Krieg der Welten

Nicht allein die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 reizen weiterhin zum inzwischen stark strapazierten Vergleich mit Drehbüchern von Wolfgang Petersen und Co. - auch Besetzung und der weitere Fortgang der Ereignisse wären wohl Oscar-verdächtig, handelte es sich nicht um finstere Realität: Die Rolle des wahrhaft schurkischen Oberschurken erhält ein phantomhafter orientalischer Fanatiker, der einen "heiligen Krieg" propagiert, auf der Seite des Guten kündigt ein Präsident mit dem IQ einer Zimmerpflanze einen "Kreuzzug" an, während seine leider sehr viel intelligenteren Militärstrategen sich aus dem teilzerstörten Pentagon heraus anschicken, im Kampf von "Gut gegen Böse" nötigenfalls einmal mehr ganze Weltregionen in Brand zu setzen.

Nun handelt es sich bekanntermaßen nicht um einen Actionfilm mit leicht absurdem Plot, und die Konsequenzen sind in jeder Hinsicht real.

"We create a new world order" (George Bush senior, 1991)

Zwar haben die USA das wohl größte nationale Trauma ihrer Geschichte erlitten, als am 11. September mit den Türmen des World Trade Center auch die Selbstgewissheit der eigenen Unangreifbarkeit in Trümmer ging - es ist jedoch nicht daran zu zweifeln, dass sie alles daransetzen werden, im "Krieg gegen den Terror" ihre Rolle als unangefochtene Nr.1 nun erst recht in aller Welt durchzusetzen. Unter diesem Vorzeichen und der unverhohlenen Drohung "Wer nicht für die USA ist, ist für die Terroristen" hat die ins Mark getroffene Supermacht in den Wochen nach den Anschlägen ihre Mitstreiter für den Feldzug um sich geschart: Von den Bündnispartnern der NATO über alte und neue Freunde im Nahen und Mittleren Osten bis hin zu Russland und sogar China - alle erklären sie ihre Solidarität und Bereitschaft zur konkreten Unterstützung des "War on Terrorism". Zwei Motive dürften für diese ungewöhnliche Einigkeit ausschlaggebend sein: So hat jedes Land ein Interesse daran, das nationalstaatliche Monopol auf (quasi-)militärische Gewaltanwendung durchzusetzen - insbesondere jene, die, wie etwa Russland, ihre eigenen Probleme (und Umgangsformen) mit bewaffneten Gegnern haben. Zum anderen kann es sich derzeit einfach kein Staat der Welt, schon gar nicht die militärisch schwachen, leisten, sich nicht in die Vereinigten Staaten für Amerika einzureihen. Wie gesagt: Wer nicht für die USA ist... - So kommt es, dass beispielsweise auch Syrien, nicht gerade bekannt für Amerikafreundlichkeit, auf diplomatischem Umweg über die EU (in einer Nebenrolle: Joseph Fischer als "Good Cop") seine Solidarität betont, um nicht auf die Liste jener Staaten zu geraten, denen bereits offen mit Auslöschung ("ending states") gedroht wurde.
Der auf Maßstäbe von Jahrzehnten projektierte "Krieg neuen Typs" hatte bereits begonnen, bevor am 7. Oktober 2001 die ersten US-Angriffe auf Kabul erfolgten, und das nicht nur für Hunderttausende afghanischer Flüchtlinge, die zu den ersten Opfern dieses Krieges wurden, bevor auch nur eine militärische Aktion ausgeführt wurde. Auch die massive Kontrolle nicht mehr nur über die Außen-, sondern auch über die Innenpolitik, insbesondere der arabischen Staaten und der Nachbarn Afghanistans, lässt sich bereits als Kriegsfolge beschreiben: Die betreffenden verbündeten Staaten verlieren, wie sonst nur Besiegte eines konventionellen Krieges, einen Großteil ihrer Souveränität, indem sie nicht nur den USA unbeschränkte Bewegungsfreiheit gewähren, sondern zudem angewiesen sind, ihre eigene Innenpolitik entsprechend auszurichten. Dies wird in der nun begonnenen heißen Phase des Kriegs umso bedeutender und hat sich bereits in tödlichen Schüssen auf Demonstrierende in Pakistan manifestiert.
Einer weiteren Region widerfährt eine massive Weltneuordnung: Dem Nahen Osten, speziell Israel/Palästina. Sowohl die israelische Regierung als auch die palästinensische Autonomiebehörde stehen unter dem Druck, an diesem heiklen Brennpunkt Ruhe zu schaffen.So kommt es, dass die israelische Armee zeitweise den Begriff "Waffenstillstand" tatsächlich einmal einigermaßen ernst genommen hat und immer wieder hinausgezögerte bilaterale Gespräche zugelassen werden. Angesichts des Widerstrebens, das die Sharon-Regierung dabei an den Tag legt, ist jedoch nicht zu erwarten, dass dies in Versuche münden könnte, ernsthaft nach einer Lösung zu suchen - auch, wenn die USA unter lautem israelischen Protest überraschend verkündet haben, man könne sich einen palästinensischen Staat vorstellen. Auf der palästinensischen Seite ist die Autonomiebehörde gezwungen, selbst gegen islamistische Kräfte vorzugehen - erstmals hat auch die palästinensische Polizei Demonstranten getötet. Zur erwünschten Stabilisierung der Lage wird der verschärfte Kurs gegen fundamentalistische Kreise jedoch kaum beitragen, stattdessen könnte dies die politischen Verwerfungen in der palästinensischen Gesellschaft vertiefen und deren reaktionärsten Kräften Zulauf verschaffen.

