Freie Meinungsäußerung (1)
Seit sieben Jahren findet in Dessau im Januar die Demonstration zum Gedenken an Oury Jalloh statt, der 2005 in einer Polizeizelle verbrannte. Dem Polizeibericht nach entzündete der an den Gliedmaßen fixierte Oury Jalloh seine Matratze selbst. Um die Glaubwürdigkeit dieser Aussage und für die Aufklärung des Falls wird seit Jahren bis Redaktionsschluss vor Gericht prozessiert und auf der Straße demonstriert – mit der zentralen Botschaft »Oury Jalloh, das war Mord«. Im Vorfeld der diesjährigen Demo am 7. Januar suchte die Polizei den Anmelder Mouctar Bah an seinem Arbeitsplatz auf und teilte ihm mit, dass der Aufruf »Oury Jalloh, das war Mord« nicht mehr geduldet werde. Am Tag der Demonstration selbst versuchten Polizeibeamte, das Tragen von Transparenten mit der unerwünschten Parole zu verhindern und griffen die etwa 300 DemonstrantInnen an. Darunter auch den Anmelder Bah, der so schwer verletzt wurde, dass er vier Tage im Krankenhaus verbringen musste. Als Reaktion darauf besetzen am 7. Februar etwa 30 Mitglieder der Initiative »Aufklärung und Transparenz« für mehrere Stunden das Dessau-Rosslauer Rathaus und forderten eine Untersuchung der Polizeiübergriffe. Begleitet von einem martialischen Sicherheitsaufgebot ging währenddessen der Prozess zur Aufklärung des Todes von Oury Jalloh vor dem Landgericht Magdeburg weiter. Das Gericht hatte zuletzt vorgeschlagen, das Verfahren gegen den angeklagten Dienstgruppenleiter der Polizei bei Zahlung einer Geldbuße einzustellen. Ein daraufhin gestellter Befangenheitsantrag gegen die Richterin und die Schöffen wurde abgelehnt. Laut BeobachterInnen zeichnet sich ein baldiges Ende des Prozesses mit einem milden Urteil ab.
Freie Meinungsäußerung (2)
»Das ist nicht der Kommunismus«, stand auf dem Transparent dreier Aktivistinnen und Aktivisten, die am Rande der traditionellen Gedenkdemonstration für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar (etwa 10.000 TeilnehmerInnen) niedergeschlagen wurden. Sie hatten es gewagt, Stalin, Lenin und Mao mittels eines Transparents ihre Ehrentitel als Kommunisten abzuerkennen. Aus dem M-L-Block wurden sie mit Stöcken angegriffen und ihr Transparent wurde zerrissen. Beim Versuch zu deeskalieren, bekamen auch andere TeilnehmerInnen der Demo Faustschläge und Tritte ab. Das Umfeld der halbstarken StraßenarbeiterInnen der Berliner Gruppe Zusammen Kämpfen (ZK) Berlin und der Duisburger Roten Antifa hat klargemacht, wie sie als echte Kommunistinnen und Kommunisten mit Kritik umzugehen wissen.
Freie Meinungsäußerung (3)
»Selbst dran Schuld, wenn ihr auf unsere Party kommt« mussten sich Gäste der »LL(L)-Party« am Vorabend der Demo anhören, nachdem sie – offenbar von anderen Gästen der Feier – mit Schlagstöcken und Flaschen angegriffen worden waren. Begleitet war der Angriff von Sprüchen wie: »Bock auf Intifada spielen!?« und »Sei froh, dass du 'ne Frau bist, ich schlage keine Frauen, weil die mir eh unterlegen sind!« Das sollte Anlass genug sein, den Vorfall nicht als gewöhnliche Kneipenschlägerei abzutun. Die Gruppe der Betroffenen, die sich selbst und die Angreifenden als Linke bezeichnet, fordert in ihrer Stellungnahme »die Täter und insbesondere das Umfeld, in dem sie sich bewegen, auf, sich zu dem Übergriff zu verhalten und zu positionieren«. Die Forderung blieb unbeantwortet. Dieser und vergleichbare Vorfälle haben in dieser »Szene« offenbar nur Unterhaltungswert, eine ernsthafte öffentliche Diskussion findet nicht statt. »Eine Debatte über die Ästhetik und Verkörperung von Gewalt […] wie auch eine Diskussion über den Umgang mit Personen und Zusammenhängen, von denen diese ausgeübt wird« fordert die Gruppe der Betroffenen. Dem können wir uns nur anschließen.
