In der Gesellschaft kämpfen!

ein Beitrag der Antifa K Köln zur Gobalisierungsbewegung

Wenn es um das Thema Kapitalismuskritik und das Verhältnis zur sogenannten Antiglobalisierungsbewegung geht, herrscht in der deutschen (radikalen) Linken alles andere als Einigkeit. Während die einen jegliche Teilnahme an breiteren Kämpfen oder Mobilisierungen als reformistisch ablehnen, fallen andere in längst vergessen geglaubte „Revolutionsromantik“ zurück. Wir wollen jenseits dieser Positionen versuchen, ein paar Denkanstöße für eine praktische und emanzipatorische Kapitalismuskritik zu geben. Was der Text nicht leisten soll, ist eine Analyse dessen, was man Globalisierung nennt. Hierzu gibt es unzählige Bücher, Broschüren und Texte, die den Versuch einer fundierten Analyse wagen, die für eine linksradikale Kritik selbstverständlich auch notwendig ist. Der Schritt in die Praxis ist jedoch damit noch nicht getan. Es geht uns also in diesem Artikel um eine Bestandsaufnahme eines längst nicht abgeschlossenen Diskussions- und Suchprozesses, der auch für uns viele Fragen unbeantwortet lässt.
 

Die „Antiglobalisierungsbewegung“ - zwischen Euphorie und Ernüchterung

Uns ist es nicht anders als den meisten Antifagruppen ergangen: Die sich schon über Jahre hinziehende Krise der Antifabewegung hatte in Köln zwar relativ wenig Auswirkung auf linke Strukturen und Mobilisierungsfähigkeit, aber spätestens nach dem „Antifasommer 2000“ zeigte sich, dass eine ausschließliche Anti-Naziarbeit für uns nicht ausreichte. Obwohl diese selbstverständlich ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit blieb, stand eine Neuorientierung antifaschistischer Politik nicht nur für unsere Gruppe ganz oben auf der Tagesordnung. Wir verfolgten wie viele andere Antifagruppen mit großem Interesse die Entstehung und Entwicklung der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung. Nach Jahren der politischen Stagnation und einer weitestgehend reaktiven Politik gab es erstmals wieder eine Bewegung, die mit ihrer Dynamik, ihrem Mobilisierungspotential, ihrem internationalen Charakter und nicht zuletzt mit ihrer kapitalismuskritischen Ausrichtung qualitativ und quantitativ etwas völlig Neues darstellte. Nach der anfänglichen Euphorie und den Ereignissen von Genua folgte bald darauf für viele Gruppen eine Phase der Ernüchterung. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- Der inhaltlichen Ausrichtung, die in der Bewegung dominant ist, mangelt es an radikaler Kritik am bestehenden System.
- Es gelang nicht, die Dynamik der internationalen Massenmobilisierungen auf die alltägliche politische Arbeit vor Ort zu übertragen.
- Die Ereignisse des 11. Septembers und des Afghanistankrieges lenkten das öffentliche Interesse auf vermeintlich andere Themen.
- Der Aufstieg und die zunehmende Dominanz von Gruppen wie attac - vor allem in bezug auf die öffentliche Wahrnehmung.
- Die Feststellung, dass sich innerhalb der Bewegung alle möglichen politischen Gruppen wohl fühlen bis hin zu den Faschisten.
All das hatte zur Folge, dass sich Teile der radikalen Linken zunehmend von der Protestbewegung abkehrten. Trotz dieser Entwicklungen und aller wichtigen und richtigen Kritik, hat sich an der oben getroffenen positiven Grundeinschätzung der Bewegung unserer Meinung nach wenig geändert. Nicht nur die Tatsache, dass der Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung in Europa und weltweit weitergeht, sondern auch die Heterogenität der Bewegung lässt immer noch eine Menge Spielraum für eine fundamentale Staats- und Kapitalismuskritik.
 

Ansatzpunkte in Deutschland - gibt es die?

