese systematisch Unrecht, Ausbeutung und Armut produziert. Er hat damit nicht, wie viele Ökonomen vor ihm, nur beschrieben, was von außen zu erkennen ist und wie die Ordnung der Gesellschaft in Erscheinung tritt, sondern er hat die der Erscheinung zugrunde liegenden Strukturen erkannt. Und ganz Ähnliches hat Freud auf dem Gebiet der menschlichen Psyche geleistet: Mit der Psychoanalyse war zum ersten Mal eine Theorie an die Öffentlichkeit getreten, die nicht nur das gelten ließ, was die Menschen über sich selbst erzählten, sondern die versuchte, mit der ihr eigenen Methode den verborgenen Sinn im Gesagten zu erkennen. Die Ähnlichkeit zwischen Marxismus und Psychoanalyse besteht also vor allem in einem Misstrauen beziehungsweise einer Skepsis gegenüber der Selbstdarstellung der bürgerlichen Gesellschaft und des bürgerlichen Individuums. Wenn aber die Neurosen aus der Struktur einer Gesellschaft abgeleitet werden, in der sie nicht abzuschaffen und Konflikte in jeder Entwicklung unvermeidbar angelegt sind, dann hieße Freud ernst zu nehmen zugleich auch immer, die bestehende Gesellschaft in Frage zu stellen – auch wenn Freud das selbst nie in dieser Form getan hat. 

Dennoch ist die Bezugnahme auf Freud, wie oben schon erwähnt, innerhalb der Linken keineswegs selbstverständlich oder gar konsensfähig. Auch wenn die Psychoanalyse vielen als taugliches Analyseinstrument des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft dient, so bietet sie zugleich einigen Übereifrigen die Möglichkeit, mittels psychoanalytischer Begrifflichkeiten, den/die politische(n) Gegner/Gegnerin in unzulässiger Weise zu denunzieren oder pathologisieren. Es ist sicher nicht zuletzt diese Verwendung der Psychoanalyse als rhetorische Waffe, die die Antipathien ihr gegenüber stetig schürt. 

Aber es gibt auch inhaltliche Kritik an der Psychoanalyse. Der häufigste Vorwurf ist dabei der des Determinismus: Die Psychoanalyse leite alles aus der Kindheit ab, so heißt es etwa, und schreibe damit menschliche Entwicklung in normativer Weise fest. Das Konzept autonomer Entscheidungsfreiheit sei daher ausgeschlossen. Auch psychoanalytische Modelle wie zum Beispiel der »Ödipuskomplex« oder die »drei Instanzen« erklären sich nicht von selbst, und erscheinen auf den ersten Blick vielleicht krude oder unplausibel. Vor allem aber wird eine starke Kritik an den Freud’schen Thesen aus feministischer Sicht formuliert. Es finden sich viele Passagen in Freuds Werk, die sich als sexistisch, phallozentristisch und homophob lesen lassen und es an vielen Stellen auch sind.

Kritiken und (Vor-)Urteilen über die Psychoanalyse widmet sich Melanie Babenhauserheide in ihrem einführenden Artikel. Indem sie einige gängige Einschätzungen dar- und widerlegt (die Psychoanalyse argumentiere biologistisch und deterministisch, ließe dem Individuum keinen Spielraum für eine freie Entwicklung, da sie alles aus frühkindlichen Erfahrungen heraus erkläre, die überdies sämtlich eine sexuelle Bedeutung haben sollen, die Psychoanalyse tauge nicht zur Analyse der Gesellschaft, denn sie befasse sich nur mit Individuellem usw.), klärt sie nicht nur einige zentrale Begriffe der Psychoanalyse, sondern reflektiert diese zugleich kritisch. Neben einer Einführung in die wichtigsten Theoreme liefert Babenhauserheide außerdem einen Einblick in die Vorgehensweise des psychoanalytischen Denkens anhand seiner Verhaftung in Erfahrung und seiner Entwicklung an konkreten Fällen. So kann sie zeigen, dass Psychoanalyse in ihrem Denken eben nicht deterministisch, sondern im Gegenteil rekonstruktiv vorgeht und die psychoanalytischen Begriffe selbst nicht als Setzungen zu verstehen sind, sondern konsequent weiterentwickelt und umgestaltet wurden. 

