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Sex, Gender, Video

Der Backlash tradierter Geschlechterverhältnisse, homophober Offenbarungen und antifeministischer Platitüden im Mikrokosmos Pop zeigt sich am deutlichsten in der Vermittlung via Videoclip. Dass damit nicht nur die Errungenschaften und Sensibilisierungsversuche insbesondere der Riot Grrrl –und ihrer Nachfolgebewegung(en) den Bach runtergehen, sondern auch viel subtilere Formen von Körperpolitik und Geschlechterrollen das Licht der Welt erblicken, scheint nicht wirklich jemanden zu interessieren.

Es liegt in der Folgerichtigkeit der Ereignisse, dass mit dem Rückzug einer radikalen Linken aus dem Agitations-Horrizont der Popkultur und dem damit verbundenen, mehr oder weniger parallel von statten gehenden Ende von Pop als Subversionsmodell, die Tür endgültig in das Schloß einer langen und traurigen Geschichte fällt. Konnte einst mit der Hoffnung auf kulturelle Opposition und den damit einher gehenden Abgrenzungsmechanismen die Parallelität von Musik und radikaler Politik manifestiert werden, so hat sich dies spätestens seit der Erkenntnis, eine hervorragende Produktpalette für die individualisierten Konsumbedürfnisse darzubieten, als hohle Phrase erwiesen. Das folglich eintretende Bewußtsein, gemein dem kapitalistischen Funktionsprinzip zu sein, tat zur allgemeinen Ernüchterung ihr übriges. War die Popkultur früher ein Kind des Widerstands, so arbeitet sie heute mit ihrer Ausdifferenzierung und Individualisierung den Verhältnissen zu.
Der Boomerang-Effekt, der aus diesem Rückzugsgefecht, mitsamt des Verlustes der diskurstheoretischen Intervention folgen sollte, hat fatale Konsequenzen. Das Diktum Diedrich Diederichsens, von der Unmöglichkeit Politik zu machen, ohne Kultur zu betreiben erweist sich auch und gerade in seiner Umkehrform als Wahrheit sondergleichen.
Dieser mißlichen Lage – “diesem Unbehagen der Kultur” - ist es letztlich zu verdanken, dass bei Linken heutzutage oftmals neben dem Buch von Judith Butler die neue CD der Bloodhound Gang liegt, dass Eminems Lyrics ein ach so- dekonstruktivistischer Ansatz untergejubelt wird und bei Dancehallparties gerade da, wo homophobe Props und Texte auftauchen, die Feuerzeuge leuchten. Mag sein, dass insbesondere im Hip Hop und im Milieu des weißen Mittelstandsrock die Aufklärungsquote in Sachen Sex & Gender nicht besonders hoch angesiedelt ist, um so erschreckender ist allerdings die kritiklose Rezeption, ja die regelrechte Hippness besagter “Phänomene”.
Einst galt die Dekonstruktion von Sprache und Bildern, die via Videoclip vermittelt werden, als non plus ultra poplinker Auseinandersetzung. Diese würde Begriffe entgegen des anzunehmenden Kontextes reflektieren, sowie neue Sinneffekte und Metaphernverschiebungen produzieren und somit den Finger auf die Wunde ökonomischer Bedingungen und Produktionsweisen legen – zumindest im Idealfall. Als kalkulierte und kontrollierte Parodie, die ganz bewußt auf Eindeutigkeit und Essenz verzichtet, wurde darauf vertraut, dass die Macht von Wort und Bild mitsamt der jeweiligen Signifikationskraft der Auslöser von gesellschaftspolitischem Handeln sei.
Bedeutungen von Begriffen unterliegen desöfteren radikalen Wandlungen. Wenn allerdings der Kontext nicht eindeutig ist – und das ist er in der Regel nie – ist auch das Risiko höher, dass das Publikum den Kontext nicht erkennt. Die angestrebte Unbrauchbarkeit verliert somit ihren Sinn und wird zum tradierten Element. Am anschaulichsten läßt sich dies immer noch an amerikanischen Hip Hop Aktivistinnen verdeutlichen: Lil‘ Kim‘s “Suck my Dick” oder Missy Elliots “She’s a Bitch” werden weniger als (selbst)ironische Zuschreibung oder Angriff auf die Doppelmoral der Kollegen gewertet, als vielmehr als “leichte Mädchen” Metapher mit implizierter Abwertung. Die anhänglichen Rezeptionsmißverständnisse lassen in der Regel nicht lange auf sich warten. Eine Bemerkung Bo’s von 5 Sterne Deluxe (“Mary J. Blige steht doch auch auf Schwänze”) bezüglich der “starken Frauen im Pop” geht meilenweit am Thema vorbei und verdeutlicht auf prominente Art und Weise die Nachteile beschriebener Mehrdeutigkeit. Pop macht was es will und das bedeutet Konfusion pur. Auf allen Seiten besteht das Dilemma darin, zwischen gewünschter und ungewünschter Uneindeutigkeit zu unterscheiden (und gegebenenfalls zu vermitteln). Wieviel Ambivalenz ist verträglich, welches Maß an Klarheit der Aussage ist von Nöten? Wie komplex und überdeterminiert kann eine politische Position sein, um überhaupt eine Wirksamkeit zu entfalten?