Auch wenn in Deutschland keine vergleichbaren Bewegungen existieren wie etwa in Frankreich oder Italien, gibt es auch hier Anzeichen für eine zunehmende Politisierung, auf die wir unser Augenmerk richten sollten. Wir wollen ein paar Beispiele aus der Praxis aufgreifen, die diesen Schluss zulassen.
1. Die Studierendenstreiks in NRW, bei denen wir sowohl als Gruppe als auch als konkret Betroffene aktiv mitgewirkt haben, zeigten deutlich, dass es (verglichen zu dem letzten Studistreik) eine viel höhere Bereitschaft gab, den eigenen Teilbereichskampf politisch einzuordnen. Der Zusammenhang zwischen Studiengebühren und einer neoliberal-kapitalistischen Umstrukturierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche wurde innerhalb dieses Streiks viel stärker thematisiert.
2. Das massive Engagement vor allem junger Menschen in Gruppen wie attac ist für uns ebenfalls ein wichtiges Anzeichen dieser Dynamik. Wer sich heute entschließt Politik zu machen und zu attac geht, muss bspw. nicht unbedingt (nur) die Forderungen nach einer Tobinsteuer befürworten oder überhaupt jemals davon gehört haben. Viele Mitglieder von attac sind nicht zwangsläufig VerfechterInnen deren Positionen; im Gegenteil, sie würden sich auch mit linksradikalen Positionen auseinandersetzen, wenn diese in die Bewegung eingebracht würden. Attac ist nicht die Protestbewegung, sondern, und das auch nur in Deutschland, ein Wortführer und vor allem Ausdruck dessen, dass sich viele linksradikale Gruppen nicht mit anpolitisierten jungen Leuten auseinandersetzen. Eine aktive Jugendarbeit, wie sie im Bereich des Antifaschismus jahrelang selbstverständlich war, findet im Bereich Antikapitalismus nicht statt - dabei wäre sie dringend notwendig und unserer Meinung nach auch erfolgversprechend. Denn unsere konkreten Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen zeigen, dass das Interesse an antikapitalistischer Politik und der fließende Wechsel von antifaschistischer zu antikapitalistischer Praxis viel selbstverständlicher und unkomplizierter ist, als in den Reihen klassischer Antifagruppen (und damit meinen wir auch speziell uns).
3. Die Mobilisierungen gegen die Nato in München und den Bush-Besuch in Berlin zeigen ebenfalls, dass sich gerade unter jungen Menschen wieder etwas bewegt. Die Tatsache, dass gerade beim Bush-Besuch Meinungen artikuliert wurden, die mit einem linken emanzipatorischen Weltbild nichts gemeinsam haben, sollte für eine radikale Linke eher Anstoß sein, eigene Positionen greifbarer zu machen. Um KritikerInnen vorzugreifen: Keine dieser hier angeführten Beispiele markieren eine „antikapitalistische Bewegung“. Die Dynamik, die hier beschrieben wurde, sehen wir als einen langsamen und schleichenden Prozess an, der wenig Anlass für eine vorschnelle revolutionäre Euphorie gibt. Trotzdem ist uns aufgefallen, dass die Bereitschaft innerhalb dieser Mobilisierungen, antikapitalistische und staatskritische Positionen zu diskutieren, größer geworden ist.
 

Revolution oder Reformismus?

Wie bereits erwähnt, ist der Grund für viele, sich nicht in der Protestbewegung zu engagieren, die Ansammlung von Gruppen wie attac oder Gewerkschaften, die eine reformistische Politik betreiben. In der Analyse dieser Politik als reformistisch würden wir nicht widersprechen: „Im Gegensatz zu Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) und Gruppen wie attac sind wir grundsätzlich davon überzeugt, dass eine grundsätzliche Staats- und Kapitalismuskritik für die globalisierungskritischen Bewegungen von zentraler Bedeutung ist. Der Traum von einem fairen Kapitalismus ist ein Irrglaube. Eine Kritik etwa, die sich nur auf die Aktienmärkte richtet, scheint vielleicht auf den ersten Blick nahe liegend. Eine Trennung des Kapitalismus in seine „böse“ spekulative und seine „gute“ produktive Sphäre ist jedoch eine stark verkürzte Analyse, die völlig die Natur der kapitalistischen Produktionsweise verkennt und zudem Gefahr läuft, antisemitischen Denkmustern vom raffenden und schaffenden Kapital Vorschub zu leisten. (...) Das Wesen des Kapitalismus ist immer und überall auf soziale Ungleichheit und Ausbeutung ausgerichtet (aus: Broschüre „Schöner Leben ohne Kapitalismus“ zur Demonstration am 14. September 2002 in Köln).
Trotzdem halten wir eine Zusammenarbeit mit Gruppen wie attac, die unserer Meinung nach nur Symptombekämpfung betreiben, für sinnvoll. Als Konsequenz wenden wir uns nicht gegen die Bewegung in ihrer Gesamtheit und überlassen anderen Gruppen das Feld, sondern versuchen, Inhalte zu radikalisieren und ein Art „rebellisches Bewusstsein“ mit anzuschieben. Dies ist umso wichtiger, da andere Strömungen (vor allem linksradikale) in der Antiglobalisierungsbewegung kaum sichtbar sind. Wir glauben, dass es in Bündnissen mit diesen Gruppen möglich ist, eigene Positionen hineinzutragen und über den eigenen Tellerrand hinaus Menschen anzusprechen und den Prozess der Politisierung voranzutreiben. Auch gerade, wenn staatstragende Parteien, Grüne oder SPD versuchen, sich in dieser Bewegung zu tummeln, müssen diese inhaltlich klar angegriffen werden. Eine Zusammenarbeit mit Gruppen wie attac kann unserer Meinung nach allerdings nicht geschehen, ohne eigene Aktionen bzw. Aktionsformen zu entwickeln.
 

