Mythos vom israelischen Bauhaus

2019 gab es für den geschichtsinteressierten Deutschen viele Jubiläen zu begehen und vor allem öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen: den 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt, 100 Jahre Novemberrevolution, 75 Jahre Stauffenberg Attentat, 70 Jahre Grundgesetz, 30 Jahre Mauerfall und 100 Jahre Bauhaus. Scheinbar stand den Deutschen dieses Mal kein Jahrestag im Weg, der eine Auseinandersetzung mit der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden verlangt hätte. Besonders beim Bauhaus- Jubiläum konnte das Bedürfnis nach Geltungsdrang und Sendungsbewusstsein endlich mit Erfolgsgeschichten befriedigt werden und die Bilder der Schlächter des Ostfeldzuges, die international sonst mit ebenjenem Sendungsbewusstsein verknüpft werden, hinter modernen, fast zeitlosen Fassaden verschwinden. Ganz nebenbei bot dieses Jubiläum auch die Möglichkeit eine deutsch-jüdische Erfolgsgeschichte zu erzählen. 

Genau bei dieser Erfolgsgeschichte setzt Alexandra Kleis Buch Wie das Bauhaus nach Tel Aviv kam an. In fünf Kapiteln widmet sich die Architekturhistorikerin den zentralen Problemen bei der Verwendung des Begriffs Bauhaus im Allgemeinen und im Speziellen im Hinblick auf die Stadtgeschichtsschreibung zu Tel Aviv und dem deutsch-israelischen Verhältnis. Zum einen beschäftigt sie sich mit der inflationären Verwendung des Bauhaus-Begriffs und der Etablierung des Topos der White-City als Synonym für die Stadt Tel Aviv. Zum anderen problematisiert sie das Narrativ vom Bauhaus als Exporterfolg und weitreichendem Kulturtransfer, der (unfreiwillig) durch den Nationalsozialismus und das Ha‘avara Abkommen (1933-1939) erst ermöglicht worden wäre. Zudem blickt sie auf den Umgang mit dem architektonischen Erbe vor allem hinsichtlich der Erhaltung und der Tendenz zur Rekonstruktion seit der Aufnahme Tel Avivs in das UNESCO-Weltkulturerbe. 

Die Autorin begreift die Stadt und ihre architektonischen Marker als Archiv, dessen Archivalien ständig interpretiert, präsentiert und kontextualisiert werden. Architektur und ihre Präsentation bzw. Repräsentation im öffentlichen Raum und deren Veränderung seien Ausdruck ideologischer Tendenzen und Entwicklungen von Gesellschaften und stehen in Zusammenhang mit Identitätspolitik auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Ein zentraler Begriff, um diese Tendenz zu beschreiben ist bei Klei der der »Re-Konstruktion«. Sie verwendet ihn, um auf die Funktion von Architektur als Trägerin von Erinnerung und damit auch von Bedeutung sowie Information zu verweisen. Re-konstruierte Architektur kommt dabei in ihrem Sinne eine doppelte Bedeutung zu: Sie soll durch die (oftmals oberflächliche) Wiederherstellung von städtebaulichen Projekten Bilder, Vorstellungen und Narrative vermitteln. Am Beispiel Tel Avivs lassen »erst die Prozesse von Wiederherstellung und Bedeutungserzeugung […] die Gebäude wieder sichtbar werden«. Zudem drückt die Wiederherstellung eines Gebäudes nationale oder identitätspolitische Ideologie aus und vermittelt sie durch dessen Materialität. »Rekonstruktionen müssen in eine Erzählung passen, um in der Argumentation der AkteurInnen eine Notwendigkeit zur Wiederherstellung nach sich zu ziehen.«, so Klei. Im Falle Tel Avivs bedient dies eine national identitäre Erzählung von Fortschritt, Pioniergeist und Modernität. 

Die Herangehensweise der Autorin ermöglichen es ihr die Erzählung der weißen Stadt der Moderne wesentlich aufzubrechen. Indem sie deren Geschichte und die der frühen Siedlungen anhand der Erinnerungszeichen und der vorhandenen Bausubstanz, die nicht explizit in der Stadtgeschichtsschreibung hervorgehoben wird, vergleicht, gelingt es ihr Aspekte der Stadtentwicklung und die mit der Präsentation verknüpften Narrative sichtbar zu machen. So zeigt sie die Leerstellen in der Stadtgeschichtsschreibung und lenkt den Blick weg von der scheinbar auf dem Reißbrett entstandenen Stadt. Ein besonderer Verdienst ist, dass sie die deutsche Rezeption Tel Avivs als deutsche Stadt am Mittelmeer, deren baukulturelles Erbe nur dem Engagement deutscher ArchitektInnen, Ministerien und Initiativen zu verdanken wäre, aufbricht. 

Zwar bleibt der Gegenstand ein sehr spezifischer, jedoch zeigt Kleis interdisziplinärer Blickwinkel die Möglichkeit auf, diese auch auf andere städtebauliche Komplexe anzuwenden. Insbesondere mit Blick auf den sich abzeichnenden Rekonstruktionstrend ist dies für eine Diskussion in Deutschland von Bedeutung. Hier kann der Begriff der Re-Konstruktion als wirksames Analyseinstrument in die Debatte einbezogen werden. Die Publikation verdeutlicht eindrucksvoll, dass die Geschichte um Flucht, Vertreibung und Ermordung auch von Bauhaus-SchülerInnen und ArchitektInnen im deutschen Kontext konsequent ausgeblendet wird, um im Hinblick auf die städtebaulichen Entwicklungen in Tel Aviv der nationalsozialistischen Vertreibungspolitik positives abzugewinnen, indem das architektonische Erbe in ein deutsch-jüdisches oder gar exklusiv deutsches umgedeutet wird. Also doch kein Jubiläum mit Happy End.

 

Larissa Lapinova

 

Alexandra Klei: Wie das Bauhaus nach Tel Aviv kam. Re-Konstruktion einer Idee in Text, Bild und Architektur, Neofelis, Berlin 2019, 160 S., € 22,00.