Mit Aussicht auf Abschaffung

Künstlerische Produktion und politische Organisierung

Die Kunst war historisch immer ein Ausdruck politischer Herrschaft. Ihr Ende ist daher ebenso wünschenswert wie das der Herrschaft selbst. Das ist keineswegs gleichbedeutend mit dem Ende künstlerischer Produktion. Ein herrschaftsfreies Leben wäre nicht das Ende politischen Handelns, sondern dessen Befreiung aus der administrativen Lage bürgerlicher Politik und ein Leben ohne Kunst wäre nicht das Ende künstlerischer Produktion, sondern deren Befreiung aus den repräsentativen Selbstbespiegelungen bürgerlicher Öffentlichkeit. Kunst ist keine anthropologische Konstante, keine fakultative menschliche Tätigkeit, sondern eine historische Institutionalisierung spezifischer Produktionszweige als unmittelbar aus der körperlichen Reproduktion einer Gesellschaft ausgeschlossene. Dieser Ausschluss ist notwendig, um die bürgerliche Autonomie der Kunst herzustellen, die Ideologie ihrer repräsentativen Freiheiten – nicht um künstlerische Produktion überhaupt zu ermöglichen. Innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Welt, egal ob semi- oder vollglobalisiert, bezeichnet die Kunst daher keine konkrete Freiheit, sondern lediglich einen umhegten Raum, dessen Freiheit in erster Linie diejenige von gesellschaftspolitischer Relevanz ist: Narrenfreiheit. Und auch wenn sich die Kunst seit dem Beginn der Moderne stets bemühte, Krach in den geheiligten Hallen der bürgerlichen Kontemplation zu machen – es blieben doch stets die Hallen der Kontemplation, in denen der Krach Echos produzierte. Kunst blieb Kunst und damit getrennt von denjenigen Fragen, von denen die Politik ihres bürgerlichen Rahmens handelte: der materiellen Reproduktion der Gesellschaft. Aufgebrochen wurde diese moderne Irrelevanz der künstlerischen Produktion nur dort, wo nicht in der Kunst von der Revolution berichtet wurde, sondern die gesellschaftlichen Produktivkräfte selbst so stark in Bewegung gerieten, dass auch die Kunst zeitweilig eine »produktivere« Rolle spielte. Außerhalb solch revolutionärer Zeiten kommt der Kunst im Hinblick auf eine radikale politische Praxis vor allem eine Funktion zu: diejenige eines taktischen Mittels. Ihr Status autonomer Nutzlosigkeit soll daher im folgenden Text als Problem ebenso wie als Qualität eingeführt werden. Kunst als Testfeld kollektivierender Praxis. Zwischen drei historischen Beispielen und der aktualisierten Diskussion ihrer Radikalisierungsversuche im Bereich künstlerischer Produktion wollen wir PRE vorstellen, ein im Herbst 2008 anlaufendes Projekt zu Kollektivierungen in der gegenwärtigen künstlerischen Produktion. Den Einstieg bietet der historisch einzige revolutionäre Versuch die künstlerische in der allgemeinen gesellschaftlichen Produktion aufzulösen: der russische Produktivismus.

Kunst in die Revolution (Russland 1917–1930)Teilnehmende ProtagonistInnen: Boris Arvatov, Osip Brik, Sergej Eisenstein, Aleksej Gan, Gustav Klucis, Boris Kusner, Anatolii Lunacharski, Vladimir Mayakowski, Vseverlod Meyerhold, Lyobov Popova, Alexander Rodchenko, Viktor Sklovski, Varvara Stepanova, Nikolai Tarabukin, Vladimir Tatlin in wechselnden Gruppenformationen.

»Tod der Kunst!

Sie entstand natürlich

entwickelte sich natürlich

und verschwand natürlich.

Marxisten müssen daran arbeiten ihren Tod wissenschaftlich zu ergründen und das neue Phänomen künstlerischer Arbeit zu erfassen, dass sich in dem neuen geschichtlichen Umfeld unserer Zeit entwickelt.«John E. Bowlt (Hrsg.), The Russian Art of the Avant-Garde, New York, 1976, 221. (Übersetzung d. A.)

