In Motion

Sonnenstadt der Träume

Sie fordern die Vergesellschaftung von Wohnraum sowie Bleiberecht für alle und versprechen, es nicht bei einem verbalen Apell an Politik und Eigentümer_innen zu belassen. Die Rede ist von Initiativen gegen Zwangsräumungen, die seit einigen Monaten pragmatische Bündnisse offerieren und konkrete Hilfen für betroffene Mieter_innen leisten wollen. Im April löste der Fall einer Mieterin in Berlin, die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung starb, nicht nur eine öffentliche Debatte über soziale Härten durch steigende Mieten aus. Er mobilisierte darüber hinaus auch eine steigende Anzahl von Mietaktivist_innen zu den folgenden Besuchen der Gerichtsvollzieher_innen. Den Aufrufen des inzwischen bundesweit agierenden Bündnisses gegen Zwangsräumungen folgten in diesem Frühjahr und Sommer in Berlin und Hamburg jeweils bis zu tausend Menschen. So konnten die meisten dieser spontanen Blockaden zumindest eine aufschiebende Wirkung entfalten. In den wenigen erfolglosen Fällen mussten Hundertschaften der Polizei den Vollstreckungstitel durchsetzen. Die Berliner und Hamburger Beispiele zeigen auch, dass konkrete linke Solidarität nicht nur im Szenebezirk wirken kann: Neben Aktionen im Schanzenviertel (ein Fotograf der taz war hier betroffen von Polizeigewalt) und Friedrichshain-Kreuzberg mit explizit linkem, weißem Zielpublikum, wurde ein breiter Mieter_innenquerschnitt unterstützt. Allerdings nur, wenn sie denn nach einer Räumungsankündigung über die nicht unerhebliche Hürde des öffentlichen Bekenntnisses gesprungen waren. Die Anzahl der nur im Privaten stattfindenden Räumungen wird auf ein Mehrfaches der bekannten Fälle geschätzt. Wie nicht anders zu erwarten, und hier keineswegs als Diskreditierung solidarischen Handelns gemeint, sind solch Bündnisse (wie das gegen Zwangsräumungen in Berlin) leider immer auch ein Sammelbecken der unterschiedlichsten politischen Dummheiten. Wer den Aufruf gegen die drohende Räumung der »Kirche von unten« liest, der wird sich verwundert die Augen reiben über so viel Glauben an den deutschen Rechtsstaat. Hier wird so »tapfer« an die Demokratie appelliert und ein ’89-Mythos beschrien, dass selbst die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld und der Bundespräsident Joachim Gauck wohl bald gegen die Investor_innen blockieren. Aber wenn es hilft? Dann will ich doch auch daran glauben, dass »der Kapitalismus alleine zugrunde gehen wird«, wie es Aktive zu Beginn der »Aktionswochen gegen Zwangsräumungen« im Juni dem Neuen Deutschland übermittelten.

Ein kurzer Seitenblick auf die bereits mehrjährige Arbeit der Recht-auf-Stadt-Netzwerke in den genannten Städten ergibt dagegen ein ungleich durchwachseneres und widersprüchlicheres Bild. Wohin die Anspruchshaltung vieler Aktivist_innen führt, die mit der Forderung nach Rekommunalisierung von Wohnraum und staatlich durchgesetzten »fairen« Mietsteigerungen bisher zufrieden sind, ist bei den vielen bürgerlichen, sozialdemokratischen und linken Konferenzen im Frühsommer überdeutlich zu spüren gewesen. Beispielsweise debattierten bei einer Rosa-Luxemburg-Gesprächsrunde in Leipzig Szeneaktivist_innen aus Berlin, Hamburg und Leipzig mit Wissenschaftler_innen und Linkspartei-Funktionär_innen (die noch bis 2011 die Stadtpolitik in Berlin bestimmten) einträglich nebeneinander und waren sich in ihrer Marktkritik grundsätzlich einig. Als ob die inzwischen von CDU und SPD beschlossenen Mietsteigerungsgrenzen irgendetwas bewirken würden, wie aktuelle Fälle mit vorgezogenen Mieterhöhungen und anberaumten »Sanierungsbedarf« zeigen. Eine, inwiefern auch immer, »marktferne« Mietpolitik der kommunalen Wohnungsbetriebe ist gleichzeitig auch nur in Berlin- oder Leipzig-Grünau angedacht. Wenn sich Stadt-Aktivist_innen aber nur diese Perspektive auf Staat und Markt zu eigen machen, ist es kein Zufall, dass der Protest ins Leere läuft und die »innovative Kraft« des neoliberalen (Wohnungs-)Marktes wie eine »unendliche« Perspektive erscheint. Friedrich Engels Analyse, dass im Kapitalismus erst die Wohnungsnot die Grundlage eines einbringlichen Geschäfts darstellt, gilt unbenommen gleich für die »Heilserwartung« an eine staatliche Wohnungsmarktpolitik.

