Gegen das Vergessen

»Das kann man nicht erzählen«, das Zitat eines der wenigen Überlebenden der Aktion 1005 ist Ausdruck des hoffnungslosen Versuches, angemessen und umfassend über dieses Verbrechen zu berichten. Jens Hoffmann versucht in seiner aktuellen Arbeit trotzdem, sich diesem Thema mit der gebotenen Feinfühligkeit zu nähern. Er lässt die wenigen Überlebenden der Aktion 1005 zu Wort kommen, trägt Quellen und Aussagen aus staatsanwaltlichen Vernehmungen der TäterInnen zusammen. Hervorzuheben ist, dass er die Biografien der TäterInnen und ihr geruhsames Leben nach 1945 dokumentiert. Den mit Abstand beeindruckendsten Teil dieser Arbeit stellen aber die Augenzeugenberichte der Überlebenden dar. Sie erzählen, was man nicht erzählen kann, was nicht in Worte zu fassen ist. Lesenswert ist zudem die Einführung mit den wichtigsten Hintergrundinformationen zum Thema, die auch persönliche Wertungen des Autors enthält.

Die Aktion 1005 oder auch Enterdungsaktion ist ein Teil des Holocaust, der bisher nur am Rande historisch aufgearbeitet wurde. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann für Deutschland militärisch und politisch (ideologisch) die entscheidende Phase des Zweiten Weltkrieges. Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik – mit einem riesigen mechanisierten und strukturierten Apparat – hatte bereits in anderen osteuropäischen Staaten, insbesondere in Polen, Vernichtungsaktionen vor allem an der jüdischen Bevölkerung durchgeführt. Neben Wehrmachtseinheiten und SS-Verbänden fielen auch die sogenannten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1941 in die Sowjetunion ein. Sie folgten den militärischen Verbänden, ihre Aufgabe bestand in der »Sonderbehandlung der potentiellen Gegner«, was neben der Ermordung aller kommunistischen Funktionäre in erster Linie die weitgehende Ermordung der jüdischen Bevölkerung und aller sonstigen »rassisch Minderwertigen« beinhaltete. Innerhalb kürzester Zeit wurden durch Massenerschießungen Hunderttausende Jüdinnen und Juden umgebracht und in Massengräbern verscharrt. Es wird davon ausgegangen, dass die Einsatzgruppen mehr als 2,1 Millionen Jüdinnen und Juden ermordet haben.

Der Beginn der Aktion 1005 wird auf das Jahr 1942 datiert. Ziel dieser Aktion war die systematische Beseitigung der Spuren der deutschen Massenverbrechen in den besetzten Gebieten. Ein Grund könnte der Stopp des Vormarsches der Wehrmacht vor Moskau im Winter 1941 gewesen sein. Mit Sicherheit sollten jedoch von den Verbrechen und den Opfern keine nachweisbaren Zeichen überstehen. In der Logik der Nazis wurde damit das bereits 1933 begonnene »absolute« deutsche Vernichtungsprogramm fortgesetzt. Jens Hoffmann formuliert dies so: »Wie die Rasseforscher und die Ernährungswissenschaftler an den deutschen Universitäten, wie die Beamten in den Einwohnermeldeämtern, die Angestellten der Reichsbahn, die Polizisten, die LKW-Fahrer, Scharfschützen und Angehörigen der Wachmannschaften in den Konzentrations- und Vernichtungslagern gehören auch die Täter der Aktion 1005 einem Kollektiv an, dass seine arbeitsteilig organisierten Kräfte mehrere Jahre lang dazu einsetzte, jüdische Männer, Frauen und Kinder, angebliche Feinde des deutschen Volkes, aufzuspüren und zu ermorden. Die Täter der Aktion 1005 beendeten, was ihre Landsleute – Männer, Frauen, energische Jungen und Mädchen – […] begonnen hatten. Die Arbeit […] war der organisatorische Abschluss der deutschen Vernichtungspolitik.«

Wenn die Täter der Aktion 1005 in den Fokus der Untersuchung gestellt werden, fällt immer wieder ein Name: Paul Blobel, ein fanatischer Nazi und bereits am Vernichtungskrieg beteiligter Kommandeur. Er begann 1942 in der Nähe des Vernichtungslagers Kulmhof verschiedene Verfahren zum Verbrennen von Leichen zu erproben. Seine gewonnenen Erkenntnisse wurden umgehend im Rahmen der Aktion 1005 sowie in den Vernichtungslagern umgesetzt. Im weiteren Verlauf wurden mehrere Aktionsgruppen gebildet, die vornehmlich jüdischen Häftlinge wurden gezwungen, die Massengräber zu öffnen und die zum Teil verwesten Leichen zu verbrennen. Die Überreste wurden zerkleinert und auf Felder oder in Bäche gestreut. Die Häftlinge der Sonderkommandos wurden nach Beendigung der Arbeiten ermordet, nur einigen wenigen gelang die Flucht.

Jens Hoffmann hat mit diesem Buch eine Lücke in der Geschichtsforschung geschlossen. Das Buch ist ein guter Einstieg in die Thematik, weil der Autor viele historische Fakten nicht voraussetzt, sondern benennt und in einen Kontext stellt. Die Aktualität des Buches unterstreicht ein letztes Zitat: »Die wenigen noch lebenden Täterinnen und Täter haben sich inzwischen mit tatkräftiger Unterstützung der Nachgeborenen überwiegend in Zeitzeugen und Opfer verwandelt. In neue Deutsche, die seit 1989 immer häufiger die Gelegenheit bekommen, den unpolitischen Luftkriegsexperten oder Kunsthonigtüftler zu spielen, die Zeitzeugin für Kindererziehung unter erschwerten Bedingungen oder das schluchzende Opfer von gnadenloser Befehlsgewalt.«

Unbedingt lesen.

~Von Peter Meyer.

Jens Hoffmann: Das kann man nicht erzählen, Aktion 1005 – Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten, konkret Texte 46/47, Hamburg 2008, 448 S., € 29.80.