Aleksej Gan hatte 1922 in der jungen Sowjetunion das Ende der Kunst vor Augen. Er sah nach der bolschewistischen Revolution von 1917 eine gesellschaftliche Situation hergestellt, in der es der Kunst als Mittel der Revolutionierung der Gesellschaft nicht länger bedurfte. Sie sollte mit der feudalen und bürgerlichen Herrschaft, deren Ausdruck sie gewesen war, untergehen und sich auflösen in eine allgemeine künstlerische gesellschaftliche Reproduktion, sie sollte neu formuliert werden im Hinblick auf ihren Gebrauchswert – Maler sollten lernen chemisch zu denken, Bildhauer architektonisch.

Projektionswelt

In dieser kollektiv produzierenden Gesellschaft, deren Herannahen Gan leider zu Unrecht vermutete, wäre der bürgerliche Status der künstlerischen Produktion unnötig geworden. Ihre Relevanz hätte sich nicht länger aus individuellen Fähigkeiten und Zuschreibungen auf der einen und der Distanz zur materiellen Reproduktion der Gesellschaft auf der anderen Seite zusammengesetzt. Um 1921 hatte die Kunst für einen kurzen Moment aufgehört »Vorstellungen von Dingen« (Boris Arvatov) zu produzieren und begonnen Dinge zu produzieren.Boris Arvatov, Kunst in die Produktion, München, 1972, 29. Siehe zu diesem Thema auch Kerstin Stakemeier, Künstlerische Produktion und Kunstproduktion – Polytechnik und Realismus in der Frühen Sowjetunion, In: Phase 2, Nr. 24, Sommer 2007. Die Realisierung einer nicht-repräsentativen Gesellschaftsformation, in der gesellschaftliche Partizipation nicht länger auf symbolischer Ebene realisiert worden wäre, sondern auf derjenigen der Produktion, hätte auch für die Kunst einen Übergang in die gesellschaftliche Partizipation bedeutet. Die gesellschaftliche Reproduktion selbst sollte Ausdruck der individuellen Vermögen werden, ihrer kollektiven Formulierung. Mit diesem Ende der Leitfunktion der Repräsentation hätte auch das kontemplative Feld der Kunstrezeption aufgehört zu existieren. Durch eine allgemeine Aktivierung der menschlichen Vermögen wäre die künstlerische Produktion aufgehoben worden und in den Alltag übergegangen.

Doch die Russische Revolution scheiterte politisch. Das Verhältnis von kollektivem und individuellem Voluntarismus verschob sich zu Gunsten der Partei.Vgl. Peter Bulthaup, Herrschaft, Sprache und Revolution, in: ders., Das Gesetz der Befreiung, Lüneburg 1998, 47. Und mit der Betonierung deren repräsentativer Funktion für die Arbeiterklasse wurde auch diejenige der Kunst festgesetzt. Der verordnete Realismus nach 1932 steht der verordneten Autonomie seines westlichen Kontrahenten um nichts nach: Im einen wie im anderen ist die Kunst wesentlich repräsentative Funktion der politischen Ordnung.

Anklage

Diese gesellschaftliche Irrelevanz der Kunst in nicht-revolutionären Zeiten mit akklamatorischen Gesten durchbrechen zu wollen, verändert weder ihren repräsentativen Status noch den administrativen der Politik. Meist kleiden derlei Gesten nur phrasenhaft verkürzte politische Inhalte in eine als Hülle missverstandene und daher unzureichende künstlerische Form, fallen darauf zurück Ausdruck bloßer Gesinnung zu sein. Diese bloße Wiederholung repräsentativer bürgerlicher Politiken im Medium des künstlerischen Engagements erweitert lediglich das administrative Angebot. Dagegen wäre von der künstlerischen Produktion die konkrete Realisierung künstlerischer Praxis als politischer Akt zu verlangen. Wo die eigene repräsentative Rolle nicht aus eigener Kraft überwunden werden kann, so kann sie sich doch mit den Fragen nach dem »wie« und »warum« der materiellen Reproduktion der Gesellschaft verbinden. Die Frage nach der historischen Relevanz des Kapitalismus ist für die Kunst gleichzeitig diejenige nach den Gründen der eigenen Irrelevanz. Diese Irrelevanz wurde nicht lediglich mit dem Scheitern der Revolutionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts besiegelt, sondern vor allem mit der historischen Verpflichtung auf die Kulturindustrie als ihre Basis. Wie Benjamin H.D. Buchloh es mit Bezug auf die frühen 1960er Jahre argumentierte, stellte sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine »vollständige Transformation der künstlerischen Produktion in einen Teilbereich der Kulturindustrie ein«.Benjamin H.D. Buchloh, Introductory Note, October, Vol.42, Fall 1987, 5. Als ein bloßer Produktionszweig der kulturellen Massenproduktion musste sich die gesellschaftliche Relevanz der künstlerischen Produktion neu bestimmen – aus dem Verhältnis zu deren Bildproduktion ebenso wie zu deren Produktionsbedingungen.