Inzwischen haben die USA gegenüber dem UN-Sicherheitsrat deutlich gemacht, dass Angriffe auf weitere Staaten geplant sind. Welche das sein werden, wurde bisher nicht gesagt; es kann aber davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Auswahl aus der Liste der bekannten "Schurkenstaaten" - vorerst einmal unter Ausnahme von Kuba und Nordkorea - handeln wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich die nächste Offensive gegen den Irak richten, andere antiamerikanisch-islamische Staaten wie der Sudan oder auch Libyen müssen ebenfalls Bombenantiterror befürchten. Das "zivilisierte Abendland" hat dabei zwar nicht Unrecht, wenn es betont, dass sich dieser Krieg nicht gegen den Islam als solchen richte: Er richtet sich speziell gegen jene Teile des politischen Islam, die eine souveräne Rolle des arabischen Raums im Gefüge der Weltmächte anstreben. Genau deshalb jedoch wird er genau jene Frontenbildung mittragen, die, so darf angenommen werden, in der Logik der Anschläge auf die USA beabsichtigt war.
Andere Formen der Kriegsführung zeichnen sich bereits ab. Weitere zu erwartende bzw. bereits durchgeführte Maßnahmen, insbesondere auch in Regionen, in denen klassische Militäraktionen nicht möglich sind, sind Geheimoperationen, Sanktionen gegen missliebige Regierungen (deutlicher ausgedrückt: das Aushungern der Bevölkerung, wie es seit einem Jahrzehnt im Irak ja bereits geschieht) und die Unterstützung von Bürgerkriegsparteien, die sich im Fall ihres Sieges als künftige gefügigere Regierung anbieten. Es steht also ein Krieg bevor, der als wichtige Komponente eine Bündelung bekannter Maßnahmen zur Regelung der Weltpolitik beinhalten wird, wie sie auch in den "friedlichen" Zeiten vor dem 11. September zur Anwendung kamen.
Zu diesen normalen imperialistischen Zeiten gehört auch, dass es neben Reaktionären islamischer Prägung auch andere, konkurrenzfähigere Kräfte gibt, die mit der alleinigen Vorherrschaft der USA nicht glücklich sind. Die EU unter Anführung der BRD ist in diesem Machtspiel die handlungsfähigste. Momentan scheint dieser transatlantische Konflikt, der sich in den vergangenen Jahren vertieft hat, zwar scheinbar in der großen Einigkeit der "zivilisierten" Staaten zu verschwinden - er ist aber auch hier weiter virulent. So ist es kein Zufall, dass es die deutsche Außenpolitik war, die am lautesten "Hier!" geschrieen hat, als es um mögliche gemeinsame NATO-Aktionen "gegen den Terrorismus" ging. Dahinter steckt eben nicht die immer wieder hervorgehobene Dankbarkeit Deutschlands den USA gegenüber, sondern der nur unzulänglich verhohlene Wunsch, im großen "Risiko"-Spiel nicht nur mitmachen, sondern auch -bestimmen zu dürfen. Die USA scheinen, von dieser allzu großen Hilfsbereitschaft allerdings nicht sonderlich begeistert zu sein und bauen lieber auf die bewährte Waffenbrüderschaft mit Großbritannien. Der Rest der Welt, also auch die BRD, wird vielleicht ein paar Soldaten zur Unterstützung schicken dürfen, aber keine entscheidende Rolle spielen.
Auf diplomatischer Ebene könnte sich diese zweitrangige Position durchaus als Standortvorteil für die EU erweisen. Aus Mangel an Gelegenheit, sich in den letzten fünfzig Jahren wie auch aktuell in der Welt dermaßen unbeliebt zu machen wie die USA, besitzt Europa eine ganz andere Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, sich mit der Betonung von "Humanität" und diplomatischen Mitteln als der hübschere Imperialismus zu präsentieren.
Andererseits weiß insbesondere die deutsche Regierung, die destabilisierte Weltlage auch in militärischer Hinsicht zu nutzen. Das schnell unterbreitete Angebot, das US-Militär beispielsweise auf dem Balkan zu "entlasten", wurde mittlerweile ganz im Sinne deutscher Interessen umgesetzt: Die Weiterführung des NATO-Einsatzes in Mazedonien konnte im Windschatten der weltweiten Militarisierung problemlos beschlossen werden, und Deutschland darf anführen. Die deutsch-europäische Hegemonie zumindest auf diesem Schauplatz, auf dem sich die Konkurrenz mit den USA in den vergangenen Monaten recht deutlich manifestiert hatte, dürfte somit gesichert sein.
Längerfristig zeichnet sich eine von politischen Bedenken ungebremste militärische Handlungsfreiheit ab - schon mit dem Beschluss des zweiten Mazedonien-Einsatzes, der auf keinerlei Widerstand mehr stieß, zeigt sich, dass eine Hemmschwelle für Auslandseinsätze der Bundeswehr, vorher schon kaum existent, faktisch nicht mehr vorhanden ist. Auch der Aufbau der Bundeswehr zu einer weltweit kriegsfähigen Einsatztruppe wird sich weiter beschleunigen.

