Identitäten auf dem Weg zum Hybriden

Das Verhältnis zwischen Weiß-Deutschen und Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund ist ein Dauerbrenner der antirassistischen Bewegung

Die im Text »After Dark(1)« der Berliner Phase 2-Redaktion dargestellten Überlegungen zum Thema der strategischen Identitäten werden im folgenden am konkreten Beispiel ausgeführt und die verschiedenen Umgangsweisen mit dieser Frage innerhalb der Grenzcampvorbereitungszusammenhänge vorgestellt. Der Ansatz der trans-identitären Organisierung ist der Versuch, von einem postkolonial-dekonstruktivistisch beeinflussten Verständnis des Herrschaftsverhältnisses Rassismus ausgehend, eine politische Praxis zu entwerfen, die einige der Fallgruben der Vergangenheit elegant zu umwandern versucht.

Dementsprechend wird eine Darstellung der Analyse vorangestellt, bevor dann die Versuche der Realisierung und die formulierten Kritiken und mögliche Stolpersteine benannt werden.
 

Worum geht es?

»Solange gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse existieren, solange sind auch unsere Identitäten unmittelbare, schattengleiche ZeugInnen dieser Verhältnisse. Schade, aber wahr!«(2) Dieser Gedanke kann als Essenz der Idee der trans-identitären Organisierung gelten.

Jede Zusammenarbeit basiert auf unterschiedlichen Identitäten, die in der politischen Zusammenarbeit aufeinandertreffen und verhandelt werden müssen. Da diese Überlegung die Ausgangsbasis von strategischer Identitätspolitik und der Idee der trans-identitären Organisierung sind, setzen wir einige Zeilen zu unserem Identitätsbegriff und deren Entstehung voran:

JedeR Einzelne macht, entsprechend seiner/ihrer zugewiesenen Position innerhalb der Gesellschaft, konkrete, differenzierende Erfahrungen zu denen er/sie sich positioniert, was affirmativ oder rebellisch geschehen kann, und somit ein »Selbst« entwickelt. Über diesen Mechanismus schreiben sich verschiedene, sich überlagernde Herrschaftsverhältnisse in jedes Subjekt ein und führen zur Entwicklung einer konkreten Identität. Diese Vorstellung darf allerdings nicht in Richtung einer einfachen Determination bzw. einseitigen Ableitung aus einer gesellschaftlichen Struktur missverstanden werden. Vielmehr geht es darum, den Rahmen aufzuzeigen, innerhalb dessen sich verschiedene Reaktionen abspielen.

Rassismus ist nun eines dieser differenzierenden und hierarchisierenden Verhältnisse und produziert somit Identitäten entlang der unterschiedlichen Erfahrungshintergründe, die innerhalb des rassistisch geprägten Feldes abgesteckt sind – etwa durch die innerhalb der Gesellschaft zugebilligten Rechte und Freiheiten. Diese unterschiedlichen Identitäten bilden den Hintergrund des politischen Selbstverständnisses der AkteurInnen, als Individuen und in Form der jeweiligen kollektiven Zusammenschlüsse.

Wenn mensch – in diesem Fall als Weiß-Deutsch gedacht – nun politisch gegen das Unterdrückungsverhältnis Rassismus ankämpfen möchte, so findet er/sie sich in einem Feld wieder, das seine eigenen Subjektivitätsfacetten ebenso produziert, wie die »Objekte«, nämlich die rassistisch Markierten. Vor diesem Hintergrund erscheinen Unterschiede und politische Differenzen nicht als zu vernachlässigende Lappalie, sondern werden als eigenständiges politisches Problem verstanden.

Hier kommt nun das Konzept der strategischen Identitätspolitik(3) zum Tragen, praktisch umgesetzt in der trans-identitären Organisierung: Die verschiedenen Ausgangspositionen sind der Punkt, von dem aus eine gemeinsame politische Position und Praxis entwickelt werden soll. Der Begriff der Identität ist hierbei keinesfalls essentialistisch zu verstehen, sondern dient vielmehr als Instrument, um die durch Rassismus geschaffenen Unterschiede zu berücksichtigen und diese als (zwangsläufigen) Ausgangspunkt einer Verständigung zu benutzen, in deren Lauf sich diese dann umgestalten bzw. hybridisieren sollen. Die eigene Logik und weitgehend selbstverständliche Ansichten müssen in diesem Prozess ein ums andere Mal zur Diskussion gestellt und gegebenenfalls revidiert bzw. differenziert werden.

