Scheinbar geht es in beiden hier vorzustellenden Publikationen um »globale Rechte«. Empfohlen sei jedoch gleich vorab, den von Shalini Randeria und Andreas Eckart herausgegebenen Sammelband Vom Imperialismus zum Empire nicht direkt nach der Lektüre von Gayatri Spivaks Essay Righting Wrongs – Unrecht richten zur Hand zu nehmen, denn beide sind an entgegengesetzten Enden des mittlerweile großen Feldes zu verorten, das sich im weitesten Sinne mit »postkolonialen« Themen, wie Menschenrechten und Globalisierung befasst. Der Kontrast in Bezug auf die theoretische Dichte und analytische Präzision ist eklatant.
Ob die Kräfteverhältnisse der Gegenwart nun mit den Dichotomien Norden und Süden, Zentrum versus Peripherie oder westlich/nichtwestlich beschrieben werden: Die Aufteilung von Randeria/Eckart in Kreditgeber und Kreditnehmer des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank als zentrale Institutionen des »neuen post-kolonialen Imperialismus« (10) ist in ihrer vermeintlich kritischen und gewollt radikalen Haltung symptomatisch für exakt jene Blindheit von Wissensarbeiterinnen und -arbeitern für die eigenen Verwicklungen mit dem globalen System, der Gayatri C. Spivak immer wieder entgegenzuarbeiten versucht. Spivaks Texte erscheinen zwar aufgrund ihrer Differenziertheit sperriger und schwieriger, doch gelingt es ihr zumindest die verschiedenen Ebenen des Ökonomischen und des Politischen miteinander zu vermitteln, ohne die globalen Verhältnisse wiederum auf eindeutige gut/böse-Schemata zu reduzieren.
In die Bevormundungs- und Romantisierungsfalle tappen Randeria/Eckart aber schon mit der Einleitung des Bandes, die den Anspruch, »den gängigen Eurozentrismus [...] ein Stück weit zu korrigieren« (9,11) mehrfach wörtlich wiederholt. Neben der Betonung der historischen Dimension der Globalisierung wird auch das zentrales Anliegen des Bandes herausgestellt, der sich offenbar einem dezidierten Relativismus verpflichtet sieht: »es existiert kein archimedischer Punkt, von dem aus zuverlässige generalisierte Aussagen über die vielfältigen grenzüberschreitenden Flüsse von Menschen, Waren, Kapital, Bildern, Ideen und Normen möglich wären« (9). Vorbeugend wird sich dagegen verwahrt, aus dem empirischen Material des Bandes »entkontextualisierte Verallgemeinerungen« (20) zu ziehen. Der »interdisziplinäre« Ansatz des Sammelbandes äußert sich dann auch vor allem in begrifflicher Unschärfe und einem offensichtlichen Fehlen adäquater Konzepte, die das Thema erfassen und somit auch begrenzen könnten. Der rote Faden erschöpft sich in einer scheinbar kritischen Haltung. Der Mangel an Reflexivität ist eklatant; Gemeinplätze wie »Beziehungen etwa zwischen Europa und der außereuropäischen Welt« seien »häufig hierarchisch oder gar repressiv« (12) und reproduzieren zudem jene eurozentristische Dichotomie , die der Band berichtigen will. Wo der beklagte Eurozentrismus sich aber überhaupt abspielt, bleibt unklar, da die Herausgebenden das vermeintlich neue Interesse am Thema »Imperien« primär aus der globalen Hegemonie der USA ableiten. Europa bleibt nicht nur der weiße Fleck, der nicht-markierte Maßstab der Analyse, sondern das hier offenbarte manichäische Weltbild führt auch zum bekannten antiamerikanischen Ergebnis.
Randeria und Eckart gehen nicht nur von falschen Prämissen aus, sondern verstricken sich auch in Selbstwidersprüche, wenn sie zum Beispiel religiöse Begründungssemantiken anführen, um eine Seite später zu behaupten, soziale Bewegungen und NGOs würden »das Monopol des Staates als einzigen Ort der Produktion von Normen« in Frage stellen (19f.). Regelrecht peinlich wird es, wenn sie meinen, die »Bedeutung des Staates als primären Ort von Macht und Autorität [...] inzwischen modifizieren« zu müssen. Weder Max Webers grundlegende Unterscheidungen von Macht und Herrschaft noch Michel Foucaults Konzeptionen, die den Machtbegriff auf kapillare, mikrosoziale Verhältnisse ausweiten, sind bei Randeria und Eckart angekommen. Der Versuch, die einzelnen Beiträge vorzustellen und zusammenzuführen, kollidiert mit dem Bemühen, die eigene moralische Haltung herauszustellen und führt zu Verwirrung, was die Ebenen des Textes betrifft. Auch der Bezug auf Negris und Hardts Empire, das immerhin den Titel stellt, bleibt oberflächlich und blass.