Deutscher Herbst, Version 2.0

Nicht nur Militärstrategen bekommen angesichts einer solchen Erweiterung ihrer Möglichkeiten leuchtende Augen - auch innenpolitisch wird aufgerüstet. Viele Projekte, die ohnehin in Vorbereitung waren und normalerweise nur schrittweise und unter Begleitung einer akzeptanzfördernden demokratischen Scheindebatte eingeführt worden wären, werden nun aus der Schublade geholt und in schnell beschlossene "Antiterrorpakete" gepackt. Beispiele hierfür sind die Aufhebung des Religionsprivilegs, der Ausbau internationaler Polizeiapparate wie beispielsweise Europol und der § 129b. Dieser Paragraph macht es möglich, ausländische "terroristische Vereinigungen" auch dann im Inland zu kriminalisieren, wenn sie sich hier völlig legal verhalten. Eine Definition von "terroristischer Vereinigung" existiert im Gesetzestext nicht. Somit fällt im Prinzip jede oppositionelle Gruppe darunter, die einem befreundeten Staat mit unerwünschten Aktivitäten Probleme bereitet, und die Definition ist damit ausschließlich von der außenpolitischen Konjunktur abhängig. Betroffen hiervon werden also garantiert nicht alleine islamistische Gruppierungen sein, ins Visier geraten beispielsweise auch kurdische Vereine, tamilische Exilorganisationen, Zapatistas, und, und, und,... Für deutsche AktivistInnen wird es riskanter werden, Kontakte mit linken und fortschrittlichen Kräften weltweit zu pflegen.
Auch der staatliche Rassismus erlebt neue Höhenflüge: Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei der Einbürgerung von AusländerInnen, vereinfachte Abschiebung und eine Neuauflage der Rasterfahndung nach einer Logik, die den deutschen DurchschnittsrassistInnen sicher einleuchten wird: Nichtdeutsche, die sich gesetzestreu verhalten, machen sich verdächtig, sind nicht "normal".
Neben jenen Entwicklungen, die bereits in Planung oder zumindest absehbar waren, kommen zugleich Ideen auf, die in Zeiten des real existierenden World Trade Centers nicht laut denkbar gewesen wären: Überlegungen zum Einsatz der Armee im Inland bzw. zur Gründung einer paramilitärischen "Nationalgarde", Fingerabdruck im Personalausweis, Verbot von undechiffrierbarer Verschlüsselungssoftware und selbst die Aufhebung des bislang für ein säkuläres kapitalistisches Heiligtum gehaltenen Bankgeheimnisses - kein Gedanke aus der Wunschlitanei von "Law-and-order"-FetischistInnen beziehungsweise den Alpträumen pessimistischer Science-Fiction-AutorInnen, der nicht zumindest versuchsweise in die Debatte geworfen wird. Ohne den Notstandsparagraphen heranziehen zu müssen, wird auf diese Weise der Ausnahmezustand zur Normalität. Dabei spielt es keine Rolle, ob die verschiedenen Maßnahmen einen realen Nutzen in der "Terrorismusbekämpfung" versprechen oder nicht - wenn eine verstärkte Polizei- und Kamerapräsenz in den Straßen oder die faktische Aufhebung des Datenschutzes und des Prinzips der Unschuldsvermutung schon nichts gegen potentielle Flugzeugattentate ausrichten mögen, so dienen doch alle Varianten der Repression dem "subjektiven Sicherheitsbedürfnis" der Bevölkerung. Diese kann ohnehin gar nicht genug davon haben und wählt Ronald Schill.

