In Motion

Krawall und Remmidemmi

Ein schönes Beispiel dafür, dass die Wut gegen kapitalistische Zumutungen am 1. Mai nicht immer nur an Mülltonnen oder Bullenwagen ausgelassen werden muss, boten die Demonstrierenden in Athen. Dort stürmten sie das Finanzministerium und plünderten ein Luxushotel. Daran sollten wir uns doch ein Vorbild nehmen. [aktueller Einschub: natürlich ohne Tote]. In Deutschland hat sich der diesjährige ArbeiterInnenkampftag jedoch der Tradition verpflichtet gefühlt: Es gab die üblichen Demos und die üblichen Riots in Berlin und Hamburg, auch wenn die Polizei diesmal »eine positive Bilanz« gezogen hat. Ganz so wild ging es also doch nicht zu.

Leider wollten Nazis an vielen Orten auch ihre Tradition ausleben, wurden aber zumindest in Berlin von einem breiten Bündnis erfolgreich daran gehindert. Mit dabei war auch Wolfgang »blockier 'se!« Thierse und durfte sich danach von geschichtsvergessenen ParlamentarierInnen und Medien anhören, wie undemokratisch es doch sei, sich marschierenden Nazis in den Weg zu setzen. Wo kämen wir denn hin, wenn sich einfach jede und jeder Nazis entgegenstellen würde? Lieber die Mittel für den Kampf gegen »Linksextremismus« erhöhen, damit Nazis auch eine Chance haben, sich schön demokratisch an der »Meinungsbildung« zu beteiligen.

Meine Gewalt, deine Gewalt

Wolfgang Thierses linksextreme Straftat stellt keinen Einzelfall dar, sondern er liegt damit voll im Trend. Laut Verfassungsschutzbericht des Landes NRW habe »politisch motivierte Gewalt« im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Damit sind nicht Abschiebungen von Flüchtlingen oder Zwangsmaßnahmen der Jobcenter gemeint, sondern Taten von sogenannten »Rechtsradikalen« und »Linksextremen«. »Linke« Straftaten hätten »rechte« sogar schon überholt. Besonders viele linke Straftaten gäbe es bei Demonstrationen »gegen rechts«, durch Verstöße gegen das Versammlungsrecht – lauter kleine Thierses eben. Ebenso habe »linke« Gewalt zugenommen. Unter den Opfern finden sich meist PolizistInnen, vermutlich die VerteidigerInnen neonazistischer Versammlungsfreiheit. Auch viele Autos tragen nach linken Angriffen schwere körperliche und psychische Schäden davon. Die meisten trauen sich danach nicht mehr auf die Straße.

Spaß beiseite: Seit den 1990er Jahren ermordeten »rechte«, d.h. rassistische, antisemitische, homophobe, antiziganistische, neonazistische Täter über 200 Menschen und prügeln fast jede Woche Menschen ins Koma. Die Gleichsetzung von »links-« und »rechtsextrem« lässt nicht zwischen menschenverachtender Ideologie und legitimer Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen unterscheiden. Und grundsätzlich verhindert die problematische Trennung von demokratischer »Mitte« und »extremen« Rändern mit Hilfe des Extremismusbegriffs die Auseinandersetzung mit dem strukturell herrschenden Rassismus, Antisemitismus, etc.

Linke Buchtage

Mittlerweile auch schon eine gewisse Tradition haben die Linken Buchtage in Berlin. Dieses Jahr finden die 8. Linken Buchtage am Wochenende vom 25. bis 27. Juni im Mehringhof statt. Auch die Phase 2 wird sich wieder mit einer Diskussionsveranstaltung zum aktuellen Heftschwerpunkt unter dem Titel »Wie über den Kommunismus sprechen?« beteiligen.

