Nach dem Irakkrieg: USA und Europa im Konkurrenzkampf

Die gruppe demontage geht hier der Frage auf den Grund, ob die ablehnende Haltung einiger europäischer Staaten, allen voran Deutschland, zum Krieg gegen den Irak Konsequenzen für die außenpolitischen Strategien der USA und Deutschlands haben werden.(1)

Obwohl die USA weiterhin die größte in einem Staat organisierte Volkswirtschaft besitzen, sind Zeichen eines relativen ökonomischen Niederganges der USA auszumachen. Im Handel mit anderen kapitalistischen Staaten besitzen die USA ein hohes Leistungsbilanzdefizit, was sich in einer im Verhältnis hohen Auslandsverschuldung und der Aufblähung der Dollargeldmenge niederschlägt.

Bisher blieb der Dollar jedoch aufgrund der politisch-militärischen Dominanz der USA die Leitwährung der Welt. Im Zweifelsfall kann das US-Militär gerufen werden, um eine politische Krise, welche die Wirtschaft destabilisiert, ruhig zu stellen oder wie im Falle des Iraks können die machtpolitischen Voraussetzungen geschaffen werden, um sich die strategische Ressource Öl günstig anzueignen.

Im September 2002 verkündeten die USA eine neue Nationale Sicherheitsstrategie (www.whitehouse.gov/nsc). Darin wird geschildert, wie sich nach dem Ende des sowjetischen Machtblockes für die USA neue Möglichkeiten aber auch Risiken ergeben.

In dieser neuen Sicherheitsstrategie vertreten die USA einen Ansatz, wonach kein weiteres Land oder eine Kombination von mehreren Ländern den bestehenden militärischen Vorsprung der USA einholen darf. Um dies zu garantieren, nimmt die Stärke und jederzeit weltweite Einsetzbarkeit der US-Army eine Abschreckungsfunktion wahr. Im Zweifelsfall billigt sich die US-Administration das Recht auf präventive und vorbeugende Militärschläge zu.

Die Verkündung der neuen Strategie geht mit einem Ausbau des Kriegskeynesianismus einher. In den USA wird so viel Geld in Rüstungsprojekte gesteckt, wie in den achtziger Jahren unter Ronald Reagan, um die Sowjetunion niederzuringen. Diese Waren in Form von Waffen und Munition werden im Krieg aufgebraucht und zerstören damit weitere Güter, die wiederum neu produziert werden können. Dies ist ein Beitrag zur Lösung der gegenwärtigen weltweiten Überakkumulationskrise. Die Absicht, von einer ökonomischen Neuordnung des Irak und der gesamten arabischen Halbinsel zu profitieren, stellt auch ein wesentliches Motiv derjenigen Regierungen dar, welche die USA in einem Feldzug unterstützen.

In ihrer polit-ökonomischen Beherrschung der arabischen Halbinsel setzen die USA traditionell auf einen Petrodollar-Imperialismus. Die USA gewinnen einen Extraprofit, indem die Gewinne aus der Ölförderung mittels Waffenkäufen der arabischen Staaten sowie der Abrechnung des Öls in Dollar in die USA als Handelsgewinne und Investitionen zurückfließen.

Bisher garantiert Saudi-Arabien die Ölversorgung der USA aus der Golfregion. Zuvor waren in die strategische Versorgung der USA auch der Iran und der Irak einbezogen. Neben der Unterstützung des Islamismus durch saudische Bürger und deren Regierung ist auch der von Saudi-Arabien initiierte Anstieg des Ölpreises und die Weigerung der Saudis, die verstaatlichte Ölindustrie für US-Investoren zu öffnen, gegen die Interessen der USA gerichtet. Hintergrund dieser Entwicklung ist die finanzielle Krise des »Wohlfahrtsstaates« in Saudi-Arabien, in der eine breite Schicht von Rentiers von nichtsaudischen Arbeitern versorgt wird. Im Rahmen dieser Umorientierung wird in Saudi-Arabien auch überlegt, genauso wie der Iran, Irak und Venezuela das Öl in Euro zu verkaufen. Schon jetzt dehnt die BRD ihren Handelseinfluss auf der arabischen Halbinsel deutlich aus. Sollten die saudischen Öllieferungen an die USA in der gegenwärtigen Situation eingestellt werden, wäre dies für die USA ökonomisch nur schwer zu verkraften.

Die US-Administration will die Abhängigkeit von Saudi-Arabien durch den Zugriff auf die Ölvorräte des Irak beenden. Dadurch könnte auch das Kartell der OPEC destabilisiert und der Ölpreis gesenkt werden. Die Eroberung des Irak öffnet dessen Markt wieder für die USA, die ebenso wie Großbritannien von diesem seit dem zweiten Golfkrieg ausgeschlossen ist. Dies ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn eine durch Krieg und Embargo zerstörte Infrastruktur wieder aufgebaut werden kann und dafür das geschlagene Land mit seinen Ölvorräten bezahlt.

 

BRD will groß rauskommen

Bis zum zweiten Golfkrieg war die Bundesrepublik der wichtigste Handelspartner des Irak. Bei der Bagdad-Messe im November 2002 war die Industrie der BRD mit 200 Vertretern anwesend, gefördert wurde dies von der Bundesregierung. Für über 300 Millionen Euro exportierte die BRD letztes Jahr Waren in den Irak.