Zentral wurde dieses Konzept erstmals bei der Vorbereitung des 5. Antirassistischen Grenzcamps 2002 in Jena. Die Bedeutung, die diesem Konzept beigemessen wurde, unterschied sich entsprechend der vertretenen politischen Ansätze innerhalb der damaligen Grenzcampzusammenhänge erheblich. Hier seien nur die beiden Hauptrichtungen aufgeführt: Ein Teil der Vorbereitungsgruppen sah die Chance, das Camp explizit »gemischt« vorzubereiten und damit zusätzlich zu den anderen Zielen auch die Weiß-deutsche Hegemonie innerhalb der antirassistischen Grenzcamps aufzubrechen, welche sie als Reproduktion der rassistischen Verhältnisse auf kleinerer Ebene begreifen. Durch die Realisierung trans-identitärer Bündnisse wollten sie die Mauer aufbrechen, die solche Projekte prinzipiell als »zu schwierig«, unrealistisch oder zwangsläufig instrumentell(4) abwehrt.

Gerade dieser letzte Vorwurf – die unterstellte Unterordnung unter die Forderungen von Flüchtlingen – wurde von dem »Hamburg-Flügel«(5) erhoben, der ein allgemeinlinkes, autonomes »Metropolen-Camp« favorisierte. Diese Position folgte dem Ansatz, momentan besonders virulente gesellschaftliche Widersprüche auf die Agenda zu setzen.(6) Diese sind in der Regel zwar mehr oder weniger stark mit Rassismus verknüpft, im Sinne einer Fokussierung und Zuspitzung steht Rassismus allerdings nicht zwangsläufig immer an erster Stelle.

Die politische Zielsetzung einer expliziten Kooperation mit von Rassismus Betroffenen – die gemeinsame politische Grundsätze nicht sofort voraussetzt, sondern auch zu diskutieren und auszuhandeln bereit ist – stand für diesen Flügel doppelt in Frage. Zum einen aufgrund des eben skizzierten Politikverständnisses, zum anderen wird die kausale Verbindung zwischen Antira und der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen/MigrantInnen kritisiert. Dabei wird gern auf die Analogie zu Kämpfen gegen Sozialabbau verwiesen. Diese Kämpfe können mit Obdachlosen geführt werden, aber auch berechtigt und sinnvoll ohne sie. Mithilfe dieses Vergleiches bestanden sie darauf, dass die Frage nach der Grundlage einer Kooperation nicht (allein) durch den Gedanken der trans-identitären Organisierung beantwortet werden kann.

Was heißt das konkret?

Diese Diskrepanz konnte im Vorfeld des 5. Antirassistischen Grenzcamps nicht überbrückt werden und war eine von mehreren Faktoren, die zur Spaltung des Vorbereitungskreises und zur Organisierung zweier Camps (Grenzcamp in Jena; LiS in Hamburg) führten(7). Das Konzept der trans-identitären Organisierung materialisierte sich auf dem Camp in Jena und soll hier nun exemplarisch vorgestellt werden.

Zum einen wurden bis heute kontinuierlich weitergeführte Extrameetings für Refugees und non-Refugees einberufen. Diese haben das Ziel, verschiedene Sichtweisen und politische Einschätzungen nicht nebeneinander stehen zu lassen, sondern diese beidseitig zu vermitteln und auszudiskutieren. Dabei sind auch die eigenen, identitär-linken Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und aufeinander zugehen ist angesagt – ein langwieriger und schwieriger, jedoch produktiver Prozess jenseits von praktischen politischen Vorbereitungstreffen und zeitlich begrenzten Veranstaltungen auf dem Camp. In diesem Rahmen sind mittlerweile Diskussionen zu so unterschiedlichen Themen wie Sexismus, Nationenbegriff und Instrumentalisierungsverständnis gelaufen.