Ground Zero: What´s left?

Während sich die durchschnittliche Metropolenbevölkerung in Übereinstimmung mit ihren Regierungen auf der richtigen Seite weiß, wenn Bomben und Raketen auf Afghanistan niedergehen, die Innenpolitik endgültig Orwell'sche Dimensionen erreicht und das ARD-Nachtkonzert als Begleitmusik Militärmärsche spielt, geht die verbliebene Linke finsteren Zeiten entgegen und verbessert ihre Lage mit ihren inneren Widersprüchen dabei nicht.
Ihre unmittelbaren Reaktionen nach den Anschlägen reichten von eher beklommener als klammheimlicher Freude angesichts des brennenden Pentagon über sich in einem Vakuum bewegende Appelle "gegen Gewalt" seitens der letzten Linksliberalen bis hin zum Pawlow'schen Reflex des Antiislamismus: Schnell waren - auch außerhalb der "Bahamas"-Redaktion - jene sich als "antinational" bezeichnenden ExpertInnen zur Stelle, die schon immer wussten, dass das Reich des Bösen nicht von Moskau, sondern von Mekka aus gesteuert wird.
Einig ist sich die Linke zumindest darin, dass ihre Positionen keinerlei Platz in diesem Konflikt um den Einfluss auf die Weltpolitik haben, der vermittels reaktionärer Ideologien und Methoden auf beiden Seiten ausgetragen wird. Schwierig wird es jedoch, wenn es um die aus dieser Erkenntnis zu ziehenden Konsequenzen geht, sobald diese über die alles andere als radikale Kritik an Rassismus und innerer Aufrüstung hinausgehen.
Schon an der Frage, ob und wie ein linksradikaler Widerstand gegen den herrschenden Kriegszustand artikuliert werden kann, scheiden sich die Geister an der Schwierigkeit, sich auf keine Seite schlagen zu können und dennoch Position beziehen zu müssen. So ist es zum einen unmöglich, sich positiv auf jene Überreste einer liberalen Friedensbewegung zu beziehen, die für UNO und nichtmilitärische Maßnahmen plädieren - was schlicht auf den Wunsch nach einer reibungsloseren Durchsetzung des kapitalistischen Modells von "Zivilisation" hinausläuft, dem ja noch immer die Hauptkritik der Metropolenlinken gelten muss. Andererseits besteht das Problem, dass der Krieg zwar zwischen Metropole und Staaten des Trikont stattfindet, jene jedoch, die sich den unbestreitbar existenten Opfern des Imperialismus - sofern islamischen Glaubens - als Alternative anpreisen, keinerlei Ziele vertreten, mit denen Linke sich solidarisieren könnten, sondern das krasse Gegenteil.
Besonders einfach machen es sich in diesem Punkt die schon erwähnten sogenannten "Antinationalen". Vor die scheinbare Wahl zwischen aufgeklärter und religiöser Barbarei gestellt, schlagen sie sich, teils bewusst, teils ungewollt, auf die Seite der westlichen Militärmacht, deren Bomben aus dieser Sicht offenbar einen höheren Wert für den Menschheitsfortschritt haben als die Unterdrückungsmethoden, wie sie von den Taliban praktiziert werden. Nicht wahrgenommen wird dabei, dass der postulierte Widerspruch von "Zivilisation" und "Barbarei" keiner ist, wie sich an Beispielen wie Saudi-Arabien und auch dem Iran zeigt: Auch dort herrschen Religionsdiktaturen, gleichzeitig aber eben auch deren Bereitschaft, sich ins Gefüge der Neuen