Autorität

Bereits im frühen 19. Jahrhundert war das autonome Individuum Versprechen und Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft gewesen. Zu dessen Statthalter stilisierte die bürgerliche Kultur des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts den Künstler und auch heute noch haftet ihm dieser Hauch von Freiheit an. Ihm sollte diejenige Emphase individueller Freiheit zukommen, die sich in der Gesellschaft als Ganzer nicht realisierte. Heute reflektiert sich künstlerische Subjektivität in einem rechtlich formalisierten Begriff des Autors, der gegenüber dem alten Ideal auf- und abgeklärt anmutet. In ihm ist die Formalisierung eben des bürgerlichen Eigentumsverhältnisses enthalten, dass immer schon im Kern des Künstlergenies lag; doch ausdifferenziert nach unterschiedlichen Medien und deren Stellung auf dem Warenmarkt reformuliert das Künstlergenie nicht mehr das grenzenlos Naturschöne, sondern die expandierende Massenkultur. Denn neben der Emphase von Autonomie, von der freien Selbstgesetzgebung des Einzelnen in der Kunst, evoziert der Begriff der Autorschaft zunächst nicht mehr als die juristische Verfasstheit künstlerischer Subjektivität. Emphatische und sachliche Seite der künstlerischen Autonomie stehen jedoch in keinem Widerspruch, sondern bedingen einander historisch ebenso wie systematisch. Die Vorstellung vom geistigem Eigentum des künstlerischen Ausnahmesubjektes und seiner nutzlosen Produktion basiert auf den Idealisierungen autonomer und originärer Leistungen der Einzelnen und umgekehrt ist die juristische Absicherung der Autorschaft die Voraussetzung der individuellen Selbstverwertung unter kapitalistischen Verhältnissen.

Taktik

Es gilt nicht historisch gegen das Verschwinden der zurechenbaren künstlerischen Artikulation anzuschreiben, sie einfach zu behaupten, sondern deren historische Instabilität zum Ausgangspunkt eines Schlags gegen das Konstrukt der bürgerlichen Kunst selbst anzusetzen.

Bevor also das revolutionäre Begehren sich bis in ein experimentelles Stadium gesellschaftlicher Reproduktion durchgesetzt hat, sollten Kunst und Herrschaft nicht ohne einander untergehen, denn beide sind letztendlich »Institutionen, [und damit] Vergegenständlichungen der politischen Gesinnung«Karl Marx, Kritik der Hegelschen Rechtphilosophie, MEW 1, Leipzig 1982, 209. der spätkapitalistischen Gesellschaft der Gegenwart. Und auch wenn die Gesinnungen deren Vergegenständlichung sie sind, sich historisch seit Beginn des Kapitalismus modifizierten, so bleibt ihnen doch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Vorstellung von individueller Freiheit gemeinsam, die sich aus dem Gegensatz zur reproduktiven Notwendigkeit der Gesellschaft formuliert. Eine zentrale Frage bei der Formulierung eines revolutionären Interesses an der Kunst ist also zunächst die, ob ihre Freiheit von der Reproduktion auch positiv gefasst werden kann, oder ob nicht vielmehr eine körperlose Freiheit notwendig immateriell bleiben muss. Was als bürgerliche Autonomie der Kunst Karriere machte und von Karl Marx bis Theodor W. Adorno als historische Errungenschaft affirmiert wurde, könnte nur im Sinne eines revolutionären Begehrens produktiv gemacht werden, wo es zum Experimentierfeld nicht autonomer Kunst wird. Heteronomie als Befreiung aus der Irrelevanz. In Versuchen, Abhängigkeiten, Verantwortungen und Allianzen herzustellen, die einen Bewegungsraum umreißen, der sich von der Autonomie der Kunst frei macht, um ihre Heteronomie zu positivieren.