Eine zweite Institutionalisierung für Jena war die Umstellung der Camp-Sprache von Deutsch auf Englisch, um an der Schraube der Dominanz durch die bessere Beherrschung der Sprache anzusetzen und gleichzeitig eine Verschiebung der Grenzen der Verständigung zu erreichen. So verlief die diesbezügliche neue Grenze nicht länger mehr oder weniger klar zwischen Refugees und non-Refugees, sondern zwischen EnglischkönnerInnen und dem Rest.

Ein dritter Punkt, der erst einmal symbolisch wirkt, allerdings den Kern der Idee in sich trägt und als anschauliches Beispiel für den Prozess der trans-identitären Organisierung fungiert, ist die Diskussion um eine Fleisch-Vokü. Es ging darum, an diesem konkreten Beispiel die eigenen Selbstverständlichkeiten erst einmal wahrzunehmen und sich einem neuerlichen Diskussionsprozess zu öffnen. Der Entschluss, erstmals auch Fleisch zuzubereiten, ist dabei nicht misszuverstehen als Zugeständnis an Flüchtlinge, die nun mal gern Fleisch essen oder ähnlichen, bestenfalls multikulturellen Unsinn. Vielmehr sollte dies den Beginn einer Debatte darstellen, an deren Ende eine neue, für alle tragbare Entscheidung steht. Mit diesem Schritt ist dem Fakt Rechnung getragen worden, dass sich in jenem Jahr das Camp grundlegend anders zusammensetzte und eine einfache Weiterführung der Weiß-deutschen Selbstverständlichkeiten nicht möglich war, sondern neuerlich Auseinandersetzungen geführt und ein neuer Konsens gefunden werden mussten.(8)

Last but not least spiegelt sich die trans-identitäre Organisierung auch in der politischen Agenda des Camps, in dem die Aktionsfelder von The Voice und der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, beides politisch sehr aktive Flüchtlingsselbstorganisationen, einen breiten Raum einnahmen. So waren die Residenzpflichtkampagne, die Anti-Abschiebungskampagne und realpolitisch die Situation in den lokalen Flüchtlingsheimen zentrale inhaltliche Eckpunkte.

Der Ansatz der trans-identitären Organisierung war beim diesjährigen 6. Antirassistischen Grenzcamp in Köln zwar noch unterschwelliger Bestandteil des Aufrufs, aber auf dem Camp selbst wenig Thema. Symptomatisch dafür steht der Umgang mit der Übersetzungsfrage – inzwischen ein gängiges strukturelles Instrument: »Englisch als Campsprache« wurde zur Zweisprachigkeit Deutsch-Englisch umfunktioniert.

 

Probleme & Kritiken

Der trans-identitäre Ansatz ist, wie oben schon dargestellt, innerhalb der Grenzcamp-Zusammenhänge nicht unumstritten geblieben. Grundsätzlich geht es um die Frage der Bündnisarbeit und die Grundlagen politischer Zusammenarbeit.

Die Idee der trans-identitären Organisierung ist hierbei ein theoretisch fundiertes Plädoyer für eine verstärkte politische Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppierungen. Sie begründet unterschiedliche Herangehensweisen politisch mit verschiedenen Erfahrungshintergründen und leitet daraus die Notwendigkeit der Kooperation ab, um gesetzte Grenzen zu überwinden.

Eine erste zentrale Frage betrifft den Geltungsanspruch der Konzeption. Eine Eingrenzung ist nötig, um nicht durch die Hintertür eine Blankovollmacht für jegliche Art von Politik auszustellen, die sich durch das Prädikat »von der richtigen identitären Position aus formuliert« ausweisen kann und durch den Verweis auf verschiedene Erfahrungshintergründe schließlich durchgewunken wird. Eine mangelhafte Eingrenzung wäre gleichbedeutend mit einem Rückfall in alte Flüchtlingsunterstützungs- und/oder antikoloniale Verhältnisse.

