Monströse Versprechen für eine komatöse Bewegung?

Rezeption des Summercamp-Projekt-Interviews

Der Kongresstitel deutet an, was das inhaltlich-theoretische Hauptanliegen der Crossover Conference ist: Macht- und Herrschaftsverhältnisse sollen in ihren Verschränkungen gedacht werden, für die praktische Politik sind entsprechende Konsequenzen angestrebt. Womit der Anspruch gegeben ist, Patriarchat, Heteronormativität, Antisemitismus, Rassismus, Kapitalismus und all die anderen Ismen nicht nur als Teilbereiche einer übergeordneten revolutionären Theorie und Praxis zu bestimmen und entsprechend abzuhandeln. Vielmehr ginge es darum, Spannungen zwischen den unter Linken gemeinhin voneinander abgegrenzten Diskursen fürs eigene Handeln nutzbar zu machen. Dieses Anliegen könnte sich aus einer dekonstruktivistischen Gesellschaftsanalyse ergeben. Eine Position, die von der sozialen Konstruiertheit von Identitäten und Wirklichkeiten ausgeht, würde damit die Notwendigkeit betonen, eben wegen ihrer fortdauernden Konstruiertheit Identitäten und Wirklichkeiten ernst zu nehmen und Anspruch auf ihre Destruktion und Neukonstruktion zu erheben. Das klingt extrem nach akademischem Diskurs, ist es auch - und vor allem in diesem Fall ist es Anliegen des Summer Camp Project, Grenzen neu zu bestimmen, zu "overcrossen". Was könnten also die Versprechen sein, die eine Konfrontation von Bewegungspolitik und akademischer Linker birgt - und für wen sind diese Versprechen? Die folgenden Abschnitte dieses Artikels sind geben weder die Kritik der KongressveranstalterInnen an der radikalen Linken wieder, noch sollen sie als Abrechnung mit ihr verstanden werden. Vielmehr handelt es sich um Vorschläge für kritische Blickwinkel einer Selbstbetrachtung im Rahmen identitätskritischer Konzepte, wie sie auch auf der Crossover Conference verhandelt werden sollen.
 

Feel the difference

Das identitäre Positionen bestenfalls problematisch sind, hat sich mittlerweile auch bei so mancher Antifa herumgesprochen. Mit die erste Position, die von der entsprechenden Kritik unter Feuer genommen wurde, war die liebevolle identitäre Verschmelzung mit nationalen Befreiungsbewegungen im Trikont - Nicht nur der positive Bezug auf ein nationales Kollektiv lieferte den Kritikern Munition, auch die Festschreibung rassistisch/kulturalistischer Kategorien müssen die Vorkämpfer internationaler Solidarität mit ausgebeuteten "Ureinwohnern" sich durchaus zurecht vorhalten lassen. Jeder "Befreiungskampf" birgt das Unbehagen, dass das zu befreiende Subjekt immer schon problematisch, weil konstruiert ist und damit niemals so homogen, wie es erscheint. Noch dazu läuft seine Postulierung selbst Gefahr, nicht nur einen gesellschaftlichen Diskurs abzubilden sondern ihn gleichsam mit herzustellen. Wer die ideelle"Dritte-Welt-Frau" als ausgebeutetstes und damit revolutionärstes Subjekt ortet, bastelt mit an einem Weltbild, dass die Menschheit in "Zivilisierte" und "Zurückgebliebene" teilt.
Ein ähnliches Dilemma gilt auch für die Verortung revolutionärer Antifas: Deren Selbstinszenierung kann, solange sie konsistent daherkommen will, immer nur zwischen den zwei Polen umschlagen, die bürgerliche Demokratie ihr eröffnet: Entweder als ihr wohlmeinender Kritiker oder aber als ihr äußeres anderes, dass sich am eindrücklichsten in Militanz (Gewalt & Randale) niederschlägt. So wie die Rezeption der EZLN unter europäischen Linken unweigerlich in die vorgefertigte Grobstruktur von deren Identifikationswünschen fließt, füllt der schwarze Block die Erwartung des bürgerlichen Subjekts an die Präsenz radikaler Antithesen. Die Wahrnehmbarkeit dieser Antithesen (Linke Präsenz in den Medien) ist damit auf keinen Fall per se ein Angriff auf die herrschende Gesellschaft, sondern potentiell ihre Bestätigung.
In linken Aktionszusammenhängen bedeutet die Rezeption einer Kritik an identitärer Politik zumeist zu erklären, mensch mache jetzt eben "strategische Identitätspolitik". Faktisch heißt das für gewöhnlich, dass die Konstruiertheit auch eigener Identitätskonzepte anerkannt wird, man aber keine anderen hat und deshalb weitermacht wie bisher. Eine konsequentere Praxis wäre es, die Antifa-Identität auch öffentlich zu brechen. Die diffuse Idee Pop-Antifa hat scheinbar leider eher das Gegenteil erreicht: Ihre Mainstream-Affirmation bestätigt letztlich, was jeder anständige Linksliberale geahnt hat: Radikale haben schon immer zu einer ordentlichen Gesellschaft gehört, und Pop war immer schon irgendwie radikal.
 