Zur Organisierung als temporäres Kollektiv: Messe 2ok (Köln 1995)InitiatorInnen: Alice Creischer, Dierk Schmidt, Andreas Siekmann. Beteiligte: Jochen Becker, Sabeth Buchmann, Hubertus Butin, Hans Christian Dany, Stefan Dillemuth, Martin Ebner, Jesko Fezer, Katja Reichardt, Peter Ott, Christoph Schäfer, Nico Siepen, Jörg Nowak, Verena Kuni, Annette Wehrmann, Cecilia Wendt, Stefan Römer und grenzenlos viele mehr, alle.

Im November 1995 fand in Köln die ProduzentInnenmesse ›2ok‹ mit dem Titel »ÖkonoMiese machen« statt. Eine Messe, geplant von drei KünstlerInnen, die im Namen die parallel stattfindende kommerzielle Kölner Kunstmesse imitierte, aber in ihrer Struktur einen Autonomiekongress künstlerischer ProduzentInnen einberief: Im Mittelpunkt standen thematische Gruppen, Stadtplanung, politische Organisierung, künstlerische Produktionsformen, Medien und Finanzierungskonzepte, eine von ProduzentInnen organisierten Messe, die sich aus Events, AGs, Podien, Videos, Vorträgen und Konzerten zusammensetzte. Es wurde eine direkte Verbindung zum Autonomiekongress, der 1995 in Berlin stattgefunden hatte, hergestellt, der in Fragen der Organisierung Orientierungshilfen geben sollte.

Um das bürgerliche Bild des autonomen Künstlersubjekts nicht zum Ausgangspunkt der eigenen Organisierung zu machen, wurde die Heteronomie der bürgerlichen Kunst in den Vordergrund gestellt, und zwar nicht nur theoretisch, sondern ebenso in ihren materiellen Auswirkungen in ihren ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb des Kunstbereichs. 2ok produzierte ein Exempel: Sie gewannen einen Sponsor, stießen ihn ab und produzierten in diesem Abstoßungsprozess eine Reihe sich immer weiter verengender Kriterien politischen Bewusstseins in der künstlerischen Produktion. 2ok führte mit der Siemens AG, dem zunächst bereitwilligen Sponsor, eine inhaltliche Auseinandersetzung um die Verantwortlichkeiten unterschiedlicher Bereiche und ihre Repräsentation im Sponsoring, bis nach dem vierten gescheiterten Vertragsversuch die Verhandlungen beendet wurden. Statt die repräsentative Rolle der Kunst en gros von sich zu weisen, stellten sie sie exemplarisch aus: Sie produzierten ein öffentliches Exempel repräsentativer Kunstpolitik. Während der Verhandlungen wurde die Geschichte des Siemens-Konzerns öffentlich zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht, ebenso wie seine Gegenwart, seine Rolle in der Rüstungs-, Atom-, und Gentechnologie und die »Reinwaschung« all dieser »Makel« der kapitalistischen Produktion mit den Mitteln des Kultursponsorings. Nach dem Scheitern der Verhandlungen entwarfen 2ok ein Eigenbeteiligungsmodell, in dessen weiterem Verlauf über Gewinnüberschüsse kollektiv mit allen Messebeteiligten entschieden wurde. Siemens hatte mit dem Sponsoring von 2ok versucht, seine Produktionspolitik von ihrer repräsentativen Kulturpolitik abzuspalten (wie es heute das Siemens Arts Programm erfolgreich tut), während 2ok gerade an der Verbindung der Produktionspolitiken zwischen künstlerischer und reproduktiver Produktion aufgehängt war.