Das Argument der trans-identitären Organisierung kann keinen absoluten Anspruch erheben. Neben dem Aspekt der gesellschaftlichen Produktion der eigenen Identität spielen natürlich auch nach wie vor persönliche und politische »Schmerzgrenzen« für Bündnisse eine Rolle. Die Frage lautet präziser gestellt nämlich vielmehr, inwiefern durch die Anerkennung der rassistischen Identitätsproduktion eine höhere Toleranz und gegebenenfalls zusätzliche Instrumente der Verständigung notwendig sind.

Zweitens, und dies ist explizit aus der postkolonial-dekonstruktivistischen Logik heraus gedacht, gibt es eine Notbremse. Nämlich den Gedanken, der Postkolonialismus von Antikolonialismus unterscheidet und überhaupt erst das Konzept der Hybridität ausmacht: die Absage an Authentizität und vereinfachende Universalisierbarkeit. Die trans-identitäre Organisierung lässt einfache dichotome Vorstellungen hinter sich. Weder haben Flüchtlinge nur noch nicht die richtigen Argumente gehört, müssten demzufolge – im Sinne des Fremden als Kind – erzogen werden, um dann zu sein wie »wir«, noch haben »wir« als »hoffnungslos verderbte WestlerInnen« alles, was wir denken, über Bord zu werfen. Auch die Position der non-whites ist hinterfragbar und muss hinterfragt werden. Emanzipation liegt weder eindeutig auf der einen, noch auf der anderen Seite der Trennlinie. Daran schließt sich die Frage an, wie denn dann mit dieser Trennlinie verfahren werden soll, also um das »Wie« einer Annäherung.

Es geht um Hybridisierung im Sinne einer Synthese oder Differenzierung. Dies mag bei Detailfragen noch recht einfach funktionieren – der Konsens einer vegetarischen Vokü kann noch relativ leicht zur Disposition gestellt werden, zumal er selbst im Weiß-deutschen Rahmen auf wackligen Füßen steht – bei linken Essentials allerdings wird es zum Problem. Etwa bei der Frage nach der Berechtigung von Nationalstaaten. Die Lösung, die hier theoretisch nahe liegt, ist nicht so neu und kann klassisch dialektisch im Sinne von These-Antithese-Synthese formuliert werden. Diese Antwort, so richtig sie auch sein mag, ist und kann nur rein formal sein. Im konkreten Fall muss die Formel auch konkret gefüllt werden. Mit anderen klassischen Worten: Trans-identitäre Organisation ist die Theorie, Extrameetings sind die Praxis – die Praxis mit Grenzen.

In jeder Bündnisarbeit gibt es Essentials, die nicht zur Diskussion gestellt werden können, und politische »Schmerzgrenzen«, mit wem eine politische Zusammenarbeit möglich ist. Diese Grenzen sollten z.B. bei der Zusammenarbeit mit antisemitischen Positionen liegen oder bei einem Bezug auf Nationalstaaten, der jenseits eines strategischen Bezugs in Verbindung mit einer grundsätzlichen Nationalstaatskritik liegt, ebenso bei sexistischen Positionen. Die Extrameetings gestehen einen Schritt vor dieser Grenzziehung zu: der westeuropäisch-US-amerikanische Diskussionsstand wird nicht vorausgesetzt, sondern durch Diskussionen vermittelt.(9)

Diese Abgrenzung ist kein spezielles oder besonders dringliches Problem der antirassistischen trans-identitären Organisierung, sondern ein allgemeines: die »Fronten« verlaufen nicht zwischen Menschen mit oder ohne Flucht- und Migrationshintergrund, sondern z.B. zwischen AntisemitInnen und Nicht-AntisemitInnen – diese Linie geht quer durch die antirassistische Bewegung und ist dort ebenso umstritten wie in jeder anderen Bewegung auch. Es gibt Anknüpfungspunkte für antisemitische Argumentationen: so ist es z.B. von der Kritik an deutschem staatlichem Rassismus ein möglicher Schritt zur Kritik an israelischer Politik als rassistisch oder sogar Israel als solches – das kritisieren wir aufs schärfste. In dieser Hinsicht ist die antirassistische Bewegung ein Spiegel der Verfasstheit der deutschen Linken. Innerhalb der Grenzcamps findet Kritik und eine Auseinandersetzung mit diesem präsenten Thema statt, allerdings entsprechend der Heterogenität der TeilnehmerInnen meist in Form eines Nebeneinanders der unterschiedlichen Positionen auf verschiedenen Veranstaltungen und Aktionen.(10)