Dass representation durchweg mit »Darstellung« übersetzt wird, lässt auch darauf schließen, dass Spivak als eine der wichtigsten Vertreterinnen der postcolonial theory nicht rezipiert worden ist. Demgegenüber hat sie aber immer wieder auf die verschiedenen Ebenen des Begriffs, der eben auch »politische Stellvertretung« meint, hingewiesen. Ironischerweise scheinen sich aber Randeria/Eckart in Bezug auf postkoloniale Subjekte in dieser Funktion zu sehen – die ansonsten seltsam unsichtbar bleiben.
Eine Verwobene Geschichte titelt das erste Kapitel des Sammelbandes. Die konzeptionelle Metapher des Verwebens benutzt auch Spivak, allerdings um eine Strategie zu benennen, die keinen Nutzen für globale Akteure beinhaltet – weder für Kapitalgeber noch für Wissenschaft betreibende Personen des wahrnehmbaren »Oben«. Ein solches Bewusstsein über die eigene Positionierung in der kapitalistischen Weltmaschine lassen leider auch die einzelnen Texte des Bandes vermissen, obwohl deren Niveau deutlich über dem der konfusen Einleitung liegt. Frederick Coopers und Kevin C. Dunns Beiträge verfehlen im Reden über »Afrika« als vermeintliches Korrektiv zum Eurozentrismus die notwendige Reflektion darüber, wie »Afrika« dabei gleichzeitig wieder als Anderes des Eigenen konstruiert wird. Inwiefern diese Beiträge US-amerikanischer Akademiker den kritisierten Eurozentrismus oder die vermeintliche Hegemonie der USA aufbrechen, bleibt unklar. Cooper versucht zudem, eine andere Lesart der Armut des Kontinents als »erfolgreichen Widerstand« gegen den »Ansturm des Kapitalismus« zu entwickeln, die so nicht haltbar ist. Bestenfalls ist dies ein Versuch, eigene Vorstellungen über »Afrika« zu hinterfragen.
Im zweiten Kapitel Disziplinierung der Peripherie entdeckt Teivo Teivainen diskursorientierte Ansätze für die Internationalen Beziehungen und liefert eine politökonomisch fundierte Analyse des IWF, den er als »modernen Priester« charakterisiert. Teivanen schreibt theoretisch informiert und differenziert, womit sein Beitrag aus dem Band positiv herausragt. Auch Ivan Krastevs Aufsatz hat religiöse Semantiken und den IWF zum Thema. Er untersucht aus osteuropäischer Perspektive, wie der »Antikorruptionskonsens« als Punkt, in dem sich Demokratisierungsbestrebungen mit Zwecken der Marktwirtschaft treffen, ersteren letztlich entgegenarbeiten, indem das Vertrauen in Rechts- und Regierungssystem unterminiert wird.
Timothy Mitchell dekonstruiert am Beispiel Ägyptens den internationalen Entwicklungsdiskurs. Das ist zwar nicht neu und sehr faktenlastig – Spivak hat auch zu diesem Thema bereits weit vielschichtigere Analysen vorgelegt –, aber die Produktion eines kritischen Diskurses aus dem Mainstream der Sozialwissenschaften heraus ist nur zu begrüßen.
Das hier vorgezogene vierte und letzte Kapitel des Sammelbandes, Risiken transnationaler Grenzüberschreitung, bietet immerhin einigen Erkenntnisgewinn. Nancy Scheper-Hughes’ Beitrag über globalen Organhandel basiert auf jahrelanger Forschung und arbeitet bioethische Dilemmata eines hochinteressanten Feldes heraus. Vinh-Kim Nguyens Text, einer der drei bisher unveröffentlichten des Bandes, entwickelt das Konzept der »therapeutischen Bürgerschaft« als soziopolitisches Produkt der AIDS-Epidemie.