Antirassismus in Bewegung?

Mit den Gedenkdemonstrationen zum Brandanschlag von Solingen und der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl in Berlin im Mai und dem Refugee Tribunal against Germany im Juni 2013 erreichten zwei Antira-Kampagnen in jüngster Vergangenheit ihren selbst gesetzten Höhepunkt. Während sich beispielsweise die Kampagne Rassismus tötet! in den letzten beiden Jahren vor allem dem Gedenken der rassistischen Pogrome der »Wendezeit« und der darauf folgenden Abschaffung des Asylrechts im Jahr 1993 durch eine »Große Koalition« aus CDU, FPD und SPD widmete, rebellieren verschiedene Refugee-Empowerment-Gruppen wie THE VOICE oder KARAWANE gegen die aktuelle und alltägliche Situation von Geflüchteten in der BRD.

Gemessen an der zahlenmäßigen Beteiligung und der damit in Verbindung stehenden Berichterstattung in relevanten Teilen der Medien erscheinen beide Kampagnen jedoch bis dato als wenig erfolgreich. Trotz der langfristigen bundesweiten Mobilisierung und den Antirassistischen Aktionstagen im Vorfeld erreichten die Demonstrationen in Solingen und Berlin am 25. Mai, mit je 2000 Teilnehmenden, deutlich weniger Leute als beispielsweise die zeitgleich stattfindende lokale Mobilisierung gegen einen Naziaufmarsch in Karlsruhe, bei dem ca. 3000 Menschen gegen 200 Neonazis demonstrierten. Auch das von THE VOICE und KARAWANE veranstaltete Internationale Tribunal der Flüchtlinge und Migrant_innen gegen die Bundesrepublik Deutschland war mit wenigen Hundert dauerhaft anwesenden Teilnehmer_innen eher schlecht besucht. Unter dem Motto »Vereint gegen koloniales Unrecht« sollten Refugees aus der ganzen Republik nach Berlin zum Erfahrungsaustausch und zur gemeinsamen Erarbeitung einer »Anklage« gegen die BRD mobilisiert werden. Dass in Halberstadt 20 Geflüchtete aufgrund des Verstoßes gegen die Residenzpflicht an der Anreise nach Berlin gehindert wurden, ist nur ein Indiz dafür, wie heikel alle Versuche der Refugees sind, sich zu organisieren.

Den geringen Mobilisierungserfolgen steht jedoch eine zunehmende Solidarisierung mit den Protesten vonseiten linksradikaler Gruppen und Refugee-Selbstorganisation gegenüber, die wohl am deutlichsten an dem Berliner Bündnis Fight Racism Now! zu erkennen ist. Mit der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl und dem Brandanschlag auf das Wohnhaus der Familie Genç sind die letzten beiden bedeutenden Anlässe zur Erinnerung an die rassistischen Mobilisierungen der Nachwendezeit vorüber. Damit steht auch die Frage im Raum, wie diese mithin recht unterschiedlichen Bewegungen gemeinsame Formen des Protests gegen gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus finden können. Es gilt abzuwarten, ob die deutsche Linke fähig ist, konkrete Formen der Solidarität mit alltäglich negativ von Rassismus Betroffenen zu entwickeln und zu akzeptieren, dass es den meisten Refugees in erster Linie um grundlegende bürgerliche Rechte geht. Diese Herausforderung ist keine leichte, denn konkrete Solidarität mit Betroffenen ist mithin etwas anderes als das Gedenken an die Opfer des Rassismus.