Auf der militärisch-machtpolitischen Ebene erkämpfen sich die bundesrepublikanischen Eliten seit 1989 Stück für Stück mehr Handlungsspielraum. Mit der Vorantreibung der Zerstörung Jugoslawiens seit 1991 – der deutsche Außenminister Genscher erkannte als erster gegen den Willen der Rest-EU und der USA Kroatien und Slowenien als unabhängige Staaten an, was ein wesentlicher Auslöser der folgenden Sezessionskriege war – wurde die Stellung der BRD, teilweise in Konfrontation mit Frankreich und England, als ein führender Staat in Europa ausgebaut. Im Jugoslawienkrieg 1999 kam zum ersten Mal bundesdeutsches Militär ohne UNO-Mandat zum Einsatz. In Mazedonien ist die Bundeswehr führend bei der EU-Truppe dabei. In Afghanistan wurden Bundeswehrsoldaten außerhalb Europas in Kampfeinsätze geschickt. Schritt für Schritt wurden damit die imperialistischen Konkurrenten und die deutsche Gesellschaft an eigene militärische Aktionen der BRD gewöhnt.

Laut der neuen deutschen Interventionsstrategie wird die Sicherheit Deutschlands nun am Hindukusch in Afghanistan verteidigt, wie der deutsche Verteidigungsminister Struck oft sagt. Für die Bundeswehr bedeutet dies, dass der Schwerpunkt von der sogenannten Landesverteidigung mit Panzerarmeen hin zu hochmobilen, weltweit einsetzbaren Spezialkräften verlagert wird. Dieses Jahr wird in der EU außerdem mit der Aufstellung eigener europäischer Interventionskräfte begonnen. Diese Armee soll 60.000 Männer und Frauen umfassen und weltweit einsetzbar sein. Damit lassen sich aus dem Stand mittelgroße Kriege führen. Geplant sind in diesem Zusammenhang der Aufbau eigener Lufttransportkapazitäten (Airbus M 400), Marschflugkörper, einer Satellitenaufklärung (Galileo) und die Verstärkung der Seestreitkräfte. Mit der Aufrüstung geht der Ausbau einer integrierten europäischen Rüstungsindustrie einher, welche die technologische Unabhängigkeit von den USA herstellen soll.

Die politische Konfrontation vor und nach dem Bundestagswahlkampf sind erste, zunehmend selbstbewusstere Gehversuche der deutschen Regierung zur Erlangung einer relativen politischen Autonomie von den USA. Dies geschieht vor dem Hintergrund der zentralen ökonomischen Rolle der BRD in Europa, der Wiedererlangung ihrer vollen Souveränität seit 1989, des fortgesetzten Ausbaus der militärischen Kapazitäten innerhalb der europäischen Strukturen und der den USA entgegengesetzten ökonomischen Interessen im Nahen Osten. Damit betreibt die Bundesregierung zum ersten Mal seit 1945 wieder offen formuliert Weltpolitik im Sinne einer eigenständigen, gegen den überlegenen imperialistischen Konkurrenten gerichteten globalen Machtpolitik.

Es wird den Eliten der BRD aber bewusst sein, dass Deutschland für eine Weltmachtposition – auf sich alleine gestellt – derzeit die ökonomischen, militärischen und politischen Mittel fehlen. Deshalb betreiben sie in großer Einigkeit die politische und militärische Integration der Europäischen Union. Eine Perspektive für eine Weltmachtposition der BRD stellt sich nur innerhalb einer europäischen Föderation.

Die BRD sind der zentrale Handelspartner nicht nur vom Hussein-Irak gewesen, sondern weiterhin auch von Syrien, Iran, Jordanien und der Türkei. Allen diesen Nachbarländern droht nach dem Krieg eine ökonomische und politische Destabilisierung. Insgesamt exportiert die EU drei Mal so viele Güter in den Nahen Osten wie die USA. Die Interessen der USA beziehen sich vor allem auf einen gesicherten und möglichst kostengünstigen Ölimport von der arabischen Halbinsel. Aus Sicht der EU und wegen ihrer räumlichen Nähe ist ihr die politische und soziale Stabilität des gesamten Nahen Ostens wesentlich wichtiger als den USA. Die EU plant deshalb, auf lange Sicht den Mittelmeerraum und den Nahen Osten in einer Freihandelszone als Einflussgebiet an sich zu binden. Ein solcher Ansatz kann nur auf Basis einer friedlichen ökonomischen Durchdringung gelingen, in welcher die arabischen Regimes auch politisch gewonnen werden und nicht durch eine neokoloniale Militärpolitik. Die EU befürchtet deshalb, dass militärische Interventionen der USA sie in dieser Hinsicht zurückwerfen. Dieser scheinbare schwache Ansatz insbesondere von Frankreich und der BRD, ihre Handelsinteressen in den Vordergrund zu stellen, da sie auch nicht auf eine militärische Übermacht zurückgreifen können, könnte sich langfristig als erfolgreich herausstellen.

 

 

Fußnoten:

(1) Ein ausführlicher Text zum Thema steht auf www.demontage.org



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