Das dritte Kapitel, Globale Rechtsräume, besteht aus Shalini Randerias Beitrag zum »zivilgesellschaftlichen Widerstand« gegen Privatisierung in Indien und einem Text von Robert Wade darüber, wie Handlungsspielräume der Entwicklungsländer von Bestimmungen der WTO beschränkt werden. Randeria wie Wade schreiben aus einer vor allem moralischen Perspektive über genuin politökonomische Themen, ohne jedoch einen Begriff des Ökonomischen auch nur ansatzweise erkennen zu lassen. Weder werden Konzepte wie die »neuen globalen Rechtsräume« (Randeria, 213) erläutert, noch die Prämissen der eigenen Kriterien expliziert. Bei Randeria geraten NGOs so zu modernen Rettern und Staaten zu quasi-menschlichen Akteuren: »Listige Staaten sind Staaten, die es schaffen, ihre Pflichten gegenüber ihren Bürgern stetig zu verringern« (234).
Scheinbar bearbeitet Randeria mit ihrem positiven Fokus auf Verantwortung/Verantwortlichkeit und dem Beispiel Indien dabei dasselbe Thema wie Gayatri C. Spivak. Aber nicht nur mit ihrer Verwendung der Bezeichnung »subaltern« für Staaten steht Randerias Zugriff in scharfem Kontrast zu dem Spivaks. Deren Definition von Subalternen als denjenigen, die »von allen Linien der sozialen Mobilität abgeschnitten sind« (21), steht in direktem Zusammenhang mit ihrem Bemühen, diesen Zustand aufzulösen und die Objekte westlicher »Verantwortung« zu Subjekten demokratischen Handelns zu machen. Dabei wendet sie sich ausdrücklich gegen Identitätspolitik und Relativismus: Welchen Status Frauen auch immer im »alten« kulturellen System haben mögen, im gegenwärtigen Kontext müsse immer besonderer Wert darauf gelegt werden, Mädchen Zugang zu Bildung zu gewährleisten (71). Während die Ethnologin Randeria nur ohnehin diskursmächtige Akteure in ihren Versuch einbezieht, politische Verhältnisse zu betrachten, stellt Spivak theoretisch fundiert Zusammenhänge zwischen konkreter Bildungspolitik und der globalen Reproduktion von Klassengegensätzen her, wobei sie Klassengrenzen als quer zur Nord-Süd-Trennung liegend ansieht und so auch die eigene Position als privilegierte Angehörige der kolonialen Mittelklasse in der Diaspora mitdenken kann (10). Die »Verantwortung«, im Namen der Menschenrechte Unrecht zu richten, ermöglicht laut Spivak auch die Aufrechterhaltung von Klassengegensätzen, indem die Benachteiligten immer im Objektstatus notwendiger Hilfe »von Oben« gehalten werden. Die »Klassenapartheid« des Staates sieht sie erst herausgefordert, indem die Bildungsstrukturen, in ihrem Beispiel jene im ländlichen Indien, langsam transformiert werden, die SchülerInnen nicht Verstehen, sondern lediglich Auswendiglernen beibringen (72f).
Spivak schreibt hier zum ersten Mal detailliert über ihre Arbeit mit Kindern in ländlichen Schulen. Sie trennt diese politische Arbeit, die keine schnellen Erfolge verspricht, ausdrücklich von ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin – die selbstredend auch einen politischen Impetus hat, wenn sie westlichen Studierenden beibringt, »sich selbst im Text des Anderen« aufzuheben. Verantwortlichkeit ist bei Spivak vor allem die eigene als Lehrende, die versuchen kann »Wünsche unerzwungen neu anzuordnen« (22). Selten hat Spivak ihr Projekt so deutlich formuliert wie hier: »Der internationale Kommunismus ist unter anderem daran gescheitert, dass Marx, ein organischer Intellektueller der industriellen Revolution, den Kampf um das Recht, frei von Ausbeutung zu sein, nur über den öffentlichen Gebrauch der Vernunft denken konnte, wie er von der europäischen Aufklärung propagiert wurde. Der ethische Part, nämlich der, diese Freiheit für eine Umverteilung nach der Revolution nutzen zu wollen, entsteht durch die Art von Bildung, von der ich spreche«(24). Spivak bleibt eine der wenigen Denkerinnen der Gegenwart, die Marx nicht nur rezipieren, sondern tatsächlich weiterentwickeln. Sperrig ist das Büchlein nur in seiner zwangsläufig oft holprigen Übersetzung, hinter der das Englische des Originals noch zu hören ist. Trotzdem sollte es, im Gegensatz zu Randeria/ Eckarts ziemlich überflüssigen Sammelband, in jede Hosentasche passen.
~Von Antonia Schmid.
Shalini Randeria/Andreas Eckart (Hrsg.): Vom Imperialismus zum Empire, . Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009, 338 S., € 14,00.
Gayatri C. Spivak: Righting Wrongs – Unrecht richten, diaphanes, Zürich/ Berlin 2008, 103 S., € 10,00.