»In motion«

Fühlt ihr euch nackt?

Seit dem 1. Juli 2007 ist es soweit: die Erfassung der Deutschen in einer zentralen Bevölkerungsdatei durch die Zusammenführung der Datensätze von ca. 5.300 Melderegistern und die Schaffung eines bundesweiten Personenkennzeichens (PKZ) wurde eingeführt.

Die bundesweite zentrale Meldedatei gilt dabei als organisatorisches Hilfsmittel, um eine einheitliche und eindeutige Steuer-ID an jede Bürgerin und jeden Bürger zu vergeben. Die Steuer-ID wird mit der Geburt zugeteilt und bleibt bis 20 Jahre nach dem Tod eines Menschen bestehen. Laut Regelung soll sie ausschließlich der eindeutigen Zuordnung von Daten, Dokumenten und wirtschaftlichen Vorgängen zu Steuerpflichtigen dienen. Weil aber ein Großteil der Alltagsvorgänge von geschäftlichen Transaktionen bis zum einfachen Bezahlen einer Rechnung steuerrechtlich relevant ist, wird die neue Steuer-ID allgegenwärtig sein. Hierüber können dann nicht nur Finanzämter, sondern Banken, Auskunfteien, Adressenhändler, Versandhändler und sonstige Unternehmen ihre Datenbestände zusammenführen. So können aufgrund der Steuer-ID umfassende Persönlichkeitsprofile erstellt werden. Nach der Identifikation mit Kameras und Biometrie werden jetzt also auch die finanziellen Transaktionen einer Person überwacht.

Wer damit ein Problem hat, sollte einfach in die Pampa ziehen, Subsistenzwirtschaft betreiben und jeglichen zivilisatorischen Errungenschaften adé sagen oder eben die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft, die einem so alltäglich um die Ohren gehauen werden, abschaffen.

Homophobie

Seit Beginn diesen Jahres kam es vermehrt zu homophoben Übergriffen in Berlin. Am 11. Mai wurde eine bisexuell orientierte Frau in Berlin-Kaulsdorf zusammengeschlagen, am 8. Juni wurden mehrere TeilnehmerInnen des »Drag Festival« in Berlin-Kreuzberg angegriffen, am 17. August wurden drei vermeintlich homosexuelle Männer in Berlin-Tiergarten verletzt und am 18. Oktober wurde ebenfalls in Berlin-Kreuzberg ein schwuler Mann am Halleschen Tor in der U-Bahn verprügelt. Der letzte Übergriff ereignete sich am 27. Oktober wieder in Berlin-Kaulsdorf: ein lesbisches Pärchen wurde beschimpft, mit roter Farbe besprüht und zu Boden getreten. Anlässlich der homophoben Vorfälle demonstrierten am 1. November 150 Menschen in Berlin-Kaulsdorf und am 4. November 500 Menschen in Berlin-Kreuzberg gegen Homo- und Transphobie.

Das große Schweigen

Dass Nazis vor Mord nicht zurückschrecken, dürfte hinreichend bekannt sein. Mit welcher Häufigkeit dies allerdings geschieht und wie wenig die Öffentlichkeit sich darum schert, ist schon eine Erwähnung wert: Alleine im August 2008 wurden drei Menschen durch Nazis ermordet.

Am 6. August dieses Jahres wurde der Zigarettenhändler Cha Dong N. vor einem Supermarkt in Berlin-Marzahn von einem Nazi beraubt und danach erstochen. Der Nazi hatte in der Vergangenheit Zigarettenhändler immer wieder rassistisch tituliert und gefordert, »sie müssten verschwinden«. Die Medienlandschaft berücksichtigte die Tat kaum. Berichte über den Vorfall verkannten die rassistische Motivation der Tat und zogen stattdessen soziale Probleme als Erklärung heran.

Auch in einem weiteren Fall wurden politische Hintergründe ausgeblendet: Nachdem Rick L. am 17. August in der Magdeburger Diskothek »Funpark« einen 20-jährigen Nazi als solchen bezeichnet hatte, tötete dieser ihn wenig später an einer nahe gelegenen Bushaltestelle. Der Lokalpresse war der Vorfall kaum der Rede wert. Sie bezeichnete die Tat abwiegelnd als »Disco-Mord«, während die zuständigen Behörden sich über die Tat ausschwiegen.