Implizit schwingt die ganze Zeit schon die Frage der Interessen mit, die in einem Positionspapier der »HamburgerInnen« konkret gestellt wurde, in dem diese kritisierten, dass »[...] von niemanden einmal die Frage an The Voice gestellt wurde, was sie eigentlich denken, was ein Thüringer Camp der autonomen Bewegung nützt und nützen soll.« Diese Aussage kann indentitätshubernd gelesen werden und war vielleicht auch so gemeint. Sie bringt aber andererseits den Aspekt zur Sprache, dass mensch in der Realität eben nicht nur mit einem Unterdrückungsverhältnis konfrontiert ist.

So richtig die Beachtung des Machtgefälles entlang rassistisch gezogener Linien ist, so falsch wäre es auch hier, die Realität im Sinne einer einfachen Gut-Böse-Konstellation aufzulösen. Auch für eine, in diesem konkreten Falle autonome Identität, gibt es strategisch gute Gründe, deshalb sollte sie nicht einfach über Bord geworfen werden. Dieses Argument hat auch einen explizit Ressourcenorientierten Aspekt: Es gibt eben nicht nur ein Ziel, sondern mehrere, und die Frage der (»realpolitischen«) Prioritätensetzung hat sich mit postkolonialen Konzepten nicht erledigt. Dies läuft auf die Forderung einer auszuhandelnden Balance von Geben und Nehmen hinaus.

Nachdem bislang die »innere« Seite der trans-identitären Organisierung thematisiert wurde, stellt sich natürlich auch die Frage nach den konkreten Auswirkungen der trans-identitären Zusammenarbeit nach außen. Zwei prinzipielle Richtungen sind denkbar. Entweder verkommt das Ganze zu einer Nabelschau linker Befindlichkeiten und der Anprangerung eigener Rassismen jenseits der gesellschaftlichen Zusammenhänge oder aber, es wird ein notwendiger Prozess der Klärung vorangetrieben. Dieser müßte Ansprüche und Verhältnisse möglichst genau benennen. Im Falle der Grenzcamps geht die Tendenz eindeutig in letztere Richtung. Exemplarisch dafür stehen die zwei Karawanen, das Grenzcamp in Jena und das diesjährige Aktionscamp in Fürth. Besonders am Beispiel der Karawane wird deutlich, dass es schon immer irgendwie »trans-identitäre« Kooperationen gegeben hat, die nun einfach nur weiter reflektiert werden. Damit wird auch hier die Relevanz des Konzeptes deutlich: es ist »lediglich« Mittel zum Zweck.

Ein letztes inhaltliches Problem soll an dieser Stelle noch benannt werden. Das Konzept der trans-identitären Organisierung, welches theoretisch die verschiedensten Identitätsformationen einschließt, wird, sowohl hier als auch in der Praxis, explizit vor allem am Verhältnis refugees/non-refugees durchgespielt. Indem dieses konkrete Verhältnis zentral gesetzt wird, erwächst die Kritik einer Verkürzung und einer ungewollten Affirmation dessen, was mensch eigentlich beseitigen möchte. Verschiedene Konflikte werden auf der Folie refugee/non-refugee vereindeutigt, obwohl die Linie etwa bei Auseinandersetzungen um Nationalstaaten und Antisemitismus teilweise klar anders verläuft. Dieses Problem ist vor allem eines der Umsetzung, denn seine Identifizierung und Kritik lässt sich aus einer postkolonial-dekonstruktivistisch beeinflussten Position heraus bewerkstelligen. Gleichzeitig findet sich an dieser Stelle der Schlüssel für die Frage nach der Brauchbarkeit dieses Ansatzes über Antira-Zusammenhänge hinaus.