Die Messe inszenierte ihre De-Finanzierung als offenen Akt der Agitation. Parallel zur kommerziellen Kunstmesse Art Cologne zielte sie auf die Politisierung derjenigen Massen ab, die ohnehin in Köln flanierten und denen eine Alternativmesse, wie sie heute kommerzieller Standard ist, zunächst als Schnäppchenmarkt erschien. Die Einsicht, dass hierfür eine Kollektivierung notwendig ist, jedoch gebietsspezifisch begrenzt wirkungslos bleiben muss, trieb hier ganz konkret die künstlerische auf die politische Radikalisierung zu.

Radikalisierung

Dieser Einsatz der Kunst als taktisches Medium statt als repräsentativer Selbstzweck hält einen wesentlichen Ausgangspunkt ihrer möglichen Radikalisierung fest: die Distanzierung vom Kern ihrer bürgerlich autonomen Positionierung als nutzlosem Accessoire der Gesellschaft, als Residuum sinnlichen Begehrens. Dieser Blickwinkel entspringt eher einem radikalen politischen Interesse an künstlerischer Praxis als ihrer bloß immanent kritischen Positionierung innerhalb der Gegenwart, aber es ist genau der Abstand zwischen diesen beiden Polen, der die künstlerische Produktion zu einem taktischen Medium macht: Vor Augen ihre mögliche Abschaffung, kann ihre tatsächliche Festlegung auf die bürgerliche Kultur im Abseits der materiellen gesellschaftlichen Reproduktion zum Ausgangspunkt politischer Praxis im Medium der Kunst werden. Als taktisches Medium ist ihre ideologische Funktion nicht mehr als der Ausgangspunkt einer immer wieder neu ansetzenden bestimmten Negation ihrer bisherigen Geschichte. Auch die künstlerische Praxis muss auf die Aufhebung der Arbeitsteilung hinarbeiten, und, im Gegensatz zu denjenigen, deren Arbeitskraft auf den fragmentierten Anteil an einem undeutlich zusammengesetzten Endprodukt beschränkt ist, kann sie diesen Willen auf der Ebene der individuellen Produktion ansetzen. Ihre Produktionen schließen sich in sich ab. In ihnen auf ein Ende der Arbeitsteilung hin zu produzieren, bedeutet diesen Prozess zu kollektivieren, also in der Kunst die Ideologie vom Einzeltäter praktisch zu bestreiten.

Und so hat die bürgerliche Autonomie der Kunst, verstanden als Mittel politischer Radikalisierung, taktische Vorteile: Die künstlerische Praxis kann, dank ihrer Stellung im bürgerlichen Feld nur mittels repräsentativer Autonomie eine Produktion entwickeln, die zwar für die gesellschaftliche Reproduktion folgenlos bleibt, sich jedoch nicht, wie die politische Praxis es stetig tut, auf dem Weg in die Produktion in jedem Moment mit der negativen Kollektivität der fortgeschrittenen Arbeitsteilung überfordert. Im bürgerlichen Ideologem individueller Kreativität lassen sich Testläufe für eine Produktion jenseits der kapitalistischen Reproduktion fingieren, Angriffe auf deren Selbstbild ebenso wie auf die bürgerlichen Projektionen arbeitslosen Glücks, die sie befördert. Die künstlerische Praxis kann Schläge ausführen, die jedoch nur dort außerhalb ihres eng gesteckten Feldes spürbar werden, wo sie sich mit der politischen Praxis verbinden. Denn wo diese politische Praxis selbst blind ist und keine sinnlichen Entwürfe jenseits der praktischen Revolution inszenieren kann, ist die künstlerische Praxis stumm, da ihre gesellschaftliche Stellung sie dazu verdammt, immer ästhetisch wahrgenommen zu werden.