»Differenzierung zwischen den Schreibtischseiten«

Die Zustände in den Jobcentern dieser Republik sind mehr oder weniger bekannt. Auf den Punkt gebracht werden diese seit einigen Monaten von Inge Hannemann, einer kürzlich suspendierten Angestellten der Arbeitsagentur, auf altona­bloggt.wordpress.com. Brisant wurde das Ganze nun, weil sich die Bundesagentur für Arbeit genötigt sah, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, in der sie sich nicht entblödete, Hannemann für potenzielle Angriffe auf Mitarbeiter_innen der Jobcenter verantwortlich zu machen. Hannemann, so die Bundesagentur, »bringt ihre Kolleginnen und Kollegen in Gefahr, die sich zunehmend Aggressionen vonseiten der Kunden ausgesetzt sehen.« Eine Argumentation unter verkehrten Vorzeichen: Ist es doch vielmehr so, dass die vermehrten Übergriffe auf tragische Weise zutage fördern, was die Praxis der Arge bewirkt: die Entfremdung der Menschen vor und hinter den Schreibtischen. Hannemann gibt den Betroffenen lediglich eine Stimme.

Der Eklat um die »Whistleblowerin« bringt das Missverhältnis auf die Spitze, macht er doch deutlich, dass die Arge kritikfeindlich und reformunwillig ist. Liest man sich Hannemanns Berichte aus dem Alltag im Jobcenter durch, sticht vor allem eines ins Auge: Die menschenfeindliche Behandlung durch das Amt hat System und die Bekämpfung von Widerspruch durch Mitarbeiter_innen Tradition. Somit sind es weniger die Angestellten der Arge, denn die Weisungen aus Politik und Gesetzgebung, die die absurde Behandlung fordern und fördern. Das Spiel ist ein altbekanntes: Die Vermittelnden von Hartz IV-Empfänger_innen werden von den Maßgaben wirtschaftlicher Effizienz getrieben und durch Vorgesetzte mit Nachdruck daran erinnert. Die Vorgesetzten selbst geben nur weiter, was die Politik verordnet. Die Entscheidungen treffen also die, die wenig, bis gar nichts mit den Kund_innen zu tun haben. Im auf ökonomische Effizienz zugerichteten Alltag einer/s Angestellten der Agentur für Arbeit bleibt folglich wenig Raum für die notwendige Betreuung von ›Kunden‹. 20 Minuten, so hat es Hannemann errechnet, für Evaluation der aktuellen Situation der Kund_innen und Antragserläuterungen. Es ist ein vicious circle, in dem die Lösung für die finanzielle Optimierung des Staatshaushalts jene tragen, die ob der Agenda 2010 bereits die leidtragenden Empfänger_innen von ›Hilfe zum Lebensunterhalt‹ sind, die deutlich unter der Armutsgrenze liegt. Doch überraschen sollte das niemanden, hatte doch Gerhard Schröder 2003 zur Inauguration der Agenda 2010 das Motto verkündet: »Wer zumutbare Arbeit ablehnt, und wir werden die Zumutbarkeitskriterien verändern, der wird mit Sanktionen rechnen müssen.« Enthusiastisch gebar die rot-grüne Koalition die Agentur für Arbeit als sanktionierende Speerspitze des Arbeitswahns; dahinter wabert die Ideologie von der Vollbeschäftigung.

Hannemann kritisiert durchaus auch ihre »Kolleginnen und Kollegen« dafür, dass sie »Aktionen durchführen, wo das eigene Nachdenken unterbleibt.« Zugleich liefert sie Einblicke in die weisungsgesteuerte Arbeit, die sie mit einer Mischung aus »Angst vor Repressalien, […] Ohnmacht, […] Ignoranz« zu erklären versucht. Es geht ihr explizit um einen fundamentalen Wandel im System Hartz IV. Dafür, so Hannemann weiter, »darf [es] keine Differenzierung zwischen den Schreibtischseiten geben.«

~ Von Luka Bublik, der in Leipzig und Halle promoviert und lehrt, Salma Eklund & Gordey Sergeyev, die im Umfeld von Rassismus tötet! aktiv sind und Rudi Mental, der in Leipzig lebt und gern Blogs liest.