Teil oder Gegner der Bewegung

Wer diese Anzeichen von Bewegung von vornherein als reformistisch oder gar bekämpfenswert abtut, ignoriert dabei, wie Menschen sich politisieren und aus welcher Motivation heraus sie sich engagieren. Das beginnt hauptsächlich aufgrund eines Unmutsgefühls auf einer primär moralischen Ebene. Politisierung geschieht über „den Unmut über die dominanten Entwicklungen (...), ohne gleich einen „konstruktiven“ bzw. „politikfähigen“ Vorschlag parat zu haben“ (Ulrich Brand, BUKO). Das in vielen Fällen vorerst äußerst diffus geäußerte Unwohlsein über die eigene Existenz und konkrete Erfahrungen mit der kapitalistischen Realität spielten und spielen in bürgerlich-industrialisierten Gesellschaften eine wichtige Rolle zur Politisierung und letztlich Radikalisierung von Massen. Wird dies ignoriert und sich nicht bemüht, für Menschen in einer solchen Situation sichtbar und ansprechbar zu sein, dreht man sich zwangsläufig mit den eigenen „linksradikalen Wahrheiten“ im Kreis und bleibt für sich. Soll linksradikale Politik aber langfristig erfolgreich sein, muss sie innerhalb (potentieller) Bewegungen und damit auch innerhalb der Gesellschaft wirken. Diese Gesellschaft ist kein homogener Block und bietet immer wieder Ansatzpunkte für Interventionen. Wo diese Ansatzpunkte zu suchen sind, wo sich Interventionen lohnen und wie diese aussehen könnten, ist eine Frage, die wir uns dabei immer wieder von neuem stellen müssen. Das ist nichts grundsätzlich Neues, sondern vielmehr die logische Konsequenz aus der Art und Weise, wie wir antifaschistische Politik betrieben haben. So setzten wir in den letzten Jahren bspw. darauf, unsere Politik in Bündnisse reinzutragen und mit deren Hilfe zu transportieren. Diese Art taktischer Bündnisarbeit ermöglichte uns, sowohl gesellschaftlich wahrnehmbar zu werden als auch inhaltliche Positionen weit über die eigene Szene hinaus vermitteln zu können. Das heißt konkret: Wir müssen die Erfahrungen und Ziele der Antifa-Bewegung auf den Umgang mit der heutigen Protestbewegung transformieren: Öffentliches Auftreten, Attraktivität, „mehr werden“ und aktive Jugendarbeit waren zentrale Bestandteile unserer antifaschistischen Politik und müssen, wollen wir in die Protestbewegung hineinwirken, beibehalten werden.
 

Schritte in die Praxis...

Unsere ersten Gehversuche außerhalb der „klassischen“ Antifa-Politik machten wir während des diesjährigen Studierendenstreiks in NRW. Dabei waren die subjektiven Beweggründe der sich Engagierenden deutlich klarer als im weiten Feld der „ Antiglobalisierungsbewegung“. So war es in der Dynamik der Proteste möglich, eine Vielzahl an Leuten zu eigenen organisierten Aktionen zu mobilisieren und diese in einen antikapitalistischen Gesamtzusammenhang zu stellen. Als dann attac und Gewerkschaftsjugend zu einer Großdemonstration am 14. September unter dem Motto: „Her mit dem schönen Leben!“ in Köln aufriefen, versuchten wir in diesem Rahmen erstmals unsere eigenen Inhalte auf die Straße und in die Bewegung zu tragen. Unsere Motivation, überhaupt an dieser Massenveranstaltung teilzunehmen, war darüber hinaus, viele Leute ansprechen zu können, Präsenz zu zeigen und eigene Akzente zu setzen. Dies haben wir versucht, indem wir einen eigenen antikapitalistischen Block organisierten, zu dem wir mit einem eigenen Motto: „Schöner leben ohne Kapitalismus!“ aufriefen. Unser spezieller Focus lag dabei auf dem Thema Arbeit unter Bezugnahme auf das Hartz-Papier. Der konkrete Ansatzpunkt Zeitarbeit lag nahe, weil hierüber eine aktuelle Diskussion stattfindet, viele Menschen in Deutschland konkret davon betroffen sind und wir an diesem Thema kontinuierlich vor Ort weiterarbeiten können (Zeitarbeitsfirmen etc.). Bei der Demonstration bemerkten wir eine relativ starke Beteiligung an unserem Block. Wir hatten den Block bewusst offen ausgerichtet und probierten (für uns) neue Wege in der Präsentation. Von Anfang an war uns bewusst, dass wir in Bezug auf Demoplanung und Medienpräsenz kaum eine Rolle spielen würden.
 

Da ist nur dieser Weg...

Wir wollen die inhaltliche Auseinandersetzung und den Suchprozess weiter fortführen. Fragen, die sich uns dabei stellen, sind zum einen: Wie kann eine konkrete lokale Verankerung aussehen, z.B. in Form einer möglichen Beteiligung an einem sich neu konstituierenden Social Forum in Köln? Wie schaffen wir eine Kontinuität in unserer Politik? Und welche Aktionsfelder können wir mit unseren Inhalten stärker füllen? Auch wir haben für diese Fragen kein Patentrezept. Neben der Anti-Nazi-Arbeit, die für uns nicht an Bedeutung verloren hat, versuchen wir die Chancen zu sehen und zu ergreifen, die uns eine junge und heterogene Bewegung bietet. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um ein einfaches Umsatteln auf das „soziale Thema“, sondern vielmehr um eine für uns anstehende Neuorientierung linksradikaler Politik.

Antifa K
Köln, November 2002