Ein Hauptwiederspruch beißt sich durch

Die LeserIn mit diesen deprimierenden Überlegungen erst einmal im sauren Regen der Postmoderne stehen lassend, lässt sich der Blick noch einem anderen monströsen Versprechen von Crossover-Betrachtungsweisen zuwenden. Die Rede ist von der schon angesprochenen Verschränkungen und Durchdringungen von Macht und Herrschaft. Konsequent gedacht stellt sich damit die Frage der Priorität von Politikfeldern, konkret gesagt: Die Erklärungshoheit des und scheinbare Radikalitätsgewährleistung durch Antikapitalismus. Zwar ist die Hauptwiederspruchsthese weitgehend diskreditiert, gleichzeitig bestimmt sie aber nach wie vor den linksradikalen Blickwinkel, der jedes gesellschaftliche Machtverhältnisse auf Verwertungslogik zurückzuführen geneigt ist. Es lässt sich zwar kaum abstreiten, dass ökonomische Diskurse wohl alle anderen gesellschaftlichen Verhältnisse kreuzen und in sie einfließen - ähnliches gilt aber für Geschlechterdiskurse, Rassismen und Kulturalismen. Präsent bleibt der Hauptwiederspruch somit als einzige Bezugsachse für die Analyse anderer gesellschaftlicher Verhältnisse. Ein Ineinanderlesen von z.B. Heterosexismus und Rassismus oder Antisemitismus und Fortschrittsideologie wird dagegen in der Bewegungslinken nicht angegangen. Stattdessen gilt Antikapitalismus nach wie vor als ultimative Markierung für linksradikale Positionen. Nicht weiter verwunderlich erscheint in diesem Kontext das vielbeklagte Unvermögen vieler Linker, Sexismus außerhalb von Kategorien der marxistischen Analyse von Arbeitsteilung zu denken, oder Rassismus als etwas anderes zu Analysieren denn als spalterische Strategie des Kapitals.
 

Diffuses Licht am Ende des Tunnels?

Kann die Bewegungslinke, insbesondere die Antifa, sich mit diesen Schlaglichtartig angerissenen Diskursen produktiv treffen? Nötig wäre dafür eine Auseinandersetzung, die bereit ist, beide Seiten in Frage zu stellen, also sowohl identitätskritische Diskurse auf ihre Tauglichkeit für politische Konzepte abzuklopfen als auch sich von eventuell liebgewonnener Praxis zu verabschieden. Die Crossover Conference kann und will in diesem Bereich keine programmatische Leistung vollbringen, sie ist eher der Versuch zu einer überfälligen partiellen Zusammenführung, die nicht mit dialektischer Synthese verwechselt werden sollte. "Die" linke, identitätskritische, dekonstruktivistische und praxisfähige Struktur kann nicht geschaffen werden, sondern nur verhandelt. Für die Antifa würde eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen eine Bereitschaft voraussetzen, sich in ein unabgeschlossenes, schwammiges Kontinuum einzubringen, das weder das Versprechen einer klaren Utopie noch eindeutiger politischer Handlungsanweisungen birgt.

Phase 2 Berlin