Künstler in die Politik – Art Workers Coalition (New York 1969)Mitglieder der Art Workers Coalition: Architects Resistance, Carl André, Gregory Battcock, Selma Brody, Frederick Castle, Iris Crump, John Denmark, Dan Graham, Hans Haacke, Jon Hendricks, Frank Hewitt, David Lee, Naomi Levine, Lucy Lippard, Lee Lozano, Irving Petlin, John Perrault, Faith Ringgold, Seth Siegelaub, Gary Smith, Gene Swenson, Jean Toche, Ian Whitecross u.a, www.joaap.org/5/ticles/forkert.htm, Stand: 1. Juli 2008.

Im Zuge der sechziger Jahre beeinflusste die Civil-Rights-Bewegung in den USA – Frauenbewegung, Vietnamkrieg-Proteste, Kämpfe um rechtliche Gleichberechtigung, die Black Panthers – zunehmend die Emanzipationsbewegungen in der Kunst, die gerade nach dem Zweiten Weltkrieg in individuelle, privatistische Initiativen und Parteimitgliedschaften abgesunken waren. Im Angesicht des Vietnamkrieges nahm die Dringlichkeit einer Reorganisierung neue Formen an und 1969 formierte sich in New York die Art Workers Coalition (AWC), ein Zusammenschluss von Künstlern, deren Einsatz zunächst ein praktischer war: am 3. Januar 1969 nahm der kinetische Künstler George Takis eigenmächtig eine seiner Skulpturen aus dem Museum of Modern Art (MOMA). Im Februar legte die AWC dem Museum »13 Forderungen« vor, neben Forderungen nach Demokratisierung und Dezentralisierung von Kunst, Urheberrecht und Museumspolitik erweiterte die AWC ihre Agenda schnell auf die Unterrepräsentation von Afroamerikanern und Frauen in der institutionalisierten Kunstwelt, die Vernachlässigung sozial Unterprivilegierter in der Kulturpolitik New Yorks sowie als zentralen Punkt, den Protest gegen die Fortführung des Vietnamkrieges. Die AWC war keine Gewerkschaft, sondern eine Interessensvertretung von Künstlern, die über den Bereich der Kunst hinausgreifen wollten, um gleichzeitig die gesellschaftlichen Kämpfe ihrer Zeit in die Kunst hineinzutragen.

Die gesellschaftliche Stellung der beteiligten Produzenten wurde zum Zentrum ihrer Forderungen gemacht, eine Interessenspolitik im klassischen Sinne formierte sich. Dies bedeutete im Kontext der New Yorker Kunstszene Ende der sechziger Jahre, in der viele der Beteiligten, wie zum Beispiel Dan Graham oder auch Seth Siegelaub, eine exponierte Stellung einnahmen, eine klare politische und auch immanent radikale Positionierung, jedoch keinen Angriff auf die Kunst als Institution selbst. Die Benachteiligten formierten sich unter der ihnen zugedachten Zuschreibung – derjenigen des bürgerlichen Künstlersubjektes – um Gerechtigkeit zu fordern. Dies gilt in Bezug auf die ihnen zugetragenen gesellschaftlichen Kategorien ebenso wie für ihnen Status als künstlerische Produzenten. Im Gegensatz jedoch zu ihren europäischen Zeitgenossen, wie etwa der Situationistischen Internationale (SI), wurden die Protestaktionen selbst weder als künstlerische Praxis verstanden, noch wurde der Begriff der Kunst oder die ideologische Konstruktion des Künstlers in ihrem Kern angegriffen. Die AWC hatte ihren Ausgangspunkt stets von der Interessensvertretung künstlerischer Produzenten genommen und nicht, wie die SI, die Kunst lediglich als eines ihrer (abzuschaffenden) Medien im Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaft betrachtet. Die AWC war nie eine revolutionäre Vereinigung, lediglich eine, die vom revolutionären Duktus einiger ihrer Mitglieder getragen wurden, der doch nie mehr als den individuellen Status zu festigen versuchte. Eine formale Demokratisierung des gesellschaftlichen Bereiches Gegenwartskunst sollte eingeführt werden, um den Reststatus der KünstlerInnen zu stärken und die Zugangsbeschränkungen des sozialen Feldes durchlässiger zu machen. Die AWC ist insofern signifikant für eine immer noch notwendige, wenn auch reformistische Seite künstlerischer Selbstorganisierung: der Kampf gegen die oftmals bloß gesellschaftlich stabilisierende Funktion künstlerischer Produktion zu Gunsten einer aktiveren Partizipation ihrer ProduzentInnen. Letztlich ist sie der Kampf um die Autonomie als eines Rechtstandards. Allein Lee Lozano fordert eine allumfassende Art Revolution, eine Total Personal & Public Revolution, eine Revolution des Künstlersubjekts: »Ich möchte mich weniger als Kunst-Arbeiterin bezeichnen als eher als Kunst-Träumerin und werde nur an einer vollständigen Revolution des gleichzeitig persönlichen und öffentlichen teilnehmen.«10. April 1969, »Open Public Hearing« der Art Workers Coalition.