Reenactment
Zum dreizehnten Mal demonstrierten Nazis in Magdeburg in Gedenken an die Opfer der Alliierten Bomben. Die Demonstration der Nazis am 14. Januar war, von etwas Pyrotechnik im Stadtzentrum abgesehen, für die Gegnerinnen und Gegner unerreichbar. Zeit für einen Blick auf die Details. Auf die Agitpropgruppe beispielsweise, die in ihrer Sitzblockade mit graugeschminkten Gesichtern und streifen Pyjamas vermutlich KZ-Häftlinge darstellen wollte. »Für das Erinnern – Wir trauern um jeden Menschen, den wir an den Faschismus verlieren«, stand auf ihrem Transparent. Eine Forderung, die Fragen über Fragen aufwirft. Erinnern woran? Wer ist Wir? Und habe ich meinen Wehrmachts-Opa auch an den Faschismus verloren? Obwohl augenscheinlich eine dumme und groteske Inszenierung, müssen solche Aktionsformen durchaus ernst genommen werden. Demonstrieren sie doch eindrucksvoll, zu welchen Geschmacklosigkeiten die bundesdeutsche Mehrheitsmoral in der Lage ist.
Ball mit Schmiss
Wie finden wir eine Party, zur der der Wiener Korporationsring (WKR) einlädt und auf deren Gästeliste Marine Le Pen (Front National) und Heinz Christian Strache (Freiheitliche Partei Österreichs, FPÖ) stehen? Das Ganze findet statt auf der Wiener Hofburg und zwar am 27. Januar 2012, dem 67. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz? Das ist in etwa so, schrieb Stephan Grigat in der jungle world 4 »als würde die NPD ihren nächsten Parteitag am 9.?November im Schloss Bellevue abhalten«. Zum Kotzen fanden das auch die Gruppen von Ums Ganze und unterstützten unter dem Motto »Vienna Calling – Den WKR-Ball crashen!« die Gegenaktionen in Wien. Zwischen 6.000 und 8.000 Menschen beteiligten sich an einer Antifa-Demo und Blockaden und sorgten damit für eine enorme internationale Presseresonanz. Der WKR selbst dokumentiert über 30 »Vorfälle« gegenüber Gästen der Veranstaltung, von Eierwürfen bis Faustschlägen. Der Ball wird am 1. Februar 2013 wieder stattfinden, allerdings als »Wiener Akademikerball« und diesmal ausgerichtet von der FPÖ.
Stephan Grigat merkte in seinem Artikel an, »dass kaum einer oder eine von jenen Linken, die verständlicherweise gegen den Ball des WKR protestier(t)en, sich zu Demonstrationen veranlasst sah, als im Jahr 2010 Manouchehr Mottaki, der Eröffnungsredner auf der Konferenz der Holocaustleugner in Teheran und damalige iranische Außenminister, von seinem österreichischen Amtskollegen hochoffiziell empfangen wurde.«
Antifawinter (1)
Während Verfassungsschutz (VS) und Bundeskriminalamt (BKA) auf der Suche nach den UnterstützerInnen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ihre Gehaltslisten abarbeiten, kamen zur Demo unter dem Motto »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland« am 28. Januar etwa 2.000 Menschen nach Hamburg. Aufgerufen hatte ein Bündnis aus verschiedenen politischen Gruppen, unter anderen das Plenum der Roten Flora, der AK Kritische Studierende Kiel, die Gruppe sous la plage und zwei St. Pauli Fangruppen. Die mitaufrufende Münsteraner Gruppe et2c kritisierte in einer Stellungnahme unter anderem die terminliche Nähe der Demo zum Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und ihr Motto, einen Vers aus dem Gedicht »Todesfuge« von Paul Celan. Die Gruppe stellt die Frage, »ob ein (solches) Gedicht überhaupt herhalten sollte, um aus dem Kontext gerissen und zu einem Demomotto verwurstet zu werden, man einen (solchen) Vers zu einem Slogan verkommen lassen kann.« Im Aufruf fehle, so die Stellungnahme weiter, »eine grundlegende, zutreffende und umfassende Kritik der Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft kapitalakkumulierender Produktionsweise, welche die Spezifika der deutschen Geschichte mitdenkt.« (Aufruf und Stellungnahme unter: et2c.wordpress.com/2012/01/22/antifa-demo-280112/#more-2087)