Das Programm steht noch nicht fest, kann jedoch bald hier eingesehen werden: linkebuchtage.de/cms/_rubric/index.php

Kommunismusperformance

Rein Ästhetisch schon mal eine schöne Kombination: Schwarze Rollkragenpullover treffen auf knallroten Lippenstift und alles verschwindet im Gauloisesnebel. Vom 25. bis 27. Juni findet in der Berliner Volksbühne ein Kongress zum Thema »Idee des Kommunismus – Philosophie und Kunst« statt. Alain Badiou und Slavoj Žižek hatten die Idee zur philosophischen Konferenz. Ein künstlerisches Programm aus Performances, Installationen, Filmen und Konzerten »beleuchtet« das Konferenzthema »ästhetisch«. Es soll um die abstrakte Idee des Kommunismus, die politische Geschichte der real-existierenden Sozialismen des 20. Jahrhunderts in Europa und eine »mögliche Zukunft für das Modell Kommunismus (in den Künsten)« gehen – im Leben wäre ja auch schön.

Mehr zum Kongress unter: www.volksbuehne-berlin.de/praxis/idee_des_kommunismus__philosophie_und_kust/

Razzien

Anscheinend ist die staatliche Überwachungstechnik doch nicht so ausgefeilt wie oft behauptet. Um an für sie interessante Daten zu kommen, muss die Exekutive daher manchmal auf pragmatische Lösungen zurückgreifen. Statt auf Technologie, Spitzel und HackerInnen zu vertrauen, beschlagnahmt etwa das LKA einfach die Hardware. Auf der Suche nach den Verantwortlichen für ein Flugblatt durchsuchte die Polizei am 19. April die Räume des Berliner Buchladens Schwarze Risse. Es war dort bei weitem nicht die erste Razzia. Diese galt dem Berliner Landesverband der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und dem Büro für antimilitaristische Maßnahmen (Bamm). Die Polizei suchte nach Flugblättern, die unter dem Motto »Feste feiern, wie sie fallen« zu einem öffentlichen »Schampussaufen« am Ehrenmal der Bundeswehr aufriefen, sobald der nächste deutsche Soldat »fällt«. Außerdem wollte das LKA eine verantwortliche Person der Homepage www.bamm.de ermitteln, auf der dieser Flyer zu einer Kampagne gegen den Afghanistankrieg hochgestellt ist und beschlagnahmte dazu den Computer des Buchladens. Damit im Zusammenhang steht wohl auch eine Razzia vom 26. April in Privaträumen von BetreiberInnen des Servers so36-net. Die Staatsanwaltschaft wirft den AntimilitaristInnen Volksverhetzung und Beleidigung vor, den im Ausland stationierten Bundeswehrsoldaten werde »ein Lebensrecht« abgesprochen. In ihrer Pressemitteilung zur Razzia zitiert das Buchladenkollektiv den Brigadegeneral Frank Leidenberger (was für ein Name...), Kommandeur der deutschen Besatzungstruppen, mit »Jeder Tote macht uns noch entschlossener« und kritisiert, dass jeder Tote daher »ein Ansporn für noch mehr Krieg, noch mehr Tote« sei und so vielmehr den AfghanInnen ein Lebensrecht abgesprochen werde. Außerdem sei das Schampussaufen ins Haus der deutschen Wirtschaft verlegt worden.

Doch nicht nur gegen GegnerInnen ihrer Art des Heldengedenkens geht die Bundesregierung vor, gesucht wurde auch nach Ausgaben der Zeitschriften Radikal und Interim wegen Bastelanleitungen für Molotowcocktails. Weitere Razzien dazu gab es am 28. und 29. April in Berlin im Buchladen O21, im Antifa-Versandladen Red Stuff und im M99 und es wurden ebenso Computer beschlagnahmt.