Hier war die angestrebte Kollektivierung – ganz im Gegensatz zu derjenigen der revolutionären Künstler der jungen Sowjetrepublik – keine, die ihre Produktion betraf, sondern lediglich auf den Status ihrer Produktion innerhalb der gesellschaftlichen Allgemeinheit gerichtet. Die Protagonistinnen der AWC verfolgten weiter ihre individuellen künstlerischen Karrieren, die sie, und hier liegt das Problem der politischen Organisierung, nicht ins Verhältnis zur Praxis als Coalition stellten. Es wurden keine Verantwortlichkeiten, keine Bindungen, keine Verbindlichkeiten jenseits der persönlichen hergestellt. Die Kollektivierung blieb bloßes Mittel zur Durchsetzung individueller Rechte und Interessen.

Ansage

Was Walter Benjamin in seinem Vortrag Der Autor als Produzent als Aufgabe kommunistischer Künstler formulierte, dass die Kollektivierung in der Kunst keine Aussageabsicht, nicht bloßer Inhalt der künstlerischen Form sei, sondern in der Herausbildung der Form selbst liege, veränderte seine Bedeutung seither. Zwar blieb Benjamins Aussage wahr, die Vorstellung politischer Blocksolidarität jedoch, mit der sie verknüpft war, verschwand.

Nur die Kunst selbst als Form der Politik zu behandeln, kann auf ihre zukünftige Abschaffung hoffen. Und mit der Vereinzelung der kollektivierenden Bestrebungen in der Kunst wie in der Politik ist dieses Ziel in derzeit unerreichbare Ferne gerückt. Auf die Kollektivierung der künstlerischen Produktion lässt sich derzeit daher eher in Antizipation als in Realisierung pochen. Bis auf weiteres ist die künstlerische Produktion auf die Kunst als gesellschaftlichen Ort angewiesen, ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen bilden Ausgangs- und Zielpunkt einer Praxis, die auf ihre Abschaffung zielt. Versuche einer revolutionären Praxis handeln insofern immer prospektiv, immer auf die Verwirklichung eines Zieles hin, auf das sie in der Gegenwart nicht hoffen können.

Eine Kollektivierung künstlerischer Praxis liegt aus diesem Grund nicht zuvorderst in der Diskreditierung individueller Positionen, sondern auch darin, in ihnen das Allgemeine zu erkennen und aufzunehmen. Dies bedeutet sowohl in der künstlerischen Produktion selbst als auch in ihrer Ausstellung und Organisierung, Versuche zu starten, weiterzuführen, zu unterstützen und sichtbar zu machen, in denen Kollektivität als Position angenommen wurde, als praktische Produktionsform realisiert, als Zielpunkt angesetzt oder als schlichte Notwendigkeit der Organisierung durchgesetzt.