Die Folge ist ein Abgleiten – eine allgemeine Mystifizierung von Pop. Eine Ausrichtung, die sich zur Zeit wunderbar in eine politische und gesellschaftliche Situation, in der die Produktion von eindeutigen und mehrdeutigen Aussagen laufend so dereguliert wird, daß alles und nichts daraus hervorgehen kann, einpaßt. “Das Ergebnis ist ein irritierendes Klima von symbolischen Fixierungen und Lockerungen, also radikaler Kontingenzerwartung. Man kann es aber auch anders ausdrücken: Pop ist in einem unguten Sinn zum rechtsfreien Raum geworden, in dem Bedrohung und Irritation nicht mehr zu trennen sind.” (Tom Holert)
Die Freiheit des Ausdrucks – freedom of speech – auf die sich da berufen wird, schießt zurück. Und zwar mit parodistischen Überschreitungen in Wort und Bild. In diesem Kontext agiert bisweilen auch der weiße Rapper Eminem, dem dank seines Geniebonus so ziemlich alles gutgeschrieben wird. Er sei ein Produkt dieser beschissenen Welt und kehre die gängigen Stigmata in Wirklichkeit um. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus, denn Eminems Bemerkungen symbolisieren eher marginal eine versteckte Gesellschaftskritik oder eine aufklärerische Annäherung an Foucault’s “Sexualität und Wahrheit”, als vielmehr die lapidare Idealisierung von sexueller Gewalt. “Unsere Welt ist so wie sie ist – nämlich schlecht – deshalb folgt die entsprechende mediale Vermittlung auch im 1:1 Verhältnis, Punkt.” Das die Beschreibungen dieser Zustände in anderem Kontext eine entgegengesetzte Wirkung haben, fällt dabei wohlwollend unter den Tisch der Fakten.
Bei den Fakten bleiben, heißt aber auch anzuerkennen, dass es in der kapitalistischen Notwendigkeit liegt, eine Unterscheidung bestimmter “Menschengruppen” zu forcieren unter gleichzeitiger Propagierung von Gleichheit in der Ungleichheit. Das bedeutet, wer den Hustler Style einiger Gangster kritisiert, sollte den Mittelstandschauvinismus der weißen Rock-Kollegen zumindest ebenbürtig aufs Korn nehmen. Wo allerdings jeglicher aufklärerischer Unterton fehlt, macht die Propagierung samt anhänglicher Positiv-Rezeption materieller Wirklichkeit keinen Sinn. Spätestens seit dem Lara Croft Hype, der sein Pendant in so manchem Musikvideo findet, und in der einige Wenige noch immer eine feministische Veranstaltung alá Gender Trouble sehen, sollte klar sein, was bisher nur die sarkastischste marxistische Ideologiekritik als kulturelles Schicksal der Subjekte schildert – es geht immer nur um die Reproduktion!
Den klassischen Stereotypen spezifischer Sexualisierung in den Musikkanälen dieser Welt ist nichts abzugewinnen, weder unter dem Aspekt der Ironisierung, noch der identitären Selbstzuschreibung. Denn letztlich werden gängige Chiffre - von Rollergirl bis Christina Aguilera - als auch subtile Formen und Codes sexuell aufgeladener Vollbildmännerphantasien verkauft. Die Stilisierung, insbesondere letzterer zu einem postfeministischen Ansatz, wie zuletzt ansatzweise bei den Sugarbabes geschehen, hinkt insofern, das eine “Gegen den Strich-Interpretation” sich auf Coolness und Anderssein reduziert. Um einen Angriff auf den abwertenden und unterdrückerischen Charakter dieser Projektion von Körperpolitik zu finden, bedarf es allerdings einer Lupe.
Folglich ist die müde gewordenen Popkultur durch das weiterspinnen traditioneller Körperpolitiken nicht mehr und nicht weniger als der Stichwortgeber für reaktionären Mist. Den Diskurs um seiner selbst Willen zu führen – wie es die SPEX seit Jahr und Tag zelebriert – entbindet sich dabei genau so von einer genauen materiellen Gesellschaftskritik, wie die konservativer Kulturkämpfer. Die medialen Dispute und Verwirrungen sind vielmehr durch ästhetische Spielereien und Belanglosigkeit geprägt. Eine Indifferenz oder gar Auflösung von Dominanzverhältnissen aufgrund der gesteigerten Anzahl weiblicher Interpretinnen oder vermehrter Androgynität zu konstatieren, ist nicht nur vermessen, sondern trägt zur Schaffung neuer (alter) kulturindustrieller Realitäten bei.

Phase 2 Leipzig