Kommunismusperformanz

Wer aus dem Sommerurlaub nicht nur erholt und sonnenverwöhnt, sondern auch noch schlauer und fit für die Revolution zurückkommen möchte, hat dieses Jahr wieder einige Möglichkeiten, kritisch zu Campen. »Ferien von Deutschland« gibt es vom 28. Juli bis 14. August mit der Jungen Linken beim »Antinationalen Sommercamp hoch 3« in Niedersachsen. Einige Phase 2-AutorInnen sind auch mit dabei. Mehr Informationen unter: www.junge-linke.org/de/antinationales-sommercamp-hoch-3

Die Naturfreundejugend Berlin lädt ins »Herrschaftskritische Sommercamp mit dem Besten aus Kulturindustrie und Gesellschaftskritik« vom 6. bis 15. August auf dem »Fusion«-Gelände bei Müritz/Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern ein. Anmeldungen unter: naturfreundejugend-berlin.de/sommercamp

Fussballnazis

Seit dem Naziüberfall auf gegnerische Fans in Brandis (siehe dazu auch in motion in der Phase 2.34) hat sich in der sächsischen (Fußball-)Provinz nichts geändert. Beim Auswärtsspiel in Mügeln sahen sich die mitgereisten AnhängerInnen des Roten Stern Leipzig (RSL) erneut mit Nazi-Pöbeleien und Bullenrepression konfrontiert. Neben den üblichen Sprechchören, Beschimpfungen und dem berüchtigten U-Bahn-Lied, das den gegnerischen Anhang nach Auschwitz wünscht und in deutschen Stadien nicht allzu selten gesungen wird, kam es dann auch noch zum Polizeieinsatz im Gästefanblock. Angeblich sollten ZeugInnenaussagen aufgenommen werden, was bei den Roter Stern-Fans nicht ganz so ankam. Gotthard Deuse, FDP-Bürgermeister der Stadt Mügeln und laut Interview mit der Jungen Freiheit bekennender Deutscher, war zu dieser Bezirksklasse-Partie auch anwesend und hatte – wen wundert's – natürlich nichts gesehen oder gehört. Auch nicht von der nach dem Spiel von den Nazis abgehaltenen Spontandemo bis vor das Rathaus der Stadt.

Thank you, merci und spasibo!

Die Kapitulation Deutschlands und die Befreiung vom Nationalsozialismus jährte sich am 8. Mai zum 65. Mal. Neben Gedenkfeierlichkeiten gab es an einigen Orten wie München, Wiesbaden oder Brandenburg leider auch Aufmärsche von Neonazis, die unter Befreiung etwas ganz anderes verstehen. Die meisten Naziveranstaltungen konnten jedoch blockiert werden.

Eine seltsame Situation ergab sich in Berlin beim »Eröffnungsfest« auf dem Feld des stillgelegten Tempelhofer Flughafens am 8. Mai. Dort versammelte sich auf dem riesigen Feld gegen Mittag ein kleines Grüppchen von AntifaschistInnen und Mitgliedern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VNN), um mit einer Kranzniederlegung und Gedenktafeln an das ehemalige KZ Columbia-Haus, das sich auf dem Flughafengelände befand, und an die dort schuftenden ZwangsarbeiterInnen zu erinnern. Drumherum schlenderten die Massen über das Volksfest zwischen Bratwurst-Ständen und der Werbung von Sportvereinen. Dem Berliner Senat war die mörderische Vergangenheit des Tempelhofer Flughafengeländes auf seinem Fest nicht der Erwähnung wert. Nachmittags zog eine Demonstration des Bündnisses Reclaim Tempelhof unter dem Motto »Nehmen wir uns die Stadt zurück« zum Feld, die TeilnehmerInnen wurden von den massenhaft anwesenden Bullen und Sicherheitsnazis jedoch daran gehindert, das Gelände zu betreten. Die Eingangstore blieben mehrere Stunden lang geschlossen und so mussten auch viele »normale« BürgerInnen auf ihre »Bewegungsfreiheit« – unter diesem Motto hatte der Berliner Senat zur Eröffnung eingeladen – verzichten. Später konnte doch noch eine kleine Demo auf dem Feld stattfinden.