PRE

PRE ist ein Projekt, das es sich zur Aufgabe gesetzt hat, Kollektivität als Praxis künstlerischer Produktion in Vergangenheit und Gegenwart nachzuverfolgen und gemeinsam mit anderen auszubauen. Hierfür lädt PRE rund 25 Kollektive aus unterschiedlichen Feldern, der bildenden Kunst ebenso wie in der Musik, ein, sich an einer Publikation und einer fortlaufenden Serie von Veranstaltungen zu beteiligen, die im Herbst 2008 beginnen sollen und wesentlich in Hamburg, Lüneburg, Berlin und London stattfinden werden. Die Praxis all dieser eingeladenen ProduzentInnen markiert den Versuch, die Kunst zum taktischen Ausgangspunkt radikaler politischer Praxis zu nehmen. Kollektivität erscheint hierin nicht so sehr bereits als Lösung des bürgerlichen »Problems Kunst« also einer nur um sich selbst kreisenden Selbstreflexivität, sondern vielmehr als immer auch gesellschaftlich aufgezwungene Beschränkung. Wo einzelne künstlerische ProduzentInnen sich der bürgerlichen Ideologie der Autonomie der Kunst schwerlich entziehen können, wo sie auf ihren Subjektstatus und dessen ideologisch nur selbstreflexiven Wert für die kulturelle Produktion zurückgeworfen werden, bietet die Kollektivierung der Praxis die Möglichkeit, Reflexivität als gemeinsame Praxis diesem Subjektivismus zu entreißen und praktisch werden zu lassen als Reflexion der eigenen objektiven statt der eigenen subjektiven Stellung im Produktionsprozess. Und wo für die Einzelnen die konkrete materielle Heteronomie der künstlerischen Produktion seine Möglichkeiten ständig beschränkt und zum existentiellen Kampf um die eigene Reproduktion werden lässt, ermöglicht eine kollektive Organisierung, es sich innerhalb der künstlerischen Produktion eine Position zu erkämpfen, die Produktion als Prozess, ihre Voraussetzungen als sichtbar und ihr Ergebnis als Arbeitsprodukt statt als »Werk« formulieren kann. In ihr kann Produktion und Reproduktion oftmals getrennt verhandelt werden; mit der eigenen Relevanz innerhalb einer bestimmten Szene entscheidet sich nicht mehr unmittelbar die eigene Reproduktion. In der Vergangenheit kollektiver künstlerischer Praxis bedeutete dies oftmals das Verlassen des gesellschaftlichen Bereiches »Kunst«, dessen Handlungsoptionen doch zuletzt immer repräsentativ bleiben und das Hinübertreten in die massenkulturelle Produktion.

Unser Interesse als Projekt PRE liegt daher darin, diese politischen Wege aus der Kunst nach zu verfolgen, in denen die Kollektivität als Mittel zu einem über die Kunst hinausweisenden Zweck wird. Um eben diese Radikalisierung, um die gegenseitige Verpflichtung künstlerischer und politischer Praxis aufeinander, jenseits der Pamphletform oder der Plakatgestaltung, geht es PRE. PRE will die Frage nach der Organisierung im Bereich der künstlerischen Produktion und Reproduktion stellen, indem künstlerische als politische Praxis ernst genommen und kritisiert wird und vergangene und gegenwärtige Kollektive zur Materialschlacht aufgerufen werden. In Hamburg, Lüneburg, Berlin und London sollen Arbeitstreffen initiiert werden, in denen Kollektivität als gemeinsamer Versuch verhandelt werden soll der kulturell reproduktiven Funktion der Kunst zu entkommen. PRE will die kollektivierenden Tendenzen in der Geschichte der unterschiedlichen Künste dort weiterverfolgen, wo sie auf deren Auflösung streben. Kunst soll als Problem behandelt werden, als produktiver Antagonismus im Sinne eines taktischen Mediums. Was ist die Basis einer Radikalisierung in der Kunst und wie lässt sie sich auf organisatorischer ebenso wie auf produktiver Ebene realisieren?

PRE wird im Herbst 2008 mit der Publikation eines Textbuches beginnen, indem 30 Kollektive historisches Material kollektiver Produktion vorstellen und dieses im Hinblick auf die Frage nach seiner heutigen Relevanz diskutieren. Dieser Reader soll die Basis legen für im Winter und Frühjahr folgenden Seminare, Workshops und Diskussionsserien in Hamburg, Lüneburg und Berlin.

PRE

Hinter PRE verbergen sich Eva Birkenstock (Lüneburg/Hamburg), Kirsten Forkert (London), Christiane Ketteler (Berlin), Nina Köller (Berlin) und Kerstin Stakemeier (Berlin).