Wie kann man sich dann heute überhaupt aus einer emanzipatorischen und feministischen Sicht auf Freud beziehen? Und geschieht das auch? Diesen Fragen folgt Merve Winter in ihrem Beitrag über die feministische Kritik an der Psychoanalyse. Zunächst geht sie dabei auf die Anfänge der Freud’schen Weiblichkeitstheorie zurück, die sie in ihren Grundzügen für verfehlt erklärt, um sich im Anschluss anhand einiger exemplarischer Positionen der feministischen Freud-Rezeptionen zuzuwenden. Sie bezieht sich dabei auf Karen Horney, eine zeitgenössische Kritikerin Freuds, die dessen am Knaben orientierter Interpretation weiblicher Entwicklung widerspricht und versucht, ihm ein genuine, weibliche Sexualentwicklung entgegenzusetzen – dabei aber aus einer konstruktivistischen Perspektive hinter Freud zurückfällt. Kritik an der Fokussierung Freuds auf die heterosexuelle Anziehung übt Theresa de Laurentis, deren Überlegungen zu lesbischem Begehren Merve Winter anreißt, bevor sie abschließend die Tauglichkeit der psychoanalytischen Theorie für aktuelle Queerdebatten abwägt.

Aus einer historisch-kritischen Perspektive widmet sich Bernd Nitzscke der Psychoanalyse im Nationalsozialismus. Ausgangspunkt seiner Betrachtung ist die Behauptung, die Psychoanalyse sei von Hitler und den Nazis in Deutschland durch die Vertreibung vieler ihrer VertreterInnen und die Übernahme ihrer Institutionen vollständig zerstört worden. Nitzschke argumentiert, die Nazis hätten sich die psychoanlytischen Institutionen einverleiben können, weil jene in einem Akt der »Selbstpreisgabe« die Anliegen ihrer Theorie dem Nationalsozialismus dienstbar gemacht und in vorauseilendem Gehorsam politisch unliebsame oder jüdische Mitglieder zum »freiwilligen Austritt« gezwungen hätten.

Mit dem Verhältnis von Psychoanalyse und Kritischer Theorie befasst sich Oliver Jelinski in seiner Auseinandersetzung mit Adornos Subjektbegriff. Nach einer kritischen Analyse dessen Freudrezeption, erkennt er in Adorno und seinem Bild vom Subjekt als Resultat von Vernarbungen einen Harmoniegedanken, bei dem nach Jelinksi eine Romantisierung des bürgerlichen Subjektes durchscheine. Gegen die Vorstellung eines entstellten Subjekts, das als unreglementierter Rest gegen das Allgemeine verteidigt werden müsse, betont Jelinski, dass das Allgemeine selbst durch die Praxis der Subjekte konstruiert würde, dass folglich nicht nur die Individuen von der Objektivität her gedacht werden müssten, sondern umgekehrt auch die Objektivität, wie sie sich dem konstruierenden Subjekt gegenüberstellt.

Sebastian Tränkle widmet sich in seinem Artikel der Dialektik von Freiheit und Determination. Ausgehend von Freud diskutiert er die »Schicksalsfrage der Menschenart«, ob diese aufgrund ihrer Triebstruktur zu ewiger Unterdrückung bestimmter Regungen im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens verdammt sei, wie es Freud in seiner Schrift Das Unbehagen in der Kultur nahelegt. Dessen desillusionierender Einschätzung widerspricht Tränkle, wobei er Argumente für seine Kritik an der fatalistischen Botschaft auch aus dem widerspruchsvollen Denken Freuds selbst bezieht. Er plädiert für das Festhalten am Versuch, eine befreitere Gesellschaft einzurichten. Eine Gesellschaft, die nicht auf der Matrix harscher Triebunterdrückung funktioniert, sondern die es sich zu Aufgabe macht, fortwährend an der Ausdehnung der Grenzen menschlicher Glücksgewinnung zu arbeiten.