Weltordnung - im ersten Fall die US-amerikanische, im zweiten mehr die europäische Vorstellung davon - einzupassen; aus diesem Grund ist ein Militärangriff auf Saudi-Arabien undenkbar, im Fall des Iran zumindest unwahrscheinlich. Ohne die Analyse der geostrategischen Interessen, die die Konfliktlinien bestimmen, bleibt freilich nur die kulturalistische Interpretation. Was an der Reproduktion von rassistischen Schemata, Metropolenchauvinismus und der Logik des "Menschenrechtskriegs", die darin aufscheint, antinational sein soll, mögen andere erklären.
Ein weiteres bekanntes Argumentationsmuster, das aus dieser Ecke zu hören ist, liegt in den üblichen Pauschalunterstellungen, die alle anderen Linken der Komplizenschaft mit der antisemitischen Definition von "Antiimperialismus" verdächtigen, der islamische FundamentalistInnen und FaschistInnen eint. Ohne jede Frage gehen Antiamerikanismus, Antizionismus und Antisemitismus allzu leicht Hand in Hand, soweit hat die antinationale Kritik recht - es handelt sich aber dennoch um verschiedene Phänomene. So gibt es durchaus Gründe, die USA auch von einer linken Position aus für von ihnen speziell produzierten Terror und Barbarei zu kritisieren - ohne sie dabei für das Zentrum einer "jüdischen Weltverschwörung" zu halten und auch, ohne zu wünschen, dass die Welt am deutschen Wesen (respektive EU-Imperialismus) genesen möge. Ebenso wenig führt eine Kritik an der Politik und Staatsideologie Israels automatisch zu Antisemitismus und der Infragestellung des Existenzrechts des Staates Israel. Wird jedoch auf diese Differenzierung verzichtet, führt auch hier die Fundamentalkritik in die Reproduktion des Kritisierten und die Affirmation der herrschenden Zustände.Besteht die Alternative zu dieser freiwilligen oder unfreiwilligen Haltung zugunsten der NATO-Zivilisation darin, eine Position in einem möglichst erdfernen Orbit zu suchen? Das ist zum einen nicht möglich, da sich alle Mitglieder der mobilgemachten Gesellschaft, eben auch die Linken, nun einmal mittendrin befinden und diese auch durch Nichthandeln mittragen. Zum anderen ist "links" ohnehin schon eine Positionsbestimmung; ihre Grundlage ist die Kapitalismuskritik. Diese gilt es, auch in einer Zeit aufrechtzuerhalten, in der das direkte Kapitalverhältnis hinter seinen kriegerischen Auswirkungen aus dem Blickfeld verschwindet. "Der Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus" heißt ein einstmals sehr beliebtes politisches Standardwerk. Die darin beschriebenen Phänomene sind zwar etwas überholt, nicht jedoch die Tatsache, dass dieser gesellschaftliche Zustand notwendigerweise Kriege hervorruft. Diesen Zusammenhang deutlich zu machen und weiter auf der Abschaffung des Kapitalismus und der weltweiten Befreiung des Menschen aus den Verhältnissen zu beharren, die Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung jedweder Form hervorrufen, muss weiterhin die Aufgabe einer revolutionären Linken sein - auch, wenn die Aussichten dafür im momentanen Klima von Militarismus, Reaktion und Repression denkbar schlecht scheinen. Und gerade drum.

Phase 2 Göttingen