Antifawinter (2)
»Das oberste gemeinsame Ziel der ›AG 13. Februar‹ war ein gewaltfreies Gedenken und Erinnern. Und das haben wir erreicht«, bringt Dresdens Bürgermeister Dirk Hilbert (FDP) die Sache auf den Punkt. Die AG 13. Februar, ein Bündnis aus Vertreterinnen und Vertretern von Stadt, Parteien und Zivilgesellschaft, hatte für den Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten eine Menschenkette organisiert. Etwa 16.000 DresdnerInnen folgten dem Aufruf und nahmen sich um 18 Uhr an die Hand, um der »Opfer des Krieges« zu gedenken. Wider die Verwandlung von Tätern in Opfer befand sich parallel eine antifaschistische Demonstration mit 2.500 Teilnehmenden auf dem »Mahngang ›Täterspuren‹«, der Station an Orten nationalsozialistischer Verbrechen in Dresden machte. Die offizielle Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof war eine weitere Etappe in Dresdens Gedenkmarathon. Unter der Losung »Es gibt nichts zu gedenken« versuchten Antifas weitgehend erfolglos, den »Gedenkzirkus« zu stören. Am Abend durften dann noch die Nazis trauermarschieren, auf verkürzter und wenig repräsentativer Route zwar, dafür aber bestens abgeschirmt von der Polizei. So hatte alles seine Ordnung.
Am darauffolgenden 18. Januar suchten die »linken Chaoten« das barocke Dresden ein weiteres Mal heim. Das, obwohl die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland ihren Marsch lange vorher abgesagt hatte – die frustrierenden Erfahrungen der beiden letzten Jahre haben wohl doch an der Truppenmoral genagt. Dieser Meinung waren jedenfalls die etwa 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der antifaschistischen Demonstration, aus deren Lautsprechern es siegesgewiss schallte: »Der Nazigroßaufmarsch in Dresden ist Geschichte«. Für die Demonstration der organisierten Nazis mag das vielleicht stimmen – und das schlechteste wäre das sicher nicht. Bei der ganzen Freude über die Erfolge einer Antifa-Einheitsfront bleibt jedoch die Frage, wie die Scheiße in Dresden und anderswo wohl aus den Köpfen geht, weiterhin unbeantwortet.
Ohrfeigen
Die bundesdeutsche Erschrockenheit über die Morde des NSU wurde öffentlich am 23. Februar mit einer nationalen Trauerminute und einer Entschuldigung der Bundeskanzlerin beendet. Vier Tage später, am 27. Februar, landete Die Linke einen ihrer seltenen coups und die stellte Beate Klarsfeld als Kandidatin zur BundespräsidentInnenwahl auf. Die Journalistin und Antifaschistin Klarsfeld hat mit ihren politischen Dokumentationen einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, das Augenmerk auf die zahlreichen, in der Nachkriegszeit von Strafverfolgung unbehelligten, NS-Täter zu lenken. Sie wies öffentlich auf die NSDAP-Vergangenheit des Bundeskanzlers Georg Kiesinger hin, unter anderem in Form einer Ohrfeige. Die bundesdeutsche Moral in Gefahr sieht Die Welt, da die SED Klarsfeld 1968 2.000 D-Mark für ihre politische Arbeit zur Verfügung gestellt hat. Diesen Vorwurf kommentierte Klarsfeld Anfang März so: »Mein Ziel war es, Nazis zu jagen und ihre Verbrechen an die Öffentlichkeit zu bringen […]. Ich wurde dabei von den Regierungen der USA, Frankreichs, Israels und der DDR unterstützt.« Von der Bundesregierung gab es kein Geld. Die FDP findet, die Kandidatur Klarsfelds sei »eine Ohrfeige für alle Demokraten in unserem Land«. Zum Bundespräsidenten gewählt wurde am 18. März Joachim Gauck, der sich selbst als »linken, liberalen Konservativen« beschreibt, Thilo Sarrazin »mutig« findet und meint, von »den Schwachen und Abgehängten« müsse mehr gefordert werden. Mit diesem Stuss können die deutschen DemokratInnen offenbar gut leben.