Christine Kirchhoff fragt in ihrem Beitrag »Hass auf Vermittlung und Lückenphobie – Zur Aktualität der Psychoanalyse« nach dem Potential der Psychoanalyse für eine kritische Theorie der Gesellschaft. Mit Rückgriff auf Horkheimer und Adorno legt sie dar, dass es für eine Kritik der Gesellschaft nicht ausreicht, beispielsweise mit Marx ihre Strukturgesetze zu verstehen, sondern dass auch die subjektiven Seite der Verhältnisse in Betracht gezogen werden muss. Zwar finde sich in der psychoanalytischen Theorie gerade kein Begriff der Gesellschaft, jedoch, so Kirchhoff mit Adorno, sei es nicht zuletzt durch Freuds Denken möglich, das Gesellschaftliche auch im Innersten der Menschen aufzuspüren. Zwar könnten die psychoanalytischen Kategorien nicht einfach auf die Gesellschaft übertragen werden, doch kommt der Psychoanalyse das Potential zu, den Vermittlungscharakter zwischen der/dem Einzelnen und der Gesellschaft zu bestimmen.

In einem ausführlichen Interview spricht der Philosoph Christoph Türcke über die Rolle Freuds und der Psychoanalyse in seinem Denken. Knotenpunkte seines Denkens wurden die Traumdeutung, die als Inspiration für Türckes eigene Philosophie des Traumes diente; außerdem das Konzept vom »traumatischen Wiederholungszwang«, dem er ein »kulturstiftendes« Moment attestiert. Die erstarkenden Neurowissenschaften  sieht Türcke nicht notwendigerweise in Gegnerschaft zur Psychoanalyse. Im Gegenteil sei die Verhaftung der Psychoanalyse in unterschiedlichen Disziplinen gerade ihr Lebenselixier und eine Abschottung der Psychoanalyse gegen die Neurowissenschaften darum weder sinnvoll noch nötig. Im letzten Teil spricht Türcke schließlich über seinen Naturbegriff, über den Trieb und das ihm innewohnende utopische Potential.

Eine Anwendung findet das psychoanalytische Instrumentarium schließlich in Michael Höttemanns Analyse des US-amerikanischen Comics Foreskin Man, der seit einiger Zeit im Internet begutachtet werden kann. Der Autor untersucht den Kampf des titelgebenden Superhelden mit seinem Widersacher »Monster-Mohel« um die genitale Unversehrtheit aller Knaben und Männer mithilfe psychoanalytischer Kategorien, wobei er nicht nur zu dem Schluss kommt, es handele sich bei dem Comic um eine vor antisemitischen Topoi strotzende narzisstische Wunschphantasie. Höttemann vertritt außerdem die These, die Erzählung sei symptomatisch für eine Krise des männlichen (white anglo-saxon protestant) Individuums, die auf dem Schauplatz seiner Körperlichkeit ausgetragen wird und die durch die gegenwärtige Wirtschaftskrise nur verstärkt würde. 

Die Artikel dieses Schwerpunkts der Phase 2 widmen sich damit verschiedenen Facetten psychoanalytischer Theoriebildung. Sie liefern weder eine umfassende Einführung in die Psychoanalyse noch wird ein eindeutiger linker Standpunkt formuliert. Vielmehr geht es um die Frage nach der politischen Relevanz, der gesellschaftskritischen Schlagkraft aber auch nach möglichen Problemen einer theoretischen Anknüpfung an die Psychoanalyse. Die Artikel diskutieren, wie gesellschaftlichen Zurichtungs- und Vermittlungsmechanismen sowie der psychopathologischen Funktionsweise von Ideologien auf die Spur zu kommen ist. Der Schwerpunkt möchte damit unterstreichen, dass eine psychoanalytisch inspirierte Theorie des Subjekts Bestandteil einer materialistischen Gesellschaftskritik sein kann.

Phase 2 Berlin