Trans-identitäre Organisierung thematisiert in erster Linie das »Wie« und »Warum« politischer Bündnisse. Der hier dargestellte Fokus auf Antirassismus illustriert eine weitestgehend sinnvolle Umsetzung eines Konzeptes, das übertragen werden kann und auch in anderen Politikfeldern, wie im Text hoffentlich deutlich geworden, sinnvolle Antworten zu bieten hat.

 

Zwei Nachworte

Die Diskussion um trans-identitäre Organisierung ist eine relativ spezielle, die innerhalb der antirassistischen Zusammenhänge nur von wenigen Gruppen diskutiert und umgesetzt wird. Innerhalb der antirassistischen Grenzcamps wird sie offensiv geführt, wobei allerdings eine Unterscheidung – dies gilt für den Mikrokosmos Grenzcamp ebenso wie für andere Zusammenhänge auch – zwischen den theoretisch exponierten Gruppen und der Bewegung zu treffen ist. Dieser Ansatz findet zwar den Weg in den Aufruf und die inhaltlichen Plena auf dem Camp, jedoch beteiligen sich an der praktischen Umsetzung wie z.B. den Extrameetings nur wenige Gruppen und Einzelpersonen mit bislang entsprechend geringem Wirkungsradius über den Kreis der Teilnehmenden hinaus.

Das Konzept versucht, beeinflusst von postkolonialen Theorien über Blackness, Whiteness und strategische Identitätspolitik, den Widerspruch zwischen antirassistischer Politik und Weiß-deutscher Hegemonie aufzulösen und wagt den Versuch einer praktischen Umsetzung. Er bringt somit ein wichtiges Problem auf die Tagesordnung und dessen Aufhebung »auf den Weg«, über dessen praktisches Gelingen wir wenig sagen können, da wir an diesem Prozess nicht teilgenommen haben: Die Beteiligten an der trans-identitären Organisierung im Umfeld des Grenzcamp-Zusammenhangs ziehen eine positive Bilanz. Diese Lücke müsste im Weiteren von den ProtagonistInnen selbst geschlossen werden.

 

Fußnoten:

(1) Siehe Artikel von Phase 2 Berlin »After Dark« in dieser Ausgabe.

(2) Vgl. Gregor Samsa: Transidentitäre Organisierung und Hybridität – Heiliger Goldfisch, was ist denn das!? Zit. n. www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp02/themen_extra3.htm

(3) Siehe »After Dark«.

(4) Das instrumentelle Verhältnis kann dabei einfach (Paternalismus bzw. Unterordnung) gedacht werden oder reaktiv (unterordnend, um nicht dominant zu sein).

(5) Gruppen, die für Hamburg als Camp-Ort votierten und dort letztendlich auch die Land in Sicht-Tage (LiS) organisierten. Vgl. www.nadir.org/nadir/kampagnen/landinsicht

(6) Im Frühjahr 2002 waren dies laut einem Diskussionspapier: Krieg, Hamburg-Harburg, Innere Sicherheit, Schill, Brechmittel, Abschiebeknast, Antifa und die Bundestagswahl.

Siehe: www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp02/artikel_interim541.htm

(7) Vgl. www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp02/themen.htm

(8) Vgl. www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp02/themen_essen.htm

(9) Dieser Wunsch wurde nach mehreren Sexismus-Vorwürfen auf den Grenzcamps seitens der an der Vorbereitung und Durchführung beteiligten Flüchtlings- und MigrantInnengruppen formuliert, da sie den inhaltlichen Hintergrund dieser Vorwürfe z.T. nicht kannten.

(10) Zu der Diskussion um Antisemitismus in Jena und Strassbourg gibt es einen Text von einem Mitglied der Antirassistischen Gruppe Leipzig. Vgl. www.nadir.org/nadir/initiativ/antira-leipzig/archiv/a28.htm



Antirassistische Gruppe Leipzig

www.nadir.org/nadir/initiativ/antira-leipzig