Nur wenige Tage später, am 24. August wurde in Bernburg (auch Sachsen-Anhalt) der 18-jährige Marcel W. vom gleichaltrigen Neonazi David B., gegen den er vor Gericht aussagen sollte, erstochen. Die zuständigen Behörden hielten sich zu den politischen Hintergründen der Tat bedeckt. Zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei hatte es eine Absprache gegeben, erst auf Nachfragen von Journalisten Informationen zur Tat zu veröffentlichen. Erst eine Woche später wurde durch einen Bericht des Spiegels die rechtsextreme Einstellung der Täter einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

Arme kleine Deutsche

Zu den deutschnationalen Feierlichkeiten am 3. Oktober 2008 fanden in Hamburg zahlreiche Gegenveranstaltungen statt. Ein Bündnis Hamburger autonomer und antifaschistischer Gruppen namens »Gegen deutsche Einheit!« organisierte eine Veranstaltungsreihe sowie am Feiertag selbst eine Podiumsdiskussion zur Kritik des deutschen Nationalismus. Das Bündnis »Hart Backbord! – Hamburger autonome und antifaschistische Gruppen« organisierte für den selben Tag eine Demonstration durch die Hafencity unter dem Motto »Für etwas Besseres als die Nation!«. Die Demonstration war mit 1.500 TeilnehmerInnen gut besucht und verlief weitgehend friedlich. Leider nur weitgehend, weil es – fast schon mit trauriger Regelmäßigkeit – auch dieses Mal wieder zu einem Übergriff von Anti-Imps auf die TrägerInnen von Israel-Fahnen kam. Auch wenn die Angreifenden glücklicherweise schnell abgewehrt wurden, fühlten die VeranstalterInnen der Demo sich nicht bemüßigt, diese der Demo zu verweisen.

»Anonyma«

Die neuste Scheußlichkeit des deutschen Kinos ist ein Film, der die deutsche Opferrolle auf die Spitze treibt. Für die Entsorgung der deutschen TäterInnenschaft, wird nun die Vergewaltigung von Frauen durch die Rote Armee instrumentalisiert. Dabei bleibt die hochorganisierte Zwangsprostitution, wie sie die Deutschen betrieben, natürlich unbearbeitet. War es in den Produktionen der letzten Jahre schon kein großes Problem, den Nationalsozialismus entkontextualisiert darzustellen, so wurde nun der revisionistische Gründungsmythos Deutschlands verfilmt, als von der projizierten sowjetischen Barbarei gescholtenes. Fast schlimmer als der Film sind aber noch die Reaktionen auf diesen. Die Süddeutsche Zeitung nannte die Protagonistin eine »glamouröse, nationalsozialistische Kosmopolitin«. Bedauerlicherweise gerät der Deutschlandhype nicht in die Krise und es liegt dem deutschen Kino nichts ferner, als eine vernünftige Bearbeitung des Themas vorzunehmen.

Die Krise

Übrigens ist ja jetzt Krise. Haben wir gar nicht kommen sehen. Das heißt, natürlich eigentlich schon, immer schon. War ja klar. Ist ja sozusagen immanent, die Krise. Systemimmanent. Muss man gar nichts zu sagen. Hatten wir doch wieder mal recht. Ja, was predigen wir denn schließlich seit zig Ausgaben? Aber auf uns hört ja keiner. Wie das jetzt genau kam, mit der Krise, und was wir jetzt machen sollen? Ja, da neigt sich die Waage wohl ein bisschen Richtung Barbarei, wenn die Menschen zurück zu Väterchen Scheißstaat flüchten. Kein Grund zum Jubeln. Normalzustand. Jetzt bloß nicht in blinden Aktionismus verfallen. Aus Krisensituationen heraus Veränderungen anstoßen – ganz schlecht. Wie sonst eigentlich auch immer, weil: Krise ist ja eigentlich immer. Da gibt's nix zu hoffen. Wie sonst eigentlich auch nie. Weil – genau. Wenn man es immer schon gewusst hat, so wie wir, dann hat man halt die Ruhe weg. Krise, pah. Wir sind doch nicht von gestern, wir sind höchstens von morgen. Und heute? Heute, also, dass der Moment praktisch kein Außen mehr kennt, dieses ständige, rasende, um sich selber kreisende Dingens, das müsste man auch mal kräftig geißeln, in einem Artikel, der sich gewaschen hat. Jetzt und hier, das ist doch perfideste Ideologie, die sich den Anschein von Geschichtslosigkeit geben will. Wir dagegen: machen schließlich immer noch Geschichte. Bis morgen.